BT-Drucksache 16/4211

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung -16/1360- Siebter Familienbericht Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit - Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik und Stellungnahme der Bundesregierung

Vom 1. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4211
16. Wahlperiode 01. 02. 2007

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
(13. Ausschuss)

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 16/1360 –

Siebter Familienbericht
Familien zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit – Perspektiven für eine
lebenslaufbezogene Familienpolitik

und

Stellungnahme der Bundesregierung

A. Problem

Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung durch die Entschließung vom
23. Juni 1965 (Bundestagsdrucksache IV/3474) mit der Vorlage von Familien-
berichten beauftragt. Diese Entschließung wurde in der Folgezeit mehrfach
ergänzt und geändert, zuletzt durch den Beschluss vom 11. November 1993
(Bundestagsdrucksachen 12/5811 und 12/189). Die Bundesregierung wird darin
unter anderem aufgefordert, jeweils eine Kommission mit bis zu sieben Sach-
verständigen einzusetzen und dem Deutschen Bundestag in jeder zweiten Wahl-
periode einen Bericht über die Lage der Familien in der Bundesrepublik
Deutschland mit einer Stellungnahme der Bundesregierung vorzulegen. Dabei
soll jeder dritte Bericht die Situation der Familien möglichst umfassend darstel-
len, während sich die übrigen Berichte Schwerpunkten widmen können. Der
Erste, der Dritte und der Fünfte Familienbericht haben die Situationen der Fami-
lien umfassend dargestellt. Der Zweite, der Vierte und der Sechste Familien-
bericht behandelten spezifische Themen. Der nunmehr vorgelegte Siebte Fami-
lienbericht „Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit – Perspektiven für
eine lebenslaufbezogene Familienpolitik“ ist wiederum ein umfassender Be-
richt.

Die Sachverständigenkommission für den Siebten Familienbericht wurde im

Februar 2003 berufen und legte ihren Bericht im August 2005 der damaligen
Bundesregierung vor. Die Bundesregierung erarbeitete hierzu ihre Stellung-
nahme und leitete diese zusammen mit dem Bericht im April 2006 dem Deut-
schen Bundestag zu.

Drucksache 16/4211 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

B. Lösung

In Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 16/1360 Annahme einer
Entschließung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

C. Alternativen

Annahme einer Entschließung gemäß dem Antrag der Fraktion der FDP auf
Ausschussdrucksache 16(13)185.

D. Kosten

Wurden nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4211

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 16/1360 folgende Entschließung
anzunehmen:

Zukunft Familie

Bei jungen Menschen steht Familie nach wie vor hoch im Kurs. Dies belegen
zahlreiche Umfragen und Studien zu ihrer Lebenseinstellung. Für 80 bis 90 Pro-
zent der jungen Menschen ist Familie wichtig. Sie wollen selbst eine Familie
gründen und Kinder haben. Aber zur Verwirklichung dieses Wunsches müssen
sie heute flexibler, vielseitiger und risikobereiter sein als ihre Eltern. Denn die
Rahmenbedingungen für die Verwirklichung dieses Lebenswunsches haben sich
in den letzten Jahren deutlich verändert. Diese Veränderungen haben dazu bei-
getragen, dass es heute eine größere Vielfalt an Familienformen gibt. Neben der
traditionellen Familie wächst die Zahl der Ein-Eltern-Familien ebenso kontinu-
ierlich wie die Zahl der Patchwork-, Stief- sowie Adoptiv- und Pflegefamilien.

Die Lebensentwürfe von jungen Frauen und Männern haben sich jedoch ver-
ändert. Junge Frauen wollen wie ihre männlichen Altersgenossen dauerhaft er-
werbstätig sein. Deshalb entspricht die aktuelle Erwerbsbeteiligung der jungen
Frauen vor der Geburt des ersten Kindes weitestgehend der ihrer männlichen
Altersgenossen. Insgesamt beträgt die Erwerbsquote von Frauen in Deutschland
rund zwei Drittel. Die Lebensentwürfe der übergroßen Mehrheit sehen vor, Er-
werbstätigkeit und Elternschaft miteinander in Einklang zu bringen. Oftmals
fehlt ein geeigneter Betreuungsplatz mit flexiblen Öffnungszeiten für das Kind.
Stimmt das Betreuungsangebot, steht häufig keine geeignete familienfreund-
liche Arbeitsstelle zur Verfügung. Gerade Alleinerziehende sind davon stark
beeinträchtigt. 86 Prozent der Befragten sind laut einer aktuellen Infratest-
Umfrage der Meinung, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutsch-
land schwierig sei.

Junge Frauen und Männer wollen heute zunächst den Einstieg in einen Beruf
schaffen, bevor sie sich für die Gründung einer Familie entscheiden. Deshalb
wird der Kinderwunsch aus beruflichen Gründen immer wieder aufgeschoben,
häufig so lange, bis er sich schließlich nicht mehr realisieren lässt. Um die jun-
gen Erwachsenen in der Rushhour des Lebens mit Ende 20, Anfang 30 zu ent-
lasten und einen größeren Spielraum bei der Realisierung ihres Kinderwunsches
zu gewährleisten, setzen die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD auf
eine moderne und nachhaltige Familienpolitik, die durch einen Mix aus besse-
ren familienunterstützenden Infrastrukturen, insbesondere der Bildung und
Betreuung der Kinder, mehr Zeit für Familien und eine gute finanzielle Unter-
stützung gekennzeichnet ist. Ein solcher Politikansatz wird auch von der Sach-
verständigenkommission für den Siebten Familienbericht gefordert, damit jene
sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen geschaffen
werden, die es auch der nachwachsenden Generation ermöglichen, in die Ent-
wicklung und Erziehung von Kindern zu investieren.

Laut Sachverständigenkommission zum Siebten Familienbericht muss Fami-
lienpolitik stärker auf kommunaler und Länderebene gestaltet werden. Denn
Familienfreundlichkeit entscheidet sich vor allem dort, wo die Menschen leben
und arbeiten. Dort wird letztendlich über die Schaffung einer guten Infrastruktur
für Familien entschieden: über den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten,

die Schaffung von kommunalen Bildungslandschaften, die gute Beratung von
Eltern oder über familienunterstützende Dienstleistungen. Demzufolge gibt es

Drucksache 16/4211 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

eine gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen sowie der
Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Akteuren.

Die Große Koalition (der Fraktionen der CDU/CSU und SPD) hat den bereits
eingeschlagenen erfolgreichen familienpolitischen Weg konsequent fortgeführt.
Der mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) angestoßene Ausbau von
Kinderbetreuungsplätzen, das Vier-Milliarden-Ganztagsschulprogramm und
die strategische Allianz für die Familie mit dem Unternehmensprogramm „Er-
folgsfaktor Familie“ und dem Erfolgsmodell „Lokale Bündnisse für Familien“
werden fortgeführt.

Internationale Vergleiche zeigen, dass eine gut ausgebaute Kinderbetreuung
Kindern und Eltern gleichermaßen nützt. Kinder profitieren von einer frühen
Förderung und Mütter und Väter von der besseren Vereinbarkeit von Familie
und Beruf. Mit dem Anfang 2005 in Kraft getretenen Tagesbetreuungsausbau-
gesetz wurde der Startschuss für den Ausbau eines bedarfsgerechten Angebots
an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren gegeben. Die dafür notwen-
digen Mittel in Höhe von jährlich 1,5 Mrd. Euro stehen seit 2005 durch die tat-
sächlich gewährleistete Entlastung der Kommunen in Höhe von 2,5 Mrd. Euro
im Zusammenhang mit der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozial-
hilfe zur Verfügung. Bis 2010 sollen insgesamt mindestens 230 000 zusätzliche
Betreuungsplätze entstehen.

Mit dem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) wird
bereits seit 2003 der Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen gefördert. Der
Bund unterstützt die Schaffung von Schulen, an denen eine individuelle Förde-
rung über den ganzen Tag verteilt möglich ist, mit insgesamt 4 Mrd. Euro. Das
Ganztagsschulprogramm des Bundes hat einen flächendeckenden Ausbau von
Ganztagsschulen in Gang gesetzt.

Die „Lokalen Bündnisse für Familien“ tragen vielerorts zur Verbesserung der
kommunalen Infrastruktur bei. Bislang sind hunderte solcher Initiativen ent-
standen.

Die Große Koalition hat in dieser Legislaturperiode zwei bedeutende familien-
politische Initiativen auf den Weg gebracht: Zum einen wurde die steuerliche
Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten verbessert, zum anderen wurde
die Einführung des Elterngeldes beschlossen.

Mit dem Elterngeld wurde ab 1. Januar 2007 das nicht mehr zeitgemäße Erzie-
hungsgeld abgelöst und echte Wahlfreiheit eingeführt. Die beträchtlichen Ein-
kommensverluste, die dadurch entstehen, dass Mütter und Väter mit kleinen
Kindern nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig sind, werden mit dem
Elterngeld ausgeglichen. Die Einkommenssituation der Familie kann damit
während der Familiengründung oder -erweiterung gesichert werden. Mit dem
Elterngeld bleiben Frauen, von denen 95 Prozent zum Zeitpunkt der Geburt
ihres ersten Kindes berufstätig waren, auch als Mütter ökonomisch unabhängig.
Die Aussicht auf eine am Einkommen anknüpfende Leistung macht es auch für
Väter attraktiver, Elternzeit zu beantragen. Die Regelung der „Partnermonate“
gibt jungen Vätern die Möglichkeit, sich mehr um ihr Kind zu kümmern und
hilft ihnen dabei, ihren Wunsch nach einer intensiven Familienphase beim Ar-
beitgeber besser durchsetzen zu können und breitere Akzeptanz in der Gesell-
schaft zu finden.

Wenn die Eltern nach der Elternzeit in den Beruf zurückkehren, müssen sie die
Kosten für gute und verlässliche Kinderbetreuung tragen. Für diese und andere

haushaltsnahe Dienstleistungen wurde die steuerliche Absetzbarkeit deutlich
verbessert.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/4211

Obwohl damit schon zentrale Empfehlungen der Sachverständigenkommission
umgesetzt wurden, gibt es weiter dringenden Handlungsbedarf in der Familien-
politik.

Alle Kinder müssen dasselbe Recht auf gute Betreuung und Bildung von An-
fang an haben. Erheblich mehr als bislang muss in die frühkindliche Bildung
und Betreuung und deren Qualität investiert werden. Frühe Förderung ist der
Schlüssel zu mehr Chancengleichheit für alle Kinder in unserem Land und das
soziale Gerechtigkeitsgebot des 21. Jahrhunderts.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist heute eine zentrale Voraussetzung
dafür, dass sich junge Frauen und Männer für die Gründung einer Familie ent-
scheiden. Sie muss weiter deutlich verbessert werden. Die deutsche Wirtschaft
muss Familienfreundlichkeit zu ihrem Markenzeichen machen. Mit dem begon-
nen Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ wird ein aktives Netzwerk
von Unternehmen geknüpft, die familienfreundliche Arbeitsbedingungen zum
Managementthema und zum Standortfaktor entwickeln.

Gemessen an der Geburtenrate, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, am
Armutsrisiko und Bildungsniveau erreichen andere Staaten mit gleichem oder
sogar weniger finanziellem Aufwand häufig bessere Ergebnisse. Deshalb müs-
sen nach Ansicht der Sachverständigenkommission für den Siebten Familien-
bericht zum einen Ziele und Wirkungen finanzieller Fördermaßnahmen für
Familien überprüft, zum anderen muss aber auch berücksichtigt werden, dass
die vorhandenen Finanzierungsmittel für Familien weiterhin Familien zur Ver-
fügung gestellt werden. Auch die Möglichkeiten einer zentralen Auszahlungs-
stelle sind in diesem Zusammenhang zu prüfen.

Die Sachverständigenkommission empfiehlt darüber hinaus ein weit reichendes
neues Konzept der Neuorganisation von Zeit. Mit dem in Deutschland bestehen-
den Zeitmuster wird nahegelegt, die Familiengründungsphase für die Zeit nach
der Ausbildung und nach der Arbeitsmarktetablierung vorzusehen. Deshalb
werden Familien in Deutschland immer später gegründet.

Laut der Sachverständigenkommission für den Siebten Familienbericht haben
Eltern zudem Probleme bei der Organisation der täglichen Zeit. Es besteht ein
Ungleichgewicht zwischen beruflich vorgegebenen Zeitstrukturen, Zeitstruk-
turen der Schule, der Kindergärten und anderen Bildungseinrichtungen einer-
seits und der Zeit für Familie und Fürsorge andererseits.

Der Deutsche Bundestag begrüßt

● den Siebten Familienbericht, der ein Plädoyer für eine nachhaltige Familien-
politik ist,

● die grundlegende familienpolitische Ausrichtung der Bundesregierung, die
den bereits in der letzten Legislaturperiode eingeleiteten Perspektiv- und
Politikwechsel in der Familienpolitik fortsetzt und zu einem zentralen Poli-
tikfeld der Zukunft weiterentwickelt hat,

● den verstärkten Ausbau der Kinderbetreuung für die unter dreijährigen Kin-
der,

● den gesetzlich verankerten Ausbau der Ganztagsbetreuung,

● die verbesserten Standards in der Qualität von Kinderbetreuungsangeboten
durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz,

● die Verlängerung des Investitionsprogramms „Zukunft Bildung und Betreu-

ung“ (Ganztagsschulprogramm) bis Ende 2009,

● die Einführung des Elterngeldes zum 1. Januar 2007,

Drucksache 16/4211 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

● die jüngst verbesserten steuerlichen Abzugsmöglichkeiten für die Kosten
der Kinderbetreuung,

● die Initiative „Kinder brauchen Werte – Bündnisinitiative: Verantwortung
Erziehung“ und damit eine neue Form der gesellschaftlichen Zusammenar-
beit mit Verbänden, Institutionen, Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● sich weiterhin für den Ausbau von Ganztagsangeboten in der Betreuung von
unter Dreijährigen und Kindergartenkindern einzusetzen,

● einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem zweiten
Lebensjahr spätestens im Jahr 2008 zu regeln, sofern der Ausbau von Be-
treuungsplätzen nicht schnell genug erfolgt,

● nach Wegen zu suchen, wie langfristig Beitragsfreiheit für die Inanspruch-
nahme von Kindertagesbetreuung umzusetzen ist,

● die materiellen Leistungen an Familien hinsichtlich Zielsetzung und Wir-
kung zu überprüfen und Vorschläge für Verbesserungen zu unterbreiten,

● den Kinderzuschlag weiterzuentwickeln und das Antragsverfahren deutlich
zu vereinfachen, um noch mehr Familien und Kinder zu erreichen,

● die Situation von Alleinerziehenden und Familien in prekären Lebenslagen
zu verbessern,

● bestehende „Lokale Bündnisse für Familie“ weiter zu unterstützen und die
Schaffung weiterer Bündnisse anzuregen, um die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf durch eine bessere Kinderbetreuung und durch eine bessere Koor-
dinierung betrieblicher und öffentlicher Zeitpolitiken im unmittelbaren Le-
bensumfeld von Familien zu gewährleisten,

● die Vorschläge der Sachverständigenkommission für mehr Flexibilität in der
Arbeits-, Bildungs-, Sozial- und Familienzeit zu prüfen und auf der Grund-
lage der gemeinsamen Erklärung „Deutschland braucht eine familienfreund-
liche Arbeitswelt“ mit der Bundeskanzlerin dazu beizutragen, dass Fami-
lienfreundlichkeit zu einem Markenzeichen der deutschen Wirtschaft wird,

● das gestartete Frühwarnsystem zur Unterstützung von „Risikofamilien“ zügig
umzusetzen,

● Maßnahmen zur Stärkung der Elternkompetenz umzusetzen,

● die Initiative „Kinder brauchen Werte – Bündnisinitiative: Verantwortung
Erziehung“ mit allen Wohlfahrts- und Familienverbänden, Kirchen und Re-
ligionsgemeinschaften und der Wirtschaft weiter auszubauen und die enge
Kooperation zwischen allen Beteiligten durch das Bundesforum Familie
sicherzustellen,

● Mehrgenerationenhäuser, die bereits in diesem Jahr gestartet sind und in den
kommenden Jahren in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt in
Deutschland geschaffen werden, auszubauen.

Berlin, den 31. Januar 2007

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Kerstin Griese
Vorsitzende

Paul Lehrieder
Berichterstatter

Caren Marks
Berichterstatterin

Ina Lenke
Berichterstatterin
Jörn Wunderlich
Berichterstatter

Ekin Deligöz
Berichterstatterin

den als Deutschland. Die Geburtenzahlen seien dort höher
und die Balance zwischen Familie und Beruf sei leichter in

Zeit- und Infrastrukturpolitiken reagiert werden.
den Griff zu bekommen. Die entscheidende Ursache für
diese unterschiedliche Entwicklung sieht der Bericht in der
spezifisch deutschen Lebensverlaufsplanung. Der deutsche
Lebensverlauf sei dreigeteilt in Ausbildung, dann Beruf und

In weiteren Kapiteln des Berichts werden innerfamiliäre
Dynamiken und Familien im Kontext untersucht. Neben
den nötigen Infrastrukturmaßnahmen komme es darauf an,
schon im Kindesalter Kompetenzerweiterungen für Mäd-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/4211

Bericht der Abgeordneten Paul Lehrieder, Caren Marks, Ina Lenke,
Jörn Wunderlich und Ekin Deligöz

I. Überweisung

Die Unterrichtung auf Drucksache 16/1360 wurde in der
55. Sitzung des Deutschen Bundestages am 29. September
2006 dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend zur federführenden Beratung sowie dem Rechtsaus-
schuss, dem Finanzausschuss und dem Ausschuss für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zur Mitbe-
ratung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Zentrales Thema des Siebten Familienberichts ist die Ba-
lance von Familien- und Arbeitswelt im Lebensverlauf.
Untersucht werden Wandel und Stabilität von Familie,
Veränderungen von Arbeit, Bildung und Wirtschaft, Geld-
und Zeitökonomie von Familien, Generationenbeziehungen
zwischen Kindern, Eltern und Großeltern sowie Verände-
rungen der Geschlechterrollen.

Der Familienbericht erteilt zunächst der Auffassung eine
Absage, Familie sei eine reine Privatsache, sondern er betont,
dass Familien für die gesamte Gesellschaft Güter schaffen
und Leistungen erbringen. Dies geschehe zum einen durch
die Schaffung des gesellschaftlichen Humanvermögens,
also die Geburt und Erziehung der Kinder, und zum anderen
durch die Bereitstellung von „Care“. Hierin sieht der Be-
richt einen umfassenderen Begriff als in dem deutschen
Wort „Fürsorge“, das einen paternalistischen Anstrich habe.
Hinter dem Begriff „Care“ stehe die Vorstellung, dass Men-
schen füreinander Verantwortung übernähmen, an andere
Leistungen abgäben und selbst Leistungen von anderen
annähmen. Der Bericht weist sodann darauf hin, dass die
Familien diese Leistungen ohne Einbettung in soziale Netz-
werke nicht erbringen können. Familienpolitik habe die
Aufgabe, die für die Fürsorgeleistung erforderlichen Rah-
menbedingungen zu schaffen.

In dem Bericht werden die Familienmitglieder als Gestalter
von Familie betrachtet, wobei betont wird, der Entwicklungs-
prozess von Familie sei nicht irgendwann abgeschlossen,
sondern ziehe sich durch das ganze Leben der Familien-
mitglieder. Der Staat könne für den Einzelnen keine Leitbil-
der vorgeben, wohl aber die Rahmenbedingungen schaffen,
die dem Einzelnen unterschiedliche Entwicklungsoptionen
eröffneten. Die bisher in Deutschland geschaffenen struk-
turellen Rahmenbedingungen zögen hingegen ein ganz be-
stimmtes Familienbild/-modell nach sich, nämlich das des
männlichen Alleinverdiener bzw. der Hausfrauenehe.

Der Bericht widmet ein eigenes Kapitel der Betrachtung
verschiedener anderer nord- und westeuropäischer Länder,
die sich in einer besseren demografischen Situation befin-

nomen beschreibt der Bericht als die Rushhour des Lebens.
Für deutsche junge Erwachsene sei der Zeitdruck in der
Altersphase zwischen 27 und 35 Jahren möglicherweise viel
größer als in anderen Ländern. In dieser kurzen Altersphase
von fünf bis sieben Jahren müssten Entscheidungen getrof-
fen und realisiert werden, die mehr oder minder das ganze
Leben bestimmten. Neben Ausbildungsabschluss, dem Ein-
tritt in das Berufsleben und der Entscheidung für einen
Lebenspartner scheine in Deutschland das dominante Mus-
ter auch zu sein, in dieser Phase zu heiraten und wenn, sich
dann für Kinder zu entscheiden. In anderen europäischen
Ländern sei es dagegen viel leichter möglich, einen ersten
Ausbildungsabschluss in jungen Jahren zu machen, um
dann, z. B. nach einer Familienphase, eine aufbauende Zu-
satzausbildung anzuschließen. Der Bericht betont außerdem
den ökonomischen Achterbahneffekt, den Familien wäh-
rend der Elternzeit infolge des Wegfalls eines Einkommens
erleben und weist am Beispiel Finnlands auf den Ausgleich
durch das dortige am letzten Einkommen orientierte Er-
ziehungsgeld hin. In Deutschland müssten dringend neue
Lebensverlaufsmodelle entwickelt werden, um die Zeit-
spannen für Ausbildung, Beruf und Familiengründung zu
entzerren und zu verlängern.

Der Bericht kommt anhand der Betrachtung von Beispielen
aus anderen nord- und westeuropäischen Ländern zu dem
Schluss, dass durch eine Kombination von Zeitpolitik, In-
frastrukturpolitik sowie den Neuzuschnitt von Geldleistun-
gen familienfreundliche Voraussetzungen geschaffen wer-
den können. Deutschland habe bisher in allen drei
Bereichen nicht angemessen auf die gesellschaftliche Ent-
wicklung reagiert. Das dazu erforderliche Geld sei ausrei-
chend vorhanden, müsse jedoch anders verteilt werden. In
diesem Zusammenhang wird die Einführung eines einkom-
mensabhängigen Elterngeldes auch in Deutschland als eine
wichtige Neuerung bewertet. Darüber hinaus erfordere der
rasante Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesell-
schaft eine Neuorganisation von Erwerbsarbeitszeit und pri-
vater Zeit. Deutschland operiere mit ökonomischen Verkür-
zungen, ohne die Konsequenzen für das Privatleben zu
bedenken. Bei den Debatten um verlängerte Arbeitszeiten
würden beispielsweise die Implikationen für Familien nie
mitdiskutiert, genauso wenig wie dies bei den verlängerten
Ladenöffnungszeiten der Fall gewesen sei. Die Ausdehnung
von Arbeitszeit im Übergang vom männlichen Alleinver-
dienermodell zum „Individual-adult-worker“-Modell sei
enorm. Anfang der 60er Jahre habe ein Mann noch 48 Stun-
den in der Woche gearbeitet. Heute verbrächten Mann und
Frau zusammen durchschnittlich mehr als 70 Stunden im
Beruf. Hierauf müsse familienpolitisch mit entsprechenden
am Ende die Rente. Die Zeit, sich für Kinder zu entschei-
den, sei dabei in Deutschland besonders knapp. Dieses Phä-

chen und Jungen zu ermöglichen. Neue familiäre Lebens-
modelle würden auch für Männer benötigt. Ebenso seien

Drucksache 16/4211 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Generationenbeziehungen ein wichtiger Bestandteil der in-
nerfamiliären Dynamik. Zum Kontext der Familien weist
der Bericht am Beispiel Berlins darauf hin, dass es in man-
chen Stadtteilen zu nahezu kinderfreien Zonen komme. Die
Kommunen müssten zukünftig eine ganz neue Ansiede-
lungspolitik betreiben, indem sie versuchten, Familien statt
Gewerbebetriebe anzusiedeln. Familienfreundlichkeit sei
heute ein entscheidender Standortfaktor, der auch Gewerbe-
betriebe anziehe. Untersucht wird weiterhin das Thema
Familienarmut, wobei der Bericht darauf hinweist, in der
Armutsdebatte müsse mehr danach gefragt werden, wie
man Familien dabei unterstützen könne, ihre eigenen Res-
sourcen zu aktivieren.

Ein großes Kapitel widmet sich dem Thema Zeitorganisa-
tion. Die daraus resultierenden Aspekte werden u. a. in
einem abschließenden Kapitel „Zukunftsszenarien“ aufge-
griffen:

Dieses enthält zunächst Empfehlungen zum Aufbrechen des
traditionellen Lebensverlaufs durch Optionszeiten. Durch
Zerlegung in nicht unbedingt chronologisch aufeinander
folgende Phasen könne die jetzt noch durch die Gleichzei-
tigkeit von Familiengründung und Berufsstart enorm ver-
dichtete Rushhour des Lebens entzerrt werden. Es könne
auch Zeit für andere gesellschaftlich wichtige „Care“- und/
oder Teilhabeaufgaben gewonnen werden. Hierzu schlägt
die Sachverständigenkommission Optionszeiten nach dem
Vorbild der Erziehungszeit vor. Wichtig sei, dass diese Zei-
ten nicht minderwertig gegenüber Berufskarriere und Ein-
kommenssteigerung erschienen, weil sie sonst doch nur
wieder von Frauen genutzt würden. Es komme aber darauf
an, ein geschlechtsneutrales Modell zu entwickeln. Durch
Optionszeiten könnten zudem die durch die längere Lebens-
erwartung gewonnenen Jahre genutzt werden. Die heute an
einem Stück zu erbringenden 45 Erwerbsjahre bis zum Be-
zug der Rente könnte man in mehrere Phasen aufteilen, um
dann in dazwischengeschobenen Optionszeiten z. B. 67 Pro-
zent des Nettoeinkommens sozusagen als „Vorschuss“ auf
die Rente zu beziehen. Im Bereich der Ausbildung würde
dies bedeuten, weitere Modularisierungen vorzunehmen, in
denen sich Ausbildungs- und Erwerbsphasen abwechselten.

Eine weitere Empfehlung betrifft die Entwicklung einer
kommunalen Infrastruktur für Familien. Familien dürften
nicht länger nur als Empfänger von Leistungen, sondern
müssten als Investoren gesehen und entsprechend behan-
delt werden. Es müssten nicht nur qualitativ hochwertige
Kinderbetreuungsangebote installiert, sondern auch neue
Wohn- und Arbeitsformen entwickelt werden. Der Bericht
begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Bun-
desinitiative „Lokale Bündnisse für Familien“ als neuarti-
gen Ansatz, lokale Familienpolitik erfolgreich zu gestalten.

Der Bericht schlägt weiterhin die Zusammenfassung aller
monetären Finanztransferleistungen für Familien in einer
„Familienkasse“ vor, um die herrschende Zersplitterung in
den Zuständigkeiten für einzelne familienpolitische Maß-
nahmen aufzuheben. Damit hätten nicht nur die Familien
einen einzigen Ansprechpartner, sondern eine solche Insti-
tution könne auch einen größeren politischen Einfluss neh-
men.

geldes nach skandinavischem Vorbild. Schließlich regt der
Bericht an, nach US-amerikanischem Vorbild verstärkt eine
interdisziplinäre und deutschlandweite Forschung zu etab-
lieren.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Rechtsausschuss hat in seiner 42. Sitzung am 13. De-
zember 2006 die Kenntnisnahme der Unterrichtung sowie
mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Annahme einer Ent-
schließung empfohlen.

Der Finanzausschuss hat in seiner 42. Sitzung am 13. De-
zember 2006 Kenntnisnahme der Unterrichtung empfohlen.

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung hat in seiner 23. Sitzung am 13. Dezember
2006 die Kenntnisnahme der Unterrichtung sowie mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion der FDP
die Annahme einer Entschließung empfohlen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnis im
federführenden Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend

Der Ausschuss hat zu der Vorlage in seiner 25. Sitzung am
13. Dezember 2006 zunächst ein öffentliches Experten-
gespräch mit dem Vorsitzenden der Sachverständigenkom-
mission für den Siebten Familienbericht, Prof. Dr. Hans
Bertram, und Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
durchgeführt.

Er hat in der darauffolgenden abschließenden Beratung der
Vorlage in der 25. Sitzung empfohlen, in Kenntnis des Be-
richts eine Entschließung mit dem eingangs in der Beschluss-
empfehlung wiedergegebenen Inhalt anzunehmen. Während
die Empfehlung zur Kenntnisnahme einvernehmlich er-
folgte, wurde dieser Entschließung mehrheitlich mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN zugestimmt.

Ein weiterer Entschließungsantrag, den die Fraktion der
FDP vorgelegt hatte, wurde dagegen mit den Stimmen der
Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion der
FDP abgelehnt. Dieser Antrag auf Ausschussdrucksache
16(13)185 hatte folgenden Wortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam
Gruß, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

- Drucksache 16/1360 -

Siebter Familienbericht
Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit – Perspek-
tiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik
Als Investition in die Zukunft unterstützt der Bericht außer-
dem die Einführung eines einkommensabhängigen Eltern-

und

Stellungnahme der Bundesregierung

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/4211

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Familie hat Zukunft. Die Lebenswirklichkeit von Familien
hat sich gewandelt. Die Bedeutung von Familie nimmt unter
jungen Menschen zu. Es ist nicht staatliche Aufgabe, die
verschiedenen Lebensformen zu bewerten. Es ist staatliche
Aufgabe, einen fairen gesellschaftlichen Rahmen zu schaf-
fen, in dem Frauen und Männer die Form ihrer Verantwor-
tungsgemeinschaft frei wählen können. Für Liberale ist
Familie das Zusammenleben mit Kindern. Unser Leitbild in
der modernen Gesellschaft ist jede Art von Verantwortungs-
gemeinschaft, in der Menschen füreinander einstehen und
Verantwortung übernehmen. Hierzu gehören insbesondere
Ehen mit Kindern und Vielfalt von Lebensgemeinschaften
mit Kindern. Die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet
werden, dass echte Wahlfreiheit und partnerschaftliche Auf-
teilung familiärer und erwerbsorientierter Aufgaben oder
auch ein Studium und auch von Ausbildung und Studium in-
nerhalb der Familie möglich ist. Eltern müssen entscheiden
können, in welchem Umfang sie die Erziehung und Betreu-
ung ihrer Kinder selbst übernehmen oder dafür Anbieter
und Angebote außerfamiliärer Bildung und Betreuung hin-
zuziehen. Die Familie steht unter dem besonderen Schutz
der Verfassung. Die Erziehung der Kinder obliegt den
Eltern. Dort, wo sie dieser Verantwortung nicht gerecht
werden, sind begleitende familiale Hilfen für Eltern und
Kinder bei Bildung, Erziehung und Betreuung vorzusehen.

Der Siebte. Familienbericht verweist auf die europäische
Vielfalt familialer Lebensformen und zieht hieraus Folge-
rungen für die Familienpolitik. Zuzustimmen ist dem
Grundansatz, dass eine Familienpolitik nicht auf Einzel-
maßnahmen setzen kann. Es bedarf eines Dreiklanges aus
Zeitpolitik, der Entwicklung von Infrastrukturen sowie
finanzieller Transfers zur Existenzsicherung von Familien.

1. Familien im Wandel – bessere Rahmenbedingungen für
mehr Wahlfreiheit

Der Siebte Familienbericht verweist zutreffend auf die Viel-
falt privater Lebensformen und zeigt im europäischen Ver-
gleich die Entwicklungslinie von der Hausfrauenehe über
die immer spätere Unabhängigkeit vom Elternhaus, das
Durchlaufen verschiedener Lebensformen bis hin zur Ent-
scheidung für Kinder auf. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
bildeten Ehe und Familie eine Einheit. Heute haben sich
neben der Ehe weitere Formen des Zusammenlebens ent-
wickelt wie die nichteheliche Lebensgemeinschaft, die ein-
getragene Lebenspartnerschaft oder auch die immer häufi-
ger auftretende Form des „Living apart together“, bei der
die Ehepartner an unterschiedlichen Orten wohnen und
arbeiten. Seit 1996 ist die Zahl der nichtehelichen Lebens-
gemeinschaften um rund ein gutes Drittel gestiegen. In dem-
selben Zeitraum hat sich in den alten Bundesländern die
Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern
um fast drei Viertel erhöht. Für die Altersgruppe der 14 bis
17-jährigen Jugendlichen ermittelte das Statistische Bun-
desamt, dass 23 Prozent von ihnen im Jahr 2005 in alterna-
tiven Lebensformen, d. h. bei Alleinerziehenden und in Le-
bensgemeinschaften aufwuchsen. Auch sind die Familien

2. Finanzielle Transferleistungen – Evaluierung und
Neustrukturierung der familienpolitischen Leistungen

Die Leistungen der öffentlichen Hand für Familien betragen
seit 2002 rund 100 Milliarden Euro im Jahr; der Siebte
Familienbericht nennt 150 Milliarden Euro; das Institut für
Weltwirtschaft in Kiel legt einen Betrag von 240 Milliarden
Euro zugrunde, hierin eingerechnet auch die Bildungsaus-
gaben. Unabhängig von der Frage, wie Familienleistungen
definiert werden, ist festzuhalten, dass die Familienförde-
rung in Deutschland zu einem wesentlichen Teil über direkte
finanzielle Transferleistungen an die Familien erfolgt. An
einer Überprüfung der Zielgenauigkeit und Effizienz dieser
finanziellen Förderung fehlt es bisher; offen ist auch, wie
die zahlreichen Leistungen für Familien gegebenenfalls zu
bündeln oder in einer Familienkasse nach dem Beispiel
Frankreichs zu bündeln wären. Diese Aufgabe soll durch
das im September 2006 eingerichtete Kompetenzzentrum für
Familienleistungen übernommen werden. Der Siebte Fami-
lienbericht kritisiert, dass sich die finanzielle Familienförde-
rung in Deutschland mit nur wenigen Ausnahmen wie dem
bisherigen Erziehungsgeld nicht am Lebensalter der Kinder
und den Lebensphasen der Familien orientiert. Für das
Elterngeld stellt der Bund zwar im Haushalt 2007 3,5 Mil-
liarden Euro zur Verfügung; zugleich wurden bzw. werden
Familien durch die Streichung des Baukindergeldes, die
Reduzierung der Pendlerpauschale, die Mehrwertsteuer und
höhere Krankenversicherungs- und Rentenversicherungsbei-
träge erheblich belastet.

Trotz der im europäischen Vergleich noch hohen direkten
Transferleistungen für Familien leben nach Angaben des
Deutschen Kinderschutzbundes mehr als 2,5 Millionen Kin-
der und Jugendliche in Deutschland auf Sozialhilfeniveau.
Kinder werden trotz Förderbedarf angesichts der Kosten für
ein Mittagessen oftmals nicht in Ganztagsschulen und für
Ganztagsbetreuungsplätze in Kindertagesstätten angemel-
det. Der Siebte Familienbericht nimmt zu den Besonderhei-
ten von Familien in prekären Lebenslagen ausführlich Stel-
lung. Der 2005 eingeführte Kinderzuschlag für gering
verdienende Eltern, die zwar ihren eigenen Lebensunter-
halt, nicht jedoch den ihrer Kinder ohne entsprechende
staatliche Fürsorgeleistung abdecken können, zeigte bis-
lang nicht den gewünschten Erfolg. Vielmehr kam es auf-
grund der Umorganisation der Familienkassen, insbeson-
dere aufgrund der Zusammenlegung von Familienkassen
und der Einrichtung von vier Service Centern Familien-
kasse, zu Mehrbelastungen, die nicht aufgefangen werden
konnten und zu oftmals unverhältnismäßigen Bearbeitungs-
zeiten der Anträge auf Kindergeld und Kinderzuschlag füh-
ren. Bis Ende November 2005 waren 600 997 Anträge auf
Kinderzuschlag gestellt worden; 49 434 wurden bis zu die-
sem Zeitpunkt bewilligt und 416 363 Anträge abgelehnt
(Bundestagsdrucksache 16/334).

Im Steuerrecht müssen die finanziellen Belastungen von
Familien entsprechend berücksichtigt werden. Um das
Familienexistenzminimum von der Besteuerung freizustel-
len, erhalten Erwachsene und Kinder den gleichen Grund-
freibetrag. Das Lohnsteuerabzugsverfahren muss so über-
arbeitet werden, dass sich die Abzugsbeträge bei Ehegatten
kleiner geworden; in der Mehrheit der jungen Familien
leben ein oder maximal zwei Kinder.

am jeweiligen Anteil am Bruttoarbeitslohn orientieren. Die
Steuerklasse V kann entfallen.

Drucksache 16/4211 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Die Infrastruktur – quantitativer und qualitativer Aus-
bau der Kinderbetreuung

Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts ergab, dass in
Deutschland eine halbe Million Betreuungsplätze für Kin-
der unter drei Jahren fehlen. So bekommt in Bayern und
Nordrhein-Westfalen nur jedes fünfzigste Kleinkind einen
Platz. Auch der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht attes-
tiert Deutschland einen „unübersehbaren Nachholbedarf“
im Hinblick auf das öffentliche Bildungs-, Erziehungs- und
Betreuungsangebot (Bundestagsdrucksache 15/6014), und
der Siebte Familienbericht stellt fest, dass Westdeutschland
bei der Versorgung mit Plätzen in Kindertageseinrichtungen
im europäischen Vergleich einen der hinteren Plätze ein-
nimmt, dies insbesondere bei der Betreuung von Kindern
unter drei Jahren und ganztätigen Betreuungsangeboten für
Kinder im Kindergarten- und Schulalter. Angesichts der
Föderalismusreform ist zu klären, wie der Ausbau der
Tagesbetreuung künftig finanziert werden kann.

Der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht kritisiert, dass die
soziale Frage, d. h. die Überwindung der herkunftsabhängi-
gen Unterschiede im deutschen Bildungssystem weiter ein
Defizit aufweist. Die Qualität der Kinderbetreuung kann bis
zu einem Jahr Entwicklungsunterschied bei Kindern im Vor-
schulalter ausmachen und erhebliche Langzeitauswirkun-
gen für die Schulleistungen und die Entwicklungen in der
Grundschule haben. In einer liberalen Bürgergesellschaft
ist Bildung ein Bürgerrecht, das jedem die gleiche Chance
auf Bildung und Ausbildung eröffnet. Bildung soll allen
Kindern gleiche Startchancen und damit gleiche Teilhabe
an den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen
Entwicklungen ermöglichen. Im Rahmen des bundesrecht-
lichen Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz halb-
tags zwischen dem dritten Lebensjahr und der Einschulung
(bzw. der „Startklasse“) sollen Bildung, Erziehung und Be-
treuung für Kinder und Eltern ohne Entgelt möglich sein.
Das dritte Kindergartenjahr soll so schnell wie möglich zu
einem für die Eltern kostenfreien Angebot ggf. auch als
Startklasse im Rahmen der Schulgesetzgebung weiterent-
wickelt werden.

In Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommu-
nen sowie mit Hilfe von Expertinnen und Experten aus Wis-
senschaft und Praxis ist auf eine gemeinsame Qualitätsent-
wicklung in der Tagespflege und auf bundeseinheitliche
Mindestvorgaben für die Qualität in der öffentlich geförder-
ten bzw. vermittelten Tagespflege hinzuwirken. Ein System
der Akkreditierung bzw. Zertifizierung soll die Qualitäts-
sicherung der Einrichtungen gewährleisten.

4. Zeitmanagement – mehr Flexibilität in Betrieben und bei
Kinderbetreuungsangeboten

Die ökonomische Sicherheit ist ein wesentlicher Aspekt bei
der Entscheidung für Kinder. Viele Unternehmen bieten
ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern neben flexiblen
Arbeitszeitmodellen, Telearbeit oder Arbeitszeitkonten und
weiteren familienunterstützenden finanziellen und sozialen
Leistungen auch betriebliche oder betriebsnahe Kinderbe-
treuung an; z.T. nehmen Firmen an der Allianz für Familie
oder dem Audit „Berufundfamilie“ teil. Familienfreundli-
che Maßnahmen erwirtschaften aufgrund der Einsparpoten-
ziale durch niedrigere Überbrückungs-, Fluktuations- und

abends oder auch am Wochenende einer Erwerbstätigkeit
nachgehen, sollten auch Kinderbetreuungseinrichtungen
eine entsprechende Flexibilität aufweisen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung
auf:

1. im Europäischen Jahr der Chancengleichheit alle er-
forderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit Deutsch-
land bis zum Jahr 2010 zu den familienfreundlichsten
Ländern Europas aufschließt;

2. die finanziellen Leistungen für Familien zu evaluieren,
transparent zu gestalten und zur Förderung von Fami-
lien ein schlüssiges Gesamtkonzept für eine um-
fassende Familienförderung bis zur Vollendung des
18. Lebensjahres vorzulegen, das insbesondere die
Existenzsicherung der Kinder und die Förderung von
kinderreichen Familien berücksichtigt;

3. bei der Ausgestaltung von Leistungen zu Gunsten von
Familien angesichts der Vielfalt von Lebensgemein-
schaften die Wechselwirkung beim Unterhalts-, dem
Sozial- und Steuerrecht zu berücksichtigen;

4. im Rahmen der bestehenden familienpolitischen Leis-
tungen den Kinderzuschlag hinsichtlich seiner Zielset-
zung zu überprüfen und weiterzuentwickeln;

5. als Sofortmaßnahme im Rahmen der bestehenden Aus-
bildungsförderung für junge Menschen ein Baby-
BAföG einzuführen, wonach jeder Mutter, die BAFöG
bezieht, die Möglichkeit eingeräumt wird, anstelle des
jetzt vorgesehenen Darlehensteilerlasses nach Ab-
schluss des Studiums für die Dauer ihres BAFöG-Be-
zugs eine monatliche Zulage zu erhalten;

6. im Rahmen von Ausbildung, Studium, Fort- und Wei-
terbildungsangeboten verstärkt auf eine Modularisie-
rung hinzuwirken, um in allen Lebensphasen der
Familiensituation angepasste Möglichkeiten der Qua-
lifizierung bereitzustellen;

7. gemeinsam mit den Ländern darauf hinzuwirken, dass
die Familienfreundlichkeit von Hochschulen insbeson-
dere in Bezug auf die Studienorganisation und Kinder-
betreuung verstärkt wird;

8. die Kosten für Kinderbetreuung und Pflege bis zu
einem Betrag von 12 000 Euro im Jahr als Sonderauf-
wendungen steuerlich abzugsfähig zu machen;

9. die geltenden Steuerklassen und insbesondere die
Steuerklasse V abzuschaffen und möglichst unbüro-
kratische Vorschläge für die Neuregelung des Lohn-
steuerabzugs insgesamt vorzulegen, wobei die Abzugs-
beträge bei Ehegatten sich stärker am jeweiligen
Anteil am Bruttoarbeitslohn orientieren sollen;

10. das beschlossene Elterngeld in regelmäßigen Abstän-
den zu evaluieren;

11. gemeinsam mit den Ländern ein Konzept für die Schaf-
fung und Finanzierung von Kinderbetreuungsplätzen
nach Vollendung des ersten Lebensjahres auch mit
Blick auf die regionale Unterversorgung zu erarbeiten
und zeitnah umzusetzen, da wissenschaftlich erwiesen
Wiedereingliederungskosten für mittelgroße Betriebe meh-
rere 100 000 Euro. Angesichts dessen, dass Eltern zum Teil

ist, dass gerade in den ersten drei Lebensjahren ent-
scheidende Entwicklungsschritte der Kinder erfolgen;

Deutscher Bundestag – 16 rucksache 16/4211

Berlin, den 31. Januar 200

Paul Lehrieder
Berichterstatter

Jörn Wunderlich
Berichterstatter
. Wahlperiode – 11 – D

12. die ersten Lebensjahre eines Kindes als zentrale Lern-
und Bildungsphasen anzuerkennen und ein besonderes
Gewicht auf die Förderung in den frühen Jahren zu
legen;

13. die Bildungsforschung insbesondere im Bereich der
frühkindlichen Bildung weiter zu intensivieren und ihre
Erkenntnisse in die Familien- und Bildungspolitik ver-
stärkt einfließen zu lassen;

14. darauf hinzuwirken, dass bundesweit durch geeignete
Institutionen und in engem Zusammenwirken zwischen
Bund, Ländern und Trägern Standards für Kinderbe-
treuungseinrichtungen festgelegt und deren Einhaltung
und Umsetzung in regelmäßigen Abständen evaluiert
werden sowie darauf, dass in diesem Zusammenhang
auch einheitliche Standards für die Sprachstandsmes-
sungen der Kinder erarbeitet werden;

15. darauf hinzuwirken, dass die Ausbildung der Erziehe-
rinnen und Erzieher mit Blick auf die Trias von Bil-
dung, Erziehung und Betreuung neben dem bisherigen
sozialpädagogischen Ansatz verstärkt auch auf Bil-
dungsprozesse fokussiert wird und dafür zu sorgen und
zu werben, dass der Beruf des Erziehers und Grund-
schullehrers auch für Männer attraktiv gestaltet wird;

16. ein umfassendes Erwachsenenbildungskonzept zur
Stärkung der Bildungs- und Erziehungskompetenz der
Eltern vorzulegen.

7

Caren Marks
Berichterstatterin

Ina Lenke
Berichterstatterin

Ekin Deligöz
Berichterstatterin

x

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