BT-Drucksache 16/5164

Klimaschutz durch den Einsatz von CO2-Abscheidung und -Lagerung

Vom 25. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5164
16. Wahlperiode 25. 04. 2007

Große Anfrage
der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, Winfried
Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia
Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klimaschutz durch den Einsatz von CO2-Abscheidung und -Lagerung

Die Belastung der Atmosphäre mit CO2 verursacht einen unkalkulierbaren Kli-
mawandel – dies kann kaum noch ernsthaft bezweifelt werden. Schon der heu-
tige Temperaturanstieg von etwa 0,8 °C führt weltweit zu erheblichen klima-
bedingten Schäden. Um den globalen Temperaturanstieg auf maximal 2 Grad
Celsius zu begrenzen, müssen Deutschland und die anderen Industrieländer
ihren CO2-Ausstoß drastisch reduzieren. Die dafür nötigen Weichenstellungen
müssen in den nächsten 15 Jahren erfolgen.

Genau in diesem Zeitraum wird in Deutschland ein großer Teil des Kraftwerks-
parks erneuert. Ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien, eine
deutliche Steigerung der Energieeffizienz und drastische Maßnahmen zur Ener-
gieeinsparung müssen im Interesse des Weltklimas im Zentrum unserer Energie-
politik stehen. Die künftige Energieerzeugung darf aus Klimaschutzgründen
keinesfalls auf den bestehenden fossilen Strukturen aufbauen.

In dieser Situation erscheint in der öffentlichen Debatte zunehmend die Vorstel-
lung von einer „Clean-Coal“-Technologie. Danach soll mit „Carbon Capture
and Storage (CCS)“ die Kohle weiter als Energieträger eingesetzt werden, ohne
dass das entstehende CO2 die Atmosphäre belastet. Allerdings ist CCS sehr um-
stritten, da es eine typische „End-of-pipe-Technologie“ ist, die auf den bestehen-
den zentralen Energieversorgungsstrukturen aufbaut, unbestreitbare Risiken be-
inhaltet und eine Vielzahl offener Fragen aufwirft. Kritiker halten CCS daher für
ein Großexperiment mit dem Ökosystem Erde, dessen Auswirkungen noch nicht
vollständig überschaut werden können.

CCS ist gegenwärtig vor allem ein Forschungsürojekt. Es ist nicht zu erwarten,
dass CCS in den entscheidenden nächsten 15 Jahren in großindustriellem Maß-
stab eingesetzt werden kann. CCS dient in diesem Zeitraum vor allem als PR-
Instrument, um den Bau umweltschädlicher Kohlekraftwerke weiter zu ermög-
lichen. Dabei besteht die Gefahr, dass die Debatte über CCS eine zukunftsorien-
tierte Ausrichtung der Energieerzeugung behindert. In Deutschland werden über

20 große Kohlekraftwerke ohne CCS geplant, deren Inbetriebnahme katastro-
phale Klimaauswirkungen hätte. Das gleichzeitige Vorantreiben der CCS-Tech-
nologie durch die Energiewirtschaft, ohne diese für die eigene Kraftwerkspark-
erneuerung zu nutzen, ist verantwortungslos und unglaubwürdig. Die Haltung
der Bundesregierung zu CCS ist widersprüchlich und unklar.

Drucksache 16/5164 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchem Entwicklungsstadium ist die Technologie des Carbon Capture
and Storage (CCS) und ab wann rechnet die Bundesregierung mit ihrer
großtechnisch zuverlässigen Verfügbarkeit?

2. Welche Rolle spielt CCS in den Augen der Bundesregierung für die Ent-
wicklung der Energiepolitik in Deutschland angesichts der Äußerungen des
Parlamentarischen Staatssekretärs Michael Müller, der in einem Interview
in der Tageszeitung vom 20. Februar 2007 die Debatte um CO2-freie Kraft-
werke als „falsche Debatte“ bezeichnet hatte und angesichts der Aussage
vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
Sigmar Gabriel, vom 23. Januar 2007 im Ausschuss des Europäischen Par-
laments für Industrie, Forschung und Energie, in der er CCS als Schwer-
punkt der Technologieforschung bezeichnet, mit dem Ziel, die Technologie
bis 2020 zur Marktreife zu bringen?

3. Betrachtet die Bundesregierung CCS als Übergangs- bzw. Brückentechno-
logie?

Falls ja, wie lange soll diese Brücke zeitlich reichen, und wie könnte in die-
sem Fall ein Ausstiegsszenario aus der CCS-Technologie aussehen?

4. Hält die Bundesregierung die Genehmigung neuer Kohlekraftwerke nach
heutigem Stand der Technik ohne CCS mit den mittel- und langfristigen Kli-
maschutzzielen vereinbar, die CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 40 Pro-
zent (bis 2020) und 80 Prozent (bis 2050) zu senken?

5. Erwägt die Bundesregierung den Neubau fossiler Kraftwerke nur noch dann
zu genehmigen, wenn sie über eine funktionierende CCS-Technik verfü-
gen?

Falls ja, ab wann?

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssten geschaffen werden, um solche
Auflagen verbindlich zu erlassen?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der EU-Kommission, dass alle ab
2020 gebauten Kohlekraftwerke obligatorisch mit CCS-Technologien ver-
sehen werden sollten?

7. Befürwortet die Bundesregierung ein Moratorium für Kohlekraftwerke bis
zu dem Zeitpunkt, an dem die CCS-Technologie zur Verfügung steht und
verbindlich vorgeschrieben wird?

8. Ist die Bundesregierung angesichts der Betriebszeiten von Kohlekraftwer-
ken über 40 Jahre und mehr der Auffassung, dass diese in absehbarer Zeit
mit CCS nachgerüstet werden müssen?

Was versteht die Bundesregierung unter CCS-nachrüstfähig?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die angekün-
digte Prüfung der EU-Kommission, ob neue kohle- und erdgasbefeuerte
Anlagen, in denen CCS-Technologien nicht sofort zum Einsatz kommen,
später nachgerüstet werden können?

Unterstützt die Bundesregierung die Kommission darin, für spätere Nach-
rüstungen verbindliche Rechtsvorschriften zu entwickeln?

10. Falls ja, ab wann ist eine derartige Nachrüstung vorgesehen, und wann soll
das hierfür maßgebliche Recht gelten?

Welche Sanktionen werden erwogen, falls die Auflage zur Nachrüstung
nicht eingehalten wird?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5164

11. Mit welchem Aufwand an Fläche und Energie können vorhandene Kohle-
kraftwerke mit CCS nachgerüstet werden, und gibt es hierbei wesentliche
Unterschiede zwischen den verschiedenen Techniklinien?

Mit welchen Kosten wäre eine solche Nachrüstung (differenziert nach ver-
schiedenen Techniklinien) verbunden?

12. Wer wäre nach Auffassung der Bundesregierung verantwortlich für den
Aufbau einer CCS-Infrastruktur für Transport und Lagerung des abgeschie-
denen CO2?

Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die CCS-Infrastruktur von der
öffentlichen Hand bereitgestellt werden sollte?

13. Welches sind nach Auffassung der Bundesregierung die wichtigsten recht-
lichen Neuregelungen, die im Zusammenhang mit CCS zu treffen sind?

Wann ist mit entsprechenden Gesetzgebungsinitiativen zu rechnen?

14. Nach welchen Rechtsgrundlagen soll die CO2-Speicherung geregelt wer-
den?

Wie soll der rechtliche Anspruch auf die CO2-Lager geregelt werden?

15. Welche Versicherungs- und Haftungsregelungen sind für die CO2-Speiche-
rung über welche Zeiträume vorgesehen?

Wie hoch dürften aus Sicht der Bundesregierung die Haftungskosten sein
und wie setzen sich diese zusammen?

Wer trägt die Risiken für die Gewährleistung der Langzeitsicherheit und die
Kosten für die Haftung?

Welche rechtlichen und ökonomischen Instrumente hält die Bundesregie-
rung für geeignet, dies zu regeln?

16. Welche Rolle spielt der europäische Emissionshandel für die Entwicklung
und Marktfähigkeit der CCS-Technologie?

Ergeben sich aus der Sicht der Bundesregierung aus der Entwicklung der
CCS-Technologie Konsequenzen für die Gestaltung des EU-Emissionshan-
dels, insbesondere mit Blick auf den anstehenden Review-Prozess der EU-
Emissionshandelsrichtlinie?

17. Welche Rolle soll CCS nach Auffassung der Bundesregierung bei inter-
nationalen Klimaschutzinstrumenten spielen?

Soll nach Auffassung der Bundesregierung CCS im Rahmen der Nutzung
der projektbasierten Mechanismen (Clean Development Mechanism
(CDM) und Joint Implementation (JI)) des Kyoto-Protokolls anrechenbar
sein?

Berlin, den 25. April 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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