BT-Drucksache 16/717

Der BND-Einsatz im Irak im Jahr 2003 während des Krieges

Vom 15. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/717
16. Wahlperiode 15. 02. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Jan Korte, Kersten Naumann,
Gert Winkelmeier und der Fraktion DIE LINKE.

Der BND-Einsatz im Irak im Jahr 2003 während des Krieges

Am 12. Januar 2006 berichteten die „Süddeutsche Zeitung“ und das Fernseh-
magazin „Panorama“, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) den amerikani-
schen Streitkräften im Irak-Krieg geholfen habe. Der BND soll den US-Streit-
kräften u.a. Zielkoordinaten geliefert haben.

Laut „Süddeutscher Zeitung“ sollen „deutsche und amerikanische Agenten eine
Kooperation im Krieg vereinbart haben: Drei Monate vor Beginn des Krieges,
im Dezember 2002, fand in der BND-Zentrale in Pullach ein geheimes Treffen
statt. Teilnehmer des vierstündigen Gespräches waren Mitarbeiter des US-Mili-
tärgeheimdienstes Defense Intelligence Agency (DIA), ein BND-Mitarbeiter
aus der deutschen Botschaft in Bagdad sowie ein weiterer hochrangiger BND-
Vertreter. Das Thema des Gespräches war äußerst brisant. Nach Aussagen eines
früheren Mitarbeiters des amerikanischen Verteidigungsministeriums, die der
Panorama-Redaktion vorliegen, plante die Runde den Einsatz deutscher Agen-
ten in Bagdad, die US-Operationen während des Krieges unterstützen sollten.
Obwohl die politische Haltung der rot-grünen Regierung zum Waffengang ge-
gen Saddam längst klar war und diese offiziell jede deutsche Beteiligung am
Krieg ausschloss, wurde im Kanzleramt entschieden, dass BND-Leute im Land
mit US-Agenten und Soldaten zusammenarbeiten sollten. Die Details wurden
in der Pullacher Runde festgelegt.“ (Süddeutsche Zeitung, 12. Januar 2006).

„DER SPIEGEL“ vom 16. Januar 2006 berichtete, dass bereits im Oktober
2002 Experten des BND ein Konzept für diesen BND-Einsatz entwickelt hat-
ten. Das Konzept sah vor, „eine kleine Nachhut in Bagdad zu platzieren. Die
Männer, militärisch ausgebildet und bewaffnet, sollen Augen und Ohren
Deutschlands sein, damit die Bundesregierung jederzeit auf eigene Informationen
über den Kriegsverlauf hat. Die BND-Fachleute legen den Einsatzplan Hanning
zur Entscheidung vor. Das Votum, Agenten ins Kriegsgebiet zu schicken, sei
nicht leicht gefallen, sagen BND-Beamte heute. Hanning bespricht die Angele-
genheit mit dem Kanzleramt. Und schließlich bekommt er grünes Licht. Die
Geheimen suchen nun nach den richtigen Männern – und der Plan wird mit den
Franzosen abgestimmt, die ihre Botschaft in Bagdad halten wollten. Die Ent-
scheidung ist >leitungsrelevant<, wie es im Ministerialdeutsch heißt. Soll heißen:

Sie wird Steinmeier persönlich vorgelegt. Und auch Joschka Fischer. Es ist eine
so genannte Ministerentscheidung: Beide haben keine Einwände, was sie auch
heute einräumen. Die Operation kann beginnen.“ (DER SPIEGEL, 16. Januar
2006)

Drucksache 16/717 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In wie vielen Kriegs- und Krisenfällen haben Bundesregierungen seit
1960, mit einem ausgearbeiteten Einsatzkonzept und mit militärisch ausge-
bildeten und bewaffneten BND-Beamten, eine Nachhut in den betreffen-
den Staaten gebildet, damit die Bundesregierungen eigene Erkenntnisse
über Kriegs- und Krisenverläufe erhalten konnten, und in wie vielen Fällen
ist dies nicht geschehen?

2. Welche Abteilung innerhalb des BND hatte auf wessen Anweisung hin für
einen drohenden Irak-Krieg im Jahr 2002 ein Konzept für eine Nachhut im
Irak erarbeitet?

3. Wann wurden die Arbeiten für dieses Konzept ggf. begonnen, und wann
waren sie abgeschlossen?

4. Was sind ggf. die wesentlichen Zielvorgaben des Konzepts?

5. Wie liefen die Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse innerhalb der
Bundesregierung exakt ab?

6. Hat man ggf. in der konzeptionellen Entwicklung des BND-Einsatzes und
dann in der Abstimmung und Entscheidung der Bundesregierung aus-
drücklich festgelegt, dass es keine Zusammenarbeit mit amerikanischen
Stellen während des Krieges geben darf, und wenn ja, wie wurde dies
genau geregelt, und in welcher Form wurde dies den BND-Mitarbeitern
mitgeteilt?

Hat man in dieser Phase schon festgelegt, dass Non-Targets den amerikani-
schen Stellen mitgeteilt werden dürfen, und wenn ja, wie ist Non-Target
hier definiert worden?

7. Welche Maßnahmen wurden ab Herbst 2002 ggf. ergriffen, um den Einsatz
der BND-Beamten im Irak vorzubereiten?

8. Trifft es zu, dass der Einsatz im Irak von Mitarbeitern des Amtes für Mili-
tärkunde durchgeführt wurde, und wenn ja,

a) wer ist gegenüber Mitarbeitern des Amtes für Militärkunde weisungs-
befugt,

b) haben die fraglichen Mitarbeiter auch während ihres Einsatzes in
Bagdad Sold oder sonstige Zahlungen der Bundeswehr erhalten,

c) wieso hat die Bundesregierung nicht die Zustimmung des Deutschen
Bundestages zur Entsendung von Bundeswehrangehörigen in das Kri-
sen- und Kriegsgebiet Irak eingeholt?

9. Waren nur zwei BND-Mitarbeiter für diesen Einsatz vorgesehen oder
waren auch weitere Mitarbeiter vorgesehen?

10. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass sich weitere Bedienstete und
Mitarbeiter des BND oder anderer Dienste während des Krieges im Irak,
auch außerhalb Bagdads, aufhielten?

11. Hatten auch Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) einen
Nachhut-Auftrag im Irak, um wichtige Informationen zum Schutz der
Bundeswehrkräfte in Kuwait zu sammeln?

12. Welche technischen Kommunikationsmittel und -wege wurden für den
Nachhut-Einsatz des BND bereitgestellt bzw. festgelegt?

13. War der einzige vorgesehene Kommunikationsweg nur der über die BND-
Zentrale in Pullach, oder waren auch andere Kommunikationswege vorge-
sehen?
14. Gab es Kommunikationsmittel und -wege für den Notfall?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/717

15. Gab es Kommunikationsmittel und -wege zu den Bundeswehrkräften in
Kuwait?

16. Auf welche Partner für eine Zusammenarbeit während des Einsatzes wollte
man sich und konnte man sich stützen?

17. Gab es neben der französischen Botschaft in Bagdad noch weitere Domi-
zile der BND-Mitarbeiter?

18. Gab es Informantennetze auf die man sich stützen konnte, und wenn ja,
welche waren das?

19. Welche genauen Informationen sollten gesammelt und weitergeleitet wer-
den, damit sich die Bundesregierung ein getreues Bild über den Kriegsver-
lauf bilden konnte?

20. Waren für die Bundesregierung Informationen über Strom- und Wasserver-
sorgung, Truppenbewegungen, Befestigungsanlagen und -gräben, Treib-
stofftanks und Benzinlager etc. von besonderer Bedeutung, um sich ein ge-
naues Bild über die Lage im Irak zu machen?

21. Wohin sollten diese Informationen ggf. geleitet werden, und wohin sind sie
tatsächlich geleitet worden?

22. Gab es – für Notfälle – kurze Dienstwege zu anderen Stellen, und wenn ja,
wie sahen diese Dienstwege aus und welche Stellen waren dies?

23. Wie konnte technisch ausgeschlossen werden, dass BND-Mitarbeiter auch
direkt mit Mitarbeitern der DIA oder anderen amerikanischen Diensten
kommunizierten?

24. Trifft es zu, dass es – wie die „Süddeutsche Zeitung“ vom 12. Januar 2006
berichtete – ein Gespräch zwischen Mitarbeitern des BND und Mitarbei-
tern der DIA gab, und wenn ja, was war Gegenstand dieses Gespräches,
und welche Vereinbarungen wurden dort ggf. getroffen?

25. Hat es weitere Gespräche zwischen Vertretern der Bundesregierung und
nachgeordneten Behörden und Vertretern der US-Regierung und Vertretern
amerikanischer Behörden gegeben, in denen über den Verbleib einer BND-
Nachhut gesprochen worden ist, und wenn ja, wann haben diese Treffen
unter welcher Beteiligung stattgefunden, und was waren die Vereinbarun-
gen, die bei diesen Treffen erzielt wurden?

26. Hat es Anfragen der US-Regierung, der DIA oder anderer amerikanischer
Stellen an die Bundesregierung, den BND oder andere Stellen gegeben, um
Informationen über die Lage im Irak während des Krieges zu erlangen, und
wenn ja, wie viele Anfragen hat es gegeben, und wie ist man damit umge-
gangen?

27. Wie viele Berichte haben die BND-Mitarbeiter insgesamt während ihres
Einsatzes erstellt und weitergeleitet?

28. Wie will und kann die Bundesregierung ausschließen, dass die BND-Mit-
arbeiter während ihres Einsatzes direkt mit amerikanischen Stellen kom-
muniziert haben?

29. Wie bewertet die Bundesregierung heute den BND-Einsatz im Irak?

Berlin, den 10. Februar 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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