BT-Drucksache 16/4557

Wettbewerb auf den Energiemärkten stärken, eigentumsrechtliche Entflechtung der Transportnetze umsetzen und Möglichkeiten zur Entflechtung bei marktbeherrschenden Stellungen schaffen

Vom 7. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4557
16. Wahlperiode 07. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Dr. Thea Dückert, Hans-Josef Fell, Kerstin Andreae
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wettbewerb auf den Energiemärkten stärken, eigentumsrechtliche
Entflechtung der Transportnetze umsetzen und Möglichkeiten zur Entflechtung
bei marktbeherrschenden Stellungen schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes wurde 2005 ein wesent-
licher Schritt für mehr Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt umgesetzt.
Statt auf freiwillige Vereinbarungen weniger Marktakteuren zu vertrauen, wird
der Netzbetrieb für alle Netznutzer nun staatlich reguliert. Damit wurde ein
wesentlicher Konstruktionsfehler der Umsetzung der ersten europäischen Libe-
ralisierungsrichtlinie in Deutschland korrigiert. Die neu geschaffene Bundes-
netzagentur überprüft seitdem die Kalkulation der Netznutzungsentgelte.

Ein weiteres zentrales Defizit in der Ausgestaltung des Wettbewerbs auf den
Energiemärkten wurde jedoch nur im Ansatz gelöst: die wirksame Trennung
von Netz und Stromerzeugung bzw. Gasbeschaffung. Als „natürliche“ Mono-
polisten müssten Netzbetreiber allen Nutzern, also Erzeugern, Einspeisern,
Händlern und Endkunden, Zutritt zum Netz gewähren. Ein funktionierender
Wettbewerb setzt voraus, dass alle Netznutzer neutral und diskriminierungsfrei
behandelt werden. In Deutschland befinden sich jedoch die Stromübertragungs-
netze im Eigentum der vier großen Energiekonzerne E.ON, RWE, Vattenfall
und EnBW. Diese kontrollieren gleichzeitig auch 90 Prozent der Kraftwerke
und 70 Prozent des Stromabsatzes.

In Konzernen, in denen Netzbetrieb, Stromerzeugung bzw. Gasbeschaffung
sowie Energievertrieb unter einem Konzerndach vereint sind, ist das integrierte
Infrastrukturunternehmen stets motiviert, die Schwesterunternehmen aus dem
eigenen Konzern bei der Nutzung der eigenen Netzen gegenüber Dritten zu
privilegieren. Diese Situation ist auf dem Energiemarkt zu beobachten. Durch
die geballte Marktmacht der vier großen Energieversorger (EVU) in allen drei
Marktsektoren besitzen sie einerseits einen immensen Informationsvorsprung.
Sie verfügen andererseits über ein erhebliches Potenzial zur Marktverzerrung,
das vom einseitigen Kraftwerksabruf über Schikanen beim Netzanschluss, der

Abschottung des Regelenergiemarktes bis hin zur Preisabsprache an den Ener-
giebörsen reicht. Die großen EVU versuchen immer konzernoptimiert zu arbei-
ten und haben daher ein vitales Eigeninteresse daran, ihre Vormachtstellung zu
halten, in dem sie möglichen Konkurrenten den Marktzutritt erschweren.

Die Entflechtungsvorgaben der letzten Energiewirtschaftsnovelle, die für große
EVU eine buchhalterische, informatorische und gesellschaftsrechtliche Ent-
flechtung vorschreibt, sind nicht weitreichend genug, um die Marktmacht dieses

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Oligopols wirksam zu brechen. Gewinne, die vor der staatlichen Regulierung im
Netzbereich erzielt wurden, werden nun durch eine stärkere Ausnutzung im
Bereich der Stromerzeugung gemacht. Der Informationsvorsprung durch den
Übertragungsnetzbetrieb hilft hier ebenso wie die jahrelange Marktverdrängung
lästiger Konkurrenten in der Erzeugung. Ein wesentlicher Schritt, um die ver-
machteten Märkte zu öffnen, ist die effektive Neutralisierung der Netze: der
Schlüssel dazu liegt in der eigentumsrechtlichen Entflechtung der Transport-
netze. Je besser die Entflechtung der Netze desto geringer wird der zukünftige
Regulierungsaufwand durch die Behörde.

Auf einer gemeinsamen Tagung aller europäischen Regulierungsbehörden im
Juni 2006 wurde mit 24 Stimmen ein Votum für eine eigentumsrechtliche Ent-
flechtung gefasst; lediglich die Bundesnetzagentur stimmte gegen diesen Vor-
schlag. EU-Mitglieder wie Dänemark, Finnland, Italien, Niederlande, Spanien,
Schweden, Vereinigtes Königreich, Litauen, Tschechische Republik, Ungarn
oder Slowenien haben diesen Weg bereits eingeschlagen. Auch die EU-Kom-
mission favorisiert dieses Modell. In der Vergangenheit hat vor allem die
Bundesregierung einen gemeinsamen Beschluss zur eigentumsrechtlichen Ent-
flechtung blockiert. Die EU-Kommission hat in ihrem Energiepaket eine neu-
trale Netzregulierung angemahnt. Statt sich den EU-Vorsitz für eine wirksame
Blockade missbrauchen, sollte sich die Bundesregierung für eine effektivere
Wettbewerbsordnung einsetzen. Die eigentumsrechtliche Entflechtung ist ein
notwendiger Schritt dazu.

Weitere Schritte müssen dringend auf den Weg gebracht werden, denn auch nach
der eigentumsrechtlichen Entflechtung der Transportnetze wird der Markt wei-
ter von den vier Konzernen dominiert sein. Notwendig ist es daher, in das Gesetz
gegen Wettbewerbsbeschränkung eine weitere Ebene der Entflechtung von
Konzernen aufzunehmen, die eine marktbeherrschende Stellung haben. Dabei
kann zum Beispiel die Auflage erteilt werden, Erzeugungskapazitäten zu ver-
kaufen. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Vorschläge, die der hessische
Wirtschaftsminister Alois Rhiel in die Debatte gebracht hat. Im US-amerikani-
schen Kartellrecht gibt es die Möglichkeit der Entflechtung bereits seit Ver-
abschiedung des Shermann-Acts 1890. Es wurde für Firmen wie z. B. Standard
Oil Company, AT. & T. und viele andere angewandt. Bisher kann im deutschen
Wettbewerbsrecht der Verkauf von Unternehmensteilen nur als Auflage im
Fusionsgenehmigungsverfahren durchgesetzt werden.

Demgegenüber ist die Verbesserung der Missbrauchsaufsicht bei marktbeherr-
schenden Stellungen von Konzernen wie sie das Bundeswirtschaftsministerium
vorschlägt, nur die drittbeste Lösung. Das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie hat zwar die Defizite bei der Funktionsfähigkeit des Energie-
marktes erkannt und den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung
von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittel-
handels“ zur Novelle des GWB vorgelegt. Die Beweislast bei Missbrauch einer
marktbeherrschenden Stellung soll vom Bundeskartellamt auf die Unternehmen
verlagert werden und die Klage gegen Anordnungen des Bundeskartellamtes
soll keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Damit werden die Handlungs-
möglichkeiten des Kartellamtes gestärkt. Strukturveränderungen wie eine eigen-
tumsrechtliche Entflechtung der Netze oder einer im GWB verankerten Ent-
flechtungsauflage Konzernteile zu verkaufen, um Markmacht zu verringern,
sind deutlich wirksamer als die vorgeschlagene Preisaufsicht. Der Deutsche
Bundestag teilt daher die Auffassung der Wirtschaftsministerkonferenz des
Bundes und der Länder vom 7. November 2006, dass es zum jetzigen Zeitpunkt
verfehlt wäre, „die Erörterung wettbewerbsstärkender Maßnahmen allein auf
die von der Bundesregierung angekündigten Maßnahmen zu beschränken“ und
hält es wie die Konferenz „für notwendig, auch weitergehende gesetzliche Maß-

nahmen zur Schaffung wirksamen Wettbewerbs im Bereich der Stromerzeugung
zu prüfen“ und umzusetzen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4557

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● ein umfassendes Konzept zur Herstellung von Wettbewerb auf den Energie-
märkten vorzulegen;

● sich innerhalb der EU dafür einzusetzen, dass eine eigentumsrechtliche Ent-
flechtung der Transportnetze verpflichtend vorgeschrieben wird;

● ein Konzept zu erarbeiten, in dem festgelegt wird, wer in Zukunft zu welchen
Bedingungen Transportnetze betreiben darf und welche Unternehmen zu-
künftig davon ausgeschlossen werden;

● umgehend alle gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, die nötig sind, um
eine eigentumsrechtliche Entflechtung auf nationaler Ebene zügig umzuset-
zen;

● die Möglichkeit zur Entflechtung von Unternehmen, die eine marktbeherr-
schende Stellung innehaben, in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkun-
gen aufzunehmen.

Berlin, den 7. März 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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