BT-Drucksache 16/3764

"Statusrechtliche Begleitmaßnahmen" und Umgang mit "Gefährdern" nicht-deutscher Staatsangehörigkeit

Vom 6. Dezember 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3764
16. Wahlperiode 06. 12. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Jan Korte
und der Fraktion DIE LINKE.

„Statusrechtliche Begleitmaßnahmen“ und Umgang mit „Gefährdern“
nicht-deutscher Staatsangehörigkeit

Im Beitrag des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zum Praktiker-
Erfahrungsaustausch des Bundesministeriums des Innern zum Zuwanderungs-
gesetz am 30./31. März 2006 wird ausführlich die „AG Statusrechtliche Begleit-
maßnahmen“ (AG Status) gewürdigt. Die AG Status tagt regelmäßig im
Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin-Köpenick. Als
Erfolgskriterien der AG werden dort genannt die Sensibilisierung der Auslän-
derbehörden, Anstoß zum Erlass ausländerrechtlicher Maßnahmen und deren
Unterstützung, Widerruf von asylrechtlichen Entscheidungen und die Verhinde-
rung aufenthaltsverfestigender Maßnahmen. Gerade das erstgenannte Erfolgs-
kriterium soll nach den Vorschlägen des Evaluierungsberichts durch eine gesetz-
liche Verankerung der AG Status unterstützt und ausgebaut werden. An dieser
Sensibilisierung scheinen auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Auslän-
derbehörden im besonderen Maße interessiert zu sein, wie der Beitrag der Lei-
terin der Ausländerbehörde Köln zum genannten Erfahrungsaustausch zeigt.
Diese beklagte dort unter anderem, dass die Ausländerbehörden mit der Abgren-
zung der Begriffe Islam/Islamismus/islamistischer Extremismus Probleme
hätten und z. B. nicht klar sei, ob das „Bekenntnis zum Islamismus schon ein
Ausweisungsgrund“ sei.

Gleichzeitig fällt auf, dass zum Kreis der Tätigkeit der AG Status gehört, bei
Personen mit extremistischem/terroristischem Hintergrund frühzeitig u. a. Maß-
nahmen zum Widerruf der Asylanerkennung einzuleiten, was nach den Angaben
des oben genannten Berichts 20-mal der Fall war. Die Regelungen des § 73
Abs. 1 und § 73a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) i. V. m. § 60 Abs. 8,
9 und 10 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) sehen die Möglichkeit des Asylwider-
rufs jedoch lediglich in solchen Fällen vor, in denen Ausländer aufgrund einer
begangenen schweren Straftat als Gefahr für die Sicherheit angesehen werden
müssen bzw. die Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ähnlich schwer wie-
gende Handlungen begangen haben. Es erstaunt, dass anscheinend ein Verdacht
der Sicherheitsbehörden gegen eine Person, einem extremistischen Umfeld an-
zugehören, zum Widerruf eines grundgesetzlichen bzw. völkerrechtlichen

Schutzstatus führt, ohne dass hierfür eine klare Rechtsgrundlage gegeben wäre.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie definiert die Bundesregierung den Begriff „Gefährder“, und arbeiten alle
Sicherheitsbehörden des Bundes und das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge mit diesem Begriff?

Drucksache 16/3764 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Wie viele „Gefährder“ aus dem Bereich des Terrorismus bzw. Islamismus
sind der Bundesregierung derzeit bekannt (bitte nach Phänomenbereich
auflisten)?

3. Welche Ziele verbinden sich genau mit der „Sensibilisierung“ der Auslän-
derbehörden im Zusammenhang ihrer Einbindung in den „ganzheitlichen
Ansatz der Terrorismusbekämpfung“?

4. Mit welchen Mitteln wird diese „Sensibilisierung“ erreicht, und auf welche
Erlasse, Verfügungen und sonstige Unterlagen können die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Ausländerbehörden in diesem Zusammenhang in ihrer
täglichen Arbeit zurückgreifen?

5. Welche Behörden und ggf. nicht-staatliche Einrichtungen (NGOs, Bil-
dungswerke etc.) sind an den Weiterbildungsmaßnahmen im Rahmen der
„Sensibilisierung“ beteiligt?

6. Führt die Neuaufnahme eines Herkunftsstaates auf die Liste der „Gefährder-
staaten“ gemäß entsprechender Erlasse und Amtsmitteilungen automatisch
zu entsprechenden Prüfmaßnahmen der Ausländerbehörden, des Bundes-
amtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder anderer Behörden, auch
wenn betroffene Personen schon lange ihren Aufenthalt in Deutschland
haben?

7. Werden für die Arbeit der AG Status und Arbeitsgremien auf Länderebene
mit ähnlicher Zielstellung auch Erkenntnisse aus Asylverfahren verwendet
(z. B. bei Personen, die vor 2001 in ihren Herkunftsstaaten Opfer staatlicher
Verfolgung wurden), wenn ja, in welchem Umfang und welcher Gewich-
tung?

8. Wurden und werden in weiteren Arbeitsgruppen Erkenntnisse aus Asylver-
fahren an die (nur am GTAZ beteiligten) Sicherheitsbehörden weiterge-
geben, wenn ja an welche und wie oft (bitte Auflistung nach empfangender
Behörde für die Jahre 2001 bis 2005)?

9. a) Werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAMF darauf hin-
gewiesen, dass in Asylverfahren gewonnene Erkenntnisse über die
AG Status und vergleichbare Arbeitsgremien willentlich oder unwillent-
lich an Nachrichtendienste gelangen bzw. gelangen können?

b) Welche Sicherungsmechanismen gibt es, dass die von den Nachrichten-
diensten gewonnenen Informationen über Gruppierungen, in denen sich
Asylbewerber in ihrem Herkunftsland engagiert haben, nicht durch
willentliche oder unwillentliche Informationsweitergabe (z. B. im Rah-
men des Handels mit Informationen) im Herkunftsland zu weiteren men-
schenrechtswidrigen Verfolgungen führen?

10. a) Ist geplant, in Asylverfahren gewonnene Erkenntnisse über „Gefährder“
auch über die Anti-Terror-Datei anderen zugangsberechtigten Behörden
zur Verfügung zu stellen?

b) Ist geplant, in Asylverfahren gewonnene Erkenntnisse über „Gefährder“
über die gemeinsamen Projektdateien nach dem Gemeinsame-Dateien-
Gesetz anderen Behörden zur Verfügung zu stellen?

c) Welche Sicherungsmaßnahmen sind vorgesehen, damit solche sensiblen
Informationen nicht im Rahmen des informationsdienstlichen Informa-
tionshandels bzw. -austauschs in die Hände von Geheimdiensten men-
schenrechtsverletzender Staaten geraten?

11. Aus welchen Normen des (internationalen) Rechts leitet die Bundesregie-
rung eine Höherwertigkeit des Rechtsguts „Staatsschutz“ gegenüber dem

Rechtsgut „Schutz vor politischer Verfolgung“ ab, wie sie in der Anwen-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3764

dung des § 54, Abs. 5, 5a und 7 sowie dem § 58a AufenthG zum Ausdruck
kommt?

12. Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zur Forderung des ehemaligen
Bundesministers des Innern, Otto Schily, und anderer Innenpolitiker ein,
„Gefährder“, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abge-
schoben werden können, in Sicherungshaft zu nehmen?

13. Werden „statusrechtliche Begleitmaßnahmen“ auch dann eingeleitet, wenn
polizeiliche oder staatsanwaltliche Ermittlungen nicht zur Verdachtsgewin-
nung im Zusammenhang mit den § 129a StGB i. V. m. § 129b StGB, wohl
aber zur Verdachtsgewinnung wegen Verstoßes gegen den § 129 StGB führ-
ten, ohne dass es zu einer Verurteilung gekommen wäre?

Berlin, den 5. Dezember 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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