BT-Drucksache 16/4317

Umsetzung des IMK-Beschlusses zur sogenannten Bleiberechtsregelung

Vom 9. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4317
16. Wahlperiode 09. 02. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Kersten Naumann und der
Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung des IMK-Beschlusses zur sogenannten Bleiberechtsregelung

Am 16./17. November 2006 hat die Ständige Konferenz der Innenminister und
-senatoren der Länder (IMK) einen Beschluss über die Gewährung eines Bleibe-
rechts für ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige mit langjährigem
Aufenthalt im Bundesgebiet beschlossen. Insgesamt hat die IMK eine Regelung
getroffen, die viele Restriktionen enthält. Neben dem Nachweis eines Arbeits-
platzes führt ein langer Katalog an Ausschlussgründen dazu, dass voraussicht-
lich 80 bis 90 Prozent der Geduldeten keine Chance auf ein Bleiberecht haben
werden. So müssen die Flüchtlinge mit Familie seit sechs Jahren ununterbrochen
in der Bundesrepublik leben. Bei Alleinstehenden sind es acht Jahre. Darüber
hinaus müssen sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Können sie bis Ende
September 2007 einen dauerhaften sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz
und Deutschkenntnisse vorweisen, erhalten sie ein auf zunächst zwei Jahre be-
fristetes Aufenthaltsrecht. Weitere Anforderungen sind eine ausreichend große
Wohnung, für die Kinder ein Nachweis des Schul- bzw. Kitabesuchs und die
Vorlage eines Passes, Straffreiheit und keine Mitwirkungsverweigerung usw.

Expertinnen/Experten rechnen mit lediglich ca. 20 000 Personen, die einen
Arbeitsplatz vorweisen können und die entsprechenden Mindestaufenthalts-
zeiten erfüllen und damit sofort eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten können
(AP vom 20. November 2006). Niedersachsens Innenminister Uwe Schüne-
mann (CDU) glaubt ebenfalls, dass lediglich rund 20 000 Flüchtlinge mit
Duldung sofort unter die beschlossene Regelung fallen und teilt damit die Auf-
fassung des Innenministers von Bayern, Günther Beckstein (CSU), der die Zahl
im „unteren fünfstelligen Bereich“ sieht („Ab Montag sicheren Aufenthalt“, in:
Berliner Zeitung vom 18. November 2006, S. 8). Das wäre eine Quote von
gerade einmal 10 Prozent, die im Interesse der Betroffenen nicht hinnehmbar
ist. An dieser grundsätzlich negativen Bewertung ändert sich nichts, wenn da-
von ausgegangen wird, dass in einem zweiten Schritt weitere 40 000 potenziell
ein Bleiberecht erhalten könnten, sofern sie bis zum 30. September 2007 über
einen Arbeitplatz ihren Lebensunterhalt unabhängig von Sozialleistungen be-
streiten können („Ab Montag sicheren Aufenthalt“, in: Berliner Zeitung vom
18. November 2006, S. 8). Entscheidenden Einfluss auf die Zahl von Bleibe-
rechtserteilungen hat die Umsetzung in den einzelnen Bundesländern und

damit, wie diese die vereinbarten Regelungen interpretieren.

Die Bundesregierung soll im Aufenthaltsrecht „schnellstmöglich eine großzü-
gige gesetzliche Bleiberechtsregelung bei geduldeten Menschen verankern“.
Dies fordert die Fraktion DIE LINKE. in einem Antrag (Bundestagsdrucksache
16/3912). So soll eine Aufenthaltserlaubnis mit Arbeitsmarktzugang grundsätz-
lich nach fünf Jahren geduldetem oder gestattetem Aufenthalt, bei Familien

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nach drei Jahren, erteilt werden. In Härtefällen müsse der Aufenthalt auch frü-
her erlaubt werden können, etwa bei minderjährigen, unbegleitet eingereisten
Flüchtlingen, bei traumatisierten Kriegs- und Gewaltopfern, bei Opfern rassis-
tischer Gewalt in Deutschland sowie bei Opfern von Zwangsheiraten und
Menschenhandel oder davon bedrohten Menschen. Dabei dürfe der Nachweis
von Integrationsleistungen wie Sprachkenntnissen oder Schulzeugnissen sowie
der Nachweis einer Erwerbstätigkeit keine Bedingung für die Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis sein.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder einer Dul-
dung für die Arbeitsplatzsuche bis zum 30. September 2007 sind nach Kennt-
nis der Bundesregierung seit Inkrafttreten der „Bleiberechtsregelung“ der
IMK vom 16./17. November 2006 von Ausreisepflichtigen in den Bundes-
ländern gestellt und bearbeitet worden (bitte entsprechend den Bundes-
ländern aufgeteilt nach positiver und negativer Bescheidung sowie offenem
Antragsverfahren aufgeschlüsselt auflisten)?

2. Inwieweit ist für die Bundesregierung die ethnische Herkunft bzw. Staatsan-
gehörigkeit ein sachgerechtes Kriterium, um per se eine Personengruppe un-
ter den Verdacht zu stellen, die freiheitlich demokratische Grundordnung
oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden und sie
entsprechend bei der Umsetzung der Bleiberechtsregelung in einzelnen Bun-
desländern wegen vermeintlicher Bezüge zu Extremismus und Terrorismus
pauschal und generell herauszunehmen?

3. Inwieweit werden in den Bundesländern im Rahmen der Umsetzung des
IMK-Beschlusses zur Bleiberechtsregelung bspw. Kurdinnen und Kurden
bzw. irakische Staatsangehörige pauschal und generell von der Möglichkeit
des Erhalts einer Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen?

4. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass die Anträge
wegen nicht vorliegender Pässe negativ beschieden wurden, obwohl einige
Botschaften (z. B. Iran) regelmäßig die Ausstellung von Pässen verweigern?

5. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass den unter Frage 4
angesprochenen Antragstellerinnen und Antragstellern eine Aufenthalts-
erlaubnis zu erteilen ist, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen der oben
genannten Bleiberechtsregelung erfüllen?

6. Wie viele Ausreisepflichtige haben sich bei den Arbeitsagenturen als arbeit-
suchend gemeldet, seit dem die Bundesagentur für Arbeit Ende Dezember
2006 die Vermittlerinnen und Vermittler angewiesen hat, die berechtigten
Ausländerinnen und Ausländer in die Vermittlungsbemühungen einzubezie-
hen (epd vom 4. Januar 2007)?

7. Wie viele der unter Frage 7 genannten Ausreisepflichtigen sind seit Ende
Dezember 2006 in offene Stellen vermittelt worden?

8. Inwieweit gibt es für die Überprüfung der Arbeitsbedingungen nach § 39
Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) (durchschnittlich) einzuhaltende
Fristen bzw. sofern es keine gibt, inwieweit wäre dies notwendig, um aus-
zuschließen, dass Arbeitsverträge nur deshalb nicht zustande kommen, weil
es entsprechende Verzögerungen bei der Überprüfung gibt?

9. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass im Rahmen der
Weisung der Bundesagentur für Arbeit zur Bleiberechtsregelung, Aus-
reisepflichtige (bspw. Familien mit Kindern), die einen Arbeitsplatz finden,
der nicht ganz zur Lebensunterhaltssicherung ausreicht, dem kompletten

Prüfprogramm inkl. Vorrangprüfung nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b
AufenthG unterliegen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4317

10. Bis wann beabsichtigt die Bundesregierung, eine bundesweite gesetzliche
Regelung im Kabinett zu beschließen bzw. bis wann soll diese in den Deut-
schen Bundestag eingebracht werden?

11. Inwieweit sollen die Verhandlungen über eine gesetzliche Bleiberechts-
regelung für Ausreisepflichtige aus den übrigen Verhandlungen zum
Zuwanderungsgesetz ausklammert werden?

12. Inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung für den Fall, dass eine gesetz-
liche Regelung erst nach dem 30. September 2007 in Kraft tritt, Vorkeh-
rungen zu treffen, damit Ausreisepflichtige nicht wie vor dem IMK-
Beschluss vom 17. November 2006 ohne eine Bleiberechtsperspektive ver-
bleiben müssen oder sogar abgeschoben werden?

13. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Familien auch
dann ein Bleiberecht nach der Bleiberechtsregelung erhalten sollten, wenn
der Asylantrag eines (womöglich minderjährigen) Familienmitglieds nach
§ 30 Abs. 3 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVerfG) als „offensichtlich
unbegründet“ abgelehnt wurde?

14. Inwieweit sieht die Bundesregierung im Zusammenhang des Ausschlusses
von Familienangehörigen bei Straftaten Einzelner gemäß II.6.6. des IMK-
Beschlusses zur Bleiberechtsregelung, das Problem, Familienmitglieder in
Sippenhaftung zu nehmen?

15. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, ob Familien auch
dann eine Aufenthaltserlaubnis im Rahmen der Umsetzung des IMK-Be-
schlusses zur Bleiberechtsregelung in den Bundesländern erhalten, wenn
mindestens ein minderjähriges Kind mangels freier Plätze nicht den Kin-
dergarten besucht?

Berlin, den 7. Februar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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