BT-Drucksache 16/3861

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/508, 16/3813- Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen

Vom 13. Dezember 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3861
16. Wahlperiode 13. 12. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Kai Gehring, Peter Hettlich, Cornelia Behm,
Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth
(Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske, Omid Nouripour und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/508, 16/3813 –

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm
in der Umgebung von Flugplätzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Luftverkehr hat eine wachsende Bedeutung bei Geschäfts- und Urlaubsrei-
sen sowie im Bereich des Güterverkehrs. Mit prognostizierten Wachstumsraten
von jährlich 5 Prozent in den kommenden 20 Jahren ist der Luftverkehr auch ein
bedeutsamer Wirtschaftsfaktor. Gleichwohl sind die Schattenseiten dieser Ent-
wicklung nicht aus den Augen zu verlieren: Die zunehmende Belastung von
Klima, Umwelt und Anwohnerinnen sowie Anwohnern durch Immissionen und
vor allem Lärmbelastung. Umso dringlicher ist eine ausgewogene Balance
zwischen den Interessen der Luftverkehrswirtschaft und denen der lärmgeplag-
ten Anwohner. Dies war Sinn und Ziel der Novellierung des Fluglärmgesetzes
aus dem Jahre 1971, dessen Vorgaben den aktuellen Erfordernissen von Lärm-
schutz und Planungssicherheit schon längst nicht mehr entsprechen.

Das noch unter der rot-grünen Bundesregierung ausgearbeitete Gesetz zur Ver-
besserung des Schutzes vor Fluglärm sucht nach einem angemessenen Ausgleich
der sehr unterschiedlichen Interessenlagen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben
in ihrem Antrag „Den Schutz der Anwohner vor Fluglärm verbessern“ (Bundes-
tagsdrucksache 16/551) den vorgelegten Gesetzentwurf als einen Kompromiss
begrüßt, aber auf jene Punkte hingewiesen, an denen die Balance zu Lasten der
betroffenen Anwohner verschoben war. Wir fordern auch auf Grund der Erkennt-
nisse aus der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf weitere Verbesserungen
und Änderungen im Sinne eines wirksameren Schutzes der Betroffenen und einer

verbesserten Planungssicherheit für die Kommunen in Flughafennähe sowie für
die Flughafenbetreiber und Flugverkehrswirtschaft.

Wir begrüßen grundsätzlich, dass die Koalition Nachbesserungen des Gesetz-
entwurfs vorgenommen hat. Dessen ungeachtet halten wir den Gesetzentwurf
noch nicht für einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Flug-

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verkehrswirtschaft und denen der Anwohnerinnen und Anwohner an großen
Verkehrsflughäfen. Deshalb halten wir folgende Punkte für notwendig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert:

1. Die strengeren Grenzwerte für den Neu- und Ausbau gelten mit Inkrafttreten
des Gesetzes und nicht erst ab 2011. Die zeitliche Verschiebung der Einfüh-
rung strengerer Lärmgrenzwerte für die Nachtschutzzone an neuen oder we-
sentlich baulich erweiterten Flugplätzen soll aufgehoben werden.

2. Die Lärmgrenzwerte für neue oder wesentlich baulich erweiterte Flugplätze
gelten ab dem Jahr 2020 auch für bestehende Flugplätze.

3. Für die Nachtschutzzonen an neuen oder wesentlich baulich erweiterten Flug-
plätzen wird der Grenzwert mit 45 dB(A) sowie mit LAmax = 6 mal 53 dB(A)
festgesetzt.

4. Die Anwohner von militärischen Flugplätzen sollen gegenüber denen von zi-
vilen Flughäfen nicht schlechter gestellt werden. Auch den Anwohnern von
militärischen Flughäfen in den Schutzzonen sollen neben dem Einbau von
Schallschutzfenstern auch die Kosten für Belüftungseinrichtungen erstattet
werden.

5. Im Gesetz ist verbindlich festzulegen, dass die Grenzwerte in regelmäßigen
Abständen von fünf Jahren überprüft und spätestens alle zehn Jahre den
Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung und dem Stand der Luftfahrt-
technik angepasst werden.

6. Zum Schutz von Anwohner, die nicht in der Hauptflugrichtung eines Flug-
hafens wohnen, aber vorübergehenden Belastungen ausgesetzt sind, soll bei
der Berechnung des Lärmschutzbereiches der lauteste Monat (Monat mit
höchstem Betriebsrichtungsanteil) des Vorjahres berücksichtigt werden.

7. Für die Berechnung der Lärmschutzzonen und die Festsetzung der Grenzwerte
sollen die europaweit für die Lärmkartierung und Lärmaktionsplanung ge-
mäß EU-Umgebungslärmrichtlinie gültigen Indizes Lden und Lnight verwendet
werden.

8. Zur Lösung von Lärmkonflikten an besonders belasteten Standorten sollen
konkrete Vorgaben für den aktiven Lärmschutz (etwa Flugbeschränkungen in
der Nacht) im Luftverkehrsrecht verankert und die existierenden Rechts-
instrumente für aktive Lärmschutzmaßnahmen, etwa die Vorgaben zur Lärm-
minderungsplanung aus der Achten Verordnung zur Änderung der Luftver-
kehrs-Zulassungs-Ordnung, konsequent angewendet werden.

Berlin, den 13. Dezember 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und die Fraktion

Begründung

Zu 1.

Eine zeitliche Schiebung der Grenzwerte für den Neu- und Ausbau ist nicht
akzeptabel. Damit würden gerade den Flughäfen mit geplanten Ausbauvorhaben
Sonderregelungen eingeräumt, zahlreiche Stellungnahmen sprechen deshalb
von einer „Lex Frankfurt“.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3861

Zu 2.

Im Sinne eines vorsorgenden Schutzes der Lärmbetroffenen ist es zwingend not-
wendig, einem zentralen umweltpolitischen Leitprinzip zu folgen: jeweils der
neueste und beste Stand der Technik setzt den Standard, der nach einer angemes-
senen Übergangszeit für alle gilt. Demnach sollen die strengeren Grenzwerte für
den Neu- und Ausbau ab 2020 für alle Flugplätze gelten.

Zu 3.

Die aktuellen Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. März 2006 zum
Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-
Schönefeld (Az. 4 A 1001/04, 1073/04, 1075/04 und 1078/04) sowie das Urteil
des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. November 2006 zum Planfeststel-
lungsbeschluss für den Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle (Az. 4 A 2001.06)
betonen, dass auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rück-
sicht zu nehmen ist. Auch die neuesten Erkenntnisse der Lärmwirkungsfor-
schung stellen die besondere Schutzwürdigkeit der Nachtruhe heraus. Aus Sicht
der Lärmwirkungsforschung stellt ein Wert von 45 dB(A) in der Nacht die
Schwelle zur Gesundheitsgefährdung dar. Deshalb hatte das Bundesumweltmi-
nisterium in seinem Gesetzentwurf aus dem Jahr 2000 einen Wert von 45 dB(A)
für die Festlegung der Nachtschutzzone vorgesehen.

Zu 4.

Die Anwohner von militärischen Flugplätzen sind ebenfalls erheblichen Lärm-
belastungen ausgesetzt. Die Grenzwerte für die Schutzzonen an militärischen
Flugplätzen sind bereits um 3 dB(A) höher als an zivilen Flugplätzen (so ge-
nannter Militärbonus). Daher ist es nicht zumutbar, dass den Betroffenen die Er-
stattung für Belüftungseinrichtungen versagt bleibt.

Zu 5.

Schon jetzt werden in verschiedenen Stellungnahmen die im Gesetz vorgeschla-
genen Grenzwerte für um ca. 5 dB(A) zu hoch erachtet. Daher ist es notwendig
klare Vorgaben zur regelmäßigen Überprüfung und vor allem zur gesetzlichen
Anpassung der Grenzwerte an den Stand der Lärmwirkungsforschung im Gesetz
festzuschreiben. Mit dieser Regelung wird zugleich vermieden, dass wie in der
Vergangenheit geschehen ein Gesetz über 35 Jahre lang nicht den neuen For-
schungserkenntnissen angepasst wird.

Zu 6.

Die Anwendung der Sigma-Regelung anstelle der ursprünglich vorgesehenen
100/100-Regelung führt zu einer Verkleinerung der Lärmschutzbereiche und da-
mit zur Verringerung der Anzahl von Betroffenen, die einen Rechtsanspruch auf
Lärmsanierung haben.

Zu 7.

Die Verwendung der Lärmindizes LAeqTag bzw. LAeqNacht entspricht nicht den
Vorgaben aus der europaweit in nationales Recht umzusetzenden EU-Umge-
bungslärmrichtlinie. Für die Umsetzung der Richtlinie nach dem Umgebungs-
lärmgesetz sind die Länder und Kommunen ohnehin gezwungen die hierfür gül-
tigen Indizes Lden und Lnight zur Anwendung zu bringen. Doppelte Berechnungs-
und Kartierungsverfahren sind mit erheblichem Verwaltungs- und Kostenauf-
wand verbunden und können vermieden werden. Überdies war die Verwendung

der europäischen Indizes im ursprünglichen BMU-Entwurf durchaus vorgese-

Drucksache 16/3861 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
hen. Sie hätte jedoch an bestehenden Flughäfen im Durchschnitt zu einer um
einige dB(A) strengeren Bewertung der Lärmbelastung geführt, ist also zu
Gunsten der Flughafenbetreiber fallengelassen worden.

Zu 8.

Sowohl bei der Umsetzung der Umgebungslärmrichtlinie als auch bei der Um-
setzung der Richtlinie über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen an Flughäfen
ist es nicht gelungen, die Handlungsspielräume für aktive Lärmschutzmaßnah-
men voll auszuschöpfen. Daher ist den Maßnahmen für aktiven Lärmschutz in
allen rechtlichen Vorgaben (Lärmkontingente, lärmabhängige Landeentgelte,
Nachtflugbeschränkungen), an allen Standorten und bei Forschung und Ent-
wicklung an Fluggerät und Flugroutenmanagement höchste Priorität einzuräu-
men.

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