BT-Drucksache 16/7145

Bundeswildwegeplan als Ergänzung zum Bundesverkehrswegeplan

Vom 14. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7145
16. Wahlperiode 14. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg),
Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Cornelia Behm,
Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Nicole Maisch
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bundeswildwegeplan als Ergänzung zum Bundesverkehrswegeplan

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Zerschneidung von Lebensräumen hat in den vergangenen Jahrzehnten stark
zugenommen. Die Zahl der großen unzerschnittenen Räume ist dramatisch zu-
rückgegangen. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es noch 562 unzer-
schnittene verkehrsarme Räume (UZVR). Die Fragmentierung der Landschaft
und die damit verbundene Isolation von Lebensräumen für viele Pflanzen und
Tiere werden – nicht zuletzt in dem vom Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, vorgelegten Entwurf der nationa-
len Strategie zur biologischen Vielfalt – als eine der schwerwiegendsten Haupt-
ursachen für das Aussterben von Arten und den Verlust von Biodiversität ange-
sehen.

Es ist unumstritten, dass auch Verkehrswege ganz erheblich zu diesen Flächen-
verlusten und zur Zerschneidung von Lebensräumen, Verlärmung, Licht- und
Schadstoffemissionen beitragen. Das konkrete Ausmaß der Zerschneidung von
Lebensräumen durch Verkehrswege kann die Bundesregierung jedoch nicht be-
ziffern.

Eine sichtbare Folge der Zerschneidung von Lebensräumen durch Straßen ist die
große Zahl von Wildunfällen. Es liegen auch keine Informationen über die
Länge von Lärmschutzwänden oder unüberwindbaren Wildzäunen in der freien
Landschaft vor. Die Bundesregierung erhebt derzeit bei den Ländern die Anzahl
der vorhandenen und in Planung bzw. Bau befindlichen Querungshilfen.

Das Problem ist schon lange bekannt und in anderen Ländern, wie der Schweiz
und den Niederlanden werden bereits seit Jahren umfangreiche Maßnahmen zur
„Landschaftsentschneidung“ ergriffen. Dennoch wird bei der Gestaltung von
Bundesverkehrswegeplan und Verkehrswegekonzepten in Deutschland die er-
hebliche Beeinträchtigung der biologischen Vielfalt durch Verkehrsinfrastruktur

nicht ausreichend vermieden. Es existieren praktisch keine Planungen, um die
Barrierewirkung des bestehenden Straßennetzes für Wildtiere zu entschärfen.
Selbst beim Neu- und Ausbau von Bundesfernstraßen werden die Vernetzungs-
belange nur teilweise berücksichtigt, obwohl die Ergebnisse und die Karte des
Projektes „Lebensraumkorridore für Mensch und Natur“ (Bundesamt für Natur-
schutz – BfN – 2004) für die Standortentscheidung wichtige Grundlagen liefern
könnte.

Drucksache 16/7145 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Für die Beseitigung der Zerschneidungswirkungen an bestehenden Straßen gibt
es derzeit keine Rechtsgrundlage und daher auch keine verbindliche Finanzie-
rungspflicht. Für das bestehende Straßennetz werden bislang vereinzelt von
einigen Bundesländern vor allem für größere und mittlere Säugetiere Wieder-
vernetzungskonzepte landesweit oder für einzelne Landesteile entwickelt. Ein
Konzept, das für die gesamte Bundesrepublik Deutschland wichtige Konflikt-
stellen aus Bundessicht im bestehenden überregionalen Straßennetz benennt und
priorisiert, existiert bis zum heutigen Zeitpunkt nicht, soll aber bis 2009 durch
das BfN unter Beteiligung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung erarbeitet werden.

In dem im Mai 2007 vorgelegten Entwurf der Nationalen Biodiversitätsstrategie
wird eine konsequente Reduzierung der durch den Verkehr bedingten Belastun-
gen für Umwelt und Natur sowie der menschlichen Gesundheit gefordert. Ziel
ist es, neue Verkehrswege ökologisch durchlässig zu gestalten. Bis zum Jahre
2020 sollen von den bestehenden Verkehrswegen keine erheblichen Beeinträch-
tigungen des Biotopverbundsystems mehr ausgehen. Langfristig muss dies in
ein umfassenden Konzept zur Minimierung von Zerschneidung von Lebensräu-
men eingearbeitet werden.

Um diese Zielvorgaben zu erreichen, wird die Schaffung von Wildwechselmög-
lichkeiten im Rahmen eines bundesweiten Wildwegeplans vorgeschlagen. Ein
Bundeswildwegeplan als Ergänzung des Bundesverkehrswegeplans wäre ein
zentrales Element zur Umsetzung des gesetzlich vorgeschriebenen Biotopver-
bundes sowie zur Kohärenz des EU-Schutzgebietsnetzes Natura 2000, das bis-
her im Wesentlichen aus einzelnen Gebietsmeldungen besteht, nicht aber den
Anforderungen einer Vernetzung genügt. Nur mit einer Vernetzung kann das
Ziel, gefährdete Populationen zu stabilisieren, die Möglichkeit für die Wieder-
besiedlung verwaister Landschaften zu schaffen, notwendige Tierwanderungen
zu unterstützen sowie die Anpassungsfähigkeit von Lebensgemeinschaften an
Umweltveränderungen zu ermöglichen erreicht werden. Forschungsvorhaben
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und der Bun-
desanstalt für Straßenwesen über die bioökologische Wirksamkeit von Grün-
brücken belegen die grundsätzliche Wirksamkeit von Grünbrücken über Ver-
kehrswege.

Angelehnt an den Begriff des „Bundesverkehrswegeplans“ hat der Naturschutz-
bund Deutschland e. V. (NABU) am 12. Februar 2007 einen detaillierten „Bun-
deswildwegeplan“ vorgelegt. Stellvertretend für viele andere Arten wurden hier-
bei Wolf, Wildkatze, Luchs, Rothirsch und Otter in den Blick genommen und
Wanderungskorridore und Konfliktstellen identifiziert. Bundesweit wurden 125
Konfliktpunkte des „Vordringlichen Bedarfs“ für Querungshilfen identifiziert,
die zeitnah zu erstellen wären. Die restlichen Querungshilfen im „Weiteren Be-
darf“ wären dann sukzessive zu ergänzen.

Im Strategischen Plan des Übereinkommens zum Schutz der Biologischen Viel-
falt (CBD) wurde das Ziel festgelegt, bis 2010 die gegenwärtige Rate des Ver-
lustes an Artenvielfalt signifikant zu reduzieren. Die Europäische Union ging ei-
nen Schritt weiter und formulierte das Ziel, bis zum Jahr 2010 das Artensterben
gänzlich zu stoppen (Beschluss 2002 in Göteborg). Als Gastgeberin der 9. Ver-
tragsstaatenkonferenz der CBD im Mai 2008 in Bonn muss Deutschland Vorbild
beim Schutz der biologischen Vielfalt sein. Die Ausrichtung der Vertragsstaa-
tenkonferenz gibt der Bundesregierung die einmalige Möglichkeit, ihr Engage-
ment für den Natur- und Artenschutz im nationalen und internationalen Rahmen
zu unterstreichen. Dies muss sich auch in konkreten Maßnahmen zum Schutz
der biologischen Vielfalt in Deutschland niederschlagen.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– eine weitere Zerschneidung der Landschaft zu begrenzen und die noch exis-
tierenden unzerschnittenen verkehrsarmen Räume (UZVR) zu erhalten sowie
ein bundesweites Konzept zur Sicherung vorhandener UZVR bis spätestens
Ende 2008 vorzulegen (Entwurf der nationalen Strategie der Biologischen
Vielfalt);

– ein bundesweites Wiedervernetzungskonzept zu entwickeln, das sich als ein
wichtiger Baustein eines länderübergreifenden Biotopverbundes begreift, da-
bei auch die Anforderungen des Artikels 10 der Flora-Fauna-Habitat-Richt-
linie (FFH-RL) und alle wesentlichen, von Zerschneidung betroffenen Kom-
ponenten der Biologischen Vielfalt berücksichtigt;

– bei der Gestaltung von Bundesverkehrswegeplan und Verkehrswegekonzep-
ten die Beeinträchtigungen der biologischen Vielfalt und der menschlichen
Gesundheit zu vermeiden und dieses Ziel sowie konkrete Maßnahmen im
Rahmen eines Bundeswildwegeplans festzustellen und schnellstmöglich um-
zusetzen. Dabei sollten Naturschutzstandards entwickelt werden, um die Be-
einträchtigung der biologischen Vielfalt durch die Verkehrswegeplanung ob-
jektiv beurteilen zu können;

– schnellstmöglich den Nachrüstungsbedarf wichtiger Wiedervernetzungsbe-
reiche im deutschen Straßennetz festzustellen, und anhand von objektiven
Kriterien eine Priorisierungsreihenfolge und konkrete Maßnahmen im Netz
der Bundesverkehrswege festzulegen sowie eine Stärken-Schwächen-Ana-
lyse durchzuführen. Dabei sollte eine detaillierte Wildtierkorridorkarte erar-
beitet werden, um zu erkennen, welche relevanten Korridore für die wan-
dernden Tierarten geschaffen werden müssen, um das deutsche Straßennetz
barrierefrei für diese Tierarten zu gestalten;

– für die Beseitigung von Zerschneidungswirkungen an bestehenden Bundes-
verkehrswegen eine Rechtsgrundlage, die auch Finanzierungsmechanismen
beinhaltet, zu schaffen;

– weitere Forschungsvorhaben zu speziellen Fragen der Vernetzungseignung
unter Brücken und der Erstellung von Typenentwürfen für Grünbrücken
schnellstmöglich auf den Weg zu bringen;

– Maßnahmen zur Vernetzung von Lebensräumen unter Einschluss eines Bun-
deswildwegeplans in der Nationalen Biodiversitätsstrategie der Bundesregie-
rung zu verankern;

– als Gastgeberin der 9. Vertragsstaatenkonferenz der CBD im Mai 2008 sich
dafür einzusetzen, dass die Einbeziehung von Naturschutzaspekten bei der
europäischen Verkehrswegeplanung (v. a. Transeuropäische Netze (TEN),
COST-Programme-IENE) sichergestellt wird.

Berlin, den 14. November 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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