BT-Drucksache 16/551

Den Schutz der Anwohner vor Fluglärm wirksam verbessern

Vom 7. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/551
16. Wahlperiode 07. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Cornelia Behm,
Hans Josef Fell, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, Sylvia Kotting-Uhl,
Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske, Margareta Wolf (Frankfurt)
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den Schutz der Anwohner vor Fluglärm wirksam verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Fluglärm beeinträchtigt Gesundheit, Ruhebedürfnis und Lebensqualität vieler
Menschen. Angesichts der deutlichen Zunahme der Verkehrsleistungen im Flug-
verkehr mit Wachstumsraten von jährlich 5 Prozent und mehr, sind wirksame
Regelungen zum besseren Schutz der Anwohner in Flughafennähe dringend
geboten. Längst sprechen die Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung für
strengere Grenzwerte. Lärmschutzexperten, Mediziner, Vertreter aller Frak-
tionen sowie von Verbänden, Betroffene und die Flugwirtschaft sind sich über
die Notwendigkeit einer Novellierung des Fluglärmgesetzes einig.

Grundsätzlich steht eine Vielzahl von Instrumenten zur Verfügung, um einen
besseren Schutz der von Fluglärm Betroffenen zu erwirken. Im Vordergrund
sollten dabei Lärmschutzmaßnahmen an der Quelle stehen: aktiver Lärmschutz,
etwa durch gesetzliche Anforderungen an die Flugzeug- und Triebwerkstechnik.
Zwar konnten seit den 60er Jahren ganz erhebliche Lärmminderungen an den
Flugzeugen erreicht werden, doch die Wachstumsraten im Flugverkehr haben
diese Fortschritte weitgehend zunichte gemacht. Nach Studien des Forschungs-
verbunds „Leiser Verkehr“ beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
liegen die Lärmminderungspotenziale bei Flugzeugen mittelfristig in 5 bis 10
Jahren bei 5 bis 6 dB (A) und langfristig in 15 bis 20 Jahren bei bis zu 12 dB (A).
Technische und operationelle Reduktionspotenziale sind durchaus vorhanden.
Die Fortentwicklung der Lärmminderungspotenziale muss den Stand der Tech-
nik von morgen begründen. Fühlbare Anreize durch die Politik zum Einsatz des
jeweils besten Standes der Technik sind der entscheidende Impuls für die Flot-
tenerneuerung und damit für Forschung und Entwicklung. Bedeutsam sind klare
Vorgaben auch für die Planungssicherheit der Flugzeughersteller. Mit den ge-
setzlichen Vorgaben im neuen Fluglärmschutzgesetz müssen deutliche Rahmen-
setzungen für den Schutz vor Fluglärm und Anreize für die Entwicklung leiser

emissionsarmer Flugzeugtypen und die schrittweise Modernisierung der beste-
henden Flotte geschaffen werden.

Passiver Lärmschutz muss die Belastung für die am stärksten von Fluglärm Be-
troffenen im Flughafenumfeld deutlich reduzieren. Planerische Vorgaben zur
Raumordnung und dem Städtebaurecht sowie Bebauungsverbote sollen eine der
Lärmbelastung angemessene Siedlungsentwicklung garantieren. Auch Betriebs-
beschränkungen für besonders lautes Fluggerät und die Einhaltung bestimmter

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Ruhezeiten reduzieren die Lärmbelastung. Mit Nachtflugbeschränkungen kön-
nen besondere Belastungen in der nächtlichen Ruhezeit abgemildert werden.
Schließlich sind aktive wie passive Lärmminderungsmaßnahmen auch nach
dem Gesetz zur Umsetzung der EG-Richtlinie über die Bewertung und Bekämp-
fung von Umgebungslärm an Verkehrsflughäfen zu ergreifen. Der von der Inter-
nationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) festgelegte ausgewogene Ansatz
(„balanced approach“), der auch in der Achten Verordnung zur Änderung der
Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung seinen Niederschlag gefunden hat, sieht aus-
drücklich auch die Anwendung von lärmmindernden Betriebsverfahren und Be-
triebsbeschränkungen vor. In der noch zu erstellenden Verordnung zur Aufstel-
lung von Lärmaktionsplänen gemäß EU-Umgebungslärmrichtlinie müssen die
Möglichkeiten für aktiven Lärmschutz mit Hilfe von Betriebsbeschränkungen
rechtlich besser abgesichert werden.

Das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm von 1971 ist nach Einschätzung aller
Experten eindeutig veraltet und bleibt weit hinter den aktuellen Möglichkeiten
der Lärmbekämpfung zurück. Das Schutzniveau ist mit den Erkenntnissen der
Lärmwirkungsforschung und einem vorsorgenden Ansatz im Gesundheitsschutz
nicht vereinbar. Gerichtsentscheidungen zu Schutzzonen und „zumutbaren“
oder „unzumutbaren Lärmbelastungen“ für einzelne Betroffene haben die alten
Grenzwerte inzwischen gründlich revidiert. Das Gesetz kann auch seine städte-
bauliche Zielsetzung nicht mehr wirksam erfüllen: So wird die Siedlungsent-
wicklung im Flughafenumland nicht mehr adäquat gesteuert, da die Schutz-
zonen vielfach kaum noch über die Flughafengrenzen hinaus reichen. In der
Umgebung von Verkehrs- und Militärflughäfen befinden sich zu viele lärm-
empfindliche Einrichtungen. Das immer dichter werdende Netz von Flug-
plätzen und Flugrouten und der anhaltende Trend zu Regionalflughäfen durch
den Betrieb von Billigfluggesellschaften verschärfen diese Entwicklung.

Überdies lässt das bisherige Berechnungsmodell für die Schutzzonen sogar teil-
weise ein Näherrücken der Wohnbebauung an die Flughäfen zu. Eine wirksame
Steuerung der Siedlungsentwicklung durch entsprechende Vorgaben für die
Raumnutzung ist aufgrund der viel zu schwachen Nutzungsbeschränkungen bis-
her nicht möglich. Damit erhöht die Bebauung mit Wohnungen oder empfindli-
chen Einrichtungen die Zahl der Lärmbetroffenen und die der Entschädigungs-
fälle.

Vor allem richterliche Entscheidungen haben in den vergangenen Jahrzehnten in
Konfliktfällen und bei Ausbauvorhaben Grenzwerte gesetzt, die dem Stand der
Lärmwirkungsforschung entsprechen. Schon heute enthalten Planfeststellungs-
beschlüsse für Flughäfen (z. B. Berlin-Brandenburg International, BBI) Grenz-
werte, die weit unter denen des alten Fluglärmgesetzes liegen. Die Verkehrsflug-
häfen haben in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund richterlicher Vorgaben
und öffentlichen Drucks umfangreiche Schallschutzmaßnahmen durchgeführt,
die über die Forderungen des derzeit geltenden Fluglärmgesetzes hinausgehen.
Gleichwohl sind verlässliche Rahmensetzungen für die von Fluglärm Betroffe-
nen und ebenso die Planungssicherheit der Flughafenbetreiber unerlässlich.

Während die von den Fraktionen der CDU und FDP gestützten Regierungen der
80er und 90er Jahre dem Thema Fluglärm nicht den notwendigen Stellenwert
eingeräumt haben, legte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit entsprechend dem Koalitionsvertrag der SPD und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN bereits im November 2000 einen ersten Referentenentwurf
für die Novellierung des Fluglärmgesetzes vor. Der Vorschlag erhielt viel
Zustimmung aus Fachkreisen, stieß aber auf erheblichen Widerstand der Luft-
verkehrswirtschaft. Die mit dem 11. September 2001 und dem Ausbruch von
SARS in Asien verbundene Krise der Luftfahrtindustrie beendete vorerst die

Diskussion. Im Oktober 2003 legte das Bundesumweltministerium erneut eine
Novelle zum Fluglärmgesetz vor. Vor allem der Widerstand aus der Flugwirt-

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schaft, den Ländern und den SPD-geführten Ministerien Verkehr und Verteidi-
gung hat ein Fortkommen des Gesetzgebungsverfahrens lange blockiert. Mitte
Mai 2005 konnte die Ressortabstimmung abgeschlossen und am 25. Mai 2005
eine überarbeitete Fassung des Fluglärmgesetzes ins Kabinett eingebracht wer-
den.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, die Ausdehnung des Anwendungsbereiches
des Fluglärmgesetzes. Das Gesetz gilt künftig für alle Verkehrsflughäfen und
darüber hinaus auch für die großen Verkehrslandeplätze. Für eine Vielzahl von
Flugplätzen und Verkehrslandeplätzen müssen nun erstmals Lärmschutzberei-
che ausgewiesen werden. Betreiber der größeren zivilen und militärischen Flug-
plätze werden verpflichtet, lärmbelasteten Anwohnern die erforderlichen bauli-
chen Schallschutzmaßnahmen, vor allem den Einbau von Schallschutzfenstern
zu finanzieren. Erstmalig werden nun auch Entschädigungen für die Nutzungs-
beeinträchtigung im Außenbereich (Terrassen, Balkone, Gärten) bei einem
neuen oder wesentlich baulich erweiterten Flugplatz gesetzlich geregelt.

Der Deutsche Bundestag begrüßt die strengeren Grenzwerte für die Tages-
schutzzone und erstmals Grenzwerte für die Nacht. Der Bundestag hält es von
herausragender Bedeutung, dass für neue und wesentlich baulich erweiterte
Flughäfen um 5 Dezibel niedrigere Grenzwerte eingeführt werden, weil nur so
Innovationsanreize gesetzt und dem neusten Stand der Technik Rechnung getra-
gen werden kann. Mit den neuen Grenzwerten erhalten wesentlich mehr Men-
schen in der Umgebung von Flughäfen Ansprüche auf Schallschutz.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass den Bürgerinnen und Bürgern sowie den
Lärmschutz- und Umweltverbänden durch umfassende Information über Lärm-
daten und die Einbindung in Entscheidungsprozesse mehr Beteiligungsrechte
eingeräumt werden. Die Betreiber von Flughäfen müssen über Lärmdaten,
Lärmkarten und Flugrouten gegenüber der Öffentlichkeit, den zuständigen Lan-
desbehörden und dem Umweltbundesamt Auskunft erteilen. Das novellierte
Fluglärmgesetz wird in den nächsten 10 Jahren erhebliche Investitionen in den
Lärmschutz auslösen. Die Neuregelung verschafft der Luftverkehrswirtschaft
Planungs- und Rechtssicherheit. Nach dem Verursacherprinzip wird die Mög-
lichkeit geschaffen, die Schallschutzkosten an die Fluggesellschaften, Passa-
giere und Frachtversender weiterzugeben.

Aus Sicht der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen das Fluglärmgesetz
vom Mai 2005 und so auch der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf als Kompromiss
zwischen den beteiligten Ressorts einen erheblichen Fortschritt dar. Wir sind
allerdings überzeugt, dass weitere Verbesserungen notwendig sind, die bei den
Beratungen des Fluglärmgesetzes berücksichtigt werden sollten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
folgende Eckpunkte zu beachten:

1. Die strengeren Grenzwerte für den Neu- und Ausbau von Flughäfen sollen
umgehend und nicht erst ab 2010 gelten.

2. Auch für Anwohner, die nicht in der Hauptflugrichtung eines Flughafens
wohnen, aber vorübergehenden Belastungen (z. B. bei langanhaltenden, un-
gewöhnlichen Witterungsbedingungen oder bei umfangreichen Sanierungs-
maßnahmen) ausgesetzt sind, sollen angemessene Schallschutzmaßnahmen
ergriffen werden.

3. Die Grenzwerte sind für alle Flughäfen in regelmäßigen Abständen, mindes-
tens alle 10 Jahre, den aktuellen Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung
anzupassen.
4. Eine übermäßig lange zeitliche Streckung der Kostenerstattung durch die
Flughafenbetreiber an Grundstückseigentümer ist zu vermeiden.

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5. Die Anwohner von militärischen Flugplätzen dürfen gegenüber denen von
zivilen Flughäfen nicht schlechter gestellt werden. Auch den Anwohnern
von militärischen Flughäfen in den Schutzzonen sind neben dem Einbau
von Schallschutzfenstern auch Kosten für Belüftungseinrichtungen zu er-
statten.

6. Statt der Anwendung der Lärmindizes LAeqTag bzw. LAeqNacht sind die eu-
ropaweit bei der Lärmaktionsplanung gemäß EU-Umgebungslärmrichtlinie
gültigen Indizes Lden und Lnight zu verwenden.

7. Restriktivere Vorgaben für Bauverbote und Siedlungsbeschränkungen müs-
sen einer lärmschutzoptimierten Siedlungsentwicklung in Flughafennähe
Rechnung tragen.

8. Der Deutsche Bundestag muss an der Ausformulierung der Verordnungen
über Art und Umfang der Auskünfte über Lärmdaten, die Berechnungsme-
thoden zur Ermittlung der Lärmbelastung sowie die Kostenfolgen beteiligt
werden.

9. Neben den Maßnahmen zum passiven Lärmschutz sind zur Lösung von
Lärmkonflikten die bereits existierenden Rechtsinstrumente für aktive
Lärmschutzmaßnahmen, etwa die Vorgaben zur Lärmminderungsplanung
aus der Achten Verordnung zur Änderung der Luftverkehrs-Zulassungs-
Ordnung, konsequent zu nutzen.

10. Gesetzlich ist zu verankern, dass die Länder einen Fluglärmschutzbeauf-
tragten bestellen, der die Flugplatzbetreiber, die Flugsicherung und das
Flugpersonal in Sachen Lärmschutz berät.

Berlin, den 7. Februar 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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