BT-Drucksache 16/6636

Umweltqualitätsnormen im Bereich Wasserpolitik - Forderungen des Europäischen Parlamentes aufgreifen und ausweiten

Vom 10. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6636
16. Wahlperiode 10. 10. 2007

Antrag
der Abgeordneten Nicole Maisch, Sylvia Kotting-Uhl, Winfried Hermann, Bärbel
Höhn, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Peter Hettlich, Ulrike
Höfken, Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg), Renate Künast, Fritz
Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umweltqualitätsnormen im Bereich Wasserpolitik – Forderungen des
Europäischen Parlaments aufgreifen und ausweiten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die EU-Richtlinie 76/464/EWG und ihre Tochterrichtlinien regeln seit 1976 den
Eintrag von gefährlichen Stoffen in die Gewässer. Gemäß der EU-Wasser-
rahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 müssen die bestehenden Auflagen und Vor-
gaben umfassend ergänzt und überarbeitet werden. Auch wenn Stoffeinträge in
die Gewässer insgesamt deutlich abgenommen haben, ist die Verschmutzung
weiterhin viel zu hoch: Allein in Deutschland gelangen 5 000 Tonnen Schwer-
metalle jährlich in die Gewässer. In fast jeder fünften Grundwasserprobe werden
Pestizide gefunden, daneben auch neuartige Problemstoffe in Form von arz-
neirückständigen und hormonell wirksamen Substanzen. Wie die Ziele der
OSPAR- und Helsinki-Konvention erreicht werden können, ist nach wie vor
nicht hinreichend geklärt. Die Datenlage und die Kontrollen sind derzeit unge-
nügend, so dass Verschmutzungen nur über Zufallsfunde entdeckt werden und
mit großem Aufwand aus den Gewässern entfernt werden müssen.

Ziel der Wasserrahmenrichtlinie ist es, einen guten Wasserzustand bis 2015 zu
erreichen, zusätzliche Verschlechterungen zu verhindern sowie nach und nach
die Einleitung gefährlicher Stoffe zu reduzieren oder ganz einzustellen. In der
Tochterrichtlinie über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik
sollen die zulässige Konzentration bestimmter Schadstoffe und Schadstoffgrup-
pen im Oberflächenwasser festgelegt werden, die aus Gesundheits- und Um-
weltschutzgründen nicht überschritten werden dürfen.

Mit der Richtlinie und den festzulegenden Umweltqualitätsnormen sollen be-
stimmte prioritäre Stoffe in Oberflächengewässern angegangen werden. Durch
Grenzwerte sollen kurzfristige, irreversible Folgen und Schäden in den Gewäs-
sern vermieden werden. Mit der Festlegung von zulässigen Jahresdurchschnitts-
werten sollen langfristige und chronische Auswirkungen auf die Gewässer ver-
mieden werden.
Das Europäische Parlament hat in der ersten Lesung im Mai 2007 dafür
gestimmt, die Wasserqualitätsstandards für eine Reihe weiterer Stoffe zu ver-
schärfen. In seinen Empfehlungen zu Umweltqualitätsnormen im Bereich der
Wasserpolitik hat das Parlament zudem 28 weitere Stoffe genannt, die in die
Liste der bisher 33 prioritären Stoffe der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie
(WRRL) aufgenommen werden sollen. Viele dieser Substanzen sollten in die-

Drucksache 16/6636 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

sem Zusammenhang sogar als prioritär gefährliche Stoffe gekennzeichnet
werden. Die Europäische Kommission hatte eine Liste von 41 Pestiziden,
Schwermetallen und anderen chemischen Stoffen, die besonders gefährlich für
die menschliche Gesundheit und die Lebewesen in den Gewässern sind, vorge-
schlagen.

Insbesondere Polychlorbiphenyle (PCB) und Dioxine sind Gruppen von persis-
tenten und bioakkumulierbaren giftigen Stoffen. Beide Stoffgruppen stellen ein
hohes Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt dar, schaden den
im Wasser lebenden Arten und gefährden die Lebensfähigkeit des Fischereisek-
tors. Das Europäische Parlament fordert daher, dass die Europäische Kommis-
sion bis zum Jahr 2008 einen Vorschlag unterbreitet, bei dem PCB und Dioxine
in die Liste der prioritären Stoffe aufgenommen und entsprechende Umweltqua-
litätsnormen verabschiedet werden.

Ferner fordern die Parlamentarier, dass die Kommission bis 2015 überprüfen
soll, dass die Einleitungen, Emissionen und Verluste von prioritären Stoffen bis
zum Jahr 2025 den Verpflichtungen zur Emissionsreduktion bzw. -beendigung
bis 2025 entsprechen, damit bei allen Oberflächengewässern ein guter chemi-
scher Zustand realisiert werden kann und weitere Verschlechterungen verhindert
werden. Für alle natürlich vorkommenden prioritär gefährlichen Stoffe sollten
bis zum Jahr 2020 Konzentrationswerte realisiert werden, die nur minimal von
den natürlichen Hintergrundwerten abweichen. Für die anthropogenen synthe-
tischen Stoffe, die prioritär gefährlich sind, sollten bis 2020 Konzentrations-
werte realisiert werden, die nahe Null liegen.

Gefordert wird auch, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union für ihr
Einzugsgebiet eine Bestandsaufnahme erstellen bezüglich der Emissionen, Ein-
leitungen und Verluste sowie der Ursprungsquellen der prioritären Stoffe und
der in der Richtlinie aufgeführten Stoffe, inklusive ihrer Konzentration in Sedi-
menten und Biota. Die Europäische Kommission sollte in Zukunft für neu auf-
tretende schädliche Stoffe in Gewässern Umweltqualitätsnormen festschreiben
und das Verzeichnis der prioritären Stoffe alle vier Jahre überprüfen und gege-
benenfalls erweitern.

Die EU-Umweltminister haben sich bei ihrer Ratssitzung am 28. Juni 2007 nun
aber auf eine Aufweichung der Prioritäre-Stoffe-Richtlinie (Tochterrichtlinie
der WRRL) geeinigt. Die Aufnahme der 28 zusätzlich geforderten Stoffe in die
Liste gefährlicher Substanzen wurde abgelehnt.

Für die in der Liste bereits bestehenden 33 prioritären Stoffe, für die Gewässer-
höchstmengen gelten sollen, soll es in Zukunft mehr Ausnahmeregelungen als
bisher geben. Die EU-Mitgliedstaaten sollen durch eine flexiblere Regelung die
Möglichkeit haben, die Konzentrationsgrenzen für gefährliche Stoffe statt für
das Wasser für die Gewässersedimente oder Gewässerorganismen anzuwenden.
Viele Stoffe mit einem hohen Umweltrisiko werden dadurch in europäischen
Gewässern nicht mehr gemessen. Der Eintrag von gefährlichsten Schadstoffen
bleibt auch über das Jahr 2025 möglich, obwohl OSPAR und HELCOM die EU-
Mitgliedstaaten eigentlich bereits bis zum Jahr 2020 zur Beendigung der Eintra-
gung verpflichtet hat. Des Weiteren müssen die Zielsetzungen der Wasser-
rahmenrichtlinie für die Qualität von Gewässern nur noch „angestrebt“ werden.
EU-weite Qualitätsziele für Sedimente und Biota sind nicht verpflichtend und
das Monitoring ist ebenfalls zu unverbindlich und großzügig geregelt.

Der vorliegende Ratsentwurf bleibt damit nicht nur deutlich hinter den Forde-
rungen des Europäischen Parlaments und dem Vorschlag der Europäischen
Kommission zurück, sondern weicht sogar die bestehenden Verpflichtungen der
Wasserrahmenrichtlinie und des Meeresschutzes deutlich auf.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6636

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,

● dafür Sorge zu tragen, dass das zentrale Ziel der Wasserrahmenrichtlinie und
der OSPAR- und Helsinkikonvention, die Gewässerverschmutzung durch
Stoffe mit hohem Umweltrisiko (so genannte prioritär und prioritär gefähr-
liche Stoffe) zu verringern, nicht aufgeweicht, sondern gestärkt und konse-
quent umgesetzt werden, insbesondere hinsichtlich

– des Verschlechterungsverbotes des Gewässerzustands,

– des in der WRRL geforderten guten chemischen Zustandes der Oberflä-
chengewässer und der Grundwasserkörper bis 2015,

– einer Konzentration für natürlich anfallende prioritär gefährliche Stoffe in
der Meeresumwelt nahe der Hintergrundwerte sowie einer Konzentration
bei anthropogen synthetischen Stoffen nahe Null bis 2020,

● den „Vorschlag für eine Richtlinie über Umweltqualitätsnormen im Bereich
der Wasserpolitik und zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG“ entspre-
chend den Forderungen aus dem EP zu ergänzen, zu überarbeiten und zu kon-
kretisieren,

● dafür Sorge zu tragen, dass die vom EP vorgeschlagenen 28 weiteren priori-
tären Stoffe in die Tochterrichtlinie der Wasserrahmenrichtlinie aufgenom-
men werden,

● sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren dafür einzusetzen, dass die enga-
gierten Forderungen des Europaparlaments umgesetzt werden, insbesondere
hinsichtlich,

– der EU-weiten Qualitätsstandards für Biota und Sedimente, für die die
Kommission ein Jahr nach Inkrafttreten der Richtlinie Vorschläge unter-
breiten muss,

– der Regelungen für EU-weite Strategien zur Vermeidung und Begrenzung
von Emissionen aus Punkt- und diffusen Quellen,

– der EU-weiten Vorgaben für nationale Strategien zur Beendigung von
Stoffeinträgen am Ursprung, einschließlich stoffbezogener Strategien, Bi-
lanzen und Substitutionspläne,

– der Aufhebung von Übergangszonen (den sog. mixing zones) der Grenz-
wert-Überschreitung bis spätestens 2018.

III. Darüber hinaus fordert der Deutsche Bundestag von der Bundesregierung,
dass

● eine umfassende nationale Strategie zur Emissionsbegrenzung und -vermei-
dung prioritärer bzw. prioritär gefährlicher Stoffe bis spätestens 2008 für alle
relevanten Sektoren – insbesondere Verkehr und Landwirtschaft – vorgelegt
wird, um den genannten internationalen Verpflichtungen fristgerecht zu ent-
sprechen,

● auch die im EP-Entwurf genannten Stoffe beachtet werden und stoffbezo-
gene Zeitpläne zum Erreichen der Qualitätsziele für Gewässer aufgestellt und
umgesetzt werden,

● der Kenntnisstand zu Gefahrenstoffen und ihre Verbreitung bzw. Wirkung in
der Umwelt verbessert wird und Programme zur Überwachung optimiert
werden,

● über den Sachstand der Umsetzung der Maßnahmen alle drei Jahre öffentlich
berichtet wird,

Drucksache 16/6636 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
● dafür Sorge getragen wird, dass die die erforderlichen Vorgaben zur Bekämp-
fung der Gewässerverschmutzung in das Wasserwirtschaftskapitel des Um-
weltgesetzbuches aufgenommen werden,

● im Rahmen der Beratungen zur EU-Bodenrahmenrichtlinie und bei der
Novellierung der EU-Pestizidrichtlinie dafür gesorgt wird, dass geeignete
Maßnahmen zur Vermeidung von Schadstoffeinträgen verankert werden, da-
mit die Qualitätsziele für den Boden und die Gewässer erreicht werden.

Berlin, den 10. Oktober 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.