BT-Drucksache 16/3952

Zukunft der Dualen Systeme, insbesondere des Dualen Systems Deutschland in der deutschen Abfallwirtschaft

Vom 15. Dezember 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3952
16. Wahlperiode 15. 12. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn,
Cornelia Behm, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Dr. Anton
Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zukunft der Dualen Systeme, insbesondere des Dualen Systems Deutschland
in der deutschen Abfallwirtschaft

Um die endliche Ressource Erdöl zu schonen, wurde mit der Verpackungs-
verordnung von 1991 ein aufwändiges System zur Sammlung und zum Recyc-
ling von gebrauchten Verpackungskunststoffen aufgebaut. Nach anfänglichen
Schwierigkeiten gelang es, mit dem Dualen System Deutschland (DSD) in
Deutschland ein Sammelsystem für Verpackungsmaterialien zu installieren, das
mittlerweile seit über 15 Jahren Leichtverpackungen (LVP) sammeln und ver-
werten lässt. Seit Beginn der Sammlung bis heute haben sich nicht nur die
abfallpolitischen Rahmenbedingungen geändert, sondern auch in technolo-
gischer Hinsicht sind seitdem große Forschritte erzielt worden. Vor diesem Hin-
tergrund stellt sich zunehmend Frage nach der Zukunft der Dualen Systeme und
ihrer ökologischen Vorteilhaftigkeit.

Die Sammlung von Verpackungen durch Duale Systeme ist bis heute durch zwei
große systembedingte Schwächen gekennzeichnet.

1. Zum einen bedeutet die Sammlung von Verpackungen einen Bruch mit zuvor
existierenden Wertstoffsammlungen, indem in den dualen Systemen nicht
nach Materialien erfasst wird, sondern nach der Herkunft als Verpackung.
Dies führt bis heute zu ökologisch unsinnigen Unterscheidungen, wonach
eine Kunststoffflasche die als Verpackung gedient hat erfasst wird, ein eben-
falls aus Erdöl hergestelltes, aber nicht als Verpackung verwendetes Kunst-
stoffgefäß jedoch nicht. Letzteres muss als „stoffgleiche Nichtverpackung“
noch immer im Restmüll entsorgt werden.

2. Zum anderen landen die sehr unterschiedlich zusammengesetzten Kunst-
stoffmaterialien als buntes Gemisch zunächst in einer aufwändigen Sortier-
anlage und anschließend je nach Kunststoff oder Kunststoffgemisch bei
diversen Verwertungsbetrieben. Die erfassten Kunststofffraktionen lassen
sich in der Regel nur schlecht recyceln und eine echte Kreislaufwirtschaft ist
nicht möglich. Stattdessen findet in den allermeisten Fällen nur ein „Down-

cycling“ statt, an dessen Ende dann ein oft ein gegenüber dem Ausgangs-
produkt minderwertiges Produkt steht.

Das Ziel einer nachhaltigen Abfallpolitik muss die Schonung endlicher Res-
sourcen sein und Rohstoffe in einen echten Kreislauf zu führen. Dies leisten die
Dualen Systeme bis heute nicht im erforderlichen Maße.

Drucksache 16/3952 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

Ökologischer Nutzen

1. Welchen Massenanteil am Abfallgesamtaufkommen bzw. welcher Volu-
menanteil wird von den Dualen Systemen verwertet und wie hoch sind ins-
gesamt die dabei entstehenden Kosten?

2. Wie hoch ist derzeit der Anteil an verwertbaren Materialien im Restmüll?

3. Wie hoch ist nach aktuellen Untersuchungen der Anteil an Verpackungen
mit dem Grünen Punkt sowie der Anteil so genannter stoffgleicher Nicht-
verpackungen im Hausmüll und in welchem Verhältnis steht dies zum Auf-
kommen an LVP?

4. Wie viele Untersuchungen zu einer gemeinsamen Erfassung von LVP
(Leichtverpackungen) und Restmüll mit anschließender Sortierung und
Verwertung hat es inzwischen in der Bundesrepublik gegeben und wie
waren die Ergebnisse im Einzelnen?

5. Wie groß sind derzeit die verfügbaren Sortierkapazitäten für LVP-Abfälle
in der Bundesrepublik und welche sonstigen Anlagenkapazitäten wären
grundsätzlich auch für eine Sortierung von Restmüll geeignet?

6. Wie hoch ist der Anteil an Sortierresten beim DSD (Duales System
Deutschland)?

Wie ist die Entwicklung des Anteils in den vergangenen Jahren verlaufen?

7. Was passiert mit den Sortierresten des DSD? Was hat sich gegenüber der
Zeit vor dem 1. Juni 2005 – der Zeit vor dem Inkrafttreten der Ablagerungs-
verordnung – verändert?

In welcher Menge werden derzeit Sortierreste in genehmigten Zwischen-
lagern oder auf Betriebsgeländen zwischengelagert?

8. Welcher Anteil, der tatsächlich gesammelten Verpackungsmaterialien (bei
den Kunststoffen, beim Glas, beim Papier) wird derzeit (werk-)stofflich ver-
wertet?

9. Gehen von den Dualen Systemen gesammelten und sortierten Wertstoffe
derzeit in Müllverbrennungsanlagen oder als Ersatzbrennstoff in die Mit-
verbrennung?

Wenn ja, wie hoch ist dieser Anteil?

10. Wie hat sich die tatsächlich gesammelte Quote von Papier und Glas seit der
Betriebsaufnahme durch das DSD gegenüber dem Stand von vor 1990 ver-
ändert und wenn ja, wie?

11. Ist der Bundesregierung bekannt, ob und wenn ja, wie viele Kommunen der-
zeit die Abstimmungserklärungen mit dem DSD nicht unterzeichnet haben?

12. Welche der durch die Dualen Systeme gesammelten Sekundärrohstoffe er-
zielen einen Preis auf dem Rohstoffmarkt?

Wie sieht dies insbesondere im Kunststoffbereich aus und wie hat sich hier
der Preis in der Vergangenheit verändert?

13. Was genau versteht die Bundesregierung unter einer hochwertigen Ver-
wertung und wie genau will sie die Hochwertigkeit einer Verwertungsmaß-
nahme sicherstellen?

Reicht nach Auffassung der Bundesregierung der Strebsamkeitsappell des
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetztes (KrW-/AbfG) dafür aus?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3952

14. Was genau versteht die Bundesregierung unter einer rohstofflichen Verwer-
tung von Verpackungsabfällen und welche Verfahren zählen dazu?

Wie hoch ist der Anteil einer solchen rohstofflichen Verwertung derzeit?

15. Wie hoch ist der Anteil der Kunststoffe, die derzeit zu minderwertigen Pro-
dukten wie Parkbänken, Schallschutzwänden usw. verwertet werden?

16. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob ein solches
„Downcycling“ ökologisch sinnvoll ist?

17. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, um das eigent-
liche Ziel des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetztes (KrW-/AbfG) so-
wie der Verpackungsverordnung zu erreichen und den Anteil an „echtem“
Recycling zu erhöhen?

Hat es außer dem Versuch einer Materialreduzierung Entwicklungen gege-
ben, Verpackungen recyclingfreundlicher zu gestalten?

Wenn ja, welche Lösungsansätze bestehen?

18. Stellt nach Erkenntnissen der Bundesregierung die Verwendung von PVC
für Verpackungen derzeit ein Problem für die Verwertung/Entsorgung von
Verpackungen dar?

19. Welchen Beitrag zur Energieeinsparung (in Megajoule) leistet die Ver-
wertung gebrauchter Verkaufsverpackungen aufgrund der Verpackungs-
verordnung (aufgeschlüsselt nach Kalenderjahren seit Inkrafttreten der Ver-
packungsverordnung) und trifft nach Kenntnis der Bundesregierung die
Angabe zu, dass die DSD GmbH im Jahre 2005 „im Vergleich zur Neu-
produktion der recycelten Wertstoffe rund 71 Milliarden Megajoule Primär-
energie einsparen“ konnte (Pressemitteilung der DSD GmbH vom 4. Mai
2006 „Verpackungsrecycling: Extra-Energie für die Fußball-WM“)?

20. Leistet das DSD einen Beitrag zum Klimaschutz?

Wenn ja, wie groß ist der Beitrag und was muss derzeit dafür finanziell auf-
gewendet werden?

Wie hoch sind die spezifischen CO2-Vermeidungskosten in Euro/t?

Wie hoch sind diese Vermeidungskosten im Verhältnis zu anderen Klima-
schutzmaßnahmen?

21. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass auch in Zukunft Rohöl für die
stoffliche Nutzung nicht besteuert werden soll?

Wenn ja, mit welcher Begründung?

22. Welches Potenzial sieht die Bundesregierung zukünftig für Biokunststoffe
und sind ggf. Maßnahmen geplant, um diese stärker als bisher zu fördern?

23. Liegen der Bundesregierung Zahlen dazu vor, wie hoch der Anteil in Län-
dern wie z. B. Frankreich und England, in denen Biokunststoffe im Ver-
packungssektor inzwischen beachtliche Marktanteile erreicht haben, in den
jeweiligen Verpackungssegmenten inzwischen ist, und wie die entsprechen-
den Vergleichswerte in Deutschland aussehen?

24. Welche gesetzlichen unterstützenden Maßnahmen bestehen in den genann-
ten europäischen Ländern, um Biokunststoffe auf den Markt zu bringen?

25. Besteht aus Sicht der Bundesregierung noch Forschungsbedarf bei Bio-
kunststoffen, insbesondere bei den biologisch abbaubaren Werkstoffen und
wenn ja, welcher?

Drucksache 16/3952 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Ökonomische Aspekte

26. Wie viele Unternehmen wurden vor fünf Jahren durch das DSD mit der
Sammlung und Sortierung von LVP beauftragt?

Wie viele sind es heute?

Ist eine Entwicklung erkennbar und was sind ggf. die Ursachen für diese
Entwicklung?

27. Wie viele Entsorgungs- und Verwertungsunternehmen sind während ihrer
Tätigkeit als Auftragnehmer für das DSD in Konkurs gegangen?

Was sind aus Sicht der Bundesregierung die Ursachen dafür?

28. Wie viele Ausschreibungen wurden nach Erteilung des Auftrags durch das
DSD von den Verwertern direkt zurückgegeben, wie viele während der
Laufzeit der Verträge?

29. Erhalten die Kommunen von Seiten der Dualen Systeme einen Ausgleich
dafür, dass sie bei Dualen Systemen lizenzierte Verpackungen die sich im
Hausmüll befinden, entsorgen?

30. Wie ist die Kontrolle sichergestellt, dass die Dualen Systeme ihre gesetz-
lichen Aufgaben erfüllen und wie hoch ist das Missbrauchspotenzial?

Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor?

31. Wie viele Brände von Sortierresten hat es in den letzten zwei Jahren gege-
ben?

Gibt es Erkenntnisse, ob dabei auch Brandstiftung eine Rolle gespielt hat?

32. Welche Kosten entstehen den Bürgerinnen und Bürgern derzeit durch-
schnittlich jährlich, um die Kosten der Sammlung und Verwertung von LVP
über Duale Systeme zu finanzieren?

33. Wie sieht die Zukunft der Sortec-Anlage in Hannover aus?

Ist die Anlage derzeit ausgelastet?

Woher kommen die LVP derzeit?

Sind weitere Anlagen geplant?

Wenn ja, welche und wo?

34. Wie sieht derzeit die Ausschreibungspraxis beim Papier aus?

Sind der Bundesregierung Schwierigkeiten bekannt und wenn ja, welche?

35. Welches Interesse hat nach Ansicht der Bundesregierung das Unternehmen
KKR an der Übernahme des DSD und wird die Bundesregierung verhin-
dern, dass nun, wo DSD kein „non profit“ mehr ist, Monopolgewinne abge-
schöpft werden?

36. Plant die Bundesregierung Maßnahmen für mehr Wettbewerb bei der Ent-
sorgung von Verpackungen und wenn ja, welche?

Wettbewerbssituation der Dualen Systeme

37. Welche Mengen an Verkaufsverpackungen (in Tonnageprozent) werden
nach Erkenntnissen der Bundesregierung von dualen Systemen gemäß § 6
Abs. 3 Verpackungsverordnung lizenziert?
Welche davon bei Selbstentsorgern bzw. Selbstentsorgergemeinschaften
gemäß § 6 Abs. 1 und 2 Verpackungsverordnung?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/3952

Welche Verpackungsmengen entfallen auf bepfandete Einweggetränke oder
werden auf sonstigen gewerblichen Rück-führungswegen entsorgt?

Welche Mengen erfüllen nicht die Pflichten der Verpackungsverordnung
(„Trittbrettfahrerproblem“)?

38. In welchen Branchen und bei welchen Verpackungsarten besteht das „Tritt-
brettfahrerproblem“ nach Erkenntnissen der Bundesregierung hauptsäch-
lich?

Welches mengenmäßige Ausmaß hatte das „Trittbrettfahrerproblem“ jeweils
in den Jahren seit dem Inkrafttreten der Verpackungsverordnung?

39. Wie hoch waren nach Erkenntnis der Bundesregierung die Gewinne des
DSD seit der Umwandlung der Gesellschaftsform und wie bewertet die
Bundesregierung eine Meldung der FAZ vom 30. Oktober 2006 „wonach
sich der Kauf des Grünen Punktes für die amerikanische Beteiligungsgesell-
schaft Kohlberg Kravis Roberts (KKR) schon nach dem ersten Jahr ausge-
zahlt habe“?

40. Wie hoch ist der Marktanteil des DSD augenblicklich?

Wie hat sich die Intervention des Kartellamtes auf den Marktanteil ausge-
wirkt?

41. Welchen Beitrag hatte das Kartellamt beim DSD an der Umgestaltung des
DSD, und wie sehen die Auflagen des Kartellamtes aus?

Reichen diese aus Sicht der Bundesregierung aus, um für echten Wettbe-
werb im Entsorgungsmarkt für LVP zu sorgen?

Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang vor allem
Möglichkeiten zur Nutzung des Lizenzierungszeichens (Der Grüne Punkt)
durch Mitbewerber?

42. Welche Auflagen gibt es von Seiten des Kartellamtes für die Ausschreibung
der Entsorgungsverträge?

Stimmt es, dass bei den Ausschreibungsverträgen ökologische und soziale
Standards keine Berücksichtigung finden?

43. Wie viele Sortieranlagen zur Sortierung von LVP gibt es derzeit in der Bun-
desrepublik und wie viele Unternehmen besitzen diese?

44. Wie beurteilt die Bundesregierung aus Sicht der umweltpolitischen Steue-
rungswirkung die kartellrechtlich begründete Maßgabe an die Dualen Sys-
teme, nicht über die rechtlich vorgegebenen Quoten hinaus zu sortieren?

Wie beurteilt sie die sich daraus ableitenden Bonus-Malus-Regelungen der
Systembetreiber gegenüber den Sortieranlagenbetreibern?

45. Ist der Bundesregierung bekannt, dass ein Entsorger in der Gebietskörper-
schaft Neuß bereit ist, eine Pilotanlage zur Sortierung von Wertstoffen aus
einer Mischerfassung von Hausmüll und Gelber Tonne zu errichten und
dazu auch die Zustimmung der Gebietskörperschaft hat?

Ist der Bundesregierung bekannt, warum diese Pilotanlage nicht errichtet
wurde?

Berlin, den 15. Dezember 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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