BT-Drucksache 16/4771

Für eine Schließung des Forschungsendlagers Asse II unter Atomrecht und eine schnelle Rückholung der Abfälle

Vom 21. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4771
16. Wahlperiode 21. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Renate Künast, Fritz Kuhn
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine Schließung des Forschungsendlagers Asse II unter Atomrecht
und eine schnelle Rückholung der Abfälle

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Zustände im sogenannten Forschungsendlager Asse II sind besorgniserre-
gend. Obwohl als reines Forschungsendlager konzipiert, wurden in das ehema-
ligen Bergwerk Asse II zwischen 1965 und 1978 125 787 Fässer mit leicht- und
mittelradioaktivem Atommüll unterschiedlicher Herkunft verbracht. Heute,
knapp 30 Jahre nach Ende der Einlagerung, ist die Sicherheit dieses Endlagers
nicht mehr gewährleistet. Seit mindestens 20 Jahren sickert eine Salzlösung in
das Endlager. Herkunft und exakter Verbleib der Flüssigkeit sind bislang unge-
klärt. Die eindringende Salzlösung kann die eingelagerten Fässer angreifen und
Radionuklide herauslösen. Da die Asse von verschiedenen grundwasserleiten-
den Gesteinsformationen umgeben ist, kann der Kontakt der Salzlösung zum
Grundwasser nicht ausgeschlossen werden. Auf diesem Weg kann Radioaktivi-
tät ins Grundwasser gelangen.

Das zuständige Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (GSF) plant
durch die Einbringung gesättigter wässriger Magnesiumchloridlösung, die Ge-
fährdung zu stoppen. Diese Lauge soll die Standfestigkeit des Grubengebäudes
stabilisieren. Danach soll das Forschungsendlager umgehend geschlossen wer-
den. Der Zustand der Müllfässer wird weder derzeit überwacht, noch ist ein zu-
künftiges Monitoring geplant. Einen adäquaten Sicherheitsnachweis für die
Wirksamkeit dieses Vorgehens hat das GSF bislang nicht erbringen können.

Verschiedene Experten zweifeln an, dass die geplanten Maßnahmen das Pro-
blem überhaupt wirksam beheben können. Einige gehen sogar davon aus, dass
das von der GSF anvisierte Vorgehen das Gefahrenpotential noch erhöht. Zuerst
einmal ist das Eintreten von Flüssigkeiten in das Endlager generell brisant, egal
ob Salzlösung oder Magnesiumchloridlauge. Beides kann die Korrosion der
Fässer beschleunigen. In der Folge würden durch unvermeidbar ablaufende
Lösungs- und Transportprozesse Radionuklide aus den Abfallgebinden remo-
bilisiert und dann aus dem Nahfeld des Endlagers transportiert. Je mehr Flüssig-
keit, desto größer die Gefahr, da sich die Kontaktfläche von Lösung und Abfall-
gebinde erhöht. Zudem können Veränderungen von pH-Werten und Redox-
bedingungen sowie die Radiolyse und die Behälterkorrosion zur Bildung von
Wasserstoff, Sauerstoff und gelösten Chloriten führen. Zusammen mit in der
Nachbetriebsphase austretendem Methan, Schwefelwasserstoff sowie weiteren
Spaltgasen entsteht ein brennbares, explosives und toxisches Gemisch, welches
bei steigendem Gasdruck die gelösten Radionuklide über unbekannte Wegsam-

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keiten in den Grundwasserbereich pressen oder bei Undurchlässigkeit des Wirts-
gesteins die Stabilität des gesamten Grubengebäudes gefährden kann. Hinzu
kommt ein unbekanntes Gefährdungspotential durch mangelhafte Erkenntnisse
über chemische und physikalische Prozessabläufe wässriger Magnesiumchlo-
ridlauge bei Kontakt mit Plutonium und anderen Transuranen. Diese gefährliche
Gemengelage am Standort Asse II ist weder jetzt noch in 100 oder 10 000 Jahren
hinnehmbar.

Gegen die Einbringung der wässrigen Magnesiumchloridlösung spricht jedoch
auch, dass sie unumkehrbar Fakten schaffen würde. Denn nach dem Zusatz die-
ser wässrigen Lauge wäre eine Rückholung nicht mehr möglich. Aufgrund der
lückenhaften Kenntnisse über die möglichen chemischen und physikalischen
Folgeprozesse in der Nachbetriebsphase von Asse II sowie aufgrund der fehlen-
den Sicherheitsnachweise durch die GSF müssen umgehend Alternativen ge-
prüft werden. Die GSF hat jedoch bislang alternative Lösungswege weder ernst-
haft erwogen, geschweige denn unabhängige Gutachter stichhaltig prüfen las-
sen. Die unklare Situation im Grubengebäude legt nahe, dass nur durch eine
Rückholung der Abfallgebinde der drohenden radioaktiven Kontamination um-
fassend entgegengewirkt werden kann. Diese Option ziehen weder das Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung noch die GSF in Erwägung. Es ist nicht
zu erkennen, ob dieser Auffassung finanzielle Erwägungen oder Sicherheits-
bedenken zu Grunde liegen.

Der gesamte Ablauf am Forschungsendlager Asse II fand bislang quasi unter
Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Planung, Bau und Betrieb des atomaren
Endlagers wurden nicht nach Atomrecht, sondern nach Bergrecht durchgeführt.
Damit wurde eine rechtliche Grundlage für die Beteiligung der Bevölkerung am
Verfahren ausgeschlossen. Es wurde weder ein vernünftiges Auswahlverfahren
durchgeführt noch wurde den umliegenden Gemeinden und anderen Betroffe-
nen die Möglichkeit eingeräumt, formelle und inhaltliche Einwände zu machen.
Ein freier Zugang zu Studien der GSF bzw. zu deren Berichten oder Datenmate-
rial wurde nicht gewährt. Die GSF plant nun das Verfahren auf der gleichen
Rechtsgrundlage fortzusetzen und damit die vitalen Interessen der betroffenen
Bevölkerung erneut zu ignorieren.

Dabei wäre eine Schließung des Endlagers nach Atomrecht problemlos möglich
und im Angesicht des Gefahrenpotentials überfällig. Da es sich bei dem enor-
men Volumen des eingelagerten Atommülls längst nicht mehr um Forschungs-
aufgaben, sondern um ein handfestes Endlagerproblem handelt, gehört es in die
Zuständigkeit des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Die für die Situation in Asse II hauptverantwortlichen Personen, so
wie langjährige wissenschaftliche Berater müssen vom weiteren Verfahren aus-
geschlossen werden.

Von den über 125 000 eingelagerten Fässern stammen über 20 000 aus Atom-
kraftwerken. Es ist unklar, ob alle AKWs, die in Asse eingelagert haben, ohne
diesen Entsorgungsnachweis eine Betriebsgenehmigung erhalten hätten. Wei-
tere circa 15 000 Fässer wurden von der Atomindustrie (Siemens KWU, Trans-
nuklear, Nukem …) eingelagert. Es ist nicht nachvollziehbar, dass bislang keiner
dieser Verursacher an den Endlagerkosten beteiligt wurde.

Die Erkenntnisse von Asse II müssen in die aktuelle Endlagerdebatte einbezo-
gen werden. Würde das Schließungskonzept der GFS verwirklicht, würde erst-
malig in der Welt ein nichtrückholbares Endlager für Atommüll durchgesetzt. Es
widerspricht allen Prinzipien des AkEnd. Atommüll kann man nicht einfach per
Dekret irgendwo im Erdreich vergraben, nur weil die Umstände günstig sind.
Die Gefahr ist zu hoch, dass die Probleme wie jetzt bei Asse II nur Jahrzehnte
später als Bumerang zurückkommen. Eine ernsthafte vergleichende, ergebnis-
offene und transparente Suche nach dem bestmöglichen Endlagerstandort ist ei-
ner vorschnellen Wahl immer vorzuziehen. Bei der aktuellen Suche nach dem

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bestmöglichen Standort für schwach-, mittel- und hochradioaktiven Abfall darf
ein solcher Missgriff nicht noch einmal unterlaufen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. alle geplanten Maßnahmen zur Einbringung gesättigter wässriger Magne-
siumchloridlösung umgehend zu stoppen;

2. alle notwendigen Schritte einzuleiten, um das Grubengebäude der Asse II zu
stabilisieren, alle Leckagen abzudichten und kontinuierlich Kontrollen
durchzuführen;

3. die Rückholung der atomaren Abfälle im Endlager Asse, die sich momentan
als einzig realistische Option darstellt sowie alle parallel dazu notwendigen
Maßnahmen wie Zwischenlagerung und Umkonditionierung als erste Option
zu veranlassen. Jeder Vergleich mit anderen Verfahrensweisen muss die
Gefahr für Mensch und Umwelt transparent aufzeigen. Nur wenn das Gefah-
renpotential gleichwertig oder geringer ist als das der Rückholung, darf diese
Alternativmaßnahme erwogen werden;

4. anzuerkennen, dass es sich bei einem Endlager mit über 125 000 schwach-
und mittelradioaktiven Fässern nicht um Forschung handelt, sondern um die
Endlagerung von Atommüll mit handfesten geologischen Problemen. Alle
weiteren Maßnahmen am Standort Asse II müssen daher nach Atomrecht
durchgeführt werden. Die Verantwortung für Asse II muss vom Bundesmi-
nisterium für Bildung und Forschung auf das Bundesministerium für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit übergehen;

5. umgehend alle Schritte einzuleiten, die die Öffentlichkeitsbeteiligung nach
Atomrecht einfordert. Dazu gehört ein umfassendes Planfeststellungsver-
fahren;

6. alle bisher erstellten Unterlagen zu Asse II öffentlich zugänglich zu machen;

7. zu überprüfen, inwieweit die Atomindustrie, die als Verursacher von mindes-
tens 20 Prozent der eingelagerten Abfälle klar identifiziert ist, an der Finan-
zierung der Endlagerproblematik Asse II beteiligt werden kann;

8. die Lehren aus dem „Forschungsansatz“ Asse II zu ziehen und bei allen
aktuellen und zukünftigen Endlagerplanungen ein ergebnisoffenes und trans-
parentes Suchverfahren nach den Prinzipien des „Arbeitskreises Auswahl-
verfahren Endlagersuche“ (AkEnd) vorzuschalten.

Berlin, den 21. März 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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