BT-Drucksache 16/5529

Mit Bioraffinierien in Deutschland die Biomasse effizienter nutzen und zusätzliche Ressourcen erschließen

Vom 30. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5529
16. Wahlperiode 30. 05. 2007

Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell,
Bärbel Höhn, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Dr. Anton Hofreiter,
Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske, Nicole Maisch, Renate Künast,
Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mit Bioraffinerien in Deutschland die Biomasse effizienter nutzen und zusätzliche
Ressourcen erschließen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die ökologische, ökonomische und friedenspolitische Notwendigkeit zur Ab-
kehr vom Erdöl als Rohstoff und Energieträger ist weitgehend unbestritten. Es
ist die zentrale Zukunftsherausforderung unserer Gesellschaft, unser Wirtschafts-
system auf eine Basis erneuerbarer Ressourcen umzustellen. Neben erneuer-
baren Energiequellen wie Wind, Sonne und Erdwärme kommt dabei vor allem
der Biomasse eine besondere Rolle zu. Sie ist ein universeller Rohstoff und
Energieträger, der aufgrund seiner vielfältigen Eigenschaften nicht nur zur
Strom- und Wärmeerzeugung und zur Herstellung von Biokraftstoffen dienen
kann, sondern sich darüber hinaus auch als Rohstoff für die Chemie- und Kunst-
stoffindustrie eignet. Mit der Notwendigkeit die Abhängigkeit von Erdöl weiter
zu reduzieren, wird absehbar auch der Bedarf an nachwachsenden Rohstoffen
weiter ansteigen.

Auch wenn sie nachwachsen, nachwachsende Rohstoffe sind im Gegensatz zu
Sonne, Wind und Erdwärme eine begrenzte Ressource. Grundbedingung bei der
Nutzung der Biomasse muss sein, dass sie nicht zu Lasten anderer ökologischer
Ziele gehen darf und für den Anbau die Grundsätze der guten fachlichen Praxis
gelten. Deshalb sind Anstrengungen in der konventionellen Züchtungsfor-
schung zu intensivieren, um einerseits noch ertragreichere Sorten zu entwickeln
und anderseits mit neuen Züchtungen bislang ungenutzte minderwertige Flä-
chen für die Biomasseerzeugung zu erschließen.

Für den weiteren Ausbau der Biomassenutzung wird es aber zukünftig immer
notwendiger werden, sich an Effizienzkriterien zu orientieren. Bisher steht bei
der Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe noch überwiegend der Substitu-
tionsgedanke im Vordergrund. Im Ergebnis führt dies dazu, dass die bisher prak-
tizierten Verfahren zur Nutzung nachwachsender Rohstoffe kaum aufeinander

aufbauen, sondern weitgehend nebeneinander arbeiten und so absehbar in Kon-
kurrenz zueinander stehen werden. Hinzu kommt, dass die derzeit zur Anwen-
dung kommenden Verfahren zur Nutzung von Biomasse sehr stark auf die di-
rekte Verwertung von Agrar- und Forstprodukten fokussiert sind, während
dagegen der Verwertung von Rest- und Abfallstoffen derzeit noch eine unterge-
ordnete Rolle zukommt.

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Der Deutsche Bundestag ist davon überzeugt, dass nur im Zusammenspiel von
Energieeffizienz, geringerem Ressourcenverbrauch und Substitution eine um-
weltverträgliche und nachhaltige Abkehr vom Erdöl gelingen wird. Dabei muss
der Effizienzgedanke in zwei Richtungen vorangetrieben werden: sowohl hin zu
niedrigerem Verbrauch als auch in Richtung einer effizienteren Nutzung der vor-
handenen Biomasse.

Ein Lösungsansatz ist das Konzept der Bioraffinerie, die verschiedene Nut-
zungs- und Technologiepfade zusammenführt. Mit Bioraffinerien werden nach-
wachsende Rohstoffe analog zur konventionellen Verarbeitung von Erdöl in
ihrer Gesamtheit aufgeschlossen und so aus Biomasse eine Vielzahl von wert-
vollen (und hochpreisigen) Rohstoffen erzeugt. Diese Rohstoffe können dann in
vielen industriellen Anwendungsbereichen, wie z. B. der chemischen, pharma-
zeutischen und der Kunststoff produzierenden Industrie an Stelle von Erdöl wei-
terverarbeitet werden. Ein wichtiges Produkt von Bioraffinerien ist u. a. auch
Bioethanol, das entweder als Kraftstoff genutzt werden oder zur Produktion von
Kunststoffen dienen kann.

Bioraffinerien haben weiterhin den Vorteil, dass sie nicht auf eigens erzeugte
Energie- und Industriepflanzen als Rohstoff angewiesen sind. Sie können auch
Grünschnitt und Bioabfälle nutzen. Durch die Nutzung von Abfallstoffen (aus
der Forst-, Land- und Nahrungsmittelwirtschaft) kann nicht nur eine Konkur-
renz zur Nahrungsmittelproduktion vermieden werden, sondern ganz im Gegen-
teil eine Möglichkeit zur zusätzlichen Wertschöpfung geschaffen werden.

In Bioraffinerien werden anders als im BTL-Verfahren (Biomass To Liquid) von
der Natur aufwendig synthetisierte Verbindungen erhalten und für vielfältige
Nutzungen gewonnen. Bioraffinerien nutzen energetisch günstige biotechno-
logische Verfahren, wie zum Beispiel den Einsatz von Enzymen, anstelle auf-
wendiger und energieintensiver Großtechnik. Auch trägt eine Bioraffinerie dazu
bei, den Erfordernissen der Kreislaufwirtschaft Rechnung zu tragen, indem die
besonders mineralstoffhaltigen Reststoffe des Bioraffinerieverfahrens wieder
als Dünger auf den Boden aufgebracht werden können und so die Basis für einen
neuen Produktionszyklus von Biomasse bilden.

Da Bioraffinerien nicht auf besondere Energie- und Industriepflanzen angewie-
sen sind, sondern ganz allgemein kostengünstige Biomasse wie Grüngut, Rest-
und Abfallstoffe verarbeitet werden können, machen sie eine Nutzung von gen-
technisch veränderten Pflanzen wirtschaftlich uninteressant. Eine Bioraffinerie
verfolgt das Konzept, die ohnehin natürlich vorhandene Vielfalt an Pflanzenin-
haltsstoffen zu erschließen und wirtschaftlich nutzbar zu machen. Der Anbau
und die Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen ist demgegenüber mit
unkalkulierbaren Risiken verbunden und angesichts vorhandener, naturverträg-
licher und ökonomischer Alternativen überflüssig.

Durch ihren integrierten Ansatz ist eine Bioraffinerie vor allem als dezentrale
Technologie interessant, da die ersten Veredlungsschritte der Biomasse gerade
„vor Ort“ sehr wirtschaftlich erfolgen können. Dies führt zu einer Nachfrage
nach qualifizierten Arbeitskräften im ländlichen Raum und zur Stärkung der
ländlichen Regionen. Bioraffinerien sind außerdem dank ihrer innovativen
Technologie und der damit verbundenen Möglichkeit zur Erzeugung einer sehr
breiten Produktpalette in der Lage, auch mit den Weltmarktpreisen z. B. für
Bioethanol zu konkurrieren.

Studien, wie z. B. die Machbarkeitsstudie „Bioraffinerien in Schleswig-Hol-
stein“ vom Juni 2003, die das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Land-
wirtschaft des Landes Schleswig-Holstein in Auftrag gegeben hatte, und die
„Technikfolgenabschätzung der Grünen Bioraffinerie“ des Institutes für Tech-
nikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

vom Juli 2003, haben grundsätzlich das vorhandene Potenzial dieser Technolo-

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gie aufgezeigt. Darüber hinaus wurde vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung ein Innovationsforum „Bioraffinerien und Biobasierte Industrielle
Produkte“ gefördert, aus dem mittlerweile bereits ein Bioraffinerie-Verbund
Mitte-Ost hervorgegangen ist. Die seit 2002 in Deutschland regelmäßig statt-
findenden „biorefinica“-Konferenzen belegen das derzeit bereits vorhandene
starke wissenschaftliche Interesse an dieser Technologie.

Aufgrund der ökologischen und wirtschaftlichen Chancen der Bioraffinerie-
technologie wurde auf Initiative der Koalition aus SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN in der 15. Wahlperiode dem Büro für Technikfolgenabschätzung
beim Deutschen Bundestag (TAB) der Auftrag zur Erstellung eines Monitoring-
berichtes „Industrielle stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe“ erteilt.
Dabei wurde ausdrücklich die Berücksichtung von Bioraffinerien eingefordert,
da diesen eine Schlüsselrolle zur Lösung aus der Abhängigkeit vom Erdöl
zukommen kann. Der inzwischen vorliegende TAB-Bericht (Arbeitsbericht
Nr. 114) legt dar, dass Bioraffinerien in vielen untersuchten Bereichen über-
wiegend ökologische Vorteile gegenüber etablierten Verfahren zeigen und ins-
gesamt interessante ökologische Potenziale aufweisen. Gerade den Reststoff
verarbeitenden Bioraffinerien werden große Potenziale zugesprochen, da für
ihre Rohstoffversorgung keine zusätzliche Anbaufläche notwendig wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die Forschungsanstrengungen im Bereich der Bioraffinerietechnologie
erheblich zu intensivieren, die Zuständigkeit für die Forschungsförderung für
diesen Technologiebereich eindeutig zu klären und sich darüber hinaus
gemeinsam mit den Bundesländern dafür einzusetzen, dass die Forschung
und Lehre an den deutschen Hochschulen in Richtung einer effizienten
Biomassenutzung ausgerichtet wird;

– sich für ein umfassendes fächer- und ressortübergreifendes Sonder-
forschungsprogramm Bioraffinerietechnologie und für einen zügigen Aufbau
von Bioraffineriepilotanlagen einzusetzen und diese entsprechend finanziell
zu unterstützen;

– eine Studie in Auftrag zu geben, die die insgesamt verfügbaren Biomasse-
potenziale in Deutschland und Europa ermittelt und die ökonomischen und
ökologischen Potenziale zur Nutzung durch alle Wirtschaftsbereiche aufzeigt
(stofflich und energetisch), insbesondere der Chemie- und Kunststoff-
industrie und in der vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer effizienten
Nutzung von Biomasse besonders die Aspekte Ganzpflanzennutzung, Nut-
zung von Abfall- und Reststoffen und Nutzungskaskaden Berücksichtigung
finden;

– darauf basierend eine nationale Biomassestrategie vorzulegen, die alle
Bereiche der Biomassenutzung (Verstromung, Wärme, Biokraftstoffe und
Nutzung in der Chemie- und Kunststoffindustrie) mit einbezieht und ver-
bindliche Zielvorgaben formuliert und die dafür notwendigen Instrumente
benennt;

– sich darüber hinaus auf europäischer Ebene für die Formulierung von
verbindlichen Zielvorgaben für die stoffliche Nutzung von nachwachsenden
Rohstoffen in der Chemie und Kunststoffindustrie einzusetzen und analog
den europäischen Vorgaben für Biokraftstoffe und Energie zu formulieren.

Berlin, den 30. Mai 2007
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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