BT-Drucksache 16/369

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und anderer Gesetze

Vom 17. Januar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/369
16. Wahlperiode 17. 01. 2006

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Petra Pau und der
Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes
und anderer Gesetze

A. Problem

Rund 200 000 Menschen leben seit mehreren Jahren nur mit einer Duldung oder
einer Aufenthaltsgestattung in Deutschland. Häufig sind bereits Kinder in
Deutschland geboren und aufgewachsen, die ihr „Heimatland“ allenfalls aus Er-
zählungen oder dem Fernsehen kennen. Diese Menschen sind vielfältigen Ein-
schränkungen unterworfen, die ihrer vollständigen Integration in die deutsche
Gesellschaft entgegenstehen, obwohl sie faktisch bereits „Inländer“ geworden
sind.

B. Lösung

Nach fünf Jahren rechtmäßigem oder geduldetem Aufenthalt in Deutschland
soll ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehen. Dadurch
wird den Betroffenen die Entwicklung einer Lebens- und Integrationsperspekti-
ve in Deutschland ermöglicht. In Härtefällen soll vom Erfordernis des fünfjäh-
rigen Aufenthaltes abgewichen werden können.

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Keine. Im Gegenteil ist eine Entlastung der öffentlichen Haushalte zu erwarten,
weil mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, die zur Erwerbstätigkeit berech-
tigt, auch die größere Chance zur Unabhängigkeit von Leistungen der öffentli-
chen Hand verbunden ist.

rechtmäßig oder geduldet aufhält, wird abweichend von
§ 10 Abs. 3 und §11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis er-
teilt. Von der Voraussetzung eines fünfjährigen Aufenthal-
tes wird in Härtefällen abgesehen. Ein Härtefall liegt ins-
besondere vor, wenn die Ausländerin oder der Ausländer

1. zum Zeitpunkt der Erteilung einer Aufenthaltserlaub-
nis nach Satz 1 in einer familiären Beziehung mit ei-
nem ledigen Kind lebt und sich seit mindestens drei
Jahren im Bundesgebiet rechtmäßig oder geduldet
aufhält,

2. als unbegleiteter Minderjähriger in das Bundesgebiet
eingereist oder nach einer Einreise als Minderjähriger

Artikel 2

Änderung des Zuwanderungsgesetzes

Artikel 15 Abs. 4 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli
2004 (BGBl. I S. 1950), das zuletzt durch Gesetz vom
21. Juni 2005 (BGBl. I S. 1818) geändert worden ist, wird
aufgehoben.

Artikel 3

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 17. Januar 2006

Ulla Jelpke
Sevim Dagdelen
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion
Drucksache 16/369 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes
und weiterer Gesetze

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Das Aufenthaltsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I
S. 1950), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2005
(BGBl. I S. 1818), wird wie folgt geändert:

1. In § 5 Abs. 3 erster Halbsatz wird vor der Angabe „sowie
§ 26 Abs. 3“ die Angabe „ , § 25a“ eingefügt.

2. Nach § 25 wird folgender § 25a eingefügt:

㤠25a
Aufenthaltserlaubnis bei längerfristigem Aufenthalt

(1) Einer Ausländerin oder einem Ausländer, die oder
der sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet

ohne Begleitung zurückgelassen worden ist und sich
seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet recht-
mäßig oder geduldet aufhält,

3. als Opfer einer im Ausland erlittenen Gewalttat oder
kriegerischer Auseinandersetzungen traumatisiert ist
oder

4. während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet Opfer
einer Gewalttat geworden ist.

(2) Dem Ehegatten und dem ledigen Kind einer Aus-
länderin oder eines Ausländers, der oder dem nach Ab-
satz 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wird eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt.

(3) Die Aufenthaltserlaubnis nach den Absätzen 1 und 2
berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.“

nahme einer regulären Beschäftigung, der Zugang zu Ausbil- Zu Absatz 1

dung und Studium ist den Betroffenen gänzlich verwehrt.

Die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL e. V. sowie
zahlreiche Flüchtlingsräte und andere Organisationen haben,

Satz 1 enthält die allgemeine Regelung, dass eine Auslände-
rin oder ein Ausländer, die oder der sich zum Zeitpunkt der
Entscheidung über seinen Antrag mindestens fünf Jahre lang
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/369

Begründung

A. Allgemeines

Seit der Änderung des Asylrechts 1993 hat die Zahl der sich
in der Bundesrepublik Deutschland aufhaltenden Personen,
die lediglich über eine Duldung oder als Asylsuchende über
eine Aufenthaltsgestattung verfügen, stetig zugenommen.
Gleichzeitig befindet sich unter den geduldeten Personen
bzw. solchen, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
nicht abgeschoben werden können, eine beträchtliche Anzahl
Personen, deren Duldung immer wieder verlängert wird, die
aber keinen Aufenthaltstitel erhalten (sog. Kettenduldung).
Nach Angaben der Bundesregierung in ihrer Antwort auf die
Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdruck-
sache 16/307) hielten sich am 30. November 2005 insgesamt
53 421 Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus seit mehr
als zehn Jahren im Bundesgebiet auf, davon der weit überwie-
gende Teil mit einer Duldung (47 995; mit Aufenthaltsgestat-
tung 5 426). Rechnet man die Gruppen mit kürzeren Stich-
tagen hinzu, hielten sich am 30. November 2005 seit rund
zwei Jahren und länger 215 497 Menschen mit einem unsi-
cheren Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet auf.

Mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes sollten
diese Kettenduldungen etwa für Flüchtlinge aus Kriegs- und
Bürgerkriegsregionen zugunsten einer humaneren Lösung
abgeschafft werden. Entsprechende Vorschläge werden auf
den Innenministerkonferenzen regelmäßig vorgebracht und
diskutiert, um eine bundesweit einheitliche Bleiberechts-
regelung für zumindest bestimmte Flüchtlingsgruppen her-
beizuführen. Bisher scheiterte eine solche Regelung an der
fehlenden Einmütigkeit.

Die bislang entworfenen Lösungsvorschläge zielen auf eine
Bleiberechtsregelung, deren Bedingungen zum einen nur we-
nige geduldete oder nicht abzuschiebende Personen erfüllen
können und die zum anderen nicht den Schutz der Flüchtlin-
ge und ihrer Menschenwürde, sondern ihre ökonomische Un-
abhängigkeit von Leistungen der sozialen Sicherungssyste-
me in den Mittelpunkt der Überlegungen stellen. Zwar gibt es
im Rahmen der derzeitigen Gesetzeslage Möglichkeiten für
humane Bleiberechtsregelungen und die Erteilung von Auf-
enthaltserlaubnissen anstelle von Kettenduldungen, diese
werden aber äußerst restriktiv interpretiert.

Verschärft wird die Situation der betroffenen Menschen mit
unsicherem Aufenthaltsstatus durch verschiedene Beschrän-
kungen im alltäglichen Leben, wie der geltenden Resi-
denzpflicht und der nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
gegenüber der Sozialhilfe deutlich niedrigeren Hilfe zum
Lebensunterhalt. Hinzu kommen weitere Beschränkungen zu-
mindest für jene, die keinen gültigen Pass oder Passersatz-
papiere besitzen, also ihre Identität nicht zweifelsfrei nachwei-
sen können. In der Folge können diese nicht standesamtlich
heiraten. Des Weiteren gelten Beschränkungen für die Auf-

ten eines Bleiberechts für langjährig geduldete Personen ini-
tiiert. Auch der Deutsche Bundestag hat sich mehrfach mit
diesem Thema beschäftigt. So hat der Petitionsausschuss am
20. Oktober 2004 im Rahmen einer Beschlussempfehlung zu
einer entsprechenden Petition (Pet 1-15-06-260-013435) die
Forderung nach einer sog. Bleiberechtsregelung ausdrück-
lich unterstützt. Im Petitionsausschuss sind derzeit weitere
Eingaben zu diesem Thema anhängig.

Der Gesetzentwurf greift diese Diskussion auf. Im Gegensatz
zu anderen Vorschlägen wird hier aber nicht eine einmalige
Altfallregelung vorgeschlagen, die nur Personen begünstig-
te, die bis zu einem bestimmten Stichtag in das Bundesgebiet
eingereist sind. Die Erfahrung mit solchen Stichtagsregelun-
gen aus dem früheren Ausländergesetz zeigt, dass sie das zu-
grunde liegende Problem nicht zu lösen vermögen. Es ist da-
her eine generelle Regelung anzustreben, die es – auch im
Interesse der deutschen Gesellschaft – Menschen mit lang-
jährigem Aufenthalt ermöglicht, eine Zukunftsperspektive in
Deutschland zu gestalten.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung des Aufenthaltsgesetzes)

Zu Nummer 1 (Änderung des § 5 AufenthG)

Hiermit wird klargestellt, dass es bei der Anwendung der Alt-
fallregelung nur auf die in § 25a (neu) genannten Kriterien
ankommen soll, nicht auf die Frage eines Passbesitzes oder
der ökonomischen Situation der Betroffenen.

Zu Nummer 2 (neuer § 25a AufenthG)

Die Vorschrift stellt eine Anspruchsgrundlage für die Ertei-
lung einer Aufenthaltserlaubnis im Falle eines mindestens
fünfjährigen Aufenthaltes bzw. bei Vorliegen weiterer Vo-
raussetzungen auch bei einem kürzeren Aufenthalt dar. Sie
regelt damit bestimmte Fälle des humanitären Aufenthaltes
und steht damit systematisch komplementär zu § 25 Abs. 4
und 5 AufenthG. Da insbesondere die Sätze 3 und 4 des § 25
Abs. 5 AufenthG so formuliert sind, dass sie Ansätze zu einer
sehr restriktiven Auslegung bieten, ist für die Fälle eines län-
gerfristigen Aufenthaltes eine solche ergänzende Regelung
erforderlich. Bei so langen Aufenthaltszeiten darf es nicht
mehr auf die Zurechenbarkeit von Abschiebungshindernis-
sen ankommen, sondern ist dem Integrationsinteresse sowohl
des Betroffenen als auch der Gesellschaft Vorrang vor dem
Grundsatz der Aufenthaltsbeendigung einzuräumen. Eindeu-
tigen Missbrauchsfällen wie bei Täuschungshandlungen
oder Ähnlichem lässt sich durch die Anwendung von Rege-
lungen des allgemeinen Verwaltungsrechts (z. B. § 48 Abs. 2
Satz 3 VwVfG) begegnen.
unterstützt von Prominenten aus Kultur, Politik, Kirchen und
öffentlichem Leben, eine Unterschriftenkampagne zuguns-

im Bundesgebiet rechtmäßig oder geduldet aufgehalten hat,
einen zwingenden Anspruch auf Erteilung einer Aufenthalts-

Bei Ehegatten und ledigen Kindern einer Ausländerin oder
eines Ausländers, die oder der eine Aufenthaltserlaubnis Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
Drucksache 16/369 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

erlaubnis hat. In diesen Fällen ist die bereits erfolgte fakti-
sche Integration in die deutsche Gesellschaft von einem so
großen Gewicht, dass für die Ausübung von Ermessen im Re-
gelfall kein Raum mehr bleibt. „Rechtmäßig“ im Sinne dieser
Vorschrift ist ein Aufenthalt mit einem Aufenthaltstitel, einer
Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz oder
für Zeiträume und Fälle, bei denen das Gesetz keinen Aufent-
haltstitel verlangt. „Geduldet“ ist ein Aufenthalt, soweit ein
Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG
besteht. Im Fall einer früher erfolgten Ausweisung, die aber
nicht auf dem Weg der Abschiebung durchgesetzt werden
konnte, soll nicht mehr der Zwang zur vorherigen Ausreise
nach § 11 Abs. 1 AufenthG bestehen; insoweit wird hier eine
Regelung analog zu § 23a Abs. 1 Satz 1 AufenthG getroffen.
Ähnliches gilt für die Fälle des § 10 Abs. 3 AufenthG.

Satz 2 sieht eine Ausnahme von der Voraussetzung des fünf-
jährigen Aufenthaltes in Härtefällen vor. Beispiele für solche
Härtefälle werden in Satz 3 aufgeführt, damit ist aber keine
abschließende Definition eines Härtefalles nach dieser Vor-
schrift verbunden. Satz 3 listet Fallkonstellationen auf, in de-
nen schon bei kürzerem Aufenthalt von einer faktischen Inte-
gration in die deutsche Gesellschaft (etwa bei Familien mit
Kindern, die seit drei Jahren hier leben, oder bei unbeglei-
teten Minderjährigen) bzw. von einer Unzumutbarkeit der
Ausreise oder gar Abschiebung (vor allem bei Opfern von
Gewalttaten) auszugehen ist.

Zu Absatz 2

nach Absatz 1 erhält, soll es nicht noch einmal gesondert auf
die Erfüllung der in Absatz 1 genannten Voraussetzungen an-
kommen. Diese sollen vielmehr auf Grund des Schutzes von
Ehe und Familie (Artikel 6 GG, Artikel 8 EMRK) sofort eine
Aufenthaltserlaubnis erhalten.

Zu Absatz 3

Der Systematik des Aufenthaltsgesetzes entsprechend wird
die Zulassung zur Erwerbstätigkeit, zu der auch die selbstän-
dige Beschäftigung gehört (vgl. § 2 Abs. 2 AufenthG), direkt
im Gesetz angeordnet. Dabei wird der Regelungsgehalt des
§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschVerfV im Wesentlichen übernommen.
Eine direkte Anordnung im Gesetz trägt im Übrigen zur Ver-
meidung überflüssigen Verwaltungsaufwandes bei.

Zu Artikel 2 (Änderung des Zuwanderungsgesetzes)

Mit der Regelung in Artikel 15 Abs. 4 ZuwG wurde die Gel-
tungsdauer der Härtefallregelung in § 23a AufenthG bis zum
31. Dezember 2009 beschränkt. Diese Beschränkung ist je-
doch nicht sachgerecht, da sich die Einrichtung von Härte-
fallkommissionen auf Länderebene – bei allen noch vorhan-
denen Problemen – als wichtiges Instrument zur Lösung
einzelfallbezogener Probleme erwiesen hat.

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)
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