BT-Drucksache 16/4466

Zur Struktur und Effizienz der Förderpolitik zugunsten der neuen Länder

Vom 1. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4466
16. Wahlperiode 01. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Mücke, Joachim Günther (Plauen), Horst Friedrich
(Bayreuth), Patrick Döring, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Mechthild
Dyckmans, Ulrike Flach, Otto Fricke, Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich
L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk,
Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Patrick Meinhardt, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank
Schäffler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der
Fraktion der FDP

Zur Struktur und Effizienz der Förderpolitik zugunsten der neuen Länder

In Wissenschaft und Politik war die Förderpolitik zugunsten der neuen Länder
von Anfang an geprägt vom Dissens darüber, ob eine Konzentration der Förde-
rung insbesondere auf Ballungsgebiete, industrielle Kerne und Dienstleistungs-
zentren sinnvoll sei oder eher eine Förderung in der Breite, die insbesondere die
weniger entwickelten Regionen und Branchen unterstützt. Die Schwerpunkt-
förderung wird dabei im Allgemeinen dadurch gerechtfertigt, dass der Grenz-
ertrag des eingesetzten Kapitals hier höher ist, so genannte Leuchttürme, die
weitere Unternehmen anziehen, eher entstehen und eigenständiges Wachstum
schneller erreicht wird. Die Förderung in der Breite rechtfertigt sich dagegen
vor allem durch Gerechtigkeitsaspekte und die kurzfristige Angleichung der
Lebensverhältnisse durch höheren Konsum in strukturschwächeren Gebieten.

Offensichtlich stehen bei begrenzten Fördermitteln die beiden Strategien in
einem Konflikt miteinander. Die Bundesregierung beschreibt im Jahresbericht
zum Stand der Deutschen Einheit 2006 eine Förderstrategie, die beides ver-
einen soll. Eine solche Doppelstrategie kann jedoch nur dann sinnvoll sein,
wenn sich die Förderung nicht nur im Einsatzgebiet (sektorale und regionale
Schwerpunkte gegenüber der gesamten Breite aller Branchen und Regionen),
sondern in ihrem Wesen, also in Art und Umfang unterscheidet. Andernfalls
wäre eine stringente Strategie nicht erkennbar. Eine klare Abgrenzung und Zu-

ordnung der vorhandenen Förderprogramme der Bundesregierung unter Ein-
beziehung der Förderprogramme der Europäischen Union scheint also über-
fällig und zweckdienlich.

Da die Mittel aus dem Solidarpakt II bis 2019 zeitlich degressiv gestaffelt sind
und danach nicht mehr weitergeführt werden, ist eine zeitnahe, genaue Evaluie-
rung der Effektivität der bisher eingesetzten Fördermittel notwendig, um die

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verbleibenden Mittel effizienter lenken zu können. Insbesondere ist zu über-
prüfen, ob die Länder ihrer hohen Verantwortung, die ihnen überlassenen Mit-
tel bestimmungsgemäß zu verwenden, nachgekommen sind und die Ziele des
Solidarpakts bis 2019 erreicht werden können.

Angesichts der bei technologieorientierter Förderpolitik immer vorherrschen-
den Problematik der Technologie- und damit verbundenen Marktprognose
müssen weiterhin die Entscheidungsstrukturen der Förderpolitik transparent an
eindeutige Kriterien geknüpft und für alle Marktteilnehmer gerecht ausgestaltet
werden, um Willkürentscheidungen und „Überförderungen“ einzelner zurzeit
populärer Branchen zu vermeiden.

Dies gilt in besonderem Maße für die Innovationsförderung. Hier ist eine pro-
jekt- und technologieneutrale Förderung wegen des nur schwer zu lösenden
Prognoseproblems zu begrüßen. Besonderer Wert ist daher auf die Rahmen-
bedingungen der Grundlagenforschung und der Umsetzung von Ideen und
Erfindungen zu legen. Interessant scheint hier die Evaluierung der Effizienz der
von der Bundesregierung geförderten Patentverwertungsagenturen.

Besonders relevant für die neuen Bundesländer scheint ferner das Problem des
Fachkräftemangels, das sich in den nächsten Jahren weiter zu verschärfen
droht.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Solidarpaktmittel

1. Hält die Bundesregierung die derzeitige Verwendung der Solidarpaktmittel
für geeignet, die teilungsbedingten Sonderlasten aus dem bestehenden infra-
strukturellen Nachholbedarf zu decken und die unterproportionale kommu-
nale Finanzkraft auszugleichen?

2. In welchen Bundesländern hat die Bundesregierung eine nicht bestim-
mungsgemäße Verwendung der Solidarpaktmittel festgestellt?

3. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die Solidarpaktmittel bestim-
mungsgemäß verwendet werden?

4. Wie viel Prozent der Solidarpaktmittel wurden in den einzelnen Bundes-
ländern pro Jahr dafür verwendet, den infrastrukturellen Nachholbedarf zu
decken?

5. Wie viel Prozent der Solidarpaktmittel wurden in den einzelnen Bundes-
ländern pro Jahr dafür verwendet, die unterproportionale kommunale
Finanzkraft auszugleichen?

6. Wie haben sich Infrastruktur und kommunale Finanzkraft seit Bestehen des
Solidarpakts in den einzelnen Bundesländern entwickelt?

7. Inwieweit sind diese Entwicklungen auf die Verwendung der Solidarpakt-
mittel zurückzuführen?

8. Hält die Bundesregierung nach der Evaluierung der tatsächlichen Ver-
wendung der Sonderbedarf-Bundesergänzungszuweisungen in den Neuen
Ländern eine weitere ungebundene Zuweisung für zweckdienlich?

9. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die nach Artikel 107
Abs. 2 Satz 3 GG ungebundenen Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuwei-

sungen in zweckgebundene Zuweisungen umzuwandeln?

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10. Ist die Äußerung des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung, Wolfgang Tiefensee, in der Chemnitzer „Freien Presse“ vom
18. Januar 2007, dass es noch mindestens 15 bis 20 Jahre großer
Anstrengung bedürfe, bis im Osten die wirtschaftliche Wende erreicht sei,
dahingehend zu interpretieren, dass die Bundesregierung nach Auslaufen
des Solidarpakts II 2019 weitere Transferleistungen oder gar einen „Soli-
darpakt III“ befürwortet?

Falls nein, welche anderen Anstrengungen plant die Bundesregierung ab-
gesehen von den bestehenden Förderprogrammen, um die „wirtschaftliche
Wende“ zu erreichen?

11. Ist bei sinnvoller Fortschreibung der bisherigen Entwicklungen zu er-
warten, dass in den einzelnen Bundesländern die unter 1. beschriebenen
Ziele bis zum Auslaufen der Solidarpaktmittel 2019 erreicht werden?

Falls nein, welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um
diese Ziele zu erreichen?

12. Erwartet die Bundesregierung aufgrund der Rückführung der Transfer-
leistungen von Ost nach West bis 2019 im Ost-West-Vergleich eine diver-
gierende Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts?

Wenn ja, in welchem Ausmaß?

13. Mit welchen langfristigen Folgen für die Wirtschaftsstruktur der betroffe-
nen Länder ist zu rechnen, falls die unter 1. beschriebenen Ziele bis 2019
nicht erreicht werden?

II. Schwerpunktförderung

14. Welche Programme zur Investitionsförderung können kleine und mittel-
ständische Unternehmen unter Berücksichtigung der Förderprogramme der
EU in Ostdeutschland in Anspruch nehmen und welche Voraussetzungen
müssen sie dafür jeweils erfüllen?

15. Hat die Bundesregierung vor, ein Gesamtkonzept zur Schwerpunktförde-
rung vorzulegen?

Wenn ja, bis wann?

16. Wie definiert die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Schwerpunkt-
förderung Cluster und Wachstumspole?

17. Wie stellt die Bundesregierung die zielgenaue Förderung von Clustern und
Wachstumspolen sicher?

18. Welche Kriterien liegen förderungswürdigen Schwerpunkten in Abgren-
zung zu nicht förderungswürdigen Regionen, Branchen oder Kompetenz-
feldern zugrunde?

19. Wie stellt sich der Entscheidungsprozess dar, in dem festgelegt wird,
welche Schwerpunkte im Sinne der Schwerpunktförderung förderungs-
würdig sind?

20. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass einzelne populäre Branchen
und Kompetenzfelder (wie z. B. die Photovoltaik) im Gegensatz zu weni-
ger populären Branchen und Kompetenzfeldern (wie z. B. der Solar-
thermie) nicht über ein angemessenes Maß hinaus gefördert werden?

21. Inwieweit will die Bundesregierung städtisches Umland und ländliche
Regionen bei der Schwerpunktförderung mit einbeziehen und wodurch
kennzeichnet sich hierbei die Schwerpunktförderung im Gegensatz zur

Investitions- und Mittelstandsförderung der breit angelegten Förder-
strategie?

Drucksache 16/4466 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

22. Konzentriert sich die Regionalförderung der Bundesregierung in Ost-
deutschland auf Ballungsgebiete oder läuft sie der Zentrenbildung ent-
gegen?

23. Konzentriert sich die Regionalförderung der EU auf Ballungsgebiete?

Falls nein, hat die Bundesregierung in der Zeit der Ratspräsidentschaft der
Bundeskanzlerin vor, dies zugunsten der Förderung von Ballungsgebieten
zu ändern?

24. Welche konkreten Fördermaßnahmen seit 2002 lassen sich unter dem
Begriff „Schwerpunktförderung“ subsumieren?

III. Breit angelegte Förderung

25. Welche Förderprogramme unterhalb der Strategie „breit angelegte Förde-
rung“ (ausgenommen Förderprogramme zur Innovationsförderung) können
kleine und mittelständische Unternehmen unter Berücksichtigung der För-
derprogramme der EU in Ostdeutschland in Anspruch nehmen und welche
Voraussetzungen müssen sie dafür jeweils erfüllen?

26. Hat die Bundesregierung vor, ein Gesamtkonzept zur breit angelegten
Förderung vorzulegen?

Wenn ja, bis wann?

27. Wo liegen die Unterschiede in Art und Umfang zwischen der Investitions-
förderung unterhalb der Förderstrategie „Schwerpunktförderung“ auf der
einen und der Investitionsförderung unterhalb der Förderstrategie „breit an-
gelegte Förderung“ auf der anderen Seite?

28. Sieht die Bundesregierung einen Zielkonflikt zwischen der Schwerpunkt-
förderung und der breit angelegten Förderung?

29. Welche konkreten Maßnahmen im Bereich der Investitions- und Mittel-
standsförderung seit 2002 lassen sich unter der Förderstrategie „breit an-
gelegte Förderung“ subsumieren?

30. Gibt es oder plant die Bundesregierung konkrete Maßnahmen, um die
Stimmung in Ostdeutschland, die nach dem Sozialreport 2006 des Sozial-
wissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg einen neuen
Tiefpunkt erreicht hat, zu verbessern?

IV. Innovationsförderung

31. Welche Förderprogramme zur Innovationsförderung können kleine und
mittelständische Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen in Ost-
deutschland in Anspruch nehmen, und welche Voraussetzungen müssen sie
dafür jeweils erfüllen (bitte aufschlüsseln nach projektbezogenen, techno-
logieorientierten und allgemeinen Förderprogrammen)?

32. Wie und von wem wird bei der Entscheidung über projekt- und techno-
logieorientierte Förderprogramme prognostiziert, welche Projekte und
Technologien auf zukünftigen Märkten erfolgreich sein werden und somit
förderungswürdig sind?

33. Wie viele Patente sind seit 1998 in den ostdeutschen Bundesländern jähr-
lich angemeldet worden, und wie viele davon wurden umgesetzt und ge-
langten zur Marktreife (bitte aufgeschlüsselt nach Anmeldungen von For-
schungseinrichtungen und Sonstigen)?

34. Was lässt sich in Bezug auf die Forschung und Entwicklung sowie deren
Umsetzung in Ostdeutschland ableiten, wenn man diese Zahlen in Relation

zu den in Westdeutschland angemeldeten und umgesetzten Patenten setzt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/4466

35. Wie hat sich der Anteil der verwerteten Patente an den insgesamt angemel-
deten Patenten seit der Förderung von Patentverwertungsagenturen durch
die Bundesregierung in Ost- und Westdeutschland entwickelt und inwie-
weit kann man diese Entwicklung auf die Arbeit der von der Bundesregie-
rung geförderten Patentverwertungsagenturen zurückführen?

36. Mit welchem finanziellen Aufwand hat die Bundesregierung seit 2002
Patentverwertungsagenturen jährlich gefördert?

37. Wie viele Patente wurden seit 2002 in Ost- und Westdeutschland durch
von der Bundesregierung geförderte Patentverwertungsagenturen betreut,
wie viele davon wurden erfolgreich verkauft, und wie viele wurden zur
Marktreife gebracht?

38. Wie viele Ausgründungen aus Forschungseinrichtungen wurden von die-
sen Patentverwertungsagenturen gefördert?

39. Nach welchen Kriterien evaluiert die Bundesregierung die Effizienz der
Patentverwertungsagenturen, und was ist das Ergebnis dieser Evaluation?

V. Fachkräftemangel

40. In welchen Branchen und Regionen ist ein Fachkräftemangel in den neuen
Bundesländern bereits feststellbar?

41. Erwartet die Bundesregierung in Ostdeutschland vor dem Hintergrund der
Abwanderung junger und qualifizierter Arbeitskräfte nach Westdeutsch-
land und ins Ausland in den nächsten Jahren einen höheren Fachkräfteman-
gel als in Westdeutschland?

Wenn ja, in welchem Umfang?

42. Mit welchen konkreten Maßnahmen verbessert die Bundesregierung die
Zusammenführung unternehmerischer Nachfrage und regionalen Qualifi-
kationspotenzials?

43. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, die Abwanderung
von Fachkräften aus den neuen Bundesländern zu stoppen?

44. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um den Anreiz
für Fachkräfte aus anderen Regionen und aus dem Ausland zu erhöhen,
sich in den neuen Bundesländern anzusiedeln?

45. Welche anderen Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um dem Fach-
kräftemangel in den neuen Bundesländern entgegenzutreten?

Berlin, den 27. Februar 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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