BT-Drucksache 16/4361

Umsetzung des Prüfauftrages zur Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige

Vom 21. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4361
16. Wahlperiode 21. 02. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Kersten Naumann
und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung des Prüfauftrages zur Einführung des kommunalen Wahlrechts
für Drittstaatenangehörige

Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD einen Prüfauftrag zur „Frage
des kommunalen Wahlrechts für Ausländer, die keine EU-Bürger sind“, verein-
bart (Koalitionsvertrag, S. 118 Ziffer 5766). Am 13. September 2006 forderte
der SPD-Vizekanzler Franz Müntefering, ein kommunales Wahlrecht für Bür-
gerinnen und Bürger aus Nicht-EU-Ländern einzuführen (taz, 15. September
2006). Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Oktober 1990
ist die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige nach
Artikel 79 Abs. 3 GG nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Sie erfordert eine
Grundgesetzänderung und damit eine Zustimmung von zwei Dritteln der Mit-
glieder des Deutschen Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundes-
rates (siehe auch die Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache
16/2882). Eine Unabänderbarkeitssperre im Sinne des Artikels 79 Abs. 3 GG
ist in Bezug auf das kommunale Wahlrecht für Drittstaatenangehörige nicht zu
begründen, da das Bundesverfassungsgericht die Einführung eines kommuna-
len Wahlrechts für nichtdeutsche Staatsangehörige (der Europäischen Union)
ausdrücklich auch mit Artikel 79 Abs. 3 GG für vereinbar erklärte. Die grund-
sätzliche Deutung des Volksbegriffs im Zusammenhang des Wahlrechts als
Einheit deutscher Staatsangehöriger durch das Bundesverfassungsgericht ist im
Übrigen nicht ohne Kritik geblieben (vgl. nur: Astrid Wallrabenstein: „Das Ver-
fassungsrecht der Staatsangehörigkeit“, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-
Baden 1999, 112 ff., m. w. N.). In den EU-Mitgliedstaaten Belgien, Dänemark,
Finnland, Großbritannien, Irland, Niederlande, Portugal, Spanien, Estland,
Litauen, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Island und Tschechische Republik
besteht ein Wahlrecht auf kommunaler Ebene für Drittstaatenangehörige unter
unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzungen (siehe hierzu: Das kommunale
AusländerInnenwahlrecht im europäischen Vergleich, Österreichische Stiftung
für Politikberatung und Politikentwicklung, Februar 2004).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welchem Stand befindet sich die Prüfung der Frage des kommunalen

Wahlrechts für Drittstaatenangehörige durch die Bundesregierung?

2. Falls eine Prüfung der Frage des kommunalen Wahlrechts für Drittstaaten-
angehörige noch nicht begonnen wurde, welche Hindernisse stehen nach
Auffassung der Bundesregierung dem entgegen?

3. Bis wann beabsichtigt die Bundesregierung ihren Prüfauftrag abzuschlie-
ßen?

Drucksache 16/4361 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein Ausschluss von Dritt-
staatenangehörigen vom kommunalen Wahlrecht und damit von kommuna-
len Entscheidungsprozessen eine rechtliche Benachteiligung von Nicht-
EU-Bürgerinnen und -Bürgern sowie ein demokratisches Defizit darstellt?

Wenn nicht, mit welcher Begründung?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Wahlberechtigung an
die nachhaltige Betroffenheit durch die Staatsgewalt anknüpfen muss und
nur dies dem eigentlichen Wesensgehalt des Demokratieprinzips ent-
spricht?

Wenn nein, mit welcher Begründung?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Beschränkung des
Staatsvolkes auf Deutsche auf einer historischen Betrachtungsweise be-
ruht, die aufgrund der Tatsache, dass die durchschnittliche Aufenthalts-
dauer aller Drittstaatsangehörigen 16,8 Jahre beträgt und 21 Prozent aller
Drittstaatsangehörigen in Deutschland geboren worden sind (Presseerklä-
rung des Statistischen Bundesamtes vom 28. März 2006 ), nicht mehr zeit-
gemäß ist, und das Grundgesetz dem Wandel der tatsächlichen Verhältnisse
ausreichend Rechnung tragen und den Begriff des Staatsvolkes entspre-
chend weiter fassen muss?

Wenn nein, mit welcher Begründung?

7. Inwieweit ist die Bundesregierung grundsätzlich der Auffassung, dass das
allgemeine, geheime und gleiche Wahlrecht ein Grundrecht ist, dass allen
Bürgerinnen und Bürgern, die auf Dauer staatlicher Herrschaft unterworfen
sind, zusteht?

8. Inwieweit ist die Bundesregierung im Falle einer Bejahung der Frage 7 der
Auffassung, dass vor dem Hintergrund, dass für Drittstaatsangehörige
allein durch die Einbürgerung das allgemeine, geheime und gleiche Wahl-
recht zu erreichen ist, die seit dem Jahr 2000 kontinuierlich zurückgehen-
den Einbürgerungszahlen und -quoten Ausdruck einer faktischen Ein-
schränkung dieses Grundrechts ist?

9. Inwieweit ist die Bundesregierung im Falle einer Bejahung der Frage 7 der
Auffassung, dass mit den geplanten Verschärfungen des Einbürgerungs-
rechts (vgl. Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17. November
2006, TOP 5.1.) dieses Grundrecht weiter eingeschränkt wird?

10. Sieht die Bundesregierung bei der Einführung des kommunalen Wahlrechts
für Drittstaatenangehörige Handlungsbedarf, um der Entwicklung der
Mehrheit der europäischen Länder und damit der Integration Deutschlands
in die Europäische Union zu entsprechen?

Wenn nein, mit welcher Begründung?

11. Ist auf Initiative der Bundesregierung oder der Teilnehmerinnen und Teil-
nehmer der Arbeitsgruppe, die im Rahmen der Erarbeitung eines Nationa-
len Aktionsplans Integration zum Thema „Bürgerschaftliches Engagement
und Integration“ Handlungsempfehlungen entwickeln, die Frage des kom-
munalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige besprochen worden?

Falls ja, wie ist der Stand der Diskussion und welche Haltung nehmen die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein?

Werden die gemachten Empfehlungen auch in den Nationalen Aktionsplan
Integration eingehen?

Falls nein, sieht die Bundesregierung Anlass dazu, die Initiative zu ergrei-
fen und die Frage zur Einführung des kommunalen Wahlrechts für Dritt-
staatenangehörige mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu erörtern?

Berlin, den 19. Februar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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