BT-Drucksache 16/6260

Zur Rolle des Schienennetzes nach einer Kapitalprivatisierung der Deutsche Bahn AG

Vom 22. August 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6260
16. Wahlperiode 22. 08. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Peter Hettlich, Cornelia
Behm, Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Undine
Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Rolle des Schienennetzes nach einer Kapitalprivatisierung
der Deutsche Bahn AG

Die Verkehrsminister der Länder haben auf der Sonderkonferenz am 2. August
2007 die Besorgnis geäußert, dass der Entwurf der Bundesregierung eines
Eisenbahnneuordnungsgesetzes keinen hinreichenden Schutz gegen die abseh-
baren Folgen einer rein betriebswirtschaftlichen Optimierungsstrategie im
Schienennetz bietet. Befürchtet wird, dass der verfassungsrechtliche Gemein-
wohlauftrag gemäß Artikel 87e des Grundgesetzes vernachlässigt wird, und es
zu erheblichen Stilllegungen insbesondere in der Fläche kommen könnte.

Zugleich ist in jüngerer Zeit erneut in den Medien berichtet worden, wonach die
Deutsche Bahn AG (DB AG) vorhat, aus dem Netz in steigendem Maße Profit
zu erwirtschaften. Dies muss kritisch hinterfragt werden, da die Schieneninfra-
strukturinvestitionen zu über 90 Prozent durch den Steuerzahler finanziert wer-
den und der Bund die Erhaltung des Bestandsnetzes mit 2,5 Mrd. Euro pro Jahr
unterstützen soll.

Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Stimmt die Bundesregierung zu, dass private Investoren vorrangig betriebs-
wirtschaftliche, gewinnorientierte Ziele verfolgen?

2. Schließt sich die Bundesregierung der herrschenden Meinung an, dass auf
einem signifikanten Teil der deutschen Schienenstrecken – insbesondere in
der Fläche – die Trassenerlöse nicht ausreichen, um die Betriebskosten zu
decken?

3. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass bei ausschließlich gewinnorien-
tiertem Fokus der DB AG die vorgenannten Netzteile unter erhöhten Still-
legungsdruck geraten können, und wenn nein, warum nicht?

4. Ist der Bundesregierung das Phänomen bekannt, dass ein Netzbetreiber eine
Schienenstrecke über einen längeren Zeitraum so herunterwirtschaften kann,
dass die Stilllegung, zumindest aber die Abbestellung der Nahverkehre auf

dieser Strecke dann die logische Folge ist, und wie kann einer solchen Ent-
wicklung nach einer Teilprivatisierung wirksam vorgebeugt werden?

5. Sind der Bundesregierung Überlegungen, Planspiele oder Szenarien der DB
AG bekannt, den Umfang des deutschen Schienennetzes um mehrere tausend
Kilometer zu reduzieren?

Drucksache 16/6260 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

6. Hat die Bundesregierung als alleiniger Anteilseigner der DB AG Kenntnisse
darüber, ob die DB AG – wie in jüngeren Medienberichten angedeutet –
plant, das bis dato strukturell defizitäre Netz bis 2011 zum gewinnträchtigs-
ten Segment des Konzerns auszubauen, und wenn ja, wie bewertet sie die-
sen Plan?

7. Hielte es die Bundesregierung für angemessen, wenn die Eisenbahninfra-
strukturunternehmen der DB AG eine ähnlich hohe Rendite erzielten wie
die Transporttöchter des Konzerns?

8. Hielte es die Bundesregierung für angemessen, wenn der Bund das Be-
standsnetz im Rahmen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mit
2,5 Mrd. Euro Steuergeldern jährlich bezuschusste, aber gleichzeitig meh-
rere hundert Mio. Euro aus dem Netz als Gewinn an private Investoren
flösse?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag, den Zuschuss des Bundes
zum Bestandsnetz zu senken, wenn der Gewinn im Netz einen bestimmten
Schwellenwert überschreitet?

10. Trifft es zu, dass die Gewinne der Eisenbahninfrastrukturunternehmen der
DB AG ohne Zweckbindung in den Gewinn des Konzerns eingestellt wer-
den, so dass sie z. B. auch für die Beschaffung von Fahrzeugen oder zum
Bau von Frachtzentren für die Straßenlogistik verwendet werden können?

11. Erkennt die Bundesregierung ein Risiko, dass der vom Bund gewährte
Zuschuss zum Bestandsnetz gegen europäisches Beihilferecht verstoßen
könnte, wenn das Netz unangemessen hohe Gewinne abwürfe, und wenn
nein, warum?

12. Ist der Bundesregierung bekannt, welche Renditehöhen die EU-Kommis-
sion bei der Beurteilung der Rechtskonformität von Beihilfen an Unterneh-
men regelmäßig als noch zulässige Obergrenze ansieht?

13. Stimmt die Bundesregierung zu, dass ihre regelmäßig vorgebrachte Begrün-
dung, man habe die Regelfinanzierung von zinslosen Darlehen auf ver-
lorene Baukostenzuschüsse umstellen und den Eigenmittelanteil der DB
AG an Investitionen auf null absenken müssen, da die DB AG diese Lasten
nicht tragen könne, nicht mehr schlüssig wäre, wenn das Netz hohe
Gewinne erzielen sollte?

14. Trifft es zu, dass der Monitoringbericht von Morgan Stanley zur Mittelfrist-
planung 2006 der DB AG eine regelmäßige Steigerung der Trassenpreise
von 2 Prozent p. a. ausweist?

15. Hat die Bundesregierung als Anteilseigner der DB AG Erkenntnisse
darüber, ob die DB AG plant, bis 2011 den Gewinn des Geschäftsfeldes
Personenbahnhöfe deutlich zu erhöhen?

16. Erachtet die Bundesregierung die Leistungs- und Finanzierungsvereinba-
rung und die Anreizregulierung für Alternativen oder für einander zwin-
gend ergänzende Instrumente?

17. Hält die Bundesregierung die Aussage für angemessen, „kein Meter Schie-
nennetz werde privatisiert“, wenn die teilprivatisierte DB AG über das wirt-
schaftliche Eigentum am Schienenetz praktisch uneingeschränkt verfügen
kann und die Gewinne der Infrastrukturtöchter ohne Zweckbindung in den
Konzerngewinn eingehen?

18. Erkennt die Bundesregierung einen Widerspruch darin, dass einerseits die
Stellung des wirtschaftlichen Eigentümers voraussetzt, faktisch über ein
Handlungsspektrum wie ein rechtlicher Eigentümer verfügen zu können,

aber andererseits angeblich kein Meter Schienennetz privatisiert werde?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6260

19. Wie beurteilt die Bundesregierung den immanenten Zielkonflikt, als dauer-
hafte Miteigentümerin der DB AG kein Interesse an einer gewinnschä-
digenden Regulierung haben zu können, aus Sicht der Kunden und der
Volkswirtschaft jedoch eine strenge Regulierung praktizieren zu müssen?

20. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Aktienwert der Deutschen
Telekom unter einer zu strengen Regulierung gelitten hat, und wäre dies
ggf. auch im Fall der DB AG zu erwarten?

Berlin, den 22. August 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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