BT-Drucksache 16/4401

Bekämpfung von Rassismus in der EU unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft

Vom 27. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4401
16. Wahlperiode 27. 02. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke und der Fraktion DIE LINKE.

Bekämpfung von Rassismus in der EU unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft

Rassismus soll nach dem Willen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft europa-
weit einheitlich bestraft werden. Nachdem Verhandlungen über einen Rahmen-
beschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bereits
2001 an der Uneinigkeit der damals 15 EU-Mitglieder scheiterten und es auch
im Rahmen der Luxemburger EU-Präsidentschaft 2005 keine Fortschritte gab,
setzt die Bundesregierung das Thema wieder auf die Agenda. Vorher hatte die
Bundesregierung angekündigt, das Leugnen des Holocausts und die Darstellung
von Nazi-Symbolen in der gesamten EU per Gesetz verbieten lassen zu wollen.
Holocaust-Leugner beispielsweise sollten mindestens mit Haft zwischen einem
Jahr und drei Jahren bestraft werden (Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
europaweit im Visier, AP vom 29. Januar 2007).

Nach dem neuen Entwurf soll nicht mehr per Gesetz das Leugnen des Holo-
causts und die Darstellung von Nazi-Symbolen in der gesamten EU verboten,
sondern mittels eines Rahmenbeschlusses die Aufstachelung zu Rassenhass und
zu Fremdenfeindlichkeit in allen 27 EU-Ländern mit mindestens einem bis drei
Jahren Gefängnisstrafe geahndet werden. Die Regelung der Einzelheiten soll
aber den Regierungen selbst überlassen werden. Wer aus rassistischen oder
fremdenfeindlichen Gründen öffentlich zu Hass und Gewalt aufruft, muss wei-
terhin mit einer Mindeststrafe von einem bis drei Jahren rechnen. Dies gilt auch
für Drohungen, Beschimpfungen, Beleidigungen oder die Störung des öffent-
lichen Friedens. Auch die Verbreitung entsprechender Schriften soll untersagt
werden. Wer Völkermorde, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegs-
verbrechen öffentlich billigt, leugnet oder verharmlost, soll sich in Zukunft vor
Gericht verantworten müssen (EU-Präsidentschaft stellt Details zu Rassismus-
Beschluss vor, KNA vom 29. Januar 2007).

Bei der Verharmlosung von Kriegsverbrechen und Völkermord sollen im vorge-
schlagenen Rahmenbeschluss keine konkreten historischen Ereignisse benannt
werden. Vielmehr wird auf das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs und
des Internationalen Militärgerichtshofs von 1945 verwiesen werden. Es sei dann
Sache der nationalstaatlichen Gerichte zu klären, ob der Strafbestand gegeben
ist. Die EU-Staaten sollen die Möglichkeit haben, die Strafbarkeit davon abhän-
gig zu machen, dass ein nationales oder internationales Gericht ein Ereignis als

Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein-
gestuft hat.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Gründe gibt es dafür, dass die Bundesregierung von ihrem bisherigen
Plan Abstand genommen hat, die Darstellung von Nazi-Symbolen (z. B. Ha-
kenkreuz) in der gesamten Europäischen Union während der deutschen

Drucksache 16/4401 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Ratspräsidentschaft per Gesetz verbieten zu lassen, obwohl die EU-Kommis-
sion noch Mitte Januar gute Chancen für die Pläne der Bundesregierung sah,
Hakenkreuze und andere Nazi-Symbole europaweit zu verbieten (Zypries
will EU-weites Hakenkreuz-Verbot, DER STANDARD vom 23. Januar
2007)?

2. Inwieweit sieht die Bundesregierung darin ein Problem, dass es in den EU-
Mitgliedstaaten keine gemeinsamen Indikatoren und Kriterien und damit
auch keine effizienten Datenerhebungsmechanismen sowie weit gefasste
rechtliche Definitionen „rassistisch motivierter Vorfälle“ gibt, die eine Ver-
gleichbarkeit, Objektivität und Zuverlässigkeit der Daten auf Gemeinschafts-
ebene ermöglichen?

3. Inwieweit hält die Bundesregierung die Erfassung von Straftaten und Aktivi-
täten nazistischer (rechtsextremer) Gruppierungen als „politisch motivierte
Kriminalität – rechts“ für ausreichend, wenn in der Wissenschaft davon aus-
gegangen wird, dass zwar jede Rechtsextremistin bzw. jeder Rechtsextremist
Rassistin bzw. Rassist, aber nicht jede Rassistin bzw. jeder Rassist Rechtsex-
tremistin bzw. Rechtsextremist ist?

4. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass ein Rahmenbeschluss des Rates zur
Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in vollem Umfang
durch die gewählte Rechtsgrundlage gedeckt wäre bzw. dass der Vorschlag in
vollem Umfang durch die Kompetenzgrundlage (Artikel 29, 31 und 34
Abs. 2 EUV) in Übereinstimmung stände?

Wenn ja, mit welcher Begründung?

5. Inwieweit sind nach Ansicht der Bundesregierung im bundesdeutschen Straf-
recht die Vorgaben des aktuellen Vorschlags für einen Rahmenbeschluss zur
Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit erfüllt?

6. Hält die Bundesregierung es angesichts der mangelnden Fortschritte bei den
Beratungen des Vorschlags für einen Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit für angebracht, innerhalb ihrer Kom-
petenz eigenständig tätig zu werden, und welche Rolle spielt dabei der über-
fällige Aktionsplan gegen Rassismus?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, warum nicht?

7. Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, mittels freiwilliger Vereinbarun-
gen zwischen einzelnen/den Mitgliedstaaten die Ziele des Vorschlags für
einen Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeind-
lichkeit zu erreichen?

Wenn ja, wird sie dahingehende Anstrengungen unternehmen?

Wenn nein, warum nicht?

8. Inwieweit wäre entsprechend dem Vorschlag der deutschen EU-Ratsprä-
sidentschaft zu einem Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit, der neben Drohungen, Beschimpfungen, Beleidigun-
gen und Störung des öffentlichen Friedens auch die öffentliche Billigung,
Leugnung oder Verharmlosung von Völkermorden, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen einbezieht, die Nichtanerkennung des
Völkermords an den Herero, Nama, Damara und San bzw. an den Armeniern
im Osmanischen Reich in der EU strafbar?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4401

9. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass für eine nachhal-
tige und wirkungsvolle Auseinandersetzung mit dem Rassismus die be-
wusste, ernsthafte und kritische Reflexion über die koloniale Vergangenheit
und kolonialen Prägungen der deutschen Gesellschaft unbedingte Voraus-
setzung ist?

10. Welche konkreten Auswirkungen können sich nach Ansicht der Bundes-
regierung aus der Regelung des Artikels 7 des Rahmenbeschlusses für die
Strafbarkeit von in Artikel 1 des Rahmenbeschlusses genannten Verhaltens-
weisen ergeben?

11. Inwieweit ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Leugnung des
Holocausts aufgrund des Rahmenbeschlusses in jedem Mitgliedstaat unein-
geschränkt pönalisiert werden muss?

12. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die möglichen
Begrenzungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeiten nach Artikel 8 des
Rahmenbeschlusses?

Berlin, den 26. Februar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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