BT-Drucksache 16/5296

Gedenkfeier des Kameradenkreises der Gebirgstruppe in Mittenwald, antifaschistische Proteste und die Haltung der Bundeswehr

Vom 8. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5296
16. Wahlperiode 08. 05. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dag˘delen, Inge Höger,
Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

Gedenkfeier des Kameradenkreises der Gebirgstruppe in Mittenwald,
antifaschistische Proteste und die Haltung der Bundeswehr

Seit 1952 veranstaltet der Kameradenkreis der Gebirgstruppe e. V. an Pfingsten
eine Gedenkfeier auf dem Hohen Brendten nahe dem bayerischen Ort
Mittenwald. Beim Veranstalter handelt es sich um einen Zusammenschluss von
Soldaten der ehemaligen deutschen Gebirgstruppen, darunter sowohl
Wehrmachts- als auch SS-Angehörige. Es sind aber auch zahlreiche aktive
Bundeswehrsoldaten im Kameradenkreis organisiert.

An der Gedenkfeier nehmen unter anderem auch Angehörige der so genannten
Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger teil, einer Vereinigung, gegen die
aufgrund ihrer wehrmachtsverherrlichenden Politik ein Kontaktverbot seitens
der Bundeswehr ausgesprochen wurde. Dennoch ist die Bundeswehr ganz
offiziell dort vertreten, unter anderem mit Kranzträgern, außerdem hält der
Kommandeur der Karwendelkaserne Ansprachen.

Die Gedenkfeier selbst ist geprägt vom Gedenken an die gefallenen bzw.
verstorbenen Gebirgssoldaten des Dritten Reiches. Die von diesen begangenen
Kriegsverbrechen sind für den Kameradenkreis kein Thema – unbelastet von
der verbrecherischen Geschichte der Gebirgstruppen pflegt er das Andenken an
seine „Kameraden“. Bei dem undifferenzierten Gedenken wird nicht unter-
schieden zwischen jenen, die Opfer von Kriegsverbrechen wurden, und jenen,
die als Angehörige von Wehrmacht und SS eben diese Verbrechen begangen
haben, es geht auch in keiner Weise um die Aufarbeitung der Geschichte. Die
politische Orientierung des Kameradenkreises kommt deutlich in dem Umstand
zum Ausdruck, dass er sich bis heute nicht von seinem mittlerweile verstor-
benen früheren Ehrenvorsitzenden General Hubert Lanz distanziert hat, einem
in Nürnberg verurteilten vieltausendfachen Mörder und Kriegsverbrecher.

Seit fünf Jahren gibt es gegen dieses Treffen Proteste, die vor allem vom
Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege und der Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) getragen werden.
Diese führen parallel zum Treffen des Kameradenkreises eigene Veranstal-
tungen in Mittenwald durch. Dabei treten Historikerinnen und Historiker auf,
die sich mit den Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger beschäftigen, sowie An-

gehörige des Widerstandes und Überlebende der faschistischen Massaker.

In diesem Spannungsfeld zwischen der Ehrung von an Kriegsverbrechen ver-
urteilten Einheiten auf der einen, historischer Aufarbeitung auf der anderen
Seite unterstützt die Bundeswehr nicht die antifaschistische Veranstaltung,
sondern jene des Kameradenkreises. Auch in diesem Jahr will die Bundeswehr
sowohl personelle als auch materielle Unterstützung gewähren. Während der
Kameradenkreis für seine Veranstaltung das auf Bundeswehrgelände liegende

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Areal nutzen darf, wird dies dem Arbeitskreis Distomo verwehrt, wie aus
einem Schreiben des Kommandeurs der Mittenwalder Kaserne hervorgeht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Kriegsverbrechen, die
von Gebirgseinheiten des Dritten Reiches begangen wurden?

2. Warum hat die Bundesregierung die Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache
16/2525) zum Kameradenkreis ausgerechnet vom Parlamentarischen Staats-
sekretär beim Bundesminister der Verteidigung Sch., beantworten lassen,
obwohl dieser Mitglied des Kameradenkreises ist und sich daher mutmaß-
lich in einem Interessenkonflikt befindet?

3. Wird die Bundeswehr auch in diesem Jahr die Veranstaltung des Kame-
radenkreises unterstützen, obwohl die Gebirgseinheiten des Dritten Reiches
an zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligt waren?

4. Wenn Frage 3 bejaht wird: Welche konkreten Unterstützungsleistungen sind
geplant?

a) Wie viele Soldaten sollen insgesamt zum Einsatz kommen?

b) Mit welchen konkreten Aufgaben sollen diese betraut werden?

c) Welche Kosten entstehen dabei, und wer kommt für diese auf?

d) Welche materiellen Unterstützungsleistungen werden erbracht, welche
Kosten entstehen hierbei, und wer kommt für diese auf?

e) Welche weiteren Vergünstigungen werden dem Kameradenkreis ge-
währt?

f) Werden im Vorfeld Unterstützungsleistungen für die Organisation und
Vorbereitung (inklusive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) gewährt, und
wenn ja, welche?

5. In welcher Form will sich die Bundeswehr in diesem Jahr selbst am Geden-
ken beteiligen?

6. Treffen Informationen der Fragesteller zu, dass in der Zeitschrift des Kame-
radenkreises des Öfteren Artikel von Presseoffizieren der Bundeswehr er-
scheinen, und wenn ja, warum?

7. Wird ein Vertreter bzw. Angehöriger der Bundeswehr wieder eine Anspra-
che halten?

Wenn ja, wer?

Beabsichtigt die Bundesregierung, diesem Vertreter Anweisungen zu ertei-
len, nicht eine allgemeine Beileidsbekundung für Täter wie Opfer, sondern
eine entschiedene Verurteilung der von Gebirgseinheiten begangenen fa-
schistischen Kriegsverbrechen (falls eine solche Weisung nicht beabsichtigt
ist, bitte begründen)?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Entscheidung des Kommandeurs der
Karwendelkaserne, dem Arbeitskreis Distomo keinen Versammlungsort für
seinen antifaschistischen Protest auf dem Standortübungsplatz zu überlas-
sen, wohl aber dem Kameradenkreis für seine Gedenkfeier?

9. Wie wird der Zutritt zur Gedenkfeier geregelt?

a) Gibt es Einlasskontrollen bzw. Zutrittsbeschränkungen?

b) Wer nimmt diese vor und nach welchen Kriterien?

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c) Prüft die Bundesregierung, ob der Kameradenkreis der Aufforderung
des Standortältesten nachkommt, die Veranstaltung beim Landratsamt
anzumelden?

d) Warum ist der Kameradenkreis vom Standortältesten gebeten worden,
die Auffahrt zum Gedenkort „strikt zu kontrollieren“, und was befugt
den Kameradenkreis, solche exekutiven Befugnisse auszuüben?

e) Wie ist diese Kontrolle zu verstehen?

f) Beabsichtigt die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass der Zu-
gang zur Gedenkfeier nicht nur den Sympathisanten des Kameraden-
kreises, sondern auch den Opfern der faschistischen Verbrechen ge-
währt wird, und wenn ja, wie?

10. Ist das Kontaktverbot zur Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger noch
in Kraft, und wenn ja, werden sich uniformierte Bundeswehrsoldaten den-
noch auch in diesem Jahr neben Angehörigen der Ordensgemeinschaft der
Ritterkreuzträger aufstellen oder gibt es Anweisungen, von diesen Abstand
zu halten?

11. Ist der Bundesregierung bekannt, dass sich an dem Treffen auch eine
Abordnung der italienischen Veteranenvereinigung der ehemaligen Divi-
sione Monterosa beteiligt, die eine von vier vom italienischen Diktator
Mussolini aufgestellten Divisionen ist, ebenfalls Kriegsverbrechen began-
gen hat und deswegen vom offiziellen italienischen Alpini-Verband nicht
aufgenommen wird?

a) Falls dies der Bundesregierung nicht bekannt ist: Beabsichtigt sie, ent-
sprechende Informationen einzuholen?

b) Falls dies der Bundesregierung bekannt ist: Welche Konsequenzen zieht
sie, um den gemeinsamen Auftritt von Bundeswehr und in der Tradition
der faschistischen „Italienischen Sozialen Republik“ stehenden Einhei-
ten zu verhindern?

12. Ist die fehlende Distanzierung des Kameradenkreises vom verurteilten
faschistischen Kriegsverbrecher General Lanz aus Sicht der Bundesregie-
rung deswegen nicht zu beanstanden, weil General Lanz sich in Griechen-
land um einen Waffenstillstand mit nationalistischen Widerstandsgruppen
bemüht hat und mit mörderischer Gewalt hauptsächlich gegen den kom-
munistischen Widerstand vorgegangen ist, und wenn nein, wie ist dann zu
verstehen, dass die Bundesregierung in ihrer Antwort auf Frage 6 aus Bun-
destagsdrucksache 16/1623 auf die genannten Bemühungen des Generals
hingewiesen hat und dessen Rolle „sehr nuanciert“ bewertet?

13. Sind Informationen der Fragesteller zutreffend, dass sich auf dem Gelände
der Karwendelkaserne ein Archiv des Kameradenkreises befindet, und
wenn ja

a) Welchen Bestand beinhaltet dieses Archiv?

b) Warum führt die Bundeswehr ein Archiv eines privaten Vereins, über
dessen Haltung zu Wehrmacht und Faschismus sie nach eigenen Anga-
ben keine Informationen einzuholen gedenkt (vgl. Bundestagsdruck-
sache 16/1623, Antwort zu Frage 5)?

c) Um welche Räumlichkeiten handelt es sich bei dem Archiv (bitte
Anzahl der Räume und Größe in Quadratmetern angeben)?

d) Bezahlt der Kameradenkreis Miete und Betriebskosten für die Über-
lassung der Räumlichkeiten, und wenn ja, wie viel?

Drucksache 16/5296 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
e) Falls der Kameradenkreis keine Miete oder nur eine symbolische
bezahlt: Warum gewährt die Bundeswehr dem Kameradenkreis eine
solche Unterstützung?

f) Wie sind die Zutrittsregelungen zu dem Archiv?

g) Haben Nichtmitglieder des Kameradenkreises und Zivilistinnen und
Zivilisten, beispielsweise Journalistinnen und Journalisten, Historike-
rinnen und Historiker sowie Studierende freien Zugang zum Archiv?

14. Welche Binnenwerbung innerhalb der Bundeswehr-Gebirgseinheiten führt
die Bundeswehr, um über das Stattfinden des Gebirgssoldaten-Treffens zu
informieren?

15. In welcher Form werden die Angehörigen der Gebirgseinheiten darüber
informiert, dass „ihr“ Traditionsverband einen faschistischen Kriegs-
verbrecher zum Ehrenpräsidenten hatte?

16. In welcher Form werden die Angehörigen der Gebirgseinheiten der Bun-
deswehr darüber informiert, dass die Gebirgseinheiten des Dritten Reiches
massenweise Kriegsverbrechen verübt haben?

a) In welcher Form geschieht dies am Beispiel des Massakers auf Kepha-
lonia, wo im September 1943 rund 4 000 Menschen von Gebirgseinhei-
ten umgebracht wurden?

b) In welcher Form geschieht dies am Beispiel des Massakers in
Kommeno, wo von der 12. Kompanie des Gebirgsjäger-Regiments 98
der 1. Gebirgsjägerdivision aus Mittenwald 317 Zivilistinnen und Zivi-
listen umgebracht wurden?

c) In welcher Form geschieht dies am Beispiel des Massakers in Lyngiar-
des, wo am 3. Oktober 1943 87 Zivilistinnen und Zivilisten von Ange-
hörigen des Feldersatz-Bataillons 79 umgebracht wurden?

d) In welcher Form geschieht dies am Beispiel der zahlreichen weiteren
Massaker (bitte jeweils detailliert erläutern)?

17. Werden die aktiven Angehörigen und Reservisten der Gebirgseinheiten der
Bundeswehr ermuntert, die Veranstaltungen des Arbeitskreises Angreif-
bare Traditionspflege zu besuchen, um ihre Kenntnisse über Tradition und
Geschichte der Gebirgseinheiten auszuweiten und dort ggf. jenen gegen-
überzustehen, die die Massaker der Gebirgseinheiten in den 1940er Jahren
überlebt haben, und wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 7. Mai 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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