BT-Drucksache 16/571

Abschiebungen von Flüchtlingen nach Togo

Vom 7. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/571
16. Wahlperiode 07. 02. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Petra Pau, Jan Korte und der
Fraktion DIE LINKE.

Abschiebungen von Flüchtlingen nach Togo

In der Nacht zum 31. Januar 2006 wurde der togoische Flüchtling A. M. ohne vor-
herige Benachrichtigung seiner Anwältin nach Togo abgeschoben. Seit dem
19. Januar 2006 hatte er sich in einem unbefristeten Hungerstreik befunden, mit
dem er beabsichtigte, gegen seine Inhaftierung, seine drohende Abschiebung und
„die Zusammenarbeit deutscher Behörden mit dem diktatorischen Regime in
Togo“ zu protestieren. Der Flüchtling soll von Berlin in Begleitung von drei
Beamten der Bundespolizei von Berlin aus abgeschoben worden sein, obwohl der
Petitionsausschuss des Landes Mecklenburg-Vorpommern einstimmig den In-
nenminister Dr. Gottfried Timm (SPD) gebeten hatte, die Abschiebezeit bis zum
30. April 2006 auszuschöpfen, um die Behandlung des Sachverhaltes zu ermög-
lichen (Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, Hamburg,
Presseerklärung v. 31. Januar 2006; www.svz.de/newsmv/mvpolitik/01.02.06/
3164300/3164300.html).

Seit vielen Monaten fordern Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen
einen Abschiebestopp von Flüchtlingen aus Togo und werfen den zuständigen
Behörden vor, völlig losgelöst von der Situation in Togo und im Widerspruch
zur Genfer Flüchtlingskonvention zu handeln (Karawane für die Rechte der
Flüchtlinge und MigrantInnen, Hamburg, Presseerklärung v. 20. September
2005; PRO ASYL, Presseerklärung v. 12. Mai 2005).

Nach dem Tod des togoischen Präsidenten Gnassingbé Eyadéma im Februar 2005
wurde sein Sohn Faure Gnassingbé nach einer von Unregelmäßigkeiten und
schweren Gewalttaten geprägten Abstimmung Ende April 2005 zu seinem Nach-
folger gewählt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International weist
auf die schweren Menschenrechtsverletzungen hin, die vor und nach der Präsi-
dentenwahl von togoischen Sicherheitskräften und regierungsnahen Milizen
gegen Oppositionelle und einfache Bürger verübt wurden; systematisch kam es
zu extralegalen Hinrichtungen, Entführungen, Folter und Vergewaltigungen
(Amnesty International, 20. Juli 2005, index AI: AFR 57/012/2005). Zehntau-
sende flohen in die Nachbarstaaten Benin und Ghana (DER TAGESSPIEGEL
v. 5. November 2005).

Laut Stellungsnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für

Flüchtlinge (UNHCR) vom 30. August 2005 liegen derzeit immer noch Berichte
über nächtliche Razzien, Verhaftungen, Vergewaltigungen und Fälle von „Ver-
schwinden lassen“ vor, die sich weiterhin gegen Anhänger und Verbündete der
Opposition richten und vermutlich vom togoischen Militär und dem Militär nahe
stehenden Milizen verübt werden. Obwohl der Strom der Flüchtlinge nachgelas-
sen habe, registriert der UNHCR in Benin weitere Asylsuchende aus Togo, die

Drucksache 16/571 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

angeben, aufgrund der Verfolgung durch das togoische Militär geflohen zu sein
(UNHCR-Stellungsnahme v. 30. August 2005).

Das Institut für Afrika-Kunde kommt in einem Bericht vom Juni 2005 zum
Ergebnis, dass Armee, staatliche Sicherheitsdienste und regimetreue Milizen
noch heute eine Schlüsselstellung bei der Aufrechterhaltung der Despotie ein-
nähmen und ein Wandel des togoischen Komandostaates auf absehbare Zeit
nicht zu erwarten sei (Afrika im Blickpunkt, Nummer 1, Juni 2005, S. 1 bis 3, 7).

Laut Aussage von Flüchtlingsorganisationen überprüfen togoische Sicherheits-
kräfte genaustens die Hintergründe abgeschobener Asylsuchender. Wenn das
Auswärtige Amt behaupte, dass Abgeschobenen nichts passieren werde, dann
läge die Ursache darin, dass diese wegen des Terrors des Regimes und seiner
Milizen das Land wieder verlassen haben. Von anderen wiederum habe man
nach ihrer Abschiebung kein Lebenszeichen mehr gehört (Karawane für die
Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, Hamburg, Presseerklärung v. 16. Ja-
nuar 2006).

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, bestätigte am 18. Januar
2006, dass die Situation in Togo „sehr schlecht“ sei und Togo nicht als sicheres
Herkunftsland im Sinne des § 29a des Asylverfahrensgesetzes gelte. Trotzdem
erklärte er, dass sich in den letzten Monaten die Situation wieder entspannt habe.
Deswegen sei es „möglich“, dass aus Deutschland abgeschobene Flüchtlinge
„keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt“ seien (Bundestagsplenarprotokoll
16/10).

Mehrere Hundert Flüchtlinge aus Togo sollen nach Aussagen von Flüchtlings-
organisationen in den nächsten Monaten abgeschoben werden. Ein Sammelchar-
terflug nach Togo sei für die 17. Kalenderwoche vom Flughafen Hamburg aus
geplant (Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, Hamburg,
Presseerklärung v. 31. Januar 2006). Allein in Mecklenburg-Vorpommern sind
329 Flüchtlinge aus Togo von der Abschiebung bedroht (http://www.kirche-
mv.de/Absch.7449.0.html).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Lageberichte mit welchen Einschätzungen und Aussagen zu Togo
wurden seit 1991 vom Auswärtigen Amt verfasst (bitte mit genauem Datum
angeben)?

2. a) Wie schätzt die Bundesregierung die derzeitige Lage der Menschenrechte
in Togo ein?

b) Auf welche Quellen stützt die Bundesregierung ihre Einschätzung, bitte
mit genauer Datumsangabe?

3. Sind der Bundesregierung die Einschätzungen der Menschenrechtssituation
des UNHCR vom 30. August 2005 sowie von Amnesty International vom
20. Juli 2005 bekannt?

Wenn nein, warum nicht?

a) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Amnesty International,
dass auch unter dem jetzigen Präsidenten Faure Gnassingbé die Streitkräf-
te nicht die Rolle einer klassischen Armee übernehmen, sondern sich sys-
tematisch der Mittel der Einschüchterung und Gewalt bedienen und voll-
kommen ungestraft Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung
begehen?

Wenn nein, warum nicht, und auf welche Quellen bezieht sich die Bundes-
regierung?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/571

b) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des UNHCR, dass es sich bei
Togo gegenwärtig um ein Land handelt, in dem es immer noch zu nächt-
lichen Razzien, Verhaftungen, Vergewaltigungen und Fällen von „Ver-
schwinden lassen“ gegen Anhänger der Opposition kommt und die ver-
mutlich vom togoischen Militär und dem Militär nahe stehenden Milizen
verübt werden?

c) Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den Einschätzungen, und
ist sie deswegen bereit, auf einen bundesweiten Abschiebestopp hinzuwir-
ken, wie es der UNHCR fordert?

Wenn nein, warum nicht?

4. Plant die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass im derzeitigen Lage-
bericht des Auswärtigen Amts Einschätzungen von Amnesty International
lediglich aus dem Jahr 2004 eingeflossen sind, eine Neufassung des Lage-
berichts?

a) Wenn nein, warum nicht?

b) Wenn ja, inwieweit und an welchen Punkten will die Bundesregierung
Kenntnisse und Beurteilungen der Menschenrechtssituation aus dem Jahr
2005 von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International,
PRO ASYL etc. und dem UNHCR in die Neufassung des Lageberichtes
des Auswärtigen Amts einfließen lassen?

c) Bis wann soll der neue Lagebericht vorliegen, und sieht die Bundesregie-
rung die dringende Eilbedürftigkeit einer Aktualisierung des Lageberichts
aufgrund der geplanten Abschiebungen gegeben?

Wenn sie keine Eilbedürftigkeit gegeben sieht, warum nicht?

5. Auf welche Quellen stützt die Bundesregierung ihre Einschätzung vom
18. Januar 2006 (vgl. Bundestagsplenarprotokoll 16/10, S. 671 ff.), dass

a) sich in Togo „in den letzten Monaten die Situation allerdings wieder etwas
entspannt“ habe?

Welche Kriterien liegen dieser Einschätzung zu Grunde, und welche Be-
richte von Menschenrechtsorganisationen wurden für diese Einschätzung
hinzugezogen?

b) es trotz der „sehr schlechten“ Situation „möglich“ sei, dass abgeschobene
Personen keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt seien?

Welche Kriterien liegen dieser Einschätzung zu Grunde, und welche Be-
richte von Menschenrechtsorganisationen wurden für diese Einschätzung
hinzugezogen?

6. a) Wie schätzt die Bundesregierung die Gefahr für Flüchtlinge aus Togo ein,
die in Deutschland exilpolitisch aktiv waren oder sind, im Falle einer
Abschiebung aus Deutschland als oppositionell eingestuft und verfolgt zu
werden?

b) Welche Kriterien und Quellen liegen dieser Einschätzung zu Grunde?

7. a) Hat im Falle der Abschiebung des togoischen Flüchtlings A. M. der Innen-
minister Mecklenburg-Vorpommerns um Amtshilfe beim Bundesministe-
rium des Innern gebeten?

b) Wenn ja, seit wann war das Bundesministerium des Innern über die Ab-
schiebung informiert?

c) Liegen weitere Ländergesuche um Amtshilfe bei Abschiebungen von
togoischen Flüchtlingen vor?

Drucksache 16/571 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
8. a) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über eine für die 17. Kalen-
derwoche 2006 geplante Massenabschiebung von Togoern mit einem
Charterflug direkt nach Lomé/Togo?

b) Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über eventuelle weitere
Massenabschiebungen von Togoern?

c) Wie schätzt die Bundesregierung die Gefahr ein, dass bei Sammel-
abschiebungen togoische Sicherheitskräfte auf die betroffenen Personen
aufmerksam werden und diese verdächtigen, wegen ihrer regimekriti-
schen Haltung geflohen zu sein?

9. Bei wie vielen abgeschobenen Asylbewerbern hat das Auswärtige Amt seit
2002 Nachforschungen über die Behandlung dieser Rückkehrer von Seiten
togoischer Behörden angestellt und mit welchen Ergebnissen?

10. Wie viele togoische Flüchtlinge sind seit Januar 2002 abgeschoben bzw. des
Landes verwiesen worden (bitte die Abschiebungen numerisch nach Bun-
desländern und Monaten auflisten; bitte auch jeweils die Abschiebungen
nach Geschlecht getrennt angeben)?

11. Wie viele Personen aus Togo erhielten seit Januar 2002 Abschiebungsschutz
nach § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (bitte die Angaben numerisch
nach Bundesländern und Monaten auflisten; bitte auch getrennt nach Ge-
schlecht angeben)?

12. Welche Anstrengungen wird die Bundesregierung auf der nächsten Innen-
ministerkonferenz unternehmen, um auf einen bundesweiten Abschie-
bestopp für Flüchtlinge aus Togo hinzuwirken, und falls sie keine Anstren-
gungen zu unternehmen beabsichtigt, warum nicht?

Berlin, den 2. Februar 2006

Sevim Dagdelen
Petra Pau
Jan Korte
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.