BT-Drucksache 16/647

Föderalismusreform im Bildungsbereich

Vom 14. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/647
16. Wahlperiode 14. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider
(Saarbrücken), Bodo Ramelow, Oskar Lafontaine, Dr. Gregor Gysi und
der Fraktion DIE LINKE.

Föderalismusreform im Bildungsbereich

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag begrüßt ausdrücklich eine Reform des Föderalismus
in der Bildungspolitik. Er hält die derzeitigen verfassungs- und einfachgesetz-
lichen Regelungen unter anderem aus folgenden Gründen für unbefriedigend:

● Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse – beispielsweise zur Bedeutung der
frühkindlichen Bildung oder der Weiterbildung – werden nur unzureichend
widergespiegelt.

● Bei der Gestaltung eines europäischen Bildungsraumes ist eine aktive Rolle
der Bundesrepublik nur eingeschränkt möglich.

● Bildungspolitische Beschlüsse stellen häufig nur Formelkompromisse aller
beteiligten Akteure dar. Die Entscheidungsprozesse sind durch mangelnde
Transparenz geprägt.

● Mobilität zwischen verschiedenen Bundesländern ist gerade für Familien,
aber auch für Studierende und Lehrende schwierig, da die unterschiedlichen
Bildungssysteme häufig stark divergieren.

● Bestehende Unterschiede in den Qualitätsniveaus der unterschiedlichen Bil-
dungssysteme stehen dem Grundsatz gleichwertiger Lebensbedingungen ent-
gegen.

II. Der Deutsche Bundestag sieht mit Sorge, dass ein so entscheidendes Politik-
feld wie die Bildung im Zuge der Koalitionsvereinbarungen offensichtlich zu
einem Spielball in der Machtverteilung zwischen Bund und Ländern verkommen
ist. Er lehnt die geäußerten Vorschläge entschieden ab. Mit diesen Vorschlägen
würde die Realisierung eines qualitativ hochwertigen Bildungssystems auf allen
Ebenen und in allen Bildungsbereichen noch schwieriger als bisher. Der Deut-
sche Bundestag befürchtet unter anderem folgende Konsequenzen:

● Bisherige Bund-Länder-Programme z. B. im Schulbereich würden diskredi-

tiert bzw. unmöglich gemacht.

● Der vorgesehene Wegfall der Rahmengesetzgebung im Hochschulbereich
und die Möglichkeit zu Ausnahmeregelungen bei Fragen von Zugang und
Abschlüssen würde zu Kleinstaaterei auf Kosten der Mobilität, des Zu-
gangsrechts und der Sicherheit bei der Lebensplanung der Studierenden, der
Studienplatzbewerberinnen/Studienplatzbewerber und der Lehrenden führen.

Drucksache 16/647 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

● Mit dem weitgehenden Wegfall einer gesamtstaatlichen Bildungsplanung
würde ein Ausbau der Bildungskapazitäten schwieriger. Der Zugang zu
Bildung würde dann weiter eingeschränkt. So würde etwa mit dem Wegfall
der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau die politisch gewollte Erhöhung
der Studierendenzahlen kaum zu bewältigen sein. Zudem ginge der Wegfall
besonders zu Lasten der ärmeren Bundesländer, da die verschiedenen Aus-
gangssituationen und finanziellen Gestaltungsspielräume der Länder weit-
gehend unberücksichtigt blieben. Unterschiede drohen sich zu verfestigen.

● Der weitgehende Rückzug des Bundes bei Fragen der Beamtenbesoldung
ohne die Schaffung alternativer bundesweit einheitlicher Arbeitsbedingun-
gen würde zu einem Lohndumping zwischen den Bundesländern führen. Zu-
dem bedeutet es eine Diskriminierung von finanziell schlechter gestellten
Bundesländern. Sie könnten kein hoch qualifiziertes Personal zu attraktiven
Bedingungen mehr anwerben, da ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Die
Folge wäre ein Qualitätsverlust der Bildung in den betroffenen Bundesländern,
was mit dem Grundsatz gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten
Bundesgebiet unvereinbar ist.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, den bildungs-
politischen Bereich aus der Föderalismusreform zunächst auszuklammern und
gemeinsam mit den Ländern einen neuen Vorschlag unter Einbeziehung von
bildungspolitischen Organisationen und den Interessenvertretungen der Schüle-
rinnen/Schüler, Auszubildenden, Studierenden und der Beschäftigten im Bil-
dungsbereich zu erarbeiten.

IV. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Reform des
Föderalismus im Bildungsbereich vorrangig dazu zu nutzen, die bestehende
soziale Ungleichheit im Bildungssystem zu verringern, die Durchlässigkeit
zwischen verschiedenen Bildungsphasen zu erhöhen, einheitliche und abgesi-
cherte Arbeitsbedingungen für die in Bildung und Wissenschaft Beschäftigten
zu erhalten und mehr Mobilität zu ermöglichen. Der Deutsche Bundestag hält
einen wettbewerbsföderalistischen Ansatz für nicht geeignet, um dieses Ziel zu
realisieren. Er schlägt stattdessen vor, eine verfassungsrechtliche Grundlage für
ein Bildungsgesetz auf Bundesebene zu schaffen, das vom Kindergarten bis zur
Weiterbildung alle Bildungsphasen umfassen kann.

Berlin, den 14. Februar 2006

Cornelia Hirsch
Dr. Petra Sitte
Volker Schneider (Saarbrücken)
Bodo Ramelow
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Eine Neuordnung der Kompetenzen im Bildungsbereich zwischen Bund und
Ländern ist angesichts der Anforderungen an eine mobile, wissensbasierte Ge-
sellschaft zwingend geboten.

Ziel einer Föderalismusreform sollte es sein, die soziale Selektivität des deut-

schen Bildungssystems zu verringern sowie Durchlässigkeit der Bildungswege
und Vergleichbarkeit zu sichern. Dabei ist es wichtig, auch neuere bildungspoli-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/647

tische Erfordernisse in den Blick zu nehmen. Der bundesdeutsche Föderalismus
muss beispielsweise europatauglich sein und die bisher vernachlässigten Bil-
dungsphasen der frühkindlichen Erziehung und der Weiterbildung berücksichti-
gen. Um den Bildungszugang auf allen Ebenen weiter zu öffnen, kann nicht auf
eine gesamtstaatliche Bildungsplanung verzichtet werden. Hier muss auch der
Bund Verantwortung übernehmen. Die im Zuge der Koalitionsvereinbarung
vorgeschlagene Föderalismusreform wird diesen Ansprüchen nicht gerecht.

Im Dezember 2004 ist die damals schon einmal geplante Föderalismusreform
aufgrund dieser Bedenken gescheitert. Anstatt die Bedenken nun zu ignorieren
und die Reform möglichst schnell über die Bühne zu bringen, sollte mit der
notwendigen Sorgfalt gearbeitet werden. Das bedeutet, dass Bildung nicht zur
Verhandlungsmasse werden darf. Deshalb sollte der Bildungsbereich aus dem
Gesamtpaket der Reform herausgelöst und breit diskutiert werden.

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