BT-Drucksache 16/3934

Unrecht des Kalten Krieges wiedergutmachen

Vom 18. Dezember 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3934
16. Wahlperiode 18. 12. 2006

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Petra Pau, Ulla Jelpke, Kersten Naumann, Wolfgang
Gehrcke und der Fraktion DIE LINKE.

Unrecht des Kalten Krieges wiedergutmachen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Mit der deutschen Einheit und dem Ende des Kalten Krieges ist die Chance
eröffnet worden, ein weitgehend verdrängtes Kapitel bundesdeutscher Ge-
schichte aufzuarbeiten: Die politische Verfolgung von Kommunistinnen und
Kommunisten und anderen politisch aktiven Linksoppositionellen in der frü-
hen Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre durch bundesdeutsche Behörden
und Gerichte aufgrund ihrer politischen Einstellung und gewaltfreien Betäti-
gung. Doch leider ist diese Chance bis heute nicht genutzt worden. Die Auf-
arbeitung der deutschen Nachkriegsgeschichte erfolgte nach 1990 recht ein-
seitig und konzentrierte sich auf die DDR und die Stasi.

2. Auch in der Bundesrepublik Deutschland gab es in den ersten beiden Jahr-
zehnten ihrer Existenz politische Verfolgung und politische Ungerechtig-
keiten. Betroffen waren in erster Linie westdeutsche Kommunistinnen und
Kommunisten, darunter viele, die in der Zeit der Naziherrschaft lange Jahre
KZ- und Zuchthaushaft erleiden mussten. Der Kreis der Verfolgten ging weit
über Kommunisten hinaus: Betroffen waren auch deren nichtkommunis-
tische Bündnispartner und Menschen, die gegen die Wiederbewaffnung strit-
ten oder deutsch-deutsche Kontakte pflegten. Menschen wurden kriminali-
siert wegen des Bezugs von Post aus der DDR, wegen der Teilnahme an der
Volksbefragung zur Wiederaufrüstung der Bundesrepublik, wegen einer
Kandidatur in „Kommunistischen Wahlgemeinschaften“ oder als kommunis-
tische Einzelkandidaten für Landtage oder den Deutschen Bundestag. Die
Verfolgung von aktiven Linksoppositionellen in den 50er und 60er Jahren
durch bundesdeutsche Behörden und Gerichte aufgrund ihrer gewaltfreien
politischen Betätigung war rechtsstaatliches, politisches und materielles
Unrecht.

3. In der Zeit von 1951 bis 1968 gab es staatsanwaltschaftliche Ermittlungsver-
fahren gegen etwa 200 000 Personen mit über 10 000 Verurteilungen, teils zu
mehrmonatigen oder mehrjährigen Haftstrafen. Allein nach dem Verbot der
Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 1956 sind jährlich bis zu
14 000 staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren anhängig gewesen, in

denen bis zu 500 Kommunisten und Sympathisanten verurteilt wurden. Nach
Haftverbüßung folgten regelmäßig Einschränkungen der staatsbürgerlichen
Rechte, entwürdigende Polizeiaufsicht, Pass- und Führerscheinentzug, Berufs-
verbote, Verlust des Arbeitsplatzes und Renteneinbußen. Vielen Menschen in
der alten Bundesrepublik ist Unrecht geschehen, sie wurden zu Opfern des
Kalten Krieges. Erst ab 1964 nahm die Verfolgungsintensität allmählich ab.
Die 17-jährige Ära dieser exzessiven Kommunistenverfolgung fand erst unter
der Großen Koalition 1968 mit der Liberalisierung des politischen Strafrechts
ein Ende.

Drucksache 16/3934 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
4. 1956 wurde schließlich die KPD auf Antrag der Bundesregierung nach fast
fünfjähriger Beratung durch das Bundesverfassungsgericht verboten. Damit
ist der Höhepunkt der Kommunistenverfolgung erreicht worden. Die Illega-
lisierung der KPD führte zu einer weiteren Kriminalisierungswelle gegen
Kommunisten und ihre Verbündeten, darunter auch Gewerkschafter und Mit-
glieder der Sozialdemokratischen Partei (SPD). In der Folge kam es zu vielen
Verfahren gegen Vertreter von verdächtigen Organisationen sowie zu einer
zweiten Welle von Organisationsverboten, die dem Umfeld der KPD zuge-
rechnet wurden oder die angeblich ihre Ziele förderten – sog. Tarn- oder
Ersatzorganisationen wie etwa das Friedenskomitee oder die „Aktion Frohe
Ferien für alle Kinder“. Auch Ost-West-Kontakte wurden verstärkt krimina-
lisiert.

5. Zwischen 1951 und 1958 ergingen rund 80 Verbote gegen kommunistische
Organisationen und Bündnisgruppen, die nicht dem Parteienprivileg nach
Artikel 21 GG unterlagen. Darunter befanden sich u. a. die Gesellschaft für
Deutsch-Sowjetische Freundschaft, der Hauptausschuss für Volksbefragung
über die Wiederbewaffnung, der Demokratische Frauenbund, der Demokra-
tische Kulturbund, die Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juristen und die
Freie Deutsche Jugend.

6. Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach,
bescheinigt dem KPD-Verbotsurteil, dass es wahrlich „kein Ausdruck beson-
derer demokratischer Souveränität“ sei. Praktisch die gesamte politische Be-
tätigung der kommunistisch orientierten Linken und ihrer Bündnispartner
wurde in jener Zeit kriminalisiert und aus dem öffentlichen Willensbildungs-
prozess weitgehend ausgeschaltet, so fasste der Rechtswissenschaftler
Alexander von Brünneck die Praxis der „Politischen Justiz gegen Kommu-
nisten“ in seinem gleichnamigen Standardwerk zusammen (Frankfurt 1978).

Kriminalisiert wurde damit die politische Betätigung von Menschen, die zu-
meist maßgeblich am Widerstand gegen den Faschismus beteiligt und mit
äußerster Härte verfolgt worden waren und unmittelbar nach 1945 bis An-
fang der 50er Jahre einen starken antifaschistischen Einfluss in den Par-
lamenten und Landesregierungen sowie in den Gewerkschaften ausgeübt
hatten. Kriminalisiert wurden damit Menschen, die in der Bundesrepublik
„keine politischen Morde, keine Aufstandsversuche, keinerlei Gewalttaten“
begingen – wie der in Kommunistenprozessen verteidigende Anwalt und spä-
tere Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Diether Posser (SPD), in sei-
nem Buch „Anwalt im Kalten Krieg“ (München 1991) zu Recht festgestellt
hat. Besonders bedrückend war es für die Betroffenen, dass viele Ermitt-
lungs- und Strafverfahren von Staatsanwälten und Richtern geführt wurden,
die als Täter bereits unter dem Naziregime politische Prozesse geführt hatten.
So musste der Eindruck entstehen, dass Belastete der Nazizeit erneut über
Opfer des Naziregimes zu Gericht saßen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich in einer geeigneten Form zu einer Rehabilitierung der Opfer des
Kalten Krieges in Deutschland beizutragen;

2. unverzüglich Regelungen vorzulegen, die den betroffenen Menschen eine
materielle Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht gewährt;

3. unverzüglich Regelungen vorzulegen, die die betroffenen Menschen poli-
tisch rehabilitiert.

Berlin, den 15. Dezember 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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