BT-Drucksache 16/4660

Haltung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu Menschenrechtsverletzungen gegenüber Flüchtlingen in Marokko

Vom 8. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4660
16. Wahlperiode 08. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke und der Fraktion DIE LINKE.

Haltung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu Menschenrechtsverletzungen
gegenüber Flüchtlingen in Marokko

Marokkanische Behörden haben zwischen dem 23. und 29. Dezember 2006
mehrere Razzien gegen Hunderte von Flüchtlingen in Rabat durchgeführt,
diese zur marokkanisch-algerischen Grenze transportiert und dort in der Wüste
ausgesetzt. Dabei soll es zu Vergewaltigungen, Misshandlungen und Bedrohun-
gen, auch von Kindern und Erkrankten, gekommen sein. Von den Massen-
deportationen und -aussetzungen waren 73 vom UNHCR anerkannte Flücht-
linge und Asylbewerber/-innen betroffen. Menschenrechtsorganisationen wie
Amnesty International und Pro Asyl haben die Übergriffe als schwere Men-
schenrechtsverletzungen kritisiert. Der UNHCR bewertet „den Vorfall als
Verstoß zumindest gegen den Geist der Genfer Flüchtlingskonvention“ (Presse-
mitteilung Amnesty International EU Office vom 9. Januar 2007; Offener Brief
von marokkanischen und europäischen Menschenrechtsorganisationen vom
4. Januar 2007; Pressemitteilung Pro Asyl vom 15. Januar 2007; Antwort der
Bundesregierung auf die Mündlichen Fragen Nr. 26/27 der Abgeordneten Sevim
Dag˘delen vom 17. Januar 2007, Plenarprotokoll 16/75, Anlage 9, S. 6544 B).

Dagegen stellen marokkanische Behörden diese Razzien als Maßnahmen dar,
die auf der Grundlage der Beschlüsse der Euro-Afrikanischen Ministerial-
konferenz zum Thema Migration und Entwicklung basieren, die am 10. und
11. Juli 2006 in Rabat stattfand (Pressemitteilung Amnesty International EU
Office vom 9. Januar 2007; Offener Brief von marokkanischen und europäischen
Menschenrechtsorganisationen vom 4. Januar 2007).

Der Bundesminister des Inneren hat in seinem Arbeitsprogramm für die EU-Rats-
präsidentschaft angekündigt, die bisherigen Verhandlungen der Europäischen
Kommission über Rückführungsabkommen mit Drittstaaten zu evaluieren.
Amnesty International forderte anlässlich der informellen Sitzung des Rates der
EU-Innen- und Justizminister/-innen in Dresden vom 14. bis 16. Januar 2007 den
Bundesminister des Inneren, Dr. Wolfgang Schäuble, auf, im geplanten Rück-
führungsabkommen der EU mit Marokko Garantien zur Einhaltung der Men-
schenrechte der betroffenen Flüchtlinge und Migranten/Migrantinnen zu veran-
kern (Pressemitteilung Amnesty International vom 15. Januar 2007).
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft
und angesichts des menschenrechtswidrigen Handelns Marokkos die Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union aufgefordert, Abschiebungen von
Flüchtlingen in das Herkunfts- bzw. Transitland Marokko auszusetzen und
bilaterale Rückübernahmeabkommen zu kündigen bzw. auszusetzen, und
wenn nicht, warum hält dies die Bundesregierung nicht für notwendig?

Drucksache 16/4660 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Zu welchen Ergebnissen haben die in der Antwort der Bundesregierung auf
die Mündlichen Fragen der Abgeordneten Sevim Dag˘delen vom 17. Januar
2007 genannten Bemühungen der Bundesregierung geführt?

3. Wie bewertet die Bundesregierung im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft
die bisherige Zusammenarbeit der EU mit Marokko bei der Bekämpfung
der „illegalen“ Migration unter Berücksichtigung der oben genannten Er-
eignisse im Dezember 2007?

4. Wie bewertet die Bundesregierung im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft
die Stellungnahme marokkanischer Behörden, die Razzien seien Maßnah-
men, die auf Grundlage der Beschlüsse der Euro-Afrikanischen Minis-
terialkonferenz zum Thema Migration und Entwicklung basieren, die am
10. und 11. Juli 2006 in Rabat stattfand?

5. Inwieweit betrachtet die Bundesregierung die Razzien und Massenver-
schleppungen von Flüchtlingen vom Dezember 2006 durch marokkanische
Behörden als Folge der zunehmenden Abschottung der EU-Außengrenzen
gegenüber Schutzsuchenden durch z. B. den Einsatz von Hubschraubern
und Patrouillenbooten der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX?

6. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung im Rahmen ihrer Ratsprä-
sidentschaft aus weiteren menschenrechtswidrigen Razzien bzw. Verschlep-
pungen von Flüchtlingen an die algerisch-marokkanische Grenze (z. B. aus
Casablanca am 30. und 31. Januar 2007), die seit den Massenverschleppun-
gen im Dezember in kleinerer Zahl von den marokkanischen Behörden wei-
tergeführt worden sein sollen (http://www.migreurop.org/article1045.html)?

7. Welche Schritte wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer Ratspräsident-
schaft unternehmen, falls sich Marokko auch in Zukunft nicht zur Ein-
haltung von Menschenrechtsstandards verpflichtet bzw. diese nicht in der
Praxis achtet?

8. Inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung sich im Rahmen ihrer Rats-
präsidentschaft für eine Überprüfung der bestehenden bilateralen Rück-
führungsabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Herkunfts- bzw.
Transitländern dahingehend einzusetzen, dass diese ausdrücklich auf den
Grundsatz des Non-Refoulements und das Verbot von Kollektivabschie-
bungen sowie weitere Menschenrechtsverpflichtungen verweisen?

9. Wann wird die EU nach Kenntnis der Bundesregierung die Verhandlungen
über das Rückübernahmeabkommen mit Marokko voraussichtlich abschlie-
ßen?

10. Inwieweit wird die Bundesregierung sich im Rahmen ihrer Ratspräsident-
schaft dafür einsetzen, dass das geplante Rückübernahmeabkommen mit
Marokko verbindliche Garantien des internationalen Menschen- und Flücht-
lingsrechts einschließt und insbesondere ausdrücklich auf das Non-Refoule-
ment-Prinzip und das Verbot von Kollektivabschiebungen verweist sowie
gemäß dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter unab-
hängige Kontrolleinrichtungen vorsieht, die den zwangsweisen Vollzug von
Rückführungsentscheidungen überwachen?

11. In welcher Höhe und zu welchem Zweck werden Marokko im Rahmen der
Verhandlungen über ein Rückführungsabkommen mit der EU Finanzmittel
oder andere Formen der Unterstützung (Lieferung von Überwachungsgerä-
ten, Schiffen, Leichensäcken usw.) angeboten?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4660

12. Welche Finanzmittel und welche materiellen Hilfen hat die marokkanische
Regierung seit 2005 von der EU erhalten

a) zum Zweck der Überwachung der marokkanischen Grenzen,

b) zum Aufbau und Betrieb von Flüchtlingslagern,

c) im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit,

d) im Rahmen der Wirtschaftszusammenarbeit (Mittel aus dem Haushalt
für EZ und Wirtschaft)

(bitte nach Jahren auflisten)?

Berlin, den 6. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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