BT-Drucksache 16/4536

Militäraufmärsche in der Öffentlichkeit

Vom 2. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4536
16. Wahlperiode 02. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Monika Knoche, Heike Hänsel, Jan Korte, Kersten
Naumann, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

Militäraufmärsche in der Öffentlichkeit

Öffentlich durchgeführte Gelöbnisse, Große Zapfenstreiche und andere Militär-
zeremonien haben vor allem zwei Funktionen: Zum einen dienen sie der inneren
Verfestigung des militärischen Apparats und seiner Selbstvergewisserung, also
der Produktion von Loyalität nach innen. Gelöbnisse sind Initiationsrituale, bei
denen junge Rekruten auf das Militär eingeschworen werden. Durch das ge-
meinsame Auftreten und das gemeinsame, choralhafte Nachsprechen der Gelöb-
nisformel wird der Verlust der Individualität versinnbildlicht.

Zum anderen wirken Militärzeremonien, vor allem wenn sie außerhalb militä-
rischer Liegenschaften durchgeführt werden, auf die Öffentlichkeit. Sie sind
dann demonstrative Aktionen, mit denen die Bundeswehr ihren Platz in der
Gesellschaft beansprucht. Dieser Platz wird sowohl real als auch symbolisch
besetzt und seiner zivilen Nutzung vorübergehend entzogen. Die Bundeswehr
versucht so, ihre Integration in die Gesellschaft unter Beweis zu stellen. Die
Zeremonien dienen damit der Produktion von Legitimität nach außen.

Häufig misslingt dies allerdings, weil die Bundeswehr gerade in Großstädten auf
massive Kritik stößt. Während die Soldaten in kleineren Städten und Gemeinden
eher ungestört auf Sportplätzen, vor Rathäusern und an anderen öffentlichen Or-
ten auftreten können, finden in den Großstädten anlässlich öffentlicher Militär-
aufmärsche regelmäßig große Demonstrationen statt. Die Gelöbnisse und Zap-
fenstreiche werden dann von Tausenden von Polizisten und Feldjägern vor der
Öffentlichkeit abgeschirmt.

Kritikerinnen und Kritiker der Zeremonien nennen neben der Militarisierung
des öffentlichen Raumes vor allem die beiden bereits genannten Funktionen
solcher Aufmärsche: die Produktion von Loyalität (nach innen) und Legitimität
(nach außen). Die Bundeswehr verdiene jedoch keines von beiden, so die Kri-
tik.

Die Art der gewählten Zeremonien symbolisiert aus dieser Sicht Militarismus
und Demokratiefeindlichkeit. So hieß es im Aufruf zur „Zapfnix“-Demonstra-
tion gegen den Großen Zapfenstreich am 26. Oktober 2005 in Berlin: „Der Zap-
fenstreich ist das zentrale Ritual der preußisch-deutschen Militärgeschichte. Es

steht für eine Jahrhunderte währende Tradition von Kadavergehorsam, Groß-
machtpolitik, Kolonialkriegen, Hurra-Patriotismus und Folgsamkeit im faschis-
tischen Vernichtungsfeldzug. Diese Traditionslinie führt direkt zu den Angriffs-
kriegen, die die Bundeswehr in ihrer jüngsten Vergangenheit und gegenwärtig
unternimmt.“ (http://www.bamm.de/zapfnix/aufruf.shtml). Die Kritikerinnen
und Kritiker sehen daher einen Zusammenhang zwischen der Form und dem
Inhalt: den zunehmenden Auslandseinsätzen und den Umbau der Bundeswehr

Drucksache 16/4536 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

zur Einsatzarmee durch offensive Öffentlichkeitsarbeit abzusichern. Die Zere-
monien werden zum Anlass, um antimilitaristischen Protest gegen die Militari-
sierung der Politik zu artikulieren.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Große Zapfenstreiche, Gelöbnisse und andere Militärzeremonien
wurden im Jahr 2006 außerhalb militärischer Liegenschaften durchgeführt
(bitte nach Art der Zeremonie, Datum und Ort aufgliedern)?

2. Wie viele Bundeswehrsoldaten wurden bei diesen Veranstaltungen vereidigt
bzw. haben ihr Gelöbnis abgelegt?

3. Wie viele weitere Bundeswehrsoldaten kamen dabei zum Einsatz (bitte nach
dem Schema von Frage 1 sowie zusätzlich nach der Funktion aufgliedern)?

4. Bei welchen Anlässen wurden dabei wie viele Feldjäger in Zivilkleidung ein-
gesetzt, und haben diese Festnahmen durchgeführt bzw. veranlasst (wenn ja,
bitte Grund der Festnahme nennen)?

5. Welche Kosten sind für diese Zeremonien einschließlich der Sicherheits-,
Vorbereitungs-, Nachbereitungsmaßnahmen und der Öffentlichkeitsarbeit
entstanden:

a) im Bereich der Bundeswehr (bitte nach Durchführungsort und Einzelpos-
ten aufgliedern),

b) im Bereich der Bundespolizei (bitte nach Durchführungsort und Einzel-
posten aufgliedern),

c) in anderen Bereichen (bitte nach Durchführungsort und Einzelposten auf-
gliedern)?

d) Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die durch die Militärzeremo-
nien veranlassten Kosten auf Ebene der Länder und Kommunen, und
wenn ja, welche?

6. Auf welcher Rechtsgrundlage fanden diese Veranstaltungen statt?

a) Bei welchen Anlässen wurde ein Antrag auf Sondernutzung des Straßen-
landes gestellt?

b) Bei welchen Anlässen wurde der betroffene Bereich als militärischer
Sicherheitsbereich im Sinne des § 2 Abs. 2 des Gesetzes über die Anwen-
dung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse
durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile
Wachpersonen (UZwGBw) eingerichtet?

Wie wurde die Einrichtung des militärischen Sicherheitsbereiches in die-
sen Fällen begründet und welche Gefahreneinschätzung wurde dabei vor-
genommen?

c) Welche weiteren Rechtsgrundlagen wurden zur Durchführung von Mili-
tärzeremonien in der Öffentlichkeit in Anspruch genommen (bitte einzeln
nennen)?

7. Sind die Ausstellungen „Unser Heer“, „Unsere Luftwaffe“ und „Unsere
Marine“ wie vorgesehen aufgelöst worden?

a) Sind sie in andere Elemente der Öffentlichkeitsarbeit aufgenommen wor-
den, und wenn ja, in welcher Form?

b) Gibt es nach wie vor Ausstellungen, die mit den genannten vergleichbar
sind, und wenn ja, wo und an welchen Orten wurden diese im vergangenen

Jahr gezeigt, und an wie vielen Orten und welchen Daten sollen sie in die-
sem Jahr noch gezeigt werden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4536

c) Welche Überlegungen lagen der Entscheidung zur Auflösung bzw. Trans-
formation der Ausstellungen zu Grunde, und wie beurteilt die Bundes-
regierung diese Entscheidung aus heutiger Sicht?

8. Wie viele Große Zapfenstreiche, Gelöbnisse und andere Militärzeremonien
sind bis zum Zeitpunkt der Beantwortung dieser Frage im Jahr 2007 außer-
halb militärischer Liegenschaften durchgeführt worden, und wie viele wer-
den voraussichtlich im Jahr 2007 noch außerhalb militärischer Liegenschaf-
ten durchgeführt (bitte jeweils nach Art der Zeremonie, Datum und Ort
aufgliedern)?

Berlin, den 1. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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