BT-Drucksache 16/6261

Wertausgleich und Bilanzrecht im Rahmen des Eisenbahnneuordnungsgesetzes

Vom 22. August 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6261
16. Wahlperiode 22. 08. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Peter Hettlich, Cornelia
Behm, Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Undine
Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wertausgleich und Bilanzrecht im Rahmen des Eisenbahnneuordnungsgesetzes

In der Anhörung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des
Deutschen Bundestages vom 23. Mai 2007 zu verfassungs- und bilanzrecht-
lichen Fragen des Eisenbahnneuordnungsgesetzes (EBNeuOG) bezeichneten
sechs von sieben Sachverständigen das Eigentumssicherungsmodell als „Qua-
dratur des Kreises“. Versuche man diese aufzulösen, verschärfe sich entweder
der Konflikt mit dem Verfassungsrecht oder mit dem Bilanzrecht.

Neben der Rechtsdiskussion spielt der vom Bund zu zahlende Wertausgleich bei
Beendigung der Sicherungsübereignung eine zentrale Rolle, da er faktisch dar-
über entscheidet, ob die wirtschaftlich privatisierten Eisenbahninfrastrukturun-
ternehmen (EIU) wieder in das vollständige und uneingeschränkte Eigentum des
Bundes zurückfallen können.

Aus den vorgenannten Gründen fragen wir die Bundesregierung:

1. Stimmt die Bundesregierung zu, dass die im Entwurf des EBNeuOG vorge-
sehene Bemessungsgrundlage des Wertausgleichs („bilanzielles Eigenkapital
der EIU“ = „Netto-Reinvermögen“) eine stichtagsbezogene Bestandsgröße
ist, die der Bilanz eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens eindeutig zu
entnehmen ist?

2. Stimmt die Bundesregierung zu, dass das bilanzielle Eigenkapital der Deut-
sche Bahn AG (DB Netz AG) am 31. Dezember 2006 5,753 Mrd. Euro be-
trug, wie im Geschäftsbericht 2006 der Gesellschaft (S. 27) ausgewiesen?

3. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass das bilanzielle Eigenkapital der
DB Station & Service AG am 31. Dezember 2006 1 202,8 Mrd. Euro betrug,
wie im Geschäftsbericht 2006 der Gesellschaft (S. 21) ausgewiesen?

4. Wie hoch war das bilanzielle Eigenkapital der DB Energie GmbH zum
31. Dezember 2006?

5. Wie hoch war das bilanzielle Eigenkapital aller weiteren Einheiten des DB-
Konzerns, die zur Infrastruktur zu zählen sind (z. B. Töchter der DB Netz

AG, ProjektBau usw.) und deren Eigentum im Wege der Sicherungsübereig-
nung auf den Bund übertragen werden sollen?

6. Stimmt die Bundesregierung zu, dass die Summe der Reinvermögenswerte
jener beiden EIU, deren Geschäftsberichte öffentlich einsehbar sind, bereits
knapp 7 Mrd. Euro ausmacht?

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7. Wieso hat die Bundesregierung angesichts des in Frage 6 hergeleiteten Wer-
tes von 7 Mrd. Euro, in der Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP-Bun-
destagsfraktion (Bundestagsdrucksache 16/6061) zur konkreten Frage des
Wertausgleichs lediglich vage mitgeteilt, dass der Wertausgleich „gegebe-
nenfalls mehrere Milliarden Euro“ betragen könne (Antwort zu Frage 9)?

8. Wie erklärt sich die Bundesregierung den Widerspruch, den Wertausgleich
mit „ggf. mehreren Milliarden Euro“ im Ungefähren zu halten, während
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wolfgang Tiefen-
see in der „Frankfurter Rundschau“ vom 20. Oktober 2006 ankündigte,
„alle Konditionen, einschließlich des Preises, den der Bund [für die
Rücknahme des wirtschaftlichen Eigentums] zu zahlen hätte, heute
fest[zu]schreiben“?

9. Wird die Bundesregierung der Bitte der Fraktion der CDU/CSU nachkom-
men, das bilanzielle Eigenkapital der EIU der DB AG zum 1. Juli 2007 „vir-
tuell“ zu beziffern und zu veröffentlichen, und wann gedenkt sie dies zu tun?

10. Stimmt die Bundesregierung zu, dass die Langfristigkeit der Sicherungs-
übereignung und der Mangel an Erfahrungen mit dem Eigentumssiche-
rungsmodell es geboten erscheinen lassen, die Risiken des Wertausgleichs
ausführlich zu diskutieren und diese mit Hilfe von Szenarien zu monetari-
sieren, und wenn nein, warum nicht?

11. Stimmt die Bundesregierung zu, dass sich folgende Aussage des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) im Rahmen
der Ressortabstimmung inzwischen als falsch herausgestellt hat: „Die vom
BMWi genannte Zahl von 8 Mrd. Euro für den gegenwärtigen Verkehrswert
der EIU-Anteile kann sich nur einschließlich der Bundeszuschüsse ergeben.
Nach der in § 7 vorgesehenen Berechnungsmethode kann aber ein positiver
Ertragswert der EIU nach Ablauf der Sicherungsübertragung nur dann er-
reicht werden, wenn die EIU zu diesem Zeitpunkt auch ohne Bundes-
zuschüsse einen Gewinn erwirtschaften. Bundeszuschüsse sind … nur zu
berücksichtigen, wenn die EIU auf diese bei Ende der Sicherungsüber-
tragung noch einen Anspruch haben. Das ist aber nicht der Fall …“ Etwas
später: „… ein Wertausgleich höher als 0 Euro kann sich nur ergeben, wenn
die EIU ohne Bundeszuschüsse Erträge erwirtschaften. Das ist unwahr-
scheinlich.“

12. Wie hoch war das bilanzielle Eigenkapital der DB Netz AG bei ihrer Grün-
dung am 5. Januar 1999?

13. Wie hoch war das bilanzielle Eigenkapital der DB Station & Service AG bei
ihrer Gründung am 5. Januar 1999?

14. Rechnet die Bundesregierung nach der Bahnprivatisierung mit einer Redu-
zierung des Eigenkapitals der EIU, und wenn ja, warum?

15. Stimmt die Bundesregierung zu, dass das zum 31. Dezember 2006 aus-
gewiesene bilanzielle Eigenkapital der EIU von mindestens 7 Mrd. Euro
unterstellt, dass der Bund die Schieneninfrastruktur dauerhaft mit mindes-
tens 2,5 Mrd. Euro p. a. bezuschussen wird?

16. Stimmt die Bundesregierung zu, dass der Privatisierungserlös für
49 Prozent der Anteile an der DB AG bei einem zu zahlenden Wertaus-
gleich von mindestens 7 Mrd. Euro deutlich über 7 Mrd. Euro liegen muss,
damit der Staat wenigstens nominell kein Verlustgeschäft eingeht?

17. Wie rechtfertigt die Bundesregierung verteilungs- und haushaltspolitisch,
einem privaten Investor einen Wertausgleich im höheren Milliardenbereich
für etwas zu zahlen, dessen Wert nahezu vollständig durch den Steuerzahler

bezahlt wurde und künftig weiterhin bezahlt wird?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6261

18. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass ein reines Eigentumsmodell, bei
dem das rechtliche und wirtschaftliche Eigentum zu 100 Prozent beim
Bund verbleibt, keinen Wertausgleich erfordert?

19. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse, wonach der jetzt vorgesehene Wert-
ausgleich sich in einer signifikant höheren Zahlungsbereitschaft privater
Investoren niederschlägt?

20. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass das PRIMON-Gutachten (Priva-
tisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG „mit und ohne Netz“) die
Privatisierungserlöse für das Integrationsmodell, – das einen Wertausgleich
beim Rückfall des Eigentums an den Bund erfordern würde und damit dem
Privatisierungsmodell des EBNeuOG entspricht –, und dem Eigentums-
modell – in dem kein Wertausgleich gezahlt wird – gleich hoch einschätzt,
d. h. der Ertragswert des Netzes offensichtlich mit null bewertet wird?

21. Stimmt die Bundesregierung zu, dass der aktuelle Entwurf des EBNeuOG
vorsieht, die Sicherungsübereignung automatisch zu beenden und das wirt-
schaftliche Eigentum an den EIU nach 15 plus ggf. 3 Jahren für die Rück-
abwicklung an den Bund zu übertragen, wenn der Deutsche Bundestag kei-
nen anderen Beschluss fällt?

22. Teilt die Bundesregierung die Aussage des Sprechers vom Bundesminister
der Finanzen, Peer Steinbrück, dass Überlegungen zur Höhe des Wertaus-
gleichs und faktischen Rückholbarkeit des Netzes – insbesondere vor dem
Hintergrund eines gesetzlich verankerten Regelfalls – ein „Worst-Case-
Szenario“ sei und einer „pathologischen Sichtweise“ entspräche (Financial
Times, Deutschland vom 26. Juli 2007)?

23. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den Privatisierungen des
wirtschaftlichen Eigentums an nationalen Schieneninfrastrukturen in Groß-
britannien, Neuseeland und Estland?

24. Ist der Bundesregierung im weltweiten Maßstab ein Beispiel bekannt, in
dem das wirtschaftliche Eigentum an der Schieneninfrastruktur eines Lan-
des dauerhaft erfolgreich privatisiert wurde, wenn ja, welches?

25. Schließt die Bundesregierung aus, dass in der Vergangenheit aufgenom-
mene zinslose Darlehen der EIU nachträglich in Baukostenzuschüsse um-
gewandelt werden?

26. Wie wirkt sich die zum 31. August 2007 zugesicherte Umgruppierung der
nicht betriebsnotwendigen Immobilien der DB-Holding zu den EIU auf
deren bilanzielles Eigenkapital aus?

27. Auf welches Dokument oder welche spezifische Aussage des Instituts der
Wirtschaftsprüfer (IdW) stützt sich die Bundesregierung, wenn sie dem
Entwurf des EBNeuOG nunmehr bescheinigt, bilanzrechtlich einwandfrei
zu sein?

28. Handelt es sich bei der Expertise des IdW um mehr als ein achtseitiges
Schreiben des IdW vom 26. Juni 2007 an das Bundesministerium der Fi-
nanzen?

29. Trifft es zu, dass das IdW in seinem Schreiben vom 26. Juni 2007 lediglich
zum Wertausgleich Stellung bezieht, nicht aber zu den sonstigen Vorausset-
zungen der bilanzrechtlichen Konformität des EBNeuOG-E?

30. Trifft es zu, dass das IdW in seiner Stellungnahme für die Annäherung des
Eigenkapital-Buchwertes an den Ertragswert der EIU die Prämisse setzt,
dass die Erträge aus dem Betrieb der Infrastruktur in Höhe einer angemes-
senen Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals begrenzt werden?

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31. In welchem Korridor hält die Bundesregierung die Verzinsung des Eigen-
kapitals der EIU für angemessen?

32. Wann wird die Bundesregierung die Einschätzung des IdW zum Wertaus-
gleich den Mitgliedern des Bundestages und der Öffentlichkeit zur Ver-
fügung stellen?

33. Plant die Bundesregierung ergänzende Gutachten in Auftrag zu geben, die
alle bilanzrechtlichen Fragen des EBNeuOG-E – auch vor dem Hintergrund
des internationalen Bilanzrechts – prüft, und wenn ja, durch wen, und
wann?

34. Stimmt die Bundesregierung zu, dass die Vereinbarkeit des EBNeuOG mit
dem Bilanzrecht nicht durch das IdW entschieden werden kann, sondern
letztlich nur durch das für die DB AG zuständige Finanzamt Berlin?

35. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass eine angekündigte oder voll-
zogene Verweigerung der Bilanzierung der DB AG nach einer Teilprivati-
sierung durch das zuständige Finanzamt zu einer nachträglichen Änderung
der bilanzrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes führt, um Bilanzfähig-
keit herzustellen?

36. Welche rechtlichen Konsequenzen für den Bund und die DB AG hätte eine
vom Finanzamt festgestellte Unvereinbarkeit der Rechtskonstruktion des
EBNeuOG mit dem Bilanzrecht?

37. Ist § 1 Abs. 2 DBPrivG so zu verstehen, dass der private Investor keinen
Vertreter in den Aufsichtsrat der DB AG entsenden wird, da sich der Bund
zu keiner bestimmten Stimmabgabe verpflichten darf, wenn nein, wie ist
dieser Gesetzesparagraph dann zu verstehen?

38. Wie ist es nach Auffassung der Bundesregierung möglich, der DB AG wirt-
schaftliches Eigentum an den EIU zu verschaffen und deren Bilanzierungs-
fähigkeit herzustellen, wenn der Bund – als nicht wirtschaftlicher Eigen-
tümer – alle Mitglieder des Aufsichtsrates der DB AG bestimmt und bei
mehreren wesentlichen Rechtsgeschäften einen Zustimmungsvorbehalt gel-
tend machen kann?

39. Setzt nach Meinung der Bundesregierung der Entwurf zum EBNeuOG die
im Rechtsgutachten von Hölters & Elsing (Oktober 2006) für das Bundes-
ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung genannten Vorausset-
zungen für wirtschaftliches Eigentum um, denen zufolge die DB AG bei
Wegfall des Sicherungszwecks die (Rück-)Übertragung auch des zivilrecht-
lichen Eigentums an den Anteilen der EIU „verlangen“ können muss, oder
wird diese Bewertung der Gutachter von der Bundesregierung nicht geteilt?

40. Falls die Bundesregierung die rechtliche Position des vorgenannten Gutach-
tens teilt: Worin sollte dann noch die Entscheidungsfreiheit des Deutschen
Bundestags bestehen, nach regulärem Ablauf der Sicherungsabrede etwas
anderes beschließen zu können als eine Verlängerung der Sicherungsabrede
oder eine Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums an den Anteilen der
EIU an die DB AG?

Berlin, den 22. August 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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