BT-Drucksache 16/4946

Pauschale Nichtanerkennung irakischer Pässe durch bundesdeutsche Behörden

Vom 2. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4946
16. Wahlperiode 02. 04. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Jan Korte und der Fraktion
DIE LINKE.

Pauschale Nichtanerkennung irakischer Pässe durch bundesdeutsche
Behörden

Seit dem 1. April 2007 werden irakische Pässe der Serie „S“ von bundesdeut-
schen Behörden pauschal nicht mehr anerkannt. Eine Allgemeinverfügung des
Bundesministeriums des Innern vom 3. Januar 2005, mit der diese irakischen
Reisepässe zunächst anerkannt worden waren, wurde mit Schreiben vom
6. März 2007 widerrufen. Als Begründung wurden ein mangelnder Sicher-
heitsstandard und erhebliche Missbrauchsfälle benannt.

Gleichzeitig können die irakischen Behörden in der durch Besatzung und Bür-
gerkrieg desaströsen innenpolitischen Lage und der Zerstörung vieler Archive
nur verzögert neue Pässe der Serie „G“ ausstellen, die vom Bundesministerium
des Innern als „ausreichend“ betrachtet werden. Die Folgen der widerrufenen
Anerkennung der sog. S-Pässe für die Betroffenen sind enorm: Sie werden als
Personen ohne gültigen Pass eingestuft, sie können nicht mehr grenzüberschrei-
tend reisen und in personenstandsrechtlichen Verfahren (Eheschließung, Ge-
burtsbeurkundung usw.) wird davon ausgegangen, dass kein gültiger Pass
vorliegt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele irakische Staatsangehörige, die in Deutschland leben, haben der-
zeit einen Pass der Serie „S“ bzw. der Serie „G“ bzw. einen anderen Reise-
oder Reiseersatzausweis (Angaben bitte differenzieren nach Aufenthalts-
status, falls keine konkreten Daten verfügbar sind werden Schätzungen
erbeten)?

2. Wie viele Missbrauchsfälle sind im Zusammenhang der irakischen
S-Pässe in welchem Zeitraum bekannt geworden?

a) Wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Personen wurden einge-
leitet?

b) Zu wie vielen Verurteilungen gegen wie viele Personen in welchem Straf-
rahmen ist es bisher gekommen, und wie viele davon sind rechtskräftig?

c) In welchen Zusammenhängen standen die Missbrauchsfälle, um welche
Missbräuche ging es, und welche Folgen hatten diese?

Drucksache 16/4946 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Sind die Zahl und der Umfang der bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in
Anbetracht unter anderem des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geeignet,
um die schwerwiegenden Folgen des Widerrufs der Anerkennung von
S-Pässen für die Betroffenen zu rechtfertigen, auch vor dem Hintergrund,
dass die Betroffenen nicht für die Qualität der ihnen ausgestellten Reise-
pässe oder Missbräuche in Einzelfällen verantwortlich zu machen sind (bitte
begründen)?

4. a) Wie ist das Tempo der Erteilung neuer sog. G-Pässe, und in welchem
Zeitraum ist mit einer gesamten Ersetzung von S- durch G-Pässe zu rech-
nen?

b) Wie ist die Bearbeitungszeit im Falle der Beantragung eines neuen
G-Passes im Einzelfall (durchschnittlich, minimal, maximal), welche
Kosten sind für die Betroffenen damit verbunden, und gibt es Sonder-
regelungen einer beschleunigten Bearbeitung unter besonderen Umstän-
den?

c) Was sind aus Sicht der Bundesregierung die Gründe für die verzögerte
Ausstellung von Pässen der G-Serie?

d) Welche Möglichkeiten eines beschleunigten Austausches der Reisepässe
sieht die Bundesregierung, und in welcher Form unterstützt sie die iraki-
schen Behörden dabei?

5. Welche Folgen hat der pauschale Widerruf der Anerkennung irakischer
S-Pässe für die Betroffenen, und welche Regelungen hat die Bundesregie-
rung getroffen oder beabsichtigt sie, um diesen Auswirkungen entgegen-
zuwirken?

a) Wie können irakische Staatsangehörige mit S-Pässen eine Aufenthaltser-
laubnis nach der Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz bzw.
der geplanten bundesgesetzlichen Altfall-Regelung oder nach anderen
rechtlichen Vorschriften erhalten?

b) Was geschieht mit in S-Pässen eingetragenen Niederlassungs- bzw. Auf-
enthaltserlaubnissen und anderen Aufenthaltsbescheinigungen?

c) Wie können irakische Staatsangehörige mit S-Pässen eine Geburts-
urkunde (ohne Vermerke einer „ungeklärten Identität“ oder Ähnlichem)
erhalten?

d) Wie können irakische Staatsangehörige mit S-Pässen grenzüberschrei-
tend reisen?

e) Wie können irakische Staatsangehörige mit S-Pässen heiraten?

f) Wie gehen andere europäische Länder, in denen Reisepässe der S-Serie
ebenfalls nicht mehr anerkannt werden, mit den Folgen dieser Nichtaner-
kennung um, welche Sonder-, Hilfs- oder Übergangsregelungen gibt es
dort?

6. Lässt sich nach Auffassung der Bundesregierung durch eine Nachfrage bei
der irakischen Botschaft in Berlin im Einzelfall feststellen, dass ein Pass
echt ist bzw. dass er dort ausgestellt wurde und kein Missbrauch vorliegt,
und wenn ja, warum hat das Bundesministerium des Innern, statt die Aner-
kennung der S-Pässe pauschal zu widerrufen, nicht diesen Weg gewählt,
d. h. lediglich in begründeten Zweifelsfällen oder bei konkreten Anlässen
(etwa im Heirats-, Geburtsbeurkundungs- und Aufenthaltserlaubnisertei-
lungsverfahren) die Echtheit der jeweiligen Reisepässe durch individuelle
Nachfragen bei der irakischen Botschaft zu überprüfen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4946

7. Was kann die Bundesregierung zu den Bemühungen der irakischen Bot-
schaft in Berlin sagen, durch die Bildung einer speziellen Arbeitskommis-
sion die Passerteilungsvoraussetzungen besonders zu prüfen, und warum
hält sie diese Maßnahmen gegebenenfalls für unzureichend?

8. Ist es mit dem Völkerrecht und der Passhoheit des Irak vereinbar, dass die
Bundesrepublik Deutschland Reisepässe eines anderen Staates aufgrund ein-
zelner Missbrauchsfälle pauschal nicht mehr anerkennt (bitte begründen),
und welche Bestimmungen sind hier von Bedeutung?

9. Welche Pässe anderer Staaten werden derzeit in Deutschland ebenfalls nicht
anerkannt, und welche Regelungen gibt es diesbezüglich?

Berlin, den 29. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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