BT-Drucksache 16/4033

Rolle der Bundesregierung bei der Förderung kommerzieller Nachhilfeinstitute

Vom 15. Januar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4033
16. Wahlperiode 15. 01. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider
(Saarbrücken), Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Rolle der Bundesregierung bei der Förderung kommerzieller Nachhilfeinstitute

Die Fraktion DIE LINKE. hat sich mit der Kleinen Anfrage auf Bundestags-
drucksache 16/3236 über den Hintergrund der Umsatzsteuerbefreiung bei priva-
ter Nachhilfe erkundigt, die für uns eine staatliche Subventionierung kommerzi-
eller Bildungsangebote darstellt. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf
Bundestagsdrucksache 16/3455 darauf hingewiesen, dass die Umsatzsteuer-
befreiung kommerzieller Nachhilfe auf eine EU-Richtlinie zurückgehe und sie
deshalb aktuell nichts daran ändern könne. Allerdings plant sie auch auf EU-
Ebene keine Aktivitäten, um dieses Einfallstor für Bildungsprivatisierungen zu
schließen.

Ferner hat sie ausgeführt, dass sie über Umfang und Entwicklung privater Nach-
hilfe kaum Auskunft erteilen könne, da die Datenlage unzureichend sei. Aller-
dings wird bereits im 12. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (Bun-
destagsdrucksache 15/6014) in Kapitel 6.3.1 relativ umfassend auf das Thema
eingegangen und deutliche Kritik an der zunehmenden Bedeutung privater
Nachhilfe geübt. Es heißt dort unter anderem: „Die Kosten für bezahlte Nach-
hilfe können sich im Prinzip nur Eltern mit gutem Einkommen leisten, was letzt-
lich einem Förderprivileg für wohlhabendere Schüler/innen gleichkommt. Das
Angebot von institutioneller Nachhilfe trägt demzufolge zur Verstärkung sozial
bedingter Bildungsungleichheiten bei.“

Daran anschließend stellt sich die Frage, welche Schritte die Bundesregierung
unternimmt, um das Angebot privater Nachhilfe überflüssig zu machen. Bisher
sind keinerlei Initiativen erkennbar. Im Gegenteil: Nicht nur mit der Regelung
der Umsatzbesteuerung für Nachhilfeträger, sondern auch durch Beteiligung an
Qualitätssicherungsmaßnahmen, die unter anderem von den beiden marktfüh-
renden Nachhilfeunternehmen Schülerhilfe und Studienkreis begonnen wurden,
unterstützt sie das Angebot privater Nachhilfe und fördert insbesondere die
Akzeptanz für die Angebote großer kommerzieller Nachhilfeträger.

Die Qualitätssicherung von Studienkreis und Schülerhilfe sieht vor, dass die
Nachhilfeinstitute beider Unternehmen flächendeckend mit Qualitätszertifika-
ten akkreditiert werden. Die Schülerhilfe verwendet dabei das vom Verein
„Gütegemeinschaft INA-Nachhilfeschulen“ entwickelte RAL-Gütezeichen; der

Studienkreis verwendet den von TÜV Rheinland entwickelten „Qualitätsstan-
dard Nachhilfe“ zur Zertifizierung seiner Nachhilfeinstitute. An beiden Quali-
tätssicherungssystemen ist die Bundesregierung – direkt oder indirekt – betei-
ligt. TÜV Rheinland wurde beispielsweise von der Bundesagentur für Arbeit
akkreditiert.

Drucksache 16/4033 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Bedeutung privater Nachhilfe droht in den nächsten Jahren weiter zu stei-
gen. Mit dem Bundesverband Nachhilfe- und Nachmittagsschulen (VNN e. V.)
hat sich ein Lobbyverband für kommerzielle Nachhilfeanbieter etabliert, der zu-
nehmend auf das Gesetzgebungsverfahren im Bund und in den Ländern Einfluss
nimmt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Stimmt die Bundesregierung der These zu, dass sich neben der klassischen
Form der Nachhilfe durch Eltern, Geschwister, private Nachhilfelehrerinnen
und Nachhilfelehrer oder schulinterne Betreuung seit Beginn der 1970er
Jahre ein weit verbreitetes Nachbeschulungssystem etabliert hat, das maß-
geblich von kommerziellen Bildungsanbietern getragen wird (bitte mit Be-
gründung)?

2. Stimmt die Bundesregierung zu, dass die Akkreditierung von Nachhilfeinsti-
tuten mit offiziellen Qualitätszertifikaten vorrangig den Trägern institutionel-
ler privater Nachhilfe im Gegensatz zur klassischen Form der Nachhilfe
durch Eltern, Geschwister, private Nachhilfelehrerinnen und Nachhilfelehrer
oder schulinterne Betreuung Akzeptanzgewinne verschafft (bitte mit Begrün-
dung)?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Ankündigung der beiden führenden
kommerziellen Nachhilfeträger – Studienkreis und Schülerhilfe – ihre Nach-
hilfeschulen in den kommenden Jahren flächendeckend mit offiziellen Qua-
litätszertifikaten zu akkreditieren?

4. Welche Rolle spielt die Bundesregierung bei der Gütezertifizierung nach
RAL, der das Gütezeichen für die „Gütegemeinschaft INA-Nachhilfeschu-
len“ entwickelt hat, das unter anderem von der Schülerhilfe verwendet wird?

5. Welche Rolle spielt die Bundesregierung bei der Qualitätssicherung über
TÜV Rheinland, der den vom Studienkreis verwendeten „Qualitätsstandard
Nachhilfe“ entwickelt hat?

6. Wie hängen der Verein Gütegemeinschaft INA-Nachhilfeschulen und der
Bundesverband Nachhilfe- und Nachmittagsschulen (VNN e. V.) personell
und organisatorisch mit den beiden marktführenden kommerziellen Nach-
hilfeanbietern – Studienkreis und Schülerhilfe – zusammen?

7. a) Wie hat sich der Umsatz der beiden marktführenden kommerziellen Nach-
hilfeinstitute – Studienkreis und Schülerhilfe – in den letzten 10 Jahren
entwickelt?

b) Worauf lässt sich diese Entwicklung aus Sicht der Bundesregierung zu-
rückführen?

8. a) Welche internationalen Kooperationen haben sich in den letzten Jahren
zwischen Schülerhilfe bzw. Studienkreis und ausländischen bzw. global
agierenden Nachhilfeunternehmen entwickelt?

b) Sind der Bundesregierung Kooperationen von Schülerhilfe oder Studien-
kreis mit börsennotierten Nachhilfeunternehmen bekannt?

c) Welche börsennotierten Nachhilfeunternehmen gibt es innerhalb der Bun-
desrepublik bzw. innerhalb der Europäischen Union?

9. a) Welche Rolle spielt der Bundesverband Nachhilfe- und Nachmittagsschu-
len (VNN e. V.) bei der Gesetzgebung der Bundesregierung?

b) Mit welchen finanz-, bildungspolitischen oder sonstigen Forderungen ist
der Verband in den letzten Jahren an die Bundesregierung herangetreten

und in welchen Fällen und in welcher Form ist den Forderungen entspro-
chen worden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4033

c) Bei welchen Veranstaltungen des Bundesverbandes haben Mitglieder der
Bundesregierung teilgenommen?

Was waren jeweils die Ergebnisse und Schlussfolgerungen?

10. a) Welche Rolle hat der Bundesverband Nachhilfe- und Nachmittagsschu-
len (VNN e. V.) bei der Ausgestaltung des Ganztagsschulprogramms der
Bundesregierung gespielt?

b) Wie steht die Bundesregierung zu dem mehrmals öffentlich geäußerten
Angebot des Bundesverbandes Nachhilfe- und Nachmittagsschulen
(VNN e. V.), öffentliche Schulen in der Nachmittagsversorgung zu
unterstützen?

c) Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen dieses Angebot bereits
umgesetzt wurde?

Wenn ja, welche?

11. Was gedenkt die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern zu
unternehmen, um das im 12. Kinder- und Jugendbericht angesprochene Pro-
blem der sozialen Ungleichheit durch die zunehmende Bedeutung privater
Nachhilfeangebote zu lösen?

12. Setzt Bundesbildungsministerin Dr. Annette Schavan in der von ihr an-
gekündigten Bund-Länder-Offensive zur Verringerung der Zahl von Schul-
abbrecherinnen und Schulabbrecher auch auf die Angebote kommerzieller
Nachhilfeinstitute?

Falls ja, in welcher Form?

13. a) Wann ist mit dem von Bundesbildungsministerin Dr. Annette Schavan
im Rahmen der Befragung der Bundesregierung am 13. Dezember 2006
zur Nationalen Bildungsberichterstattung angekündigten Gutachten zu
Umfang und Qualität privater Nachhilfe zu rechnen?

b) Welche Überlegungen gibt es von Seiten der Bundesregierung bisher zu
Umfang und Gestaltung der Studie?

c) In welcher Form werden der zuständige Ausschuss des Deutschen Bun-
destages und die bildungspolitische Fachöffentlichkeit in die Gestaltung
der Studie einbezogen?

Berlin, den 12. Januar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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