BT-Drucksache 16/3525

Geplante Schweinemastgroßanlagen in Deutschland

Vom 21. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3525
16. Wahlperiode 21. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Cornelia Behm,
Ulrike Höfken, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Geplante Schweinemastgroßanlagen in Deutschland

In Deutschland sind nach vorliegenden Informationen derzeit zahlreiche neue
industrielle Schweinemastanlagen geplant, die aufgrund ihrer Betriebsgröße
oder ihrer Produktionsweise (Nichterfüllung der Legaldefinition des § 201 des
Baugesetzbuchs) nicht unter die landwirtschaftlichen Erwerbsbetriebe fallen
(im Weiteren: industrielle Schweinehaltung). Investoren sehen offenbar Bedarf
für Anlagen mit bis zu 80 000 Tierplätzen und mehr, obwohl die Verbraucherin-
nen und Verbraucher – durch zahllose Lebensmittelskandale sensibilisiert – den
Produkten aus industrialisierter Tierhaltung zunehmend misstrauen.

Viele Anwohner stehen dem Bau von großen Mastanlagen äußerst kritisch
gegenüber. Sie befürchten eine verschlechterte Lebensqualität durch Geruchs-,
Lärm- und Verkehrsbelästigungen. Der bäuerliche Mittelstand mit seiner
Schweinehaltung in eingestreuten Systemen (im Weiteren: bäuerliche
Schweinehaltung) sieht sich durch die industrielle Masttierhaltung in seiner
Existenz bedroht. Tierschützer bezeichnen die Haltungsbedingungen in der
industriellen Massentierhaltung als tierquälerisch. Umweltschützer erwarten
erhebliche negative Konsequenzen für Böden, Wasser und Luft. Bürgerinitiati-
ven und Aktionsbündnisse, die sich gegen die Errichtung der Anlagen zur Wehr
setzen, beklagen geringe Mitwirkungsmöglichkeiten in den Genehmigungsver-
fahren.

Wir fragen die Bundesregierung:

Planung und Bedarf

1. Von welchen in Deutschland geplanten neuen Anlagen zur industriellen
Schweinemast hat die Bundesregierung Kenntnis?

2. Welche Größenordnung hält die Bundesregierung unter Berücksichtigung
seuchenhygienischer, katastrophendienstlicher, tierschützerischer und ver-
braucherschützerischer Aspekte bei Anlagen zur industriellen Schweine-
haltung maximal für vertretbar?
3. Wie fördert die Bundesregierung menschen-, umwelt- und tierfreundliche
Produktionsweisen als Alternative zur industriellen Schweinehaltung?

4. Hält die Bundesregierung Anlagen zur industriellen Schweinehaltung zur
Versorgung der Bevölkerung für wirtschaftlich erforderlich?

Drucksache 16/3525 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

5. In welchem Umfang muss derzeit Schweinefleisch zur Deckung des Be-
darfs nach Deutschland importiert werden, und welcher Trend zeichnet sich
hier ab?

6. Wie schätzt die Bundesregierung das Marktpotenzial für den Export von
Schweinefleisch ein?

7. Welche Vorgaben werden für den Import von Schweinen bzw. Schweine-
fleisch in die Europäische Union gemacht, und ist dadurch der Import von
Schweinen bzw. Schweinefleisch aus umweltschädlicher und tierfeindlicher
Haltung ausgeschlossen?

Arbeitsplätze

8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Schweinehaltung des
bäuerlichen Mittelstandes mehr Arbeitsplätze schafft und sichert als die
industrielle Schweinehaltung, und wenn nicht, warum nicht?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr, dass die industrielle
Schweinehaltung die Lebensqualität von Standorten und deren Wert für
andere arbeitsplatzintensive Entwicklungsmöglichkeiten – wie im Bereich
des Tourismus – verhindert oder erschwert?

Gesundheitsgefahren

10. In welchem Umfang und zu welchem Zwecke verwenden die Betreiber von
Anlagen zur industriellen Schweinehaltung Antibiotika, und welche Gefah-
ren entstehen hierbei für die Verbraucher?

11. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, dass auch heute noch Antibio-
tika aus der Tierhaltung über die Gülle ihren Weg in Pflanzen und damit
letztlich in die Lebensmittel finden können?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Gefährdung der Gesundheit der Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Anwohner von Anlagen zur indus-
triellen Schweinehaltung durch Keime, Stäube und Endotoxine, und sind
hierzu ausreichende Untersuchungen durchgeführt worden?

13. Hält die Bundesregierung Anlagen zur industriellen Schweinehaltung für
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für Anwohner von Anlagen für un-
bedenklich, und kann sie eine Gesundheitsgefährdung für diesen Personen-
kreis ausschließen?

Rahmenbedingungen

14. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es für bäuerliche Mastbetriebe
zunehmend schwieriger wird, für kleine Einheiten von Schlachttieren
Schlachtbetriebe zu finden, und wenn ja, wie bewertet sie das?

15. Trifft es zu, dass die Veränderungen in der Gesetzgebung und Förderpolitik
der Europäischen Union die Errichtung und Zulassung großer Schlacht-
betriebe gegenüber kleineren Anlagen erleichtert und fördert?

16. Wie stellt sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Konzentrationspro-
zess im Bereich der Produktion von Futtermitteln für die Schweinemast dar,
und welche Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit und Konkurrenzfähig-
keit bäuerlicher Schweinehaltung hat dieser?

17. Wie stellt sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Konzentrationspro-
zess im Bereich der Verarbeitung von Schweinefleisch dar, und welche Aus-
wirkungen auf die Wirtschaftlichkeit und Konkurrenzfähigkeit bäuerlicher

Schweinehaltung hat dieser?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3525

18. Durch welche ordnungspolitischen Vorgaben und förderpolitischen Ansätze
wurde auf europäischer Ebene der Konzentrationsprozess im Schlacht-,
Futtermittel- und Verarbeitungsbereich der Schweinemast begünstigt und
vorangetrieben, und teilt die Bundesregierung die Sorge, dass hiermit der
bäuerlichen Schweinehaltung zunehmend der Boden entzogen wird?

Verbraucherschutz

19. Welche Möglichkeiten haben Verbraucher, sich darüber zu informieren, ob
ein Produkt aus industrieller oder bäuerlicher Schweinehaltung stammt, und
welche Maßnahmen erwägt die Bundesregierung, um die diesbezügliche
Information der Verbraucher zu verbessern?

Bundes-Immissionsschutzgesetz

20. Welche Genehmigungsverfahren durchlaufen Betriebe der industriellen
Schweinehaltung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, und welche
Kriterien werden hier jeweils angelegt?

21. Sind der Bundesregierung Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Im-
missionsschutzgesetz bekannt, die zu einer abschlägigen Entscheidung ge-
führt haben, und wenn ja, welche Gründe waren hier ausschlaggebend?

22. Gibt es seit 2005 Änderungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz oder sind
Änderungen geplant, die die im Genehmigungsverfahren für Anlagen zur
industriellen Schweinehaltung auf die neuen Dimensionen der geplanten
Schweinemastanlagen Bezug nehmen, und wenn ja, welche sind das und
welche Auswirkungen haben sie bzw. werden sie haben?

23. Wie erfolgt die Information der Bevölkerung über anstehende Genehmi-
gungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz?

24. Welche Mitwirkungsmöglichkeiten im Genehmigungsverfahren nach dem
Bundes-Immissionsschutzgesetz haben anerkannte Naturschutzverbände?

25. Welche Mitwirkungsmöglichkeiten im Genehmigungsverfahren nach dem
Bundes-Immissionsschutzgesetz haben nicht rechtsfähige Bürgerinitiati-
ven?

26. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass angesichts der neuen
Dimensionen geplanter Schweinemastanlagen die Fristen der Bürgerbetei-
ligung verlängert werden müssen?

27. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass angesichts der geplanten
Schweinemastanlagen mit bis zu 80 000 Tierplätzen und der daraus resultie-
renden überregionalen Auswirkungen für Mensch, Umwelt und Region die
Entscheidung über die Genehmigung einer solchen Anlage nicht allein der
Kommune überlassen werden kann, in der die Anlage errichtet werden soll?

Umweltverträglichkeitsprüfung

28. Wann und in welchem Umfang ist bei der Genehmigung einer industriellen
Schweinehaltungsanlage eine Umweltverträglichkeitsprüfung (allgemeine
Vorprüfung, standortbezogene Vorprüfung) durchzuführen?

29. Wie erfolgt die Information der Bevölkerung über anstehende Genehmi-
gungsverfahren nach Umweltverträglichkeitsprüfung?

30. Welche Mitwirkungsmöglichkeiten im Genehmigungsverfahren nach Um-
weltverträglichkeitsprüfung haben anerkannte Naturschutzverbände?
31. Welche Mitwirkungsmöglichkeiten im Genehmigungsverfahren nach Um-
weltverträglichkeitsprüfung haben nicht rechtsfähige Bürgerinitiativen?

Drucksache 16/3525 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Tierschutz

32. Wie bewertet die Bundesregierung die industrielle Schweinehaltung unter
dem Gesichtspunkt des Tierschutzes?

33. Welche grundlegenden Normen gelten für die tierschutzrechtlichen Anfor-
derungen an die Tierhaltung in industriellen Schweinehaltungsanlagen?

34. In welchem Verfahren werden diese Normen geprüft und welchen Stellen-
wert haben sie im Genehmigungsverfahren?

35. Wie erfolgt die Prüfung der Einhaltung tierschutzrechtlicher Anforderun-
gen?

36. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass hinsichtlich der Tier-
schutzfragen eine Klage auf Einhaltung tierschutzrechtlicher Vorgaben
nicht möglich ist, und welche Schlussfolgerungen zieht sie hieraus gegebe-
nenfalls?

37. Sind der Bundesregierung Genehmigungsverfahren bekannt, die aus Tier-
schutzgründen bzw. aus Naturschutzgründen mit einem negativen Bescheid
endeten?

38. Welche Daten liegen der Bundesregierung über die Verletzungen von
Schweinen in industrialisierter Schweinehaltung vor und wie sind diese im
Vergleich zu Daten über Verletzungen von Schweinen in eingestreuten
Haltungssystemen zu bewerten?

39. Kann die Bundesregierung Zahlen bestätigen, die von einer sechsmal höhe-
ren Sterblichkeit von Schweinen in industrieller Haltung gegenüber
Schweinen in tiergerechter bäuerlicher Haltung ausgehen, und wenn ja,
welche Schlussfolgerungen zieht sie hieraus gegebenenfalls?

Förderungen

40. Aus welchen nationalen und europäischen Förderprogrammen können Be-
triebe zur industriellen Schweinehaltung und aus welchen können Betriebe
der bäuerlichen Schweinehaltung gefördert werden?

41. Gibt es darüber hinaus weitere Möglichkeiten der Förderung?

42. Welche Rahmenbedingungen für die industrielle und für die bäuerliche
Schweinehaltung hat die Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt geändert,
und welches waren die Beweggründe hierfür?

Seuchenbekämpfung

43. Wer trägt die Kosten, die zur Bekämpfung von Seuchen in der industriellen
Schweinehaltung entstehen?

Wertverlust von Immobilien

44. Von welchem Wertverlust müssen Besitzer von Grundstücken und Gebäu-
den ausgehen, wenn in ihrer Nähe Anlagen zur industriellen Schweine-
haltung errichtet werden?

Brandschutz

45. Welche rechtlichen Regelungen gelten für den Brandschutz von Anlagen
industrieller Schweinehaltung, und in welchem Genehmigungsverfahren
werden diese geprüft?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/3525

Gülleausbringung

46. Zu welchen Belästigungen führt die Ausbringung der Gülle, und welche
Immissionsgrenzen gibt es hier?

47. Ist es zutreffend, dass Fragen der Gülleausbringung und der Gülleverwer-
tung im Genehmigungsverfahren industrieller Schweinehaltungsanlagen
zumindest hinsichtlich der Aufnahmefähigkeit der Böden sowie der Kon-
trolle der Ausbringung nahezu keine Rolle spielen, sondern dass lediglich
nachgewiesen werden muss, dass dem Betreiber die Gülle abgenommen
wird, ohne dass die Weiterverwendung Gegenstand des Genehmigungsver-
fahrens bzw. von Kontrollen ist?

48. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Nachweis einer ord-
nungsgemäßen Gülleausbringung Bestandteil des Genehmigungsverfahrens
sein muss, oder hält sie das Vorliegen eines sog. Gülleabnahmevertrages für
ausreichend?

49. Wie wird sichergestellt, dass zur Abwehr der mit der Gülleausbringung ver-
bundenen Gefahren für das Grundwasser oder geschützte Biotope oder
sonstige empfindliche Natur- und Landschaftsbestandteile eine parzellen-
scharfe Festlegung der Düngemittelrichtwerte erfolgt?

50. Welche Anforderungen ergeben sich aus der so genannten Nitrat-Richtlinie
der Europäischen Union zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung
durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen, und wie wird die Einhaltung
dieser Anforderungen sichergestellt?

Luftgetragene Schadstoffe

51. Welche luftgetragenen Belastungen durch industrielle Schweinehaltung
entstehen für den Menschen, und welche Grenzwerte gibt es hier?

52. Welche luftgetragenen Belastungen durch industrielle Schweinehaltung
entstehen für Grundwasser und Gewässer, und welche Grenzwerte gibt es
hier?

53. Welche luftgetragenen Belastungen durch industrielle Schweinehaltung
entstehen für Bäume und das Waldökosystem, und welche Grenzwerte gibt
es hier?

54. Wie erfolgt im Genehmigungsverfahren die Prüfung der Immission luft-
getragener Schadstoffe auf Konformität mit dem Naturschutzrecht?

55. Nach welchen Verfahren erfolgen Verträglichkeitsprüfungen von Stickstoff-
einträgen aus industrieller Schweinehaltung in Naturräume?

56. Welche Verbindlichkeit ergibt sich aus der Geruchs-Immissionsrichtlinie,
und gilt diese in allen Ländern gleichermaßen?

57. Ab wann ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Geruchsbelästi-
gung hinnehmbar?

58. Unter welchen Voraussetzungen werden Abluftreinigungseinrichtungen als
geruchsmindernd anerkannt, und wie erfolgt die Prüfung der dauerhaften
Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen?

Wasserbelastungen

59. Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung hinsichtlich möglicher
und tatsächlicher Belastungen von Grundwasser durch Anlagen industriel-
ler Schweinemast, und welche Maßnahmen werden ergriffen, um solche

Belastungen zu verhindern?

Drucksache 16/3525 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

60. In wie weit ist die Bereitstellung der notwendigen Wasser-Mengen für den
Betrieb der Anlagen industrieller Schweinemast Bestandteil der Genehmi-
gungsverfahren, und welche Kriterien gelten hier?

Berlin, den 21. November 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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