BT-Drucksache 16/4925

Sondermüllimporte aus Industrieländern nach Deutschland

Vom 29. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4925
16. Wahlperiode 29. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Reinhard Loske, Rainder
Steenblock, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, Peter Hettlich,
Ulrike Höfken, Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch,
Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sondermüllimporte aus Industrieländern nach Deutschland

Nachdem im Januar dieses Jahres bekannt wurde, dass die australische Firma
Orica Ltd. mehr als 20 000 Tonnen Hexachlorbenzol (HCB) nach Deutschland
zur Verbrennung bringen lassen möchte, nimmt die Verunsicherung in der be-
troffenen Bevölkerung stark zu.

Hexachlorbenzol gehört zum sog. dreckigen Dutzend gefährlicher Stoffe, die
durch die Stockholmer Konvention weltweit verboten worden sind. In Deutsch-
land ist es seit 1981 als Pflanzenschutzmittel nicht mehr zugelassen; früher wur-
de es vielfältig eingesetzt: in der Arzneimittel- und Düngemittelproduktion, als
Pflanzenschutz- und Desinfektionsmittel. Der Chemiekonzern Orica hat den
Export seiner teils seit Jahrzehnten gelagerten HCB-belasteten Abfälle nach
Deutschland unter der Begründung beantragt, dass es in Australien keine geeig-
neten Verbrennungsanlagen gibt.

Nach den derzeitig bekannten Plänen sollen die 10 000 Tonnen Giftmüll, die
nicht am deutschen Zielhafen Brunsbüttel verbrannt werden können, per Bahn
ins Leverkusener Bayer-Werk gebracht und dann mit Lastwagen auf die An-
lagen in Herten, Dormagen und Leverkusen-Bürrig verteilt werden.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:

1. An welchen Maßstäben, Grundsätzen oder Kriterien orientiert sich die Bun-
desregierung bei Importen von Sonderabfällen?

2. Wie viel Sonderabfall wurde im Zeitraum 1996 bis 2006 nach Deutschland
importiert (aufgelistet nach Jahr, Art und Herkunftsland des Abfalls)?

3. Wie hoch sind die in Deutschland aufgebauten Sonderabfallverbrennungs-
kapazitäten?

4. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass Verbrennungsüberkapazitäten im
Bereich Sonderabfallverbrennung vorhanden sind?
Wenn ja, in welcher Höhe, und wie konnten diese Überkapazitäten entstehen?

5. Ist der Bundesregierung bekannt, ob weitere Sonderabfallverbrennungsanla-
gen in Deutschland in Planung sind, und wenn ja, welche (aufgeschlüsselt
nach Ort und Kapazität)?

Drucksache 16/4925 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

6. Unter welchen Voraussetzungen sieht die Bundesregierung die rechtliche
Möglichkeit (insbesondere in Hinblick auf die Abfallverbringungsverord-
nung/das Abfallverbringungsgesetz) gegeben, dass Landes- oder Bundes-
behörden den geplanten Import von 22 000 Tonnen HCB aus Australien in
die Bundesländer Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verbieten
können?

7. Wenn ein Verbot möglich ist, auf welcher Rechtsgrundlage, und wenn nicht,
welche gesetzlichen Bestimmungen sprechen dagegen?

8. Hält die Bundesregierung weiterhin an der auch von Deutschland ratifizier-
ten Baseler Konvention fest, welche die Entsorgung von Giftmüll im eige-
nen Land vorsieht?

Wenn ja, warum nicht in diesem Fall?

9. Teilt die Bundesregierung die von dem nordrhein-westfälischen Minis-
terium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
vertretene Ansicht, „das Land besitzt keine rechtliche Möglichkeit, Importe
aus anderen Bundesländern oder dem Ausland zu verhindern. Nach euro-
päischem Recht können Landesbehörden eine Genehmigung nur ver-
weigern, wenn es in NRW keine Entsorgungskapazitäten gibt“ (DIE WELT
vom 4. Februar 2007)?

10. Teilt die Bundesregierung die in der Tageszeitung „Rheinische Post“ vom
23. Februar 2007 zitierte Auffassung der Sprecherin von EU-Umweltkom-
missar Stavros Dimas, Dr. Barbara Helfferich, es ergebe sich aus dem EG-
Recht für die deutschen Behörden keine Verpflichtung zur Genehmigung
des geplanten Giftmülltransports aus Australien, und teilt sie außerdem die
an gleicher Stelle angeführte Auffassung der Generaldirektion Umwelt der
Europäischen Kommission, auch wenn Australien nicht über geeignete Ver-
brennungsanlagen verfüge und Betreiber in Nordrhein-Westfalen zur Ent-
sorgung bereit und in der Lage seien, könne der Import abgelehnt werden?

11. Teilt die Bundesregierung die von dem Staatssekretär des nordrhein-west-
fälischen Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz Dr. Alexander Schink in einer Sitzung des Düsseldorfer
Landtags vom 28. Februar 2007 geäußerte Auffassung, dass auf Grundlage
von Artikel 4 Abs. 3 der EG-Abfallverbringungsverordnung nur die Bun-
desregierung Maßnahmen zum Verbot der Abfallverbringung ergreifen kön-
ne, nicht aber Landesregierungen?

12. Teilt die Bundesregierung die vom nordrhein-westfälischen Minister für
Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Eckhard
Uhlenberg in der Landtagssitzung vom 7. März 2007 geäußerte Ansicht, es
sei Sache des Bundes und könne keinesfalls Sache einzelner Bundesländer
sein, Abfalltransporten aus einem weit entfernten hochindustrialisierten
Vertragsstaat des Baseler Übereinkommens entgegenzutreten?

13. Teilt die Bundesregierung die vom nordrhein-westfälischen Minister für
Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Eckhard
Uhlenberg in der Landtagssitzung vom 7. März 2007 geäußerte Auf-
fassung, „angesichts der gegenwärtig deutlich wahrnehmbaren, schwinden-
den Akzeptanz für die Entsorgung gefährlicher Abfälle bei der betroffenen
Bevölkerung [sei] ein Handeln der Bundesebene erforderlich“ und der
Bund dürfe sich „der Frage, ob er die ihm zur Verfügung stehenden Hand-
lungsoptionen ergreifen oder die Abfallimporte aus Australien hinnehmen
möchte, nicht unter Hinweis auf eine vermeintliche alleinige Zuständigkeit
der Landesebene entziehen“?
14. Welche Transportroute ist genau geplant, und wie soll der Transport bis
Deutschland und innerhalb von Deutschland abgewickelt werden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4925

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Sicherheit der geplanten Transport-
route?

16. Wie ist die genaue Zusammensetzung der australischen Sonderabfälle, be-
steht eine Verunreinigung des Hexachlorbenzols?

17. Wenn ja, wie hoch wäre die zusätzliche Belastung durch Verbrennungsrück-
stände durch die geplanten 22 000 Tonnen australischen Hexachlorbenzols
(aufgeschlüsselt nach Verbrennungsrückstand und Standort der Verbren-
nungsanlage)?

18. Welchen Kenntnisstand hat die Bundesregierung über Entsorgungskapazi-
täten für solche Abfälle in Australien?

19. Ist der Bundesregierung bekannt, wie seinerzeit die Abfälle bei der Sanie-
rung des Olympiageländes in Sydney beseitigt wurden?

20. Welche technischen Anforderungen erfüllen die Anlagen, in denen die aus-
tralischen Sonderabfälle behandelt werden sollen?

21. Plant die Bundesregierung eine Verschärfung der Grenzwerte für Ver-
brennungsanlagen?

22. Ist die Bundesregierung mit dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit Sigmar Gabriel einer Meinung, dass die Verbrennung
von Sonderabfällen aus anderen Industriestaaten in Deutschland ein Stück
umweltpolitischer Verantwortung ist (DER SPIEGEL, „Der Dreck der
anderen“ Heft 8/2007)?

23. Welche Initiativen wird die Bundesregierung unternehmen, um den Wunsch
des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Sigmar Gabriel zu erfüllen, dass zukünftig deutsche Entsorgungstechnolo-
gie z. B. nach Australien exportiert wird, anstatt Giftmüll zu importieren
(DER SPIEGEL, „Der Dreck der anderen“ Heft 8/2007)?

24. Kann die Bundesregierung die Aussage des Geschäftsbereichsleiters Ent-
sorgungswirtschaft der AGR mbH auf einer gut besuchten öffentlichen Ver-
anstaltung in Herten am 6. Februar 2007 bestätigen, die Anlage in Herten sei
für die Verbringung des Mülls aus Australien „von einer Bundesbehörde
empfohlen worden“, und wenn ja, welche Bundesbehörde hat diese Emp-
fehlung auf welcher Grundlage ausgesprochen?

Berlin, den 29. März 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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