BT-Drucksache 16/6087

Terrorismusbekämpfung im Asyl- und Aufenthaltsrecht

Vom 17. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6087
16. Wahlperiode 17. 07. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Kersten Naumann
und der Fraktion DIE LINKE.

Terrorismusbekämpfung im Asyl- und Aufenthaltsrecht

Ausweisungen gelten in Deutschland als ein Mittel der Bekämpfung des Terro-
rismus. Der Gesetzgeber hat hierzu in den vergangenen Jahren Regelungen er-
lassen, die den zuständigen Behörden die Ausweisung von Personen erlaubt, die
unter dem Verdacht stehen, terroristische oder extremistische Bestrebungen zu
unterstützen oder selbst zu verfolgen bzw. in anderer Weise die Sicherheit der
BRD zu gefährden. Der § 54 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sieht in die-
sen Fällen eine Regelausweisung vor (in Ziffern 5 bis 7). Weitere Tatbestände
zur Regel- oder Ermessensausweisung sollen ebenfalls der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus und Extremismus dienen. Sie dienen auch als
Grundlage, Anträge von Asylbewerbern als offensichtlich unbegründet abzu-
lehnen oder die Asylanerkennung bzw. die Anerkennung des Flüchtlingsstatus
zu widerrufen. Die Bundesregierung beruft sich dabei auf die einschlägigen
Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wobei fraglich bleibt, ob
die deutsche Praxis hier tatsächlich mit Sinn und Zweck der dortigen Regelun-
gen in Einklang steht. Der UNHCR (United Nations High Commissioner for
Refugees) hat in seiner Stellungnahme vom 30. November 2001 zur Anhörung
zum Terrorismusbekämpfungsgesetz im Innenausschuss des Bundestages vor-
gebracht, dass die Verknüpfung des Ausschlusses vom Flüchtlingsstatus
(Artikel 1 F GFK) und der Ausnahme vom Abschiebungsschutz (Artikel 33
Abs. 2 GFK) im deutschen Recht rechtssystematisch nicht korrekt sei und dies
„die Gefahr einer völkerrechtlich unzulässigen Ausweitung dieser Ausnahme-
tatbestände“ in sich berge und damit zur Verletzung des Non-Refoulement-
grundsatzes führen könne. Kriminelles Verhalten im Aufnahmestaat sei in erster
Linie mit strafrechtlichen Mitteln anzugehen. „Angesichts der schwerwiegen-
den Folgen muss ein Entzug des Refoulementschutzes anerkannter Flüchtlinge
ultima ratio bleiben.“ Dem steht inzwischen eine deutsche Rechtspraxis gegen-
über, in der allein der Verdacht von Verfassungsschutzbehörden gegenüber von
ihnen vermuteten Extremisten ausreicht, um zum Widerruf der Asylanerken-
nung und letztlich zur Ausweisung zu führen. Wenn die Begründung der Aus-
weisung allein oder maßgeblich auf Geheimdiensterkenntnissen beruht, ist eine
ernsthafte anwaltliche Vertretung in verwaltungsgerichtlichen Prozessen oft
kaum möglich.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. In wie vielen Fällen kam es 2005 und 2006 zur Anwendung des § 60 Abs. 8
AufenthG?

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a) In wie vielen dieser Fälle kam es aufgrund von Satz 2 der Vorschrift zur
Ablehnung des Asylantrags nach § 30 Abs. 4 des Asylverfahrensgesetzes
(AsylVfG)?

b) In wie vielen dieser Fälle kam es zu einer Ablehnung der Anerkennung als
Flüchtling im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG (bitte auflisten nach Alter-
native 1, 2 und 3 in Satz 2 der Vorschrift)?

c) In wie vielen dieser Fälle kam es aufgrund von § 60 Abs. 8 Satz 1,
Alternative 1 AufenthG zu einer Ablehnung des Asylantrags/Ablehnung
der Anerkennung als Flüchtlinge im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG?

d) In wie vielen dieser Fälle kam es aufgrund von § 60 Abs. 8 Satz 1,
Alternative 2 AufenthG zu einem Widerruf der Anerkennung als Asyl-
berechtigter oder Flüchtling?

e) In wie vielen Fällen kam es aufgrund von § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG zu
einem Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling
(bitte auflisten nach Alternative 1, 2 und 3)?

2. In wie vielen Fällen kam es 2005 und 2006 zu einer Ausweisung aufgrund
von

a) § 54 Abs. 5 AufenthG,

b) § 54 Abs. 5a AufenthG,

c) § 54 Abs. 6 AufenthG,

d) § 54 Abs. 7 AufenthG,

e) § 55 Abs. 8 AufenthG?

3. Welche Definition von „Terrorismus“ wird aufenthaltsrechtlichen Maßnah-
men nach § 54 Abs. 5 AufenthG von deutschen Behörden zugrunde gelegt,
und wie werden Bezüge zum Terrorismus geprüft?

4. Welche Handlungen werden bei der Prüfung des § 60 Abs. 8 Satz 2 Alter-
native 3 AufenthG als solche gewertet, die „den Zielen und Grundsätzen der
Vereinten Nationen zuwiderlaufen“, und in welchem Sinne ist hier das „sich
zuschulden kommen lassen“ zu verstehen?

5. In welchem Verhältnis stehen nach Ansicht der Bundesregierung die §§ 54
Abs. 5 und 5a und 60 Abs. 8 AufenthG?

6. An welchen Strukturen auf Arbeitsebene (Arbeitsgruppen u. Ä.) der Länder
beteiligt sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Rah-
men „statusrechtlicher Begleitmaßnahmen“ innerhalb des „ganzheitlichen
Ansatzes der Terrorismusbekämpfung“?

7. In wie vielen Fällen wurde 2005 und 2006 vom Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge ein Widerrufsverfahren wegen des Verdachts terroristischer/
extremistischer Bezüge gegen anerkannte Asylbewerber oder Flüchtlinge an-
gestrengt

a) aufgrund von Hinweisen, die in den in Frage 4 genannten Arbeitsstruk-
turen gewonnen wurden?

b) aufgrund von Hinweisen aus einer Ausländerbehörde?

c) aufgrund von Hinweisen des Bundeskriminalamtes oder eines Landes-
kriminalamtes?

d) aufgrund von Hinweisen aus dem Bundesamt (BfV) oder eines Landes-
amtes für Verfassungsschutz?

e) aufgrund von Hinweisen aus dem Bundesnachrichtendienst (BND)?
f) aufgrund von Hinweisen von ausländischen Nachrichtendiensten, ins-
besondere denen der Herkunftsländer?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6087

8. In wie vielen Fällen hat das BAMF 2005 und 2006 im Rahmen der Prüfung
eines Widerrufsverfahrens innerhalb der ersten drei Jahre nach Anerken-
nung (§ 72 Abs. 2a AsylVfG) die Verfassungsschutzämter um sicherheits-
relevante Informationen ersucht?

9. Für Staatsangehörige welcher Länder wird bei aufenthaltsrechtlichen Vor-
gängen (Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels) generell eine
Abfrage bei den Sicherheitsbehörden durchgeführt?

10. Welche Einschätzung in Bezug auf die rechtsstaatlich geforderte „Waffen-
gleichheit“ vor Gericht hat die Bundesregierung zum Einsatz von „Zeugen
vom Hörensagen“ durch Verfassungsschutzämter in verwaltungsrechtlichen
Verfahren gegen Ausweisungsverfügungen nach § 54 Abs. 5 bis 7 AufenthG
als einzige Form der „Beweisführung“?

a) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass ange-
sichts der Schwere des verwaltungsrechtlichen Eingriffs – Ausweisung
und Beendigung des Aufenthalts, Wiedereinreiseverbot etc. – analog zur
Anwendung des § 250 StPO (Strafprozessordnung – Grundsatz der per-
sönlichen Vernehmung) hier ebenfalls die Vernehmung des unmittel-
baren Zeugen rechtsstaatlich geboten ist (bitte begründen)?

b) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass bei
einer Aussage eines „Zeugen vom Hörensagen“ der Beweiswert der Aus-
sage analog zur StPO als gemindert angesehen werden muss und für
einen Urteilsspruch allein nicht hinreicht (bitte begründen)?

11. In wie vielen Fällen hat das BAMF an das Bundesamt für Verfassungs-
schutz gemäß § 18 Abs. 1a des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerf-
SchG) Informationen einschließlich personenbezogener Daten seit 2002
übermittelt (bitte nach Jahren und Herkunftsland der Betroffenen auf-
listen)?

12. In wie vielen Fällen haben Ausländerbehörden an das Bundesamt für Ver-
fassungsschutz gemäß § 18 Abs. 1a des Bundesverfassungsschutzgesetzes
Informationen einschließlich personenbezogener Daten seit 2002 übermit-
telt (bitte nach Jahren und Herkunftsland der Betroffenen auflisten)?

13. Werden die in den Fragen 10 und 11 genannten Informationen auch in die
nach dem Gemeinsame-Dateien-Gesetz eingerichteten Dateien eingegeben,
und wird dort die Quelle der Informationen dokumentiert?

14. Sind auch die weiteren an der „Anti-Terror-Datei“ beteiligten Behörden an
die Beschränkung der Weitergabe dieser Informationen (§ 18 Abs. 1a, Satz 2
und 3 BVerfSchG) gebunden?

15. Hat die Bundesregierung zur Frage der Weitergabe von Informationen an
ausländische Nachrichtendienste, die deutsche Nachrichtendienste aus Da-
tenübermittlungen des BAMF gewonnen haben, dienstliche Anweisungen
erteilt, und wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht?

Sind insbesondere Regelungen zur Weitergabe von Informationen aus Asyl-
verfahren an die Herkunftsstaaten getroffen worden, und welchen Inhalt
haben diese Regelungen?

16. In wie vielen Fällen wurden 2005 und 2006 das BfV und der BND im Rah-
men aufenthaltsrechtlicher Vorgänge durch die Ausländerbehörden kontak-
tiert,

a) bei der Überprüfung von Einladern und Unterzeichnern von Verpflich-
tungserklärungen („Bürgen“),
b) bei Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis,

c) bei Beantragung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis,

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d) bei Beantragung einer Niederlassungserlaubnis,

e) bei Beantragung der deutschen Staatsangehörigkeit?

17. In wie vielen der in den Fragen 16a bis 16e genannten Fälle kam es zu einem
Sicherheitsgespräch o. Ä. mit dem/der Betroffenen und Vertretern und Ver-
treterinnen des BfV?

18. Wurde an Betroffene in diesen Gesprächen das Angebot gemacht, als Zu-
träger von Informationen für das BfV oder eine entsprechende Landes-
behörde tätig zu werden, und wurden hierfür ggf. Erleichterungen in aufent-
haltsrechtlichen Fragen angeboten?

Berlin, den 16. Juli 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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