BT-Drucksache 16/3619

Zugriff von Geheimdiensten auf das Schengener Informationssystem der zweiten Generation verhindern

Vom 29. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3619
16. Wahlperiode 29. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, Kersten Naumann, Sevim
Dag˘delen, Dr. Hakki Keskin und der Fraktion DIE LINKE.

Zugriff von Geheimdiensten auf das Schengener Informationssystem der zweiten
Generation verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Derzeit liegen dem Rat der Europäischen Union Vorlagen zu einem Beschluss
und zu einer Verordnung „über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des
Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II)“ (KOM (2005)
230, KOM (2005) 236) zur Entscheidung vor. Bei Verabschiedung dieser Vorla-
gen würde der Rahmen des bisher bestehenden Schengener Informationssys-
tems (SIS) nicht nur in Richtung der neuen EU-Mitgliedstaaten ausgeweitet.
Auch die Möglichkeiten, personengebundene Daten zu speichern, diese mitein-
ander zu verknüpfen und von einer großen Anzahl nationaler Behörden abzuru-
fen, würden ausgedehnt.

Der Nachbericht des Bundesministeriums des Innern zur Sitzung des Rates für
Justiz und Inneres (5./6. Oktober 2006) vom 10. Oktober 2006 macht zum wie-
derholten Male deutlich, dass sich der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang
Schäuble, dafür einsetzt, dass Nachrichtendienste der EU-Mitgliedstaaten Zu-
gang zum SIS II erhalten sollen: „Die Mitgliedstaaten bestätigten erneut die
Notwendigkeit eines Zugangs derjenigen Behörden (einschließlich der Dienste)
zum SIS, die ihrerseits Daten einstellen“.

Neben datenschutzrechtlichen Bedenken hat sich das Europäische Parlament
(EP) explizit gegen einen Zugang von Geheimdiensten zum SIS II ausgespro-
chen. Hierzu der Berichterstatter des EP, Carlos Coelho: „Die Abgeordneten
weigerten sich jedoch, dem Vorhaben des Ministerrats zuzustimmen und auch
den nationalen Geheimdiensten Zugriff zum System zu gewähren. Der Vor-
schlag, den Geheimdiensten Zugang zu SIS II zu geben, macht keinen Sinn“,
sagte der Berichterstatter in der Debatte (EP-Pressedienst vom 25. Oktober
2006).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in den entspre-
chenden Gremien der Europäischen Union, insbesondere dem Rat für Inneres

und Justiz, keinen Entschließungen oder Vorlagen zuzustimmen, die Geheim-
diensten einen Zugang zum SIS II eröffnen.

Berlin, den 28. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/3619 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Begründung

Bürgerrechtsorganisationen wie die britische „Statewatch“ zeigen in ihren Ana-
lysen, dass sich das SIS in der vorgeschlagenen Art und Weise wesentlich wan-
delt: von einem Instrument, das dazu dienen sollte zu überprüfen, ob gegen eine
festgenommene Person bereits in einem anderen Mitgliedstaat ermittelt wird, zu
einem Instrument polizeilicher und geheimdienstlicher Ermittlungen. Auch in
der „Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zum Schengener In-
formationssystem (SIS II) der zweiten Generation“ wird festgestellt, „dass das
SIS im Laufe der Jahre nicht mehr als Ausgleichsmaßnahme [für den Wegfall
der Kontrollen an den Binnengrenzen] gesehen wurde, sondern eher als nütz-
liches und effizientes Instrument für die polizeiliche Zusammenarbeit, dessen
Daten zu anderen Zwecken als ursprünglich vorgesehen genutzt werden können“.

Mit dem SIS II wird eine europäische Datensammlung geschaffen, ohne dass zu-
vor die notwendigen Regelungen für einen wirksamen Datenschutz verabschie-
det worden wären. Durch die von verschiedener Seite gewünschte Verknüpfung
von SIS II und EURODAC bzw. VIS würden des Weiteren massenhaft – darun-
ter besonders sensible biometrische – Daten von Drittstaatsangehörigen in den
Datenbestand einfließen. Kontrollen über die Verwendung der Daten und die
Quellen der Daten sind – wenn überhaupt – dem Gebrauch der Daten zeitlich
nachgelagert.

Das SIS II ist ein weiteres Instrument zum Abbau bürgerlicher Freiheiten in der
Europäischen Union und dient in seiner vorgeschlagenen Version gerade nicht
der Freizügigkeit des Personenverkehrs und Gewährleistung von Sicherheit für
die Menschen, die sich in der Europäischen Union aufhalten, sondern der poli-
zeilich-justiziellen Zusammenarbeit in Form eines Fahndungssystems.

Die Öffnung dieses Systems für Geheimdienste sprengt den Rahmen eines de-
mokratisch und friedlich verfassten Europas noch weiter auf. Geheimdiensten
muss der Zugang zum SIS II verschlossen bleiben.

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