BT-Drucksache 16/490

Aufklärung internationaler Foltervorwürfe unter Einschluss eines deutschen Beitrags

Vom 27. Januar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/490
16. Wahlperiode 27. 01. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Petra Pau
und der Fraktion DIE LINKE.

Aufklärung internationaler Foltervorwürfe unter Einschluss
eines deutschen Beitrags

Die öffentliche Debatte über geheime CIA-Flüge mit illegal gefangen gehalte-
nen Personen und geheime CIA-Gefängnisse in Europa hält weiterhin an. Der
Berichterstatter des Europarats hat am 24. Januar 2006 einen Zwischenbericht
vorgelegt, in dem er unter anderem ausführt, es sei bewiesen, dass Menschen
entführt und in Länder verbracht worden sind, in denen sie misshandelt und ge-
foltert wurden (Nr. 99, S. 17). Der Berichterstatter geht von über 100 Entfüh-
rungsfällen aus. Er kritisiert auch die Bundesregierung, insbesondere den Bun-
desminister des Innern für dessen Äußerungen über die Verwendung von unter
Folter erpressten Aussagen. Der Berichterstatter bezeichnet solche Äußerungen
als „höchst fragwürdig, wenn nicht alarmierend“.

Der Beitrag der Bundesregierung zur Aufklärung der erhobenen Vorwürfe ist
verbesserungsfähig. Auf rund die Hälfte der von den Fraktionen DIE LINKE.,
der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bisher gestellten Kleinen Anfragen
gibt sie keine Antwort bzw. verweist auf das Parlamentarische Kontrollgremi-
um. Auch dies ist eine Praxis, die vom Berichterstatter des Europarates kritisch
betrachtet wird. Der Berichterstatter schließt seinen Bericht mit einer Reihe
offener Fragen, die in den Parlamenten der Mitgliedstaaten des Europarates
noch behandelt werden müssten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wird die Bundesregierung regelmäßig über die Aktivitäten ausländischer
Nachrichtendienste (insbesondere Aktivitäten der CIA) auf dem Bundesge-
biet informiert, und wenn ja, in welcher Form?

2. a) Wie überwacht die Bundesregierung die Kooperation zwischen deutschen
und ausländischen Geheimdiensten?

b) Ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, bestimmte illegale Aktivi-
täten ausländischer Nachrichtendienste auf dem Bundesgebiet durch eine
passive Haltung zu dulden, und wenn ja, in welchem Ausmaß?
3. Gibt es spezielle Übereinkünfte mit den USA hinsichtlich des Kampfes ge-
gen den Terrorismus, und wenn ja, welche, und sehen diese Übereinkünfte
auch vor, dass die USA eigenständig Polizeimaßnahmen auf dem Bundesge-
biet durchführen können?

4. Hat die Bundesregierung inzwischen Erkenntnisse über die Existenz gehei-
mer Gefängnisse auf dem Bundesgebiet oder in anderen europäischen Län-
dern, und wenn ja, welche Erkenntnisse und seit wann?

Drucksache 16/490 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

5. Wurden deutsche Behörden von ausländischen Behörden oder Nachrichten-
diensten um die Erlaubnis für ggf. geheime Festnahmen oder Ingewahrsam-
nahmen und/oder die ggf. geheime Verbringung von Gefangenen ins Bun-
desgebiet ersucht, und wenn ja, wie haben die Behörden reagiert?

6. Hat die Bundesregierung von den amerikanischen Behörden Informationen
erhalten über die Existenz geheimer Gefängnisse in Europa, und wenn ja,
welche Informationen sind dies?

7. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über Flüge vom, in oder über den
deutschen Luftraum, die von Flugzeugen der CIA oder ihr angehörender
Gesellschaften durchgeführt wurden, und wenn ja, seit wann und wie oft
werden diese Flüge durchgeführt?

8. Wird die Bundesregierung vor dem Eintritt von CIA-Flugzeugen in den
deutschen Luftraum

a) informiert,

b) um eine Erlaubnis ersucht, und wenn ja, welche Auskünfte müssen in sol-
chen Ersuchen erteilt werden und wie werden die Ersuchen beschieden?

9. Welche Regelungen sehen die NATO-Abkommen oder vergleichbare Ver-
einbarungen über die Einholung einer Erlaubnis für Flüge im vorgenannten
Sinn vor?

Beziehen sich diese Regelungen nur auf militärische Flüge oder auch auf
zivile?

10. Weiß die Bundesregierung von der illegalen Durchbeförderung von Gefan-
genen auf solchen Flügen und hat sie diese durch eine passive Haltung tole-
riert, und wenn ja, seit wann?

11. Welche Zusicherungen hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen ver-
langt die Bundesregierung, wenn diese von dritten Staaten durch den deut-
schen Luftraum befördert werden?

12. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Landung von Flugzeugen
auf deutschen Flughäfen, die im Verdacht stehen, illegal festgehaltene Ge-
fangene befördert zu haben (wenn ja, bitte Einzelheiten nennen)?

13. a) Hat die Bundesregierung Erkenntnisse hinsichtlich Entführungen durch
ausländische Nachrichtendienste und des Transports der Entführten über
Bundesgebiet oder das Gebiet anderer Staaten?

b) War sie an solchen Entführungen und Transporten passiv oder aktiv be-
teiligt?

c) Wurden Ermittlungsverfahren wegen solcher Umstände aufgenommen,
und wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

14. Hat die Bundesregierung von den USA Auskünfte angefordert zu Flügen,
die von der CIA oder deren Gesellschaften in den, aus dem oder über den
deutschen Luftraum führten und die möglicherweise für den illegalen
Transport von Gefangenen genutzt wurden, wenn nein, beabsichtigt, die
Bundesregierung, solche Auskünfte noch anzufordern, wenn ja, welche
Antworten hat sie bislang erhalten?

15. Welche weiteren Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Zwi-
schenbericht des Beauftragten des Europarates, insbesondere den darin ent-
haltenen Vorwürfen mangelnder Kooperation und übertriebener Geheim-
haltung?

16. Geht die Bundesregierung davon aus, dass etwaige illegale Durchbeförde-

rungen von Gefangenen durch den deutschen Luftraum nicht ohne Kenntnis
deutscher Nachrichtendienste erfolgen würden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/490

17. Wie stellt sich die Bundesregierung zu der Feststellung im Zwischenbericht,
es sei höchst unwahrscheinlich, dass die europäischen Regierungen von der
mutmaßlichen Entführung von über 100 Menschen nichts gewusst hätten
(Nr. 66 des Berichts, S. 11)?

18. Trifft die Aussage im Zwischenbericht zu, der zufolge die US-Behörden in
Ramstein die Kooperation mit deutschen Ermittlungsbehörden im Entfüh-
rungsfall A. O. verweigern (Nr. 68, S. 12), und wenn ja, welche Konsequen-
zen zieht die Bundesregierung hieraus im Verhältnis zu den USA?

19. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Europarat-Ermittlers, die
Aussagen des deutschen Bundesministers des Innern über die Verwendbar-
keit von unter Folter erpressten Aussagen seien „höchst fragwürdig, wenn
nicht alarmierend“ („at the very least highly debatable, if not alarming“,
Nr. 85, S. 12), und es reiche zur Bekämpfung des entstandenen Folternetz-
werks nicht aus, an der Folterstätte nicht selbst präsent zu sein und Unkennt-
nis über die Folterpraktiken vorzutäuschen, und wenn nein, warum nicht?

20. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Europarat-Ermittlers, es sei
nicht akzeptabel, illegale und geheime Festnahmen und Folter an Drittstaa-
ten zu delegieren (Nr. 101, S. 17), und wenn ja, welche Konsequenzen zieht
sie hieraus insbesondere angesichts der Tatsache, dass deutsche Ermittler
und Nachrichtendienstler bereits in Guantánamo und in einem Gefängnis
des syrischen Militärgeheimdienstes anwesend waren und an beiden Orten
rechtsstaatliche Standards nicht eingehalten werden?

21. a) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das von der KFOR
betriebene Gefängnis „Camp Bondsteel“ im Kosovo, und wie beurteilt
sie die im Zwischenbericht zitierten Vorwürfe des Menschenrechtskom-
missars des Europarates, dieses Gefängnis weise „viele Parallelen zu
Guantánamo“ auf, insbesondere indem Gefangenen rechtsstaatliche
Standards verweigert würden (Nr. 91, S. 16)?

b) Wie bewertet sie die Ausführung im Zwischenbericht, den Vertretern des
Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder ernied-
rigender Behandlung oder Strafe des Europarates werde der Zugang zu
„Camp Bondsteel“ verweigert (Nr. 91, S. 16), und welche Konsequenzen
zieht sie hieraus?

c) Was unternimmt die Bundesregierung, um die Aufklärung über die Vor-
gänge in „Camp Bondsteel“ voranzubringen?

d) Inwiefern sind die im Kosovo stationierten deutschen Truppen am
„Camp Bondsteel“ beteiligt?

22. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Aufforderung des
Zwischenberichts, die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste zu
untersuchen und ggf. zu verbessern?

Berlin, den 26. Januar 2006

Ulla Jelpke
Wolfgang Gehrcke
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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