BT-Drucksache 16/3960

Sicherheit geht vor - Besonders terroranfällige Atomreaktoren abschalten

Vom 21. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3960
16. Wahlperiode 21. 12. 2006

Antrag
der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Cornelia Behm,
Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter,
Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske, Wolfgang Wieland und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sicherheit geht vor – Besonders terroranfällige Atomreaktoren abschalten

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● festzustellen, dass die Pläne der Betreiber, ihre Atomkraftwerke durch Ver-
nebelungsanlagen gegen Terrorangriffe mit Verkehrsflugzeugen zu schützen,
gescheitert sind;

● auf die Betreiber einzuwirken, die besonders verwundbaren Atomkraft-
werke, die lediglich gegen den Absturz leichter Sportflugzeuge geschützt
sind bzw. nur einen Schutz gegen den Absturz einer leichten Militär-
maschine (Starfighter) aufweisen, stillzulegen, indem Reststrommengen auf
jüngere Atomkraftwerke übertragen werden, was im Rahmen des Atomkon-
senses und des Atomgesetzes möglich ist;

● von den Betreibern mit einer klaren Fristsetzung für alle übrigen Anlagen
bauliche Schutzmaßnahmen und den Nachweis zu verlangen, dass es beim
Angriff mit einem Verkehrsflugzeug nicht zu einer nuklearen Katastrophe
kommt.

Berlin, den 21. Dezember 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Seit den Angriffen von Terroristen auf das World Trade Center in New York
und das Pentagon in Washington am 11. September 2001 sind von Selbstmord-

attentätern gezielt herbeigeführte Abstürze von Verkehrsflugzeugen auf Atom-
kraftwerke nicht mehr auszuschließen.

Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine diesbezügliche Anfrage fest-
gestellt:

„Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden des Bundes zum islamistischen
Terrorismus ist seit den Anschlägen des 11. September 2001 davon auszuge-

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hen, dass Täter aus diesem Bereich nicht nur eine symbolische Wirkung ihrer
Taten anstreben, sondern insbesondere versuchen, größtmögliche Personen-
schäden zu erzielen. Ein Anschlag auf kerntechnische Einrichtungen muss
daher als mögliche Option angesehen und kann nicht völlig ausgeschlossen
werden.“

Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort zugleich festgestellt, dass ein erfolg-
reicher Terrorangriff, bei dem es zum erheblichen Austritt von Radioaktivität
käme, „katastrophale Auswirkungen“ hätte. Dies hätte den Tod vieler Mitbür-
ger, eine große Zahl von Krankheitsfällen und die jahrzehnte- bis jahrhunderte-
lange Unbewohnbarkeit weiter Landstriche und Städte zur Folge – von den im-
mensen volkswirtschaftlichen Schäden ganz zu schweigen.

Dem „9/11 Commission Report“ zur Aufarbeitung der Terrorangriffe auf New
York und Washington ist zu entnehmen, dass die Gruppe um Mohammed Atta
und Ramzi Binalshibh auch einen Angriff auf ein Atomkraftwerk in der Nähe
von New York in Erwägung gezogen hatte. Im Bericht heißt es: „They thought
a nuclear target would be difficult because the airspace around it was restricted
[…] increasing the likelihood that any plane would be shot down before im-
pact.“

Die Bundesregierung hat die Verwundbarkeit von Atomkraftwerken durch ge-
zielt herbeigeführte Abstürze von Verkehrsflugzeugen durch die Gesellschaft
für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH untersuchen lassen und fest-
gestellt, dass

● Atomkraftwerke grundsätzlich getroffen werden können,

● es Anlagen gibt, die nicht einmal gegen den Absturz von kleineren Militär-
maschinen ausgelegt sind.

Die Betreiber haben daraufhin Pläne entwickelt, ihre Atomkraftwerke im
Angriffsfall zu vernebeln, um so die Trefferwahrscheinlichkeit deutlich herab-
zusetzen. Eine Vernebelung, auch eine wiederholte, kann insbesondere bei vor-
handenem Wind immer nur eine begrenzte Zeit aufrechterhalten werden. Sie
dient dazu, die Zeit bis zum Eintreffen von Militärmaschinen zu überbrücken.

Obwohl nunmehr seit Jahren an der Umsetzung des Vernebelungskonzeptes
seitens der Betreiber gearbeitet wird, ist es bislang an keinem Standort umge-
setzt worden.

Am 15. Februar 2006 hat das Bundesverfassungsgericht über die Beschwerde
gegen das Luftsicherheitsgesetz entschieden. Im Leitsatz 3 heißt es: „Die Er-
mächtigung der Streitkräfte, […] durch unmittelbare Einwirkung mit Waffen-
gewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen ein-
gesetzt werden soll, ist mit dem Recht auf Leben […] in Verbindung mit der
Menschenwürdegarantie […] nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Men-
schen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden.“

Mit diesem Urteil ist das Vernebelungskonzept gescheitert. Ein Schutzkonzept
für Atomkraftwerke darf nicht auf einer verfassungswidrigen Ermächtigung
zum Abschuss eines Verkehrsflugzeuges aufbauen.

Die Konsequenz aus dem Scheitern des Vernebelungskonzeptes und aus dem
Fehlen weiterer Abwehrstrategien kann nur sein, die gar nicht bzw. nur äußerst
mangelhaft gegen Flugzeugabstürze geschützten Atomkraftwerke so schnell
wie möglich stillzulegen.

Erinnert wird an die Entschließung des Deutschen Bundestages anlässlich der
Verabschiedung des Atomausstiegsgesetzes am 14. Dezember 2001:

„Der Deutsche Bundestag sieht in der flexiblen und strommengenbezogenen

Begrenzung der bisher unbefristeten Betriebsgenehmigungen ein geeignetes

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3960

Instrumentarium für die Betreiber, um auf allgemeine Risiken wie die terroristi-
schen Bedrohungen oder Alterungsermüdungen, die noch keine akuten Gefähr-
dungstatbestände sind, sicherheitsgerichtet zu reagieren, indem insbesondere
ältere Anlagen noch vor Ablauf ihrer Restlaufzeit vom Netz genommen und
ihre Restlaufzeiten auf andere Anlagen übertragen werden.“

Nach dem Scheitern des Vernebelungskonzeptes ist es geboten, im Interesse der
nationalen Sicherheit und zum Schutz vor Terrorangriffen mit Verkehrsflugzeu-
gen, dass die Bundesregierung mit allem Nachdruck auf die Betreiber einwirkt,
von der Strommengenübertragung sicherheitsgerichtet Gebrauch zu machen.
Die nicht bzw. nur mangelhaft geschützten Atomkraftwerke sind abzuschalten.

Für alle übrigen Atomkraftwerke sind bauliche Schutzmaßnahmen und der
Nachweis von den Betreibern einzufordern, dass es im Falle eines Angriffs mit
einem Verkehrsflugzeug nicht zu einer nuklearen Katastrophe kommt. Bauliche
Schutzmaßnahmen und Nachweise sind mit einer klaren Fristsetzung einzufor-
dern.

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