BT-Drucksache 16/654

Für ein effektives, europataugliches und wirtschaftsfreundliches Umweltrecht

Vom 14. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/654
16. Wahlperiode 14. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Sylvia Kotting-Uhl, Cornelia Behm,
Hans Josef Fell, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter,
Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für ein effektives, europataugliches und wirtschaftsfreundliches Umweltrecht

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Neuordnung des föderalen Systems in Deutschland ist überfällig. Ein Über-
gewicht an zustimmungspflichtigen Politikbereichen hat es der jeweiligen
Opposition im Bundesrat in den zurückliegenden Wahlperioden erlaubt, viele
weit reichende Entscheidungen des Bundestages aus taktischen Gründen zu
blockieren.

Der Deutsche Bundestag begrüßt deshalb ausdrücklich, dass sich die große
Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vorgenommen hat, einen
neuen Anlauf zur Föderalismusreform zu unternehmen. Das anerkannte Ziel
einer föderalen Reform, die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern klarer
aufzuteilen und damit den Gang der Gesetzgebung zu beschleunigen, darf dabei
nicht aus den Augen verloren werden. Davon wird auch wesentlich abhängen,
wie effektiv die Umweltpolitik in der Bundesrepublik in Zukunft gestaltet wer-
den kann.

Der Deutsche Bundestag betont, dass eine Änderung des Grundgesetzes in um-
weltpolitischen Belangen nur dann Sinn macht, wenn damit die Grundlagen für
ein Umweltgesetzbuch geschaffen werden, das die Kompetenzen von Bund und
Ländern klar und nachvollziehbar strukturiert. Die bisher zersplitterten Kompe-
tenzen zwischen Bund und Ländern müssen in weiten Teilen zusammengefasst
und die Zuständigkeiten bei Planung, Ausführung und Kontrolle klarer geordnet
werden. Eindeutige Zuständigkeiten helfen, die Umweltpolitik zu effektivieren,
sie europatauglicher zu machen und ihre Akzeptanz zu erhöhen. Für die Wirt-
schaft brächte eine solche Neuordnung klare Vorteile, weil bisherige Genehmi-
gungsverfahren bei diversen Behörden durch eine integrierte Vorhabensprüfung
bei einer Behörde ersetzt werden könnten. Der dadurch mögliche Bürokratieab-
bau spart Verwaltungskosten und schafft Planungssicherheit für unternehmeri-
sche Entscheidungen.

Der Deutsche Bundestag stellt mit Besorgnis fest, dass die im Koalitionsvertrag
von CDU/CSU und SPD geplanten Änderungen dem Anspruch nicht gerecht
werden, eine klare, einheitliche Neuordnung des Umweltrechts zu erreichen. Es
ist zu befürchten, dass der Umweltschutz noch lückenhafter und unsystemati-
scher in der Verfassung verankert wäre als bisher. Auf Grundlage der Grundge-
setzänderung soll ein Umweltgesetzbuch verfasst werden, das die Rahmenge-

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setzgebung abschafft und ein Abweichungsrecht für die Länder bei Naturschutz
und Landschaftspflege, Bodenverteilung, Raumordnung, Wasserhaushalt und
Jagdwesen einführt.

Die vorgesehene Möglichkeit der Länder, vom Bundesgesetz abweichende
Regeln für einzelne Umweltbereiche und -medien erlassen zu können, lässt
einen Wettlauf der Länder um niedrigste Umweltstandards erwarten. Diese
geplante Abweichungsmöglichkeit konterkariert das Ziel, das zersplitterte
Umweltrecht zu vereinfachen und in einem konsistenten Umweltgesetzbuch zu-
sammenzuführen.

Der Deutsche Bundestag stellt mit Besorgnis fest, dass in einigen Ländern wie
Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein die Mittel für die
Umweltverwaltungen stark gekürzt werden. Gleichzeitig werden von den Län-
dern in der Föderalismusdebatte mehr Kompetenzen für die Gesetzgebung und
den Vollzug im Umweltrecht gefordert. Dieses Verhalten der Länder ist wider-
sprüchlich und wenig glaubwürdig.

Die so genannte Erforderlichkeitsklausel, die beim Abfallrecht beibehalten wer-
den soll, zeugt vom fehlenden Willen zur Klarstellung der Kompetenzvertei-
lung. Eine Erforderlichkeitsklausel schreibt die Führung eines Nachweises vor,
wonach der Bund aufgrund seiner Verpflichtung zur Herstellung gleicher
Lebensverhältnisse ein Gesetz erlassen darf, das auch in die Kompetenz der
Länder fällt. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Juniorprofes-
sur sind die Schwierigkeiten eines verfassungsgemäßen Nachweises der Bun-
deskompetenz jedoch hinlänglich bekannt.

Der Deutsche Bundestag weist darauf hin, dass mit Abweichungsgesetzgebung
und Erforderlichkeitsklausel neue Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und
Ländern vorprogrammiert wären und der nächste Gang nach Karlsruhe nicht
lange auf sich warten lassen würde. Das kann nicht das Ziel einer durchdachten
Grundgesetzänderung sein.

Aufgrund dieser zu befürchtenden Kompetenzstreitigkeiten ist der Gesetzgeber
auf Bundesebene nur bedingt handlungsfähig. Das ist angesichts der Tatsache,
dass rund 80 Prozent des deutschen Umweltrechts schon heute auf europäischen
Vorgaben beruht, nicht vertretbar. Häufige Vertragsverletzungsverfahren gegen
die Bundesrepublik Deutschland im Umweltrecht sind Beleg für eine man-
gelnde Europatauglichkeit des gegenwärtigen Systems unserer föderalen Ord-
nung. Wenn mit der Abweichungsmöglichkeit die Umsetzung von EU-Vorgaben
erneut zwischen Bund und Ländern aufgeteilt wird, bleibt das Problem der man-
gelnden Europatauglichkeit bestehen. Eine moderne Industriegesellschaft muss
aber in der Lage sein, EU-rechtliche Vorgaben schnell und effektiv umzusetzen.
Deshalb widerspricht die geplante Abweichungsmöglichkeit der Länder auch
den Zielen des Koalitionsvertrags von CDU/CSU und SPD, der die vollständige
und fristgerechte Umsetzung der europäischen Vorgaben verlangt.

Der Deutsche Bundestag weist darauf hin, dass auch viele Wirtschaftverbände
die geplante Abweichungsgesetzgebung scharf kritisieren. Nach ihrer Einschät-
zung droht eine Zersplitterung des für Genehmigungsverfahren wichtigen Um-
weltrechts. Die geplante Neuordnung der Umweltkompetenzen zwischen Bund
und Ländern wird als außerordentlich kompliziert zurückgewiesen und würde
bei einer Umsetzung die Investitionsbedingungen von Wirtschaft und Industrie
deutlich erschweren. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen rät bei einer
Umsetzung nach den jetzigen Plänen sogar ganz von einem Umweltgesetzbuch
ab, weil es auf dieser Grundlage in der Praxis faktisch keine Wirkung entfalten
würde.

Der Deutsche Bundestag unterstreicht, dass die dringend erforderlichen Verbes-
serungen im Umweltrecht ausbleiben würden, wenn der jetzige Stand der Bera-
tungen der Arbeitsgruppe der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Födera-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/654

lismuskommission umgesetzt würde. Das weiterhin bestehende Zuständigkeits-
gerangel zwischen Bund und Ländern wäre weder gut für die Umwelt noch für
die wirtschaftliche Entwicklung. Nach den jetzigen Plänen könnten in 16 Bun-
desländern 16 verschiedene Öko-Standards für die Genehmigung von Infra-
strukturvorhaben geschaffen werden. Die Ankündigung des Koalitionsvertrags
von CDU, CSU und SPD, einen Beitrag zum Bürokratieabbau zu leisten, würde
weit verfehlt.

Der Deutsche Bundestag stellt vor diesem Hintergrund fest, dass es einer ein-
dringlichen und intensiven parlamentarischen Beratung der geplanten Grundge-
setzänderung unter Beteiligung des umweltpolitischen und -juristischen Sach-
verstandes wie zum Beispiel des Sachverständigenrates für Umweltfragen be-
darf. Vermeintlicher Zeitdruck für eine schnelle Föderalismusreform darf nicht
dazu führen, mit einem Ad-hoc-Verfahren und ohne öffentliche Debatte die um-
weltpolitische Handlungsfähigkeit in Deutschland zu opfern. Die Chance für die
Einführung eines modernen Umweltrechts wäre vermutlich auf Jahre hin vertan.
Angesichts der großen Herausforderungen, vor der unsere Gesellschaft in der
Umweltpolitik steht, wäre eine solche Föderalismusreform unverantwortlich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. eine Vorlage für eine Grundgesetzänderung zu erarbeiten, mit der ein einheit-
liches Umweltrecht in Deutschland geschaffen werden kann, in dem

● ein eigener Kompetenztitel Umwelt im Grundgesetz verankert,

● die Gesetzgebungskompetenz, insbesondere bei der Festlegung von me-
dienübergreifenden Umweltstandards, auf Bundesebene angesiedelt,

● den Ländern keine Abweichungsgesetzgebung eingeräumt,

● die Erforderlichkeitsklausel im Abfallrecht abgeschafft und

● für die bisher noch nicht berücksichtigen Bereiche Chemikaliensicherheit,
Strahlenschutz, Klimaschutz, erneuerbare Energien und Bodenschutz
jeweils ein spezifischer Kompetenztitel eingefügt wird;

2. darauf hinzuwirken, dass die Bundesländer ihre Position überdenken und für
ein effektives, europataugliches und wirtschaftsfreundliches Umweltrecht
auf die Abweichungsmöglichkeiten verzichten und diesem Vorschlag zustim-
men.

Berlin, den 14. Februar 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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