BT-Drucksache 16/5503

Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes zur Gemeinschaftsaufgabe Entwicklung der ländlichen Räume ausbauen

Vom 24. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5503
16. Wahlperiode 24. 05. 2007

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Behm, Alexander Bonde, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn,
Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes
zur Gemeinschaftsaufgabe Entwicklung der ländlichen Räume ausbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der ländliche Raum, so unterschiedlich er auch strukturiert ist, stellt eine be-
deutende Lebensader Deutschlands dar und trägt einen großen Teil zur gesell-
schaftlichen Wertschöpfung bei. Rund zwei Drittel unserer Bevölkerung leben
in ländlichen Regionen. Hier existieren mehr als 23 Millionen Arbeitsplätze.
57 Prozent der Wirtschaftsleistung werden außerhalb der urbanen Zentren er-
bracht. Darüber hinaus stellen ländliche Gebiete wichtige Rückzugs- und
Erholungsräume für Mensch und Natur dar.

Zum ländlichen Raum gehört nicht nur das klassische Dorf mit seiner orts-
typischen Umgebung. Ländliche Räume sind ländlich geprägte Regionen wie
Uckermark, Eifel, Schwäbische Alb oder Lüneburger Heide, die auch Klein-
städte wie Prenzlau, Bitburg oder Soltau mit einschließen. Ländliche Räume
reichen wie teilweise im Berliner Umland sogar bis an die Grenzen von Metro-
polen heran.

Die Entwicklungsperspektiven der ländlichen Räume weisen in Deutschland
große Unterschiede auf. Während einige prosperieren, haben immer mehr
Regionen mit einem zunehmenden Rückgang des Arbeitsplatzangebotes der
landwirtschaftlichen und handwerklichen Betriebe, dem Wegzug gerade junger
Menschen, der demographischen Entwicklung und einem Verlust an Lebens-
qualität durch die Verschlechterung der Daseinsvorsorge zu kämpfen. Eine Ab-
kopplung dieser ländlichen Regionen von Wohlstand und Lebensqualität droht.

Vor diesem Hintergrund reichen sowohl die Verteilung der finanziellen Mittel
als auch die Qualität der Förderprogramme zur Entwicklung der ländlichen
Räume in Deutschland nicht aus, um ihnen eine nachhaltige Zukunft zu sichern.
Die Kürzungen der Mittel für den ländlichen Raum auf EU-, Bundes- und
Länderebene führen zu einer drastischen Schwächung der nachhaltigen Land-
wirtschaft und der regional agierenden Wirtschaft. Vorhaben, die der ländlichen
Entwicklung dienen, sind zum Scheitern verurteilt, weil die Finanzierungs-
grundlage entfallen ist. Während in der Gesellschaft die Akzeptanz für Agrar-
subventionen ohne erkennbare Gegenleistung für die Gesellschaft (im Sinne der
ersten Säule der EU-Agrarpolitik) schwindet, haben die Bauern das Vertrauen in
die zweite Säule der EU-Agrarpolitik, die die ländliche Entwicklung fördern
soll, verloren. Es ist noch nicht lange her, dass die europäische Landwirtschafts-
kommissarin Mariann Fischer-Boel diese zweite Säule als Lebensversicherung
der Landwirtschaft bezeichnet hat. Ohne ausreichende Finanzausstattung taugt

Drucksache 16/5503 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

diese Versicherung jedoch nicht zum Überleben der deutschen Landwirtschaft,
sondern höchstens für ein Begräbnis zweiter Klasse.

Schuld an der Unterfinanzierung der Strukturen der ländlichen Räume in
Deutschland trägt zu allererst die schwarz-rote Bundesregierung. Infolge des
von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel maßgeblich verhandelten Finanz-
rahmen für den EU-Haushalt 2007 bis 2013 werden in Deutschland ab 2007
jährlich rund 300 Mio. Euro weniger EU-Mittel für die Förderung der ländlichen
Räume zur Verfügung stehen. Die Situation verschärft sich darüber hinaus da-
durch, dass zusätzlich die nationalen Kofinanzierungsmittel in etwa gleicher
Höhe diesem Kahlschlag zum Opfer fallen. Die nationalen Mittel des Bundes für
den ländlichen Raum wurden von der großen Koalition gekürzt. Viele Bundes-
länder haben ihren Eigenanteil an der Finanzierung der Entwicklungsmaßnah-
men für den ländlichen Raum proportional zu den EU- und Bundesmitteln redu-
ziert.

Die Lippenbekenntnisse der großen Koalition zur großen Bedeutung der länd-
lichen Räume werden so ad absurdum geführt. Während die Bundesregierung
bezüglich der ersten Säule der Agrarförderung den Anspruch der landwirtschaft-
lichen Betriebe auf Planungssicherheit stets betont, gesteht sie jenen bäuerlichen
Betrieben, die verstärkt auf Programme aus der zweiten Säule gesetzt haben,
diesen Anspruch nicht zu. Gerade die im Sinne der Verbraucher und Steuer-
zahler ausgerichteten Betriebe, die artgerechte Tierhaltung, Qualität und Le-
bensmittelsicherheit berücksichtigen, werden schlechter gestellt. Damit werden
sie zu Betrieben zweiter Klasse degradiert.

Diese Entwicklung ist nicht hinnehmbar. Abhilfe kann nur eine Priorisierung der
finanziellen Mittel für den ländlichen Raum sowie ein strategisches Entwick-
lungskonzept schaffen, das die ländlichen Räume sektorübergreifend in den
Blick nimmt, ihre ökologische Modernisierung vorantreibt, Chancengleichheit
und gleichwertige Lebensverhältnisse zwischen städtischer und ländlicher
Bevölkerung anstrebt und vor allem in strukturschwachen Gebieten Hilfe zur
Selbsthilfe leistet.

Mit der ELER-Verordnung (ELER-V) wurde auf europäischer Ebene ein inno-
vatives Instrument zur gezielten Förderung der ländlichen Regionen geschaffen.
Auf nationaler Ebene steht ein entsprechendes Förderprogramm jedoch nicht
zur Verfügung. Die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und
des Küstenschutzes (GAK) kann diese Funktion – wie auch die OECD im März
2007 in einem Prüfbericht kritisierte – nicht erfüllen. Der sektorübergreifende
Ansatz von ELER wird in den Fördergrundsätzen der agrarzentrierten GAK
nicht ausreichend berücksichtigt.

Eine Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrar-
struktur und des Küstenschutzes zu einer Gemeinschaftsaufgabe Entwicklung
der ländlichen Räume ist deshalb dringend geboten.

Mittelfristiges Ziel ist ein Gesamtkonzept Förderung des ländlichen Raumes
unter Einbeziehung der aus ESF, EFRE und der Gemeinschaftsaufgabe Ver-
besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) finanzierten Maßnahmen
erforderlich, um Synergieeffekte zu ermöglichen.

Angesichts der Verbreiterung der Aufgaben in der ländlichen Entwicklungs-
förderung in Bezug auf Diversifizierung, ländliche Wirtschaftsförderung und
Umweltschutz müssen deutlich mehr der für die Förderung der ländlichen
Räume zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufstockung der Gemeinschaftsauf-
gabe eingesetzt werden. Gleichzeitig darf es auf der EU-Ebene keine Kürzungen
mehr bei der ländlichen Entwicklungsförderung geben. Denn die Kürzungen
haben zur Folge, dass der integrierte Ansatz missbraucht wird und die Gemein-
schaftsaufgabe als Steinbruch für Defizite in anderen Bereichen der ländlichen
Strukturförderung herhalten muss. Stattdessen muss zur ausreichenden Finan-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5503

zierung der Förderpolitik für den ländlichen Raum die EU-Agrarförderung
zugunsten der zweiten Säule umstrukturiert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● sich auf europäischer Ebene im Rahmen der Zwischenbewertung der Agrar-
reform mit Nachdruck für eine bessere Finanzausstattung der zweiten Säule
stark zu machen und sich dafür einzusetzen, dass – wie von der EU-Kommis-
sarin Mariann Fischer-Boel bereits angesprochen – die obligatorische Modu-
lation erhöht wird, um die aktuellen dramatischen Kürzungen für die Be-
triebe, die aus der zweiten Säule finanziert werden, aufzufangen und so
Gerechtigkeit bei der Planungssicherheit herzustellen,

● die für die Förderung der ländlichen Räume zur Verfügung stehenden Mittel
zur Aufstockung der Gemeinschaftsaufgabe einzusetzen,

● ein inhaltliches und finanzielles Gesamtkonzept aus GAK und anderen
Förderprogrammen wie der GRW und den europäischen Strukturfonds EFRE
und ESF zu erstellen, das eine effektivere Förderung der ländlichen Räume
ermöglicht und Finanzmittel in diese Räume lenkt,

● die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-
schutzes zu einer Gemeinschaftsaufgabe Entwicklung der ländlichen Räume
weiterzuentwickeln,

● dazu das Grundgesetz und das GAK-Gesetz so zu ändern, dass die Ablösung
des bisherigen agrarzentrierten Ansatzes der GAK rechtlich möglich wird,

● die Gemeinschaftsaufgabe so zu gestalten, dass eine Förderung mit der Gieß-
kanne unterbunden wird und stattdessen als wesentliche Kriterien für eine
Förderfähigkeit die Erbringung klar benennbarer gesellschaftlicher Leistun-
gen wie die Schaffung von Arbeitsplätzen, Landschaftspflege, Naturschutz,
Klimaschutz, Qualifizierung und Bildung sowie die Stärkung sozialer Res-
sourcen oder der Aufbau selbsttragender Strukturen herangezogen werden,

● dabei vor allem die Steigerung der Wertschöpfung im Bereich der Landwirt-
schaft durch Veredlung und Erzeugung von Qualitätsprodukten und Unter-
stützung der Maßnahmen zur Lebensmittelsicherheit bis zur Vermarktungs-
stufe zu berücksichtigen,

● kleine Unternehmen, die im Bereich der vor- und nachgelagerten Produktion
der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft tätig sind bzw. ihre Produkte oder
Leistungen zum größten Teil in ihren Regionen absetzen, unter Nutzung aller
vorhandenen Förderinstrumente im ländlichen Raum zu fördern,

● die Förderung konsequent am Prinzip der integrierten ländlichen Entwick-
lung auszurichten,

● in diesem Zusammenhang die Einführung des Regionalmanagements, der
Netzwerkbildung nach den Modellen von „Leader“ und „RegionenAktiv“
sowie eine stärkere Verlagerung auch von finanzieller Verantwortung auf die
Ebene der Akteure in den Regionen (Bottom-up-Prinzip) voranzutreiben,

● bei der Förderung verstärkt regionale Kooperationen zu berücksichtigen, ins-
besondere wenn diese die Verwaltungsbezirksgrenzen überschreiten, und den
Einbezug nichtlandwirtschaftlicher Akteure zu unterstützen,

● Initiativen der Selbstorganisation, wie Lokale Agenda 21 und andere Netz-
werke ländlicher und regionaler Entwicklung, im Rahmen der Gemein-
schaftsaufgabe zu unterstützen, um ein breites Spektrum an Akteuren und
Interessenvertretern im ländlichen Raum aufzubauen und zu stärken,

Drucksache 16/5503 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

● den Deutschen Bundestag in die Programmgestaltung der Gemeinschaftsauf-
gabe Entwicklung der ländlichen Räume und der anderen Förderprogramme
mit einzubeziehen und ihn über den Rahmenplan beschließen zu lassen,

● vor dem Beschluss des Rahmenplanes alle relevanten gesellschaftlichen
Interessenvertretungen auf Bundes- und Landesebene zu konsultieren.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen des
Planungsausschusses bei der Erstellung des Rahmenplanes der Gemein-
schaftsaufgabe Entwicklung der ländlichen Räume darauf hinzuwirken, dass

● die Förderung der Dorferneuerung und -entwicklung zu einer qualifizierten
Fördermaßnahme mit einer dauerhaften Struktur- und Beschäftigungswirk-
samkeit für Gesamtgemeinden weiterentwickelt wird und die Befriedigung
gesamtregionaler Bedürfnisse sowie die zusätzliche Aktivierung privater
Investitionen als Bewilligungsvoraussetzung stärker gewichtet werden,

● die Förderung der Flurbereinigung bei weiter reduzierten Fördersätzen neu
ausgerichtet wird und nur noch solche Verfahren förderfähig sind, die ge-
samtgesellschaftliche Ziele wie den Natur- oder Umweltschutz befördern,

● der ländliche und forstwirtschaftliche Wegebau nicht mehr über die Gemein-
schaftsaufgabe gefördert wird,

● das breite Förderangebot für wasserwirtschaftliche Maßnahmen unter Ein-
beziehung naturschutzfachlicher und wasserwirtschaftlicher Zielvorgaben
neu ausgerichtet wird und eine Förderung von wasserwirtschaftlichen
Pflichtaufgaben grundsätzlich nicht aus dem ELER-Fonds und der Gemein-
schaftsaufgabe erfolgt,

● sich die einzelbetriebliche Förderung im Sinne der Qualitätsführerschaft am
Leitbild einer verbraucherorientierten, tier- und umweltgerechten Land- und
Forstwirtschaft sowie an der Schaffung zusätzlicher Einkommensmöglich-
keiten und Arbeitsplätze orientiert,

● Agrarinvestitionen grundsätzlich nur gefördert werden, wenn damit beson-
ders hohe über den gesetzlichen Mindestanspruch hinausgehende Standards
in den Bereichen Tier-, Natur-, Klima- und Umweltschutz erzielt werden,

● im Agrarinvestitionsförderprogramm eine Flächenbindung in der Tierhal-
tung von 2 GV/ha als Fördervoraussetzung wieder eingeführt wird,

● Förderungen im land- und forstwirtschaftlichen Bereich an den Verzicht auf
den Einsatz von Agrogentechnik gebunden werden und damit dem Ver-
braucherwunsch nach gentechnikfreien Produkten Rechnung getragen wird,

● Fördermöglichkeiten für die Einrichtung und die Fortführung gentechnik-
freier Regionen und der Vermarktung ihrer Produkte geschaffen werden,

● das Angebot an Agrarumweltmaßnahmen mit dem Ziel der Effizienzsteige-
rung und Vereinfachung sowie der Erhöhung der ökologischen Wirksamkeit
bei den einzelnen Programmen und unter Berücksichtigung der sich wei-
terentwickelnden gesetzlichen Anforderungen (wie cross compliance) neu
erarbeitet wird,

● die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete stärker auf die wirklichen
Problemgebiete in den Regionen orientiert und an Bewirtschaftungsauflagen
gebunden wird, um die geförderten Flächen tatsächlich in der Produktion zu
halten,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/5503

● alle für Deutschland sinnvollen Fördermaßnahmen, die im Rahmen der
ELER-Verordnung angebotenen werden, schnellstmöglich in den Rahmen-
plan der Gemeinschaftsaufgabe aufgenommen werden, insbesondere:

– die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Primärerzeugern der Land-
und Ernährungswirtschaft, der Verarbeitenden Industrie und/oder dritten
Parteien bei der Entwicklung neuer Produkte, Verfahren und Technolo-
gien,

– die Förderung von Landwirten, die sich an Lebensmittelqualitätsregelun-
gen beteiligen, die über gesetzliche Standards hinausgehen oder beson-
dere Qualitätsstandards wie die einer Regionalmarke erfüllen,

– die Förderung von Erzeugergemeinschaften bei Informations- und Ab-
satzfördermaßnahmen für Erzeugnisse, die unter Lebensmittelqualitäts-
regelungen fallen,

– die Förderung von Agrarumweltmaßnahmen, die dem Biodiversitäts-
schutz dienen,

– die Förderung von Waldumweltmaßnahmen analog zu den Agrarumwelt-
maßnahmen,

– die Förderung der Ersteinrichtung von Agroforstsystemen auf landwirt-
schaftlichen Flächen, die nachhaltige land- und forstwirtschaftliche Be-
wirtschaftungssysteme kombinieren,

– Ausgleichszahlungen für Land- und Forstwirte im Rahmen von Natura
2000 und der Wasserrahmenrichtlinie,

– die Förderung des „sanften“ Tourismus auch im nichtlandwirtschaftlichen
Bereich durch Beihilfen für erstens kleine Infrastruktureinrichtungen wie
Informationszentren und Ausschilderungen, zweitens Erholungsinfra-
struktur, die z. B. den Zugang zu natürlichen Gebieten ermöglichen, sowie
kleine Beherbergungsbetriebe und drittens die Entwicklung und Vermark-
tung von Tourismusdienstleistungen mit Bezug zum ländlichen Tourismus,

– Förderung von umwelt- und sozialverträglichen Dienstleistungseinrich-
tungen einschließlich kultureller und Freizeitaktivitäten zur Grundver-
sorgung eines Dorfes oder von Dorfverbänden,

– Maßnahmen zur Motivation, Weiterbildung sowie Kompetenzsteigerung
von Akteuren im ländlichen Raum im Hinblick auf die Ausarbeitung und
Umsetzung lokaler Entwicklungsstrategien,

– Berufsbildungs- und Informationsmaßnahmen für die Wirtschaftsakteure
in den unter den Schwerpunkt 3 der ELER-V fallenden Bereichen.

Berlin, den 24. Mai 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Vor dem Hintergrund der geschilderten Problemlage bedarf es großer politischer
Anstrengungen, die nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung aller länd-
lichen Regionen in Deutschland zu sichern. Die zur Verfügung stehenden För-
derinstrumente reichen dazu nicht aus, die bisher bereitgestellten finanziellen
Mittel fließen zum Teil in die falschen Bereiche.

Drucksache 16/5503 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Das zentrale Instrument zur Förderung ländlicher Räume auf der Bundesebene
ist die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-
schutzes (GAK). Durch ihre Festlegung auf die Agrarstruktur greift sie jedoch
zu kurz. Denn sie schließt beispielsweise zahlreiche nichtlandwirtschaftliche
Potentiale zur Verbreiterung der Einkommensmöglichkeiten und der Schaffung
von Arbeitsplätzen auf dem Lande (Diversifizierung) von der Förderung aus.

Sowohl das GAK-Gesetz als auch die Verankerung der Gemeinschaftsaufgabe im
Grundgesetz bedürfen daher einer Überarbeitung und Anpassung. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass auch andere Förderprogramme, wie die Gemeinschaftsauf-
gabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) oder die Europäi-
schen Strukturfonds EFRE und ESF wichtige Beiträge zur Entwicklung der länd-
lichen Räume liefern. Die Gemeinschaftsaufgabe Entwicklung der ländlichen
Räume muss deshalb passgenau mit diesen Programmen abgestimmt und ver-
zahnt werden. Widersprüchliche Regelungen und Lücken gilt es zu beseitigen.

Die neu zu schaffende Gemeinschaftsaufgabe der ländlichen Räume muss einem
nachhaltigen Leitbild folgen, das die wirtschaftliche und soziale Entwicklung
der ländlichen Räume mit den Anforderungen von Umwelt- und Naturschutz in
Einklang bringt. Denn Umwelt- und Naturschutz stehen nicht im Gegensatz zu
wirtschaftlichem Wachstum.

Von gleicher Bedeutung wie die ökologische Ausgestaltung der ländlichen Ent-
wicklung ist die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze und neuer Einkommens-
perspektiven auf dem Lande. Entscheidend für die Beschäftigungsentwicklung
und Steigerung der regionalen Wertschöpfung ist die Nutzung der Potentiale, die
in den Regionen selbst liegen. Dazu muss die außerlandwirtschaftliche Beschäf-
tigungsförderung verstärkt ausgebaut werden. Aber auch in der Landwirtschaft
können die Wertschöpfung gezielt zum Beispiel durch ökologische Landwirt-
schaft sowie die Verarbeitung und Vermarktung regionalspezifischer Qualitäts-
produkte bis zur Vermarktungsstufe verbessert und Arbeitsplätze gehalten und
sogar neu geschaffen werden.

Die Förderung der gewerblichen Wirtschaft in Form kleiner und mittlerer Unter-
nehmen ist von großer Bedeutung für die Entwicklung der ländlichen Räume.
Diese verfügen in der Regel über gute Kontakte in den Regionen und produzie-
ren bzw. arbeiten personalintensiver als große Konzerne. ELER-Verordnung
und GAK erlauben bisher nur eine Förderung von Unternehmen in diesem Be-
reich, die nicht mehr als 10 Beschäftigte haben. Dieses Kriterium ist zu statisch.
Kleine Unternehmen sollten deshalb auch bei mehr als 10 Beschäftigten geför-
dert werden können, wenn sie im Bereich der vor- und nachgelagerten Produk-
tion der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft aktiv sind bzw. ihre Produkte oder
Leistungen zum größten Teil in ihren Regionen absetzen.

Für die Verbreiterung der Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten auf
dem Lande sowie für eine stärkere Qualitätsorientierung der Landwirtschaft und
landwirtschaftsnaher Dienstleistungen bedarf es darüber hinaus sowohl unter-
nehmerischer Beratung und gezielter Qualifikationsmaßnahmen als auch gut
ausgebildeter und motivierter Fachkräfte mit vielseitigen Fähigkeiten ein-
schließlich so genannter sozialer Kompetenzen. Die Förderung von so genann-
tem Humankapital steckt aber vielerorts noch immer in den Kinderschuhen und
muss dringend weiterentwickelt werden.

Da die Bedeutung der „konventionellen“ Primärproduktion für die Menschen,
die in den ländlichen Räumen leben und arbeiten im Hinblick auf die Einkom-
menssicherung kontinuierlich abnimmt und andere Branchen, wie die oben
bereits genannten, immer wichtiger werden, kann die Förderung der ländlichen
Entwicklung nur dann gelingen, wenn sie konsequent auf integrierte Konzepte
setzt. Integrierte Förderansätze bringen die Vernetzung der in den ländlichen
Regionen engagierten Akteure und Branchen voran. Sie ermöglichen die Ko-
operation der Akteure vor Ort und schaffen überparteiliche Netzwerke.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/5503

Damit einhergehend muss die Einführung des Regionalmanagements voran-
getrieben werden. Sowohl das Modell- und Demonstrationsvorhaben der Bun-
desregierung „RegionenAktiv“ als auch der „Leader“-Ansatz der europäischen
Förderpolitik für den ländlichen Raum haben die Bedeutung des Regional-
managements für die Entwicklung ländlicher Räume unter Beweis gestellt.

Auch der so genannte Bottom-up-Ansatz hat sich in der Praxis bisher als äußerst
erfolgreich erwiesen, denn das hier eingeführte hohe Maß an Finanzautonomie
und Entscheidungskompetenzen auf der Ebene der Akteure hat einen ziel-
genauen Einsatz der bereitgestellten Mittel mit hohen Erträgen ermöglicht.

Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit wird sowohl in der ELER-Verordnung
als auch in der GAK als Ziel formuliert. Zu oft wird dieses Ziel allerdings allein
mit dem Erreichen der Kostenführerschaft auf globalen Märkten gleichgesetzt.
Die Folgen in Deutschland wären die Aufgabe vieler (bäuerlicher) Betriebe und
der Verlust von Arbeitsplätzen mit verheerenden Folgen für die ländlichen
Räume. Zukunftsträchtiger ist das Bemühen um die Qualitätsführerschaft z. B.
durch die Erzeugung von Bioprodukten oder eine Diversifizierung des Ein-
kommens sowie die Stärkung einer multifunktionalen und intersektoralen Wirt-
schaft im ländlichen Raum. Diese anderen Strategien der Wettbewerbsfähigkeit
mit ihren positiven Impulsen für ländliche Regionen müssen deshalb bei der
Programmgestaltung, der finanziellen Ausstattung und der Prioritätensetzung
bevorzugt berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund ist die alleinige Ein-
haltung gesetzlicher Standards nicht förderwürdig.

Mit der Umsetzung des Biotopverbundes Natura 2000 und der Wasserrahmen-
richtlinie leisten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen herausragen-
den Beitrag zum Umwelt- und Naturschutz. Die Schutzmaßnahmen führen in
den betroffenen Gebieten jedoch vor allem für die Land- und Forstwirtschaft zu
erheblichen wirtschaftlichen Einschränkungen, die mit finanziellen Einbußen
für die Betriebe verbunden sind. Ausgleichszahlungen dienen der Kompen-
sation für die entstehenden finanziellen Einbußen und verhindern damit die
Aufgabe der landwirtschaftlichen oder forstwirtschaftlichen Produktion und den
Wegfall von Arbeitsplätzen in den entsprechenden Gebieten.

Mit der Förderung der nachhaltigen Landbewirtschaftung sollen solche Leistun-
gen entlohnt werden, die gesamtgesellschaftlich zwar wichtig und gewollt sind,
deren Wert am Markt aber nicht bezahlt wird. Vor diesem Förderziel müssen alle
angebotenen Agrarumweltmaßnahmen auf ihre Umwelteffizienz und Mitnahme-
effekte hin bewertet werden und darauf aufbauend muss ein neuer Maßnahmen-
katalog erarbeitet werden. Es dürfen nur solche Maßnahmen gefördert werden,
die im Vergleich zur guten fachlichen Praxis höhere Leistungen erbringen oder
zur Sicherung einer standortgerechten Landwirtschaft erforderlich sind.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.