BT-Drucksache 16/4522

Beteiligung ausländischer Delegationen an Verfahren zur Identitätsfeststellung in Asyl- bzw. Abschiebungsverfahren

Vom 2. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4522
16. Wahlperiode 02. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Jan Korte
und der Fraktion DIE LINKE.

Beteiligung ausländischer Delegationen an Verfahren zur Identitätsfeststellung
in Asyl- bzw. Abschiebungsverfahren

Fehlende Identitätsnachweise sind ein häufiges tatsächliches Abschiebungshin-
dernis bei ausreisepflichtigen ausländischen Staatsangehörigen. In manchen
Fällen ist die Feststellung der Herkunft oder Identität ganz unmöglich. Dies
führt dazu, dass die Betroffenen von ihren vermutlichen Herkunftsstaaten u. U.
nicht aufgenommen werden.

In Reaktion darauf greifen verschiedentlich Ausländerbehörden auf Identifizie-
rungen durch Botschaftsangehörige oder Delegationen aus den vermutlichen
Herkunftsländern zurück. Eine erste solche Zusammenarbeit fand mit vietname-
sischen Behörden im November 2001 statt. Seitdem mehren sich Berichte über
eine solche Zusammenarbeit, vor allem mit afrikanischen Staaten. Jedoch tau-
chen auch immer wieder Zweifel an der Legitimation der jeweiligen Delega-
tionen auf. So bekundeten mehrere guineische Staatsangehörige, dass der Leiter
einer Delegation, welcher sie vorgeführt worden waren, zuvor in Guinea als
Schleuser aufgetreten sei (s. u. a. WELT am SONNTAG vom 14. Mai 2006).
Nach einem Bericht der schweizer Zeitschrift „antidot“ vom Dezember 2006
handelt es sich um einen Chefbeamten der juristischen Abteilung des Außenmi-
nisteriums in Conakry, der gegen hohe Summen Schengen-Visa und andere Pa-
piere „besorge“. Seine Behörde sei skrupellos und jederzeit bereit, „Menschen
verschwinden zu lassen“. Er sei auch in der Schweiz als Teilnehmer einer De-
legation aufgetreten, die für über 90 Prozent der vorgeführten Afrikaner ein
„laissez passer“ ausgestellt habe. Die Botschaft Guineas in Deutschland habe
sich von dem Beamten nach Protesten distanziert.

In einer Mitteilung des Vereins Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e. V.
wird wiederum von einer nigerianischen Delegation berichtet, die allerdings der
nigerianischen Botschaft in Deutschland nicht bekannt sei.

Eine besondere Schwierigkeit erwächst daraus, dass es sich bei der Identitäts-
feststellung durch ausländische Delegationen nicht um ein deutsches, sondern
ein ausländisches Verwaltungsverfahren handelt. Deutsches Recht wird heran-
gezogen, um die Teilnahme an diesen Vorführungen zu erzwingen, namentlich

§ 82 Abs. 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), obwohl es sich bei den
Delegationen nicht um Vertretungen des Staates (Botschaften, konsularische
Vertretungen) im Sinne des Gesetzes handelt. In einem bekannten Fall wurde so-
gar Sicherungshaft verhängt, um die Vorführung einer Person sicherzustellen,
was vom Landgericht Gießen jedoch als unzulässig beurteilt wurde (vgl. Druck-
sache 16/4743 des Hessischen Landtags, Frage 6).

Drucksache 16/4522 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Von welchen Delegationen im Sinne der Vorbemerkung aus welchen Staa-
ten hat die Bundesregierung Kenntnis, die 2006 in Deutschland aktiv waren
und

a) die Botschaftsangehörige einer ausländischen Botschaft in der Bundes-
republik Deutschland waren;

b) die als Experten von den zuständigen Stellen (in der Regel das Außen-
ministerium) des vermuteten Herkunftsstaates gegenüber der dortigen
deutschen Botschaft/dem Auswärtigen Amt benannt wurden?

Welche Stellen des jeweiligen Landes waren jeweils befasst, und wem
gegenüber erfolgte die Benennung (bitte auflisten)?

c) Wie wird ihre Legitimation gegebenenfalls geprüft?

2. Sind bei den Befragungen anwesende Beamtinnen und Beamte des Bundes
angewiesen, die Identität und Legitimität der Delegationsangehörigen vor
der Befragung zu überprüfen, und über welche Möglichkeiten verfügen sie
dabei?

3. Ist der Bundesregierung der Beschluss 4 V 2731/05 vom 3. Januar 2006 des
Verwaltungsgerichts Bremen bekannt, mit dem eine beabsichtigte Vorfüh-
rung vor eine Delegation aus Guinea als voraussichtlich rechtswidrig beur-
teilt wurde, weil aus der ausländerrechtlichen Verfügung nicht hervorgegan-
gen sei, „welchen Personen der Antragsteller hier vorgestellt werden sollte,
und ob und inwieweit es sich hier um autorisierte Vertreter [des] Staates
Guinea handelte“, und welche Schlussfolgerungen zieht sie hieraus?

4. Wie begründet sich der Einsatz von Beamten der Behörden der mutmaß-
lichen Herkunftsländer überhaupt, wo doch das Ausstellen der Passersatz-
papiere genuin Aufgabe der betreffenden Botschaften im Rahmen der kon-
sularischen Betreuung eigener Staatsbürger ist?

5. Wie viele ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige wurden 2006
solchen Delegationen vorgeführt, wie viele konnten dadurch identifiziert
werden, und wie viele wurden in der Folge abgeschoben (bitte nach den
jeweils angenommenen Herkunftsländern auflisten)?

6. Welche Rechtsmittel stehen den Vorgeladenen zur Verfügung, um sich einer
Vorladung zu verweigern?

Das Verwaltungsrecht welchen Staates ist dabei anzuwenden?

7. Werden die Delegationsangehörigen selbst auf mögliche Verbindungen zu
informellen Organisationen oder Netzwerken überprüft, die das Ziel haben,
Migrantinnen und Migranten den illegalen Grenzübertritt nach Deutschland
bzw. in die EU zu ermöglichen?

Wie würde bei einer positiven Feststellung verfahren?

8. In wie vielen Fällen kam es 2006 zu Asylfolgeanträgen nach solchen Vor-
führungen?

9. In welcher Höhe erhielten die Delegationen 2006 Aufwandsentschädigun-
gen und Tagegeld (bitte nach Herkunftsländern aufschlüsseln)?

10. Wie begründet sich die Zahlung von Aufwandsentschädigungen und Tage-
geld für Delegationen ausländischer Staaten, die im Auftrag dieser Staaten
Verwaltungsakte in Deutschland ausführen, auf welcher Rechtsgrundlage
geschieht dies, und in welchem Haushaltstitel werden diese Kosten ver-
bucht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4522

11. Wird bei der Umsetzung dieser ausländischen Verwaltungsakte in Deutsch-
land beachtet, inwiefern den vorgeführten Ausländerinnen und Ausländern
nach dem jeweiligen Verwaltungsrecht des zuständigen Staates ein Rechts-
beistand beigestellt werden kann?

12. Besteht nach deutschem bzw. nach Verfassungsrecht ein Anspruch auf Bei-
ziehung und Anwesenheit eines Rechtsbeistandes im Rahmen einer Befra-
gung durch eine ausländische Delegation zur Feststellung der Identität, und
was sind seine Rechte?

13. Wird bei der Umsetzung von § 82 Abs. 4 Satz 1 und von § 49 Abs. 1
AufenthG berücksichtigt, dass ein Ausreisepflichtiger beim für die Identi-
tätsfeststellung geltenden ausländischen Verwaltungsverfahren von einem
evtl. bestehenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht?

14. Wie wird von den beteiligten deutschen Beamten und Beamtinnen im Rah-
men einer Vorführung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG praktisch kontrol-
liert, dass die geforderten Erklärungen mit dem deutschen Recht in Einklang
stehen (§ 49 Abs. 1 AufenthG), wenn die Befragung nicht simultan oder
Wort für Wort übersetzt wird und lediglich eine Dolmetscherin bzw. ein
Dolmetscher „zur Verfügung“ steht bzw. „zu Rate“ gezogen werden könnte
(vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 16/339 zu den
Fragen 13 und 17)?

15. Welche weiteren UN-Konventionen – neben der UN-Konvention für Son-
dermissionen (vgl. Bundestagsdrucksache 16/339, Antwort zu Frage 8) –
hat die Bundesrepublik Deutschland nicht unterzeichnet, die aber im
Wesentlichen als Völkergewohnheitsrecht angewandt werden?

Berlin, den 1. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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