BT-Drucksache 16/6508

Verbesserung der Versorgungsqualität in der Substitutionsbehandlung für Opiatabhängige

Vom 21. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6508
16. Wahlperiode 21. 09. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Birgitt Bender
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verbesserung der Versorgungsqualität in der Substitutionsbehandlung
für Opiatabhängige

Die Substitutionsbehandlung hat in den letzten Jahren einen erheblichen Schub
bekommen. Gegenwärtig werden etwa 65 000 bis 70 000 opiatabhängige
Patientinnen und Patienten im Rahmen einer Substitutionsbehandlung versorgt.
Suchtmedizinerinnen und -mediziner, Fachverbände sowie der Deutsche Ärzte-
tag beklagen jedoch erhebliche Versorgungsprobleme.

So stagniert die Zahl der substituierenden Ärztinnen und Ärzte. In einzelnen vor
allem ländlichen Regionen ist die Versorgung mangelhaft. Die Substitutionsrate
und die Anzahl der Substitutionseinrichtungen sind nach Ansicht von Experten
gering und nicht bedarfsgerecht. Die betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften
zur Substitutionsbehandlung werden als bürokratisch, abschreckend und wirk-
lichkeitsfremd empfunden. Dies hat Versorgungsprobleme zur Folge, da sich
Ärztinnen und Ärzte zunehmend aus der Substitutionsbehandlung zurückziehen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Wie viele Menschen in der Bundesrepublik Deutschland sind derzeit
opiatabhängig?

b) Wie viele Patientinnen und Patienten in der Bundesrepublik Deutschland
nehmen derzeit nach Erkenntnissen der Bundesregierung an einer Substi-
tutionsbehandlung teil (wenn möglich, bitte nach Geschlecht, Alter und
Dauer der Behandlung differenzieren)?

c) Wie viele opiatabhängige Menschen erhalten nach Informationen der
Bundesregierung eine Substitution auf Privatrezept (wenn möglich, bitte
nach Bundesländern differenzieren)?

d) Wie beurteilt die Bundesregierung die Substitutionsrate in der Bundesre-
publik Deutschland insbesondere im internationalen Vergleich?

e) Was will die Bundesregierung unternehmen, um die Substitutionsrate zu
verbessern?
2. a) Wie viele Ärztinnen und Ärzte verfügen über eine suchtmedizinische
Qualifikation, d. h. den Fachkundenachweis Suchtmedizinische Grund-
versorgung oder die Zusatzweiterbildung Suchtmedizinische Grundver-
sorgung (bitte aufschlüsseln nach den Jahren 2000 bis 2006)?

b) Wie groß ist der Anteil der Ärztinnen und Ärzte, die tatsächlich substi-
tuieren (bitte aufschlüsseln nach den Jahren 2000 bis 2006, sowie nach
Fachgebieten)?

Drucksache 16/6508 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

c) Wie viele davon sind ambulant und wie viele stationär tätig?

d) Wie stellt sich die Alterspyramide der substituierenden Ärzte dar (regional
differenziert)?

e) Wie häufig wird die Konsiliarregelung genutzt (bitte nach Bundesländern
differenzieren)?

f) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die regionale Vertei-
lung von substituierenden Ärztinnen und Ärzten (wenn möglich, bitte
nach Raumordnungsklassen darstellen)?

3. a) Wie bewertet die Bundesregierung die hohe Rate derjenigen Ärztinnen
und Ärzte, die trotz suchtmedizinischer Qualifizierung nicht oder nicht
mehr substituieren bzw. generell nicht oder nicht mehr an der suchtme-
dizinischen Grundversorgung teilnehmen?

b) Welche Gründe sieht die Bundesregierung für den Rückgang der Zahl der
insgesamt (auch im stationären Bereich tätigen) substituierenden Ärztin-
nen und Ärzte von 2003 zu 2005 (vgl. Daten des BMBF-Suchtforschungs-
verbundes)?

c) Was will die Bundesregierung unternehmen, um die Zahl der tatsächlich
substituierenden Ärztinnen und Ärzte zu erhöhen?

d) Unterstützt die Bundesregierung Bemühungen, den Ausbildungsstandard
der Fachkunde Suchtmedizin zu verbessern, um Ärztinnen und Ärzte bes-
ser auf den Umgang mit Suchtkranken vorzubereiten?

Wenn ja, gibt es solche Bemühungen bereits?

e) Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die aus Sicht von
Ärztinnen und Ärzten unzureichende Vergütung der Substitutionsbehand-
lung zu Versorgungsproblemen führt?

f) Welche Haltung hat die Bundesregierung zur in diesem Zusammenhang
erhobenen Kritik an der geplanten Pauschalierung im Rahmen der EBM-
Neufassung (EBM – Einheitlicher Bewertungsmaßstab)?

4. a) Wie viele Substitutionseinrichtungen gibt es nach Erkenntnissen der
Bundesregierung (bitte für die Jahre 2000 bis 2006 aufschlüsseln)?

b) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die regionale Vertei-
lung der Substitutionseinrichtungen (wenn möglich, bitte nach Raumord-
nungsklassen darstellen)?

5. Welchen Reformbedarf im Hinblick auf die Versorgungsstrukturen sieht die
Bundesregierung vor dem Hintergrund der sich verändernden Altersstruktur
der Substitutionspatientinnen und -patienten?

6. a) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Versorgungsproble-
me bei der Substitutionsbehandlung, und worauf führt die Bundesregie-
rung diese zurück?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die Versorgungssituation in städtischen
Räumen und Ballungsräumen?

c) Sieht die Bundesregierung Anlass, die Versorgungssituation in ländlichen
Räumen zu verbessern?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, auf welche Weise?

d) Sieht die Bundesregierung Anlass, die Versorgungssituation in Haft-,
Massregel- und Therapieeinrichtungen zu verbessern?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6508

e) Wie bewertet die Bundesregierung Kritik an der Versorgungssituation der
Substitutionsbehandlung in Haftanstalten und in der medizinischen Reha-
bilitation?

7. Ist die bestehende Datenlage aus Sicht der Bundesregierung geeignet, um die
bestehende Versorgungslage hinreichend beurteilen zu können?

Wenn nein, was will die Bundesregierung unternehmen, damit die Daten-
lage verbessert wird?

8. a) Wie bewertet die Bundesregierung unter anderem Kritik von Substitu-
tionsärztinnen und -ärzten, wonach die geltenden Regelungen des §5 der
Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) in der Praxis hin-
derlich für die Qualität der Versorgung sind?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik, wonach die geltenden be-
täubungsmittelrechtlichen Sanktionsregelungen dazu führten, dass sich
substituierende Ärztinnen und Ärzte aus der Substitutionsbehandlung zu-
rückzögen?

c) Hält die Bundesregierung § 30 Abs. 1 Satz 3 des Betäubungsmittelgeset-
zes (BtMG) für geeignet, um Behandlungsfehler von substituierenden
Ärztinnen und Ärzten zu verfolgen?

d) Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung des 110. Deutschen Ärz-
tetages nach einer Novellierung der BtMVV, „bei der die medizinische
Behandlung Opiatabhängiger nicht mit strafrechtlichen Mitteln reguliert
wird“?

9. a) Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik an den Take-Home-Regelun-
gen des § 5 BtMVV vor dem Hintergrund der Versorgungsprobleme in
den ländlichen Räumen?

b) Wie bewertet die Bundesregierung Äußerungen, wonach die Take-Home-
Regelungen den Wiedereinstieg der Substitutionspatientinnen und -patien-
ten in ein normales Berufs- und Arbeitsleben eher behindern?

c) Ist es aus Sicht der Bundesregierung denkbar, die Regelungen zur Begren-
zung von Mitgabedosen bei Inlandsreisen an die bei Auslandsreisen gel-
tenden Bestimmungen anzugleichen?

Wenn nein, warum nicht?

d) Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, die Take-Home-Rege-
lungen in § 5 Abs. 8 BtMVV für stabile Patientinnen und Patienten auf
vier Wochen und im Falle von Auslandsreisen in begründeteten Ausnah-
mefällen auf über 30 Tage pro Jahr zu erweitern (z. B. beruflich bedingte
Auslandsaufenthalte, die innerhalb von 12 Monaten insgesamt 30 Tage
überschreiten)?

e) Wie bewertet die Bundesregierung die von Suchtmedizinerinnen und
- medizinern erhobene Forderung, dass substituierende Ärztinnen und
Ärzte das von der Apotheke bezogene und für Patientinnen und Patienten
verwaltete Substitutionsmedikament diesen nicht nur zum unmittelbaren
Verbrauch überlassen, sondern auch zur eigenverantwortlichen Einnahme
mitgeben dürfen?

f) In welchen Fällen sind aus Sicht der Bundesregierung Ausnahmen vom
unmittelbaren Verbrauch nach § 5 Abs. 6 BtMVV denkbar?

g) Welche rechtlichen Änderungen hält die Bundesregierung für kurzfristig
umsetzbar, um Versorgung und Qualität der Substitutionsbehandlung zu
sichern?

Drucksache 16/6508 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

h) Was spricht aus Sicht der Bundesregierung gegen eine Ausweitung der
Verordnungsgültigkeit der Btm-Rezepte von 7 auf 28 Tage bei weiterhin
wöchentlichem Bezug aus einer Apotheke?

10. a) Wie bewertet die Bundesregierung Kritik an dem Abstinenzziel in § 5
Abs. 1 Nr. 1 BtMVV?

b) Sollte aus Sicht der Bundesregierung die Erhaltungstherapie künftig
gleichwertig neben dem Abstinenzziel verankert werden?

Wenn nein, warum nicht?

c) Wie bewertet die Bundesregierung Kritik an den Regelungen der
BtMVV zum Beigebrauch vor dem Hintergrund, dass der Beigebrauch
legaler und illegaler Drogen nach Auffassung von Experten Merkmal je-
der Suchterkrankung ist?

11. a) Auf welche Weise können aus Sicht der Bundesregierung die von Exper-
ten diagnostizierten Versorgungsprobleme bei der psychosozialen Be-
treuung Suchtkranker behoben werden?

b) Sieht die Bundesregierung weitere Finanzierungsmöglichkeiten für die
psychosoziale Betreuung als die über die Länder und Kommunen?

c) Sieht die Bundesregierung Anlass, die Forschungslage zur Wirksamkeit
der psychosozialen Betreuung zu verbessern?

Wenn ja, auf welche Weise will die Bundesregierung dieses Ziel unter-
stützen?

d) In welchen Fällen kann aus Sicht der Bundesregierung vom Erfordernis
der psychosozialen Betreuung in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BtMVV abgewichen
werden?

e) Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik, die Regelung in § 5 Abs. 2
Nr. 4b BtMVV (Behandlungsabbruch bei nicht in Anspruch genomme-
ner psychosozialer Betreuung) sei ärztlich nicht vertretbar und wissen-
schaftlich nicht begründet, wie es z. B. auch in den „Materialien zum ge-
genwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, herausgegeben
von der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesverei-
nigung als Grundlage der Richtlinien der Bundesärztekammer vom
22. März 2002“ formuliert ist?

12. a) Welche wissenschaftliche Begründung existiert aus Sicht der Bundesre-
gierung für die Regelung in § 5 Abs. 2 Nr. 5 BtMVV zum wöchentlichen
Kontakt des Suchtkranken zur behandelnden Ärztin bzw. zum behan-
delnden Arzt?

b) Ist aus Sicht der Bundesregierung eine Flexibilisierung dieser Regelung
denkbar?

Wenn nein, warum nicht?

13. a) Welche medizinische Begründung existiert aus Sicht der Bundesregie-
rung für die Beschränkung der Substitution auf orale Applikationsfor-
men?

b) Ist aus Sicht der Bundesregierung eine Flexibilisierung dieser Regelung
denkbar?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/6508

14. a) Welche medizinische Begründung existiert aus Sicht der Bundesregie-
rung für die Beschränkung der Substitution auf die in § 2 Abs. 1a und b
BtMVV genannten Betäubungsmittel, zu denen im Gegensatz zum euro-
päischen Ausland zum Beispiel keine retardierten Morphine gehören?

b) Beabsichtigt die Bundesregierung in naher Zukunft weitere Betäubungs-
mittel für die Substitution zuzulassen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche wären dies?

15. Welchen Stand haben die Beratungen des Gemeinsamen Bundesausschus-
ses zur Erweiterung der Indikationsliste nach § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V zur
Übernahme der Fahrtkosten zum Sichtbezug des Substituts?

Berlin, den 21. September 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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