BT-Drucksache 16/4534

Umgang der Bundeswehr mit Angriffskriegsverweigerern

Vom 2. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4534
16. Wahlperiode 02. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Oskar Lafontaine, Inge Höger und der
Fraktion DIE LINKE.

Umgang der Bundeswehr mit Angriffskriegsverweigerern

Der Major der Bundeswehr Florian Pfaff hat im Jahr 2003 die Unterstützung
des völkerrechtswidrigen Irak-Krieges verweigert. Er meldete seinen Vorge-
setzten, dass er alle erhaltenen diesbezüglichen Befehle prüfen müsse und sich
nicht selbst an Verbrechen – auch nicht indirekt – beteiligen werde. Nachdem er
durch seinen unmittelbaren Vorgesetzten darauf hingewiesen worden war, dass
er auch durch die Fortführung seines Hauptauftrages im Projekt SASPF indi-
rekt an diesem Krieg mitwirke, beendete der Major seine weitere Mitarbeit an
dem Projekt zur Optimierung von Organisation und Computersoftware.

Nach Angaben des Majors forderte die Bundeswehrführung den Major damals
auf, nicht mehr zu prüfen, woran er mitwirke, nur noch das ungeprüft auszufüh-
ren, was man ihm künftig befehlen werde. Da der Major aber an seiner Pflicht,
die Rechtslage zu prüfen und am völkerrechtswidrigen Krieg bzw. den Unter-
stützungsleistungen nicht mitzuwirken, festhielt, reagierte die Bundeswehrfüh-
rung auf den angeblichen Ungehorsam mit einer Disziplinarmaßnahme und
einer Strafanzeige. Ein Truppendienstgericht verfügte die Degradierung des
Majors zum Hauptmann. Hiergegen gingen der Major selbst wie auch der
Wehrdisziplinaranwalt in Berufung, letzterer hatte beantragt, den Soldaten
gänzlich aus dem Dienstverhältnis zu entfernen.

Das Bundesverwaltungsgericht gab dem Major mit Urteil vom 21. Juni 2005
Recht, da der Major eine Gewissensentscheidung getroffen habe. Das Gericht
bekräftigte aber nicht nur, dass auch Soldaten einen Anspruch auf die Freiheit
des Gewissens haben, sondern äußerte sich auch zur Völkerrechtswidrigkeit
des Irak-Krieges. Hierfür hätten keine ermächtigenden Beschlüsse des UN-
Sicherheitsrates vorgelegen, so dass das Gericht „gravierende rechtliche Be-
denken“ formulierte. Das gelte auch für die deutschen Unterstützungsleistun-
gen in Form der Duldung von Überflügen von Flugzeugen der Kriegsparteien
USA und Großbritannien, die Nutzungserlaubnis für ihre Einrichtungen, deren
Schutz durch Bundeswehrsoldaten und den Einsatz deutscher Soldaten in
AWACS-Flugzeugen. Das Gericht wies darauf hin, dass ein Befehl, „dessen Er-
teilung oder Ausführung als Handlung zu qualifizieren ist, die geeignet ist und
in der Absicht vorgenommen wird, das friedliche Zusammenleben der Völker

zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten“,
rechtlich unverbindlich sei.

Trotz seines Freispruchs ist Major Florian Pfaff bis heute nicht rehabilitiert.
„Die einer Melange aus Dreistigkeit und Ignoranz entspringenden Schikanen
gegen ihn setzen sich fort“, beschreibt Oberstleutnant Jürgen Rose die Situation
(junge Welt, 14. Dezember 2006, http://www.jungewelt.de/2006/12-14/022.php
?sstr=pfaff).

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Besonders gravierend ist in diesem Zusammenhang die gegen den Major
verhängte Beförderungssperre. Seinen Antrag auf Beförderung – den sein un-
mittelbarer Vorgesetzter ausdrücklich befürwortet – hat das Personalamt der
Bundeswehr unter Hinweis auf das Disziplinarverfahren verweigert. Das Per-
sonalamt äußert Zweifel an der uneingeschränkten persönlichen Eignung und
der Befähigung des Majors. „Auch eine Verwendung bspw. im Rahmen des
derzeitigen ISAF-Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan, zu der Sie dienst-
rechtlich verpflichtet wären, dürfte Ihnen aus den anerkannten Gewissensgrün-
den nicht möglich sein“, heißt es im Bescheid des Personalamts vom 24. Januar
2006. Da sich die Gewissensgründe des Majors auf ein Völkerrechtsdelikt be-
zogen, legt dies den Schluss nahe, das Personalamt der Bundeswehr halte selbst
den ISAF-Einsatz für geeignet, entsprechende Gewissensgründe zu wecken.

Aus Sicht der Fragesteller ist dies höchst problematisch. Aus der Wahrneh-
mung einer Gewissensentscheidung darf kein berufliches Laufbahnproblem
resultieren. Ansonsten wird faktisch die Ausübung der Gewissensfreiheit unzu-
lässig eingeschränkt. Im konkreten Fall kommt hinzu, dass sich die Gewissens-
entscheidung des Majors Florian Pfaff ausdrücklich auf die Beihilfe zu einem
– nach herrschender juristischer Meinung – völkerrechtlichen Delikt bezogen
hatte. Diese Beihilfe ist, wie das Bundesverwaltungsgericht entschied, selbst
„ein völkerrechtliches Delikt“. Warum ein Soldat, der das Verbot eines An-
griffskrieges ernst nimmt und aus Gewissensgründen seine Beteiligung daran
ablehnt, nur „eingeschränkt verwendungsfähig“ sein soll, ist nicht einsichtig.

Major Florian Pfaff hat gegen die Verweigerung der Beförderung und der lauf-
bahnrechtlichen Schadlosstellung Rechtsmittel vor dem Bayerischen Verwal-
tungsgericht und dem Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Unabhängig von
diesem konkreten Fall stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die Bundes-
wehr aus dem Urteil zieht. Der Umstand, dass der Major erst einen langen und
aufwändigen Prozess führen musste, um sein Grundrecht auf Gewissensfreiheit
gegen die Bundeswehrverwaltung zu verteidigen, deutet darauf hin, dass inner-
halb des Militärs die Gewissensfreiheit bedroht ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist es für die Verwendungsfähigkeit eines Soldaten von Belang, dass er sich
dazu bereit erklärt, auch an völkerrechtswidrigen Handlungen teilzunehmen
bzw. Unterstützungsleistungen für völkerrechtswidrige Handlungen zu er-
bringen (bitte begründen)?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung des Personalamts der
Bundeswehr, Major Florian Pfaff sei „aus den anerkannten Gewissensgrün-
den“ nur „eingeschränkt verwendungsfähig“ insbesondere vor dem Hinter-
grund, dass sich diese Gewissensgründe auf die Völkerrechtswidrigkeit
eines Krieges bezogen und vom Bundesverwaltungsgericht anerkannt
wurden?

3. Worin genau besteht für die Bundeswehr das Problem, wenn Soldaten aus
Gewissensgründen Befehle verweigern, deren Befolgung auch vom Bundes-
verwaltungsgericht für völkerrechtlich bedenklich eingeschätzt werden und
nach der herrschenden juristischen Meinung als Rechtsbruch gelten?

4. Wie will die Bundesregierung verhindern, dass die Freiheit des Gewissens
von Bundeswehrsoldaten dadurch beeinträchtigt wird, dass sie mit laufbahn-
rechtlichen Sanktionen und Ungleichbehandlungen rechnen müssen, und
zwar selbst dann, wenn sich die vorangegangenen Disziplinarmaßnahmen
letztinstanzlich als rechtswidrig herausstellen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4534

5. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, es sei verfassungs-
rechtlich höchst problematisch, dass die Vorgesetzten des Majors Florian
Pfaff im Jahr 2003 von diesem verlangten, über die völkerrechtliche Proble-
matik des Irak-Krieges und seine individuelle Unterstützung desselben hin-
wegzusehen (Darstellung des Majors, junge Welt, 14. Dezember 2006) (bitte
begründen)?

a) Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass es erfor-
derlich ist, geeignete Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass Vor-
gesetzte in Zukunft erneut ihre Untergebenen auffordern, die Rechtslage
zu ignorieren, wie es im Fall des Majors Florian Pfaff geschehen ist, und
welche Maßnahmen hat sie bereits ergriffen bzw. gedenkt sie noch zu er-
greifen?

b) Gibt es andere Fälle, in denen Vorgesetzte ihre Untergebenen aufgefor-
dert haben, über Rechtsprobleme und Gewissenskonflikte hinwegzuse-
hen, selbst wenn es um Unterstützungsleistungen für einen Angriffskrieg
geht, und wenn ja, welche, wenn nein, warum wurde dies von Major
Florian Pfaff verlangt?

c) Ist es aus Sicht der Bundesregierung unerwünscht, wenn Soldaten der
Bundeswehr darauf hinweisen, dass die Ausführung eines Befehls völker-
rechtswidrig bzw. als Beihilfe zu einem Völkerrechtsdelikt zu werten ist,
und die Ausführung deshalb verweigern (bitte begründen)?

d) Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, die Aufforde-
rung, die mögliche Rechtswidrigkeit von Befehlen (§ 5 des Wehrstraf-
gesetzes) zu ignorieren, stelle ein Strafrechtsdelikt dar, und gedenkt sie,
gegen die damals Verantwortlichen entsprechende Ermittlungen einleiten
zu lassen (bitte begründen)?

6. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Personalamts der Bundes-
wehr, eine laufbahnrechtliche Schadlosstellung des Majors Florian Pfaff sei
abzulehnen, weil dieser selbst den Anlass für Ermittlungs- und Gerichtsver-
fahren gegeben habe (bitte begründen), und wenn ja,

a) wie beurteilt die Bundesregierung die genannte Einschätzung des Perso-
nalamts vor dem Hintergrund, dass das Bundesverwaltungsgericht ausge-
führt hat: „Nicht damit rechnen musste er [Major Florian Pfaff] dagegen
damit, dass die an Recht und Gesetz (Artikel 20 Abs. 3 GG) und damit
auch an das geltende Völkerrecht gebundene Regierung der Bundesrepu-
blik Deutschland im Zusammenhang mit einem Krieg, gegen den gravie-
rende völkerrechtliche Bedenken bestehen, militärische Unterstützungs-
leistungen zugunsten der USA und ihrer Verbündeten beschließen und
erbringen würde…“;

b) hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, dass nicht der Major,
der ein Völkerrechtsdelikt aus Gewissensgründen verweigert hat, sondern
dessen Vorgesetzte den eigentlichen Anlass für Ermittlungs- und Ge-
richtsverfahren gegeben haben, und zu welchen Ergebnissen ist sie dabei
gekommen?

7. Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus der Niederlage vor dem
Bundesverwaltungsgericht gezogen?

a) Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um militärische
Diensthabende dahingehend zu sensibilisieren, Soldaten, die aus Gewis-
sensgründen die Beteiligung an Angriffskriegen verweigern, gewissens-
schonende diskriminierungsfreie Handlungsalternativen zu bieten?

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b) Welchen Niederschlag findet die Sensibilisierung der Bundeswehrgene-
ralität und der Rechtsberater und Rechtslehrer hinsichtlich Völkerrecht
und Gewissensfreiheit seit Veröffentlichung der Urteilsbegründung?

c) Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um zu verhin-
dern, dass Soldaten, die keine völkerrechtswidrigen Befehle ausführen
und auch keine Beihilfe zu Völkerrechtsdelikten leisten wollen, diszi-
plinarisch, strafrechtlich oder laufbahnmäßig belangt bzw. benachteiligt
werden?

8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, der Umstand,
dass Major Florian Pfaff sein Grundrecht auf Gewissensfreiheit durch ei-
nen aufwändigen Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen die
Bundeswehr verteidigen musste und trotz Erfolges im Rechtsstreit doch
benachteiligt wird, lege eklatante Mängel im Grundrechteverständnis mili-
tärischer Diensthabender offen (bitte begründen)?

9. Teilt die Bundesregierung die Haltung der Bundeswehr, die im Leitfaden
„Hinweise für Rechtsberater und Rechtslehrer – Umgang mit Soldaten und
Soldatinnen, die aus Gewissensgründen Befehle nicht befolgen wollen“
ausführt: „Das Verhalten des Soldaten, über das der Wehrdienstsenat am
21.06.2005 entschieden hat, eignet sich allerdings nicht als praktisches
Beispiel für eine schützenswerte existentielle Gewissensnot. Nach hier ver-
tretener Auffassung fehlte es an einer hinreichenden Kausalkette zwischen
der aus Gewissensgründen abgelehnten Befehlsausführung und einer auch
nur mittelbaren Unterstützung der USA im Irak-Krieg. Insofern gab es,
entgegen der Auffassung des Senats, in dem entschiedenen Fall keine echte
Gewissensentscheidung“?

a) Wie kommt die Bundeswehr dazu, die Rechtsfindung des Bundesver-
waltungsgerichts korrigieren zu wollen?

b) Wie viel Vertrauen in den Rechtsstaat und in ihre eigenen Bürgerrechte
können Soldatinnen und Soldaten noch haben, wenn die Rechtslehre der
Bundeswehr die letztinstanzliche Rechtsprechung eines Bundesgerichts
ablehnt?

10. Teilt die Bundesregierung die Lehre der Bundeswehr, die sich im Leitfaden
„Hinweise für Rechtsberater und Rechtslehrer – Umgang mit Soldaten und
Soldatinnen, die aus Gewissensgründen Befehle nicht befolgen wollen“
findet, dass einzelne Soldatinnen und Soldaten einen Befehl, der gegen das
Verbot des Angriffskrieges verstößt, nicht als unverbindlich betrachten
sollten, sondern dass dem Verbot nur Bundeswehrangehörige unterliegen,
die „als sicherheits- und militärpolitische Berater/Beraterinnen eine her-
ausgehobene Funktion im Regierungsapparat ausüben“, und wenn ja, wie
will die Bundesregierung den Eindruck vermeiden,

a) sie verlange von der Masse der Soldaten, sich auch im Fall völker-
rechtswidriger Angriffskriege zur Mitwirkung rechtlich verpflichtet zu
fühlen,

b) sie behalte sich die Unterstützung völkerrechtswidriger Angriffskriege
faktisch vor?

11. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass Soldaten,
die sich der Unterstützung völkerrechtlicher Delikte verweigern, und Sol-
daten, die sich der Aufforderung verweigern, die Rechtslage nicht zu beach-
ten, ausgezeichnet statt bestraft und benachteiligt werden müssten?

12. Beabsichtigt die Bundesregierung, eine Auszeichnung des Majors Florian
Pfaff vorzunehmen (bitte begründen und ggf. darlegen, welche Auszeich-

nung geplant ist)?

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13. Befürwortet die Bundesregierung eine öffentliche Diskussion zu dem
Thema, und wäre sie bereit, mit Major Florian Pfaff, der hierzu ausdrück-
lich bereit ist, darüber öffentlich zu diskutieren, und wenn ja, welche Maß-
nahmen will sie hierzu ergreifen, wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 1. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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