BT-Drucksache 16/3671

Verdacht auf illegale Praktiken im US-Militärgefängnis ("Military Confinement Center") in Mannheim

Vom 28. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3671
16. Wahlperiode 28. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer
(Köln), Sevim Dag˘delen, Jan Korte, Monika Knoche, Kersten Naumann
und der Fraktion DIE LINKE.

Verdacht auf illegale Praktiken im US-Militärgefängnis („Military Confinement
Center“) in Mannheim

Beim Military Confinement Center (MFC) auf dem Gelände der „Coleman
Barracks“ in Mannheim handelt es sich um ein von den US-Streitkräften betrie-
benes Militärgefängnis. Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt derzeit
wegen des Verdachts möglicher Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch
(DIE WELT 10. Oktober 2006). Dieser Verdacht bezieht sich auf die mögliche
illegale Inhaftierung und womöglich Misshandlung arabisch sprechender Män-
ner, die vom US-Militär beschuldigt werden, Terroristen zu sein.

Unabhängig von diesem Sachverhalt gibt es eine Reihe weiterer Momente, die
den Verdacht auf illegale Praktiken rund um die US-amerikanische Haftanstalt
nahe legen.

Einem Bericht der vom Pentagon herausgegeben Zeitschrift „Soldier“ zufolge
bietet es Platz für 236 Insassen. Das Gefängnisregime wird von der Zeitschrift
als äußerst hart beschrieben. „Es handelt sich um eine extrem kontrollierte,
disziplinierte Umgebung“, die dazu dienen solle, die Inhaftierten von neuen
Straftaten abzuschrecken. Das Wachpersonal habe das Recht, die Nichtbeach-
tung der Gefängnisregeln als Bedrohung zu interpretieren und entsprechend zu
reagieren.

Unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten muss vor allem die Behandlung
der neu eingelieferten Gefangenen als besorgniserregend gewertet werden. Sie
müssen sich während der ersten drei Tage in einer rund 1,8 × 2,4 Meter großen
Zelle aufhalten („6-by-8-foot-cell“). Dort werden sie rund um die Uhr mittels
einer Kamera überwacht (Soldier, Oktober 2000).

Bei den Gefangenen soll es sich entweder um Untersuchungshäftlinge handeln,
die auf ihren Prozess bzw. die Überstellung in die USA warten, oder um Straf-
gefangene, die zu weniger als einem Jahr verurteilt worden sind. Dem Truppen-
stationierungsabkommen zufolge darf das US-Militär nur Angehörige der eige-
nen militärischen Verbände im MFC inhaftieren. In eklatantem Widerspruch
hierzu führt „Soldier“ aus, im MFC würden auch „ausländische Kriegsgefan-

gene“ festgehalten („foreign prisoners of war“).

Dass tatsächlich auch Menschen, die weder Angehörige des US-Militärs noch
US-Staatsbürger sind, in der Mannheimer US-Kaserne festgehalten worden
sind, berichtet auch das Magazin „stern“ (6. Oktober 2006). So sollen im Jahr
1999 zwei jugoslawische Männer im MFC inhaftiert gewesen sein. Die Bun-
desregierung habe aber lediglich die Inhaftierung eines Mannes genehmigt.

Drucksache 16/3671 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Sendung „frontal21“ des ZDF berichtete am 31. Oktober 2006, Anwohner
des US-Stützpunktes in Mannheim hätten bestätigt, dass sie im Jahr 2003 „dun-
kelhäutige Gefangene in orangefarbenen Overalls“ statt der üblichen Militär-
uniformen auf dem Gelände der US-Liegenschaft gesehen hätten.

Fest steht, dass zu den Gefangenen im MFC auch Soldaten gehören, deren
Taten in der Bundeswehr nicht strafbar wäre. So wurde am 3. Oktober 2006 der
US-Soldat Augustín A. im MFC inhaftiert. Der Soldat bemüht sich nach Anga-
ben des Vereins „connection e. V.“ seit zweieinhalb Jahren darum, als Kriegs-
dienstverweigerer anerkannt zu werden. Im September 2006 weigerte er sich,
dem Gestellungsbefehl in den Irak zu folgen (http://www.connection-ev.de/usa/
aguayo.html). Da es sich beim Krieg im Irak um ein völkerrechtswidriges
Unternehmen handelt, wäre die Weigerung, dort Dienst zu leisten, nach deut-
schem Recht nicht strafbar (§ 11 Soldatengesetz, § 22 Wehrstrafgesetz).

Diese Momente werfen die Frage auf, welche Möglichkeiten die Bundesregie-
rung hat, dem Verdacht auf illegale Praktiken im Mannheim Confinement
Center nachzugehen und diese Praktiken ggf. zu unterbinden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Von welchen US-Militärgefängnissen in Deutschland hat die Bundesregie-
rung Kenntnis, und für wie viele Gefangene sind diese Gefängnisse jeweils
ausgelegt?

2. Welche Festlegungen treffen das Truppenstationierungsabkommen mit den
USA und ggf. andere rechtliche Vereinbarungen hinsichtlich der Kompeten-
zen der US-Militärbehörden, auf ihren Stützpunkten Gefangene zu halten?

3. Trifft es zu, dass in diesen Gefängnissen ausschließlich Angehörige des US-
Militärs inhaftiert werden dürfen, und wenn nein, welche Kompetenzen
haben die US-Behörden, deutsche Staatsbürger oder Angehörige dritter
Staaten festzuhalten?

4. Ist den US-Militärbehörden gestattet, ausländische Kriegsgefangene bzw.,
nach US-Definition, „feindliche Kämpfer“ im MFC und vergleichbaren Ein-
richtungen in Deutschland festzuhalten, und wenn ja, auf welcher Rechts-
grundlage?

5. Trifft es zu, dass die Bundesregierung im Jahr 1999 die Inhaftierung eines
jugoslawischen Staatsbürgers im MFC genehmigt hatte, die US-Militärbe-
hörden aber mindestens zwei jugoslawische Staatsbürger inhaftiert hatten?

6. Falls Frage 5 bejaht wird:

a) Auf welcher Rechtsgrundlage und aufgrund welcher Beschuldigung hat
die Bundesregierung die Inhaftierung eines jugoslawischen Staatsbürgers
genehmigt?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, dass die US-Militärbe-
hörden ohne Rechtsgrundlage einen jugoslawischen Staatsbürger inhaf-
tiert hatten, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hier-
aus?

7. Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, die Einhaltung menschen-
rechtlicher Standards in US-Militäreinrichtungen in Deutschland zu über-
prüfen, und gehören zu diesen Möglichkeiten auch unangekündigte Inspek-
tionen etwa durch Staatsanwaltschaften?

8. Haben die Rechtsanwälte der im MFC und vergleichbaren Einrichtungen
Festgehaltenen den gleichen Zugang zu den Inhaftierten wie in deutschen

Strafanstalten, und wenn nein, welchen Beschränkungen unterliegen sie, und
wie beurteilt die Bundesregierung diese Beschränkungen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3671

9. Wird die Bundesregierung von den US-Militärbehörden über die in US-
Militäreinrichtungen vorgenommenen Inhaftierungen, die Anzahl der In-
haftierten, die zugrunde liegenden Beschuldigungen und den Fortgang der
Verfahren jeweils unterrichtet?

10. Treffen die Ausführungen der US-Militärzeitschrift „Soldier“ zu, dass
Häftlinge die ersten drei Tage ihrer Haft in Zellen verbringen müssen, die
nicht größer als sechs mal acht Fuß (rund 1,8 mal 2,4 Meter) sind?

11. Ist den US-Militärbehörden gestattet, im MFC Personen zu inhaftieren,
wenn es sich bei den zugrunde liegenden Beschuldigungen nur um Straf-
taten nach US-Recht, nicht aber nach deutschem Recht handelt, und wenn
ja, wie begründet die Bundesregierung dies?

12. Ist es den US-Militärbehörden gestattet, auch solche Soldaten, die ihren
Dienst in völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen oder anderen, die Grund-
sätze des Völkerrechts missachtenden Einsätzen wie zum Beispiel im Ge-
fangenenlager Guantánamo verweigern, im MFC zu inhaftieren?

a) Wie viele Kriegsdienstverweigerer waren seit 1999 im MFC inhaftiert,
und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie die
Strafverfahren gegen diese Soldaten ausgegangen sind?

b) Wie viele Soldaten waren seit 2001 im MFC inhaftiert, die sich weiger-
ten, Gestellungsbefehlen nach Afghanistan oder in den Irak nachzu-
kommen, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber,
wie die Strafverfahren gegen diese Soldaten ausgegangen sind?

c) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Stand des Straf-
verfahrens gegen den in der Vorbemerkung erwähnten US-Soldaten und
Kriegsdienstverweigerers Agustín A., der am 3. Oktober 2006 im MFC
inhaftiert worden ist?

13. Welche Maßnahmen trifft die Bundesregierung, um sicherzustellen, dass
die Gefangenen nach ihrer Inhaftierung die Möglichkeit erhalten, einen
Asylantrag in Deutschland zu stellen oder sich in anderer Form hilfe-
suchend an deutsche Behörden sowie Nichtregierungsorganisationen zu
wenden?

a) Wie viele US-Soldaten haben seit 1999 einen Asylantrag bei den deut-
schen Behörden gestellt?

b) Wie viele davon waren zum Zeitpunkt der Antragstellung im MFC oder
vergleichbaren Einrichtungen inhaftiert?

c) Wie ist über die Asylanträge entschieden worden?

14. Wie viele US-amerikanische Soldaten waren seit dem Jahr 1999 im MFC
inhaftiert, aufgrund welcher Vorwürfe und für wie lange?

15. Wie viele Angehörige anderer Streitkräfte waren seit dem Jahr 1999 im
MFC inhaftiert, aufgrund welcher Vorwürfe und für wie lange?

16. Wie viele US-amerikanische Zivilisten waren seit dem Jahr 1999 im MFC
inhaftiert, aufgrund welcher Vorwürfe und für wie lange?

17. Wie viele Zivilisten mit anderer Staatsangehörigkeit waren seit dem Jahr
1999 im MFC inhaftiert, aufgrund welcher Vorwürfe und für wie lange?

Berlin, den 27. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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