BT-Drucksache 16/348

Ermittlungen deutscher Sicherheitsbehörden im In- und Ausland im Fall des in Syrien inhaftierten deutschen Staatsbürgers

Vom 4. Januar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/348
16. Wahlperiode 04. 01. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Kersten Naumann, Petra Pau, Ulla Jelpke,
Sevim Dagdelen und der Fraktion DIE LINKE.

Ermittlungen deutscher Sicherheitsbehörden im In- und Ausland im Fall des in
Syrien inhaftierten deutschen Staatsbürgers

Laut Informationen des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL (vgl. 47/2005,
S. 100 „Der vergessene Gefangene“) und des Jahresberichts von amnesty inter-
national (ai) zu Syrien (VÖ: 28. Mai 2003) befindet sich der Deutsch-Syrer
M. H. Z. seit Dezember 2001 in dem syrischen Sicherheitsgefängnis Far- Filastin.
Wie DER SPIEGEL weiter berichtet, sollen auch Mitarbeiter der deutschen
Sicherheitsbehörden Bundeskriminalamt (BKA), Bundesnachrichtendienst
(BND) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Z. für Gespräche in Syrien
aufgesucht haben. In diesem Zusammenhang wird weiter vermeldet, dass es
bzgl. der Vorbereitung der angesprochenen Gespräche ein Treffen zwischen
deutschen Stellen und einer syrischen Delegation unter der Leitung von Ge-
neral Assif Schaukat im Bundeskanzleramt im Sommer 2002 gegeben haben
soll. Ergebnis des Treffens soll gewesen sein, dass Ermittlungsverfahren gegen
syrische Staatsbürger in Deutschland eingestellt wurden und so die Gespräche
mit Z. in Syrien ermöglicht worden sein soll.
Z. soll bereits vor den Anschlägen des 11. September 2001 in New York und
Washington durch deutsche Sicherheitsbehörden beobachtet und schließlich
nach dem 11. September 2001 in Marokko durch dortige Stellen festgenommen
worden sein.
Nach Presseberichten war die bundesdeutsche Regierung frühzeitig über die In-
haftierung Zs. informiert, welcher sich nach über vier Jahren noch immer in
Damaskus im berüchtigten Foltergefängnis der syrischen Geheimpolizei befin-
den soll.
Viele Informationen über die Hintergründe der Verhaftung und des Verbleibs Zs.
sind jedoch nur vage oder ungenau und geben Rätsel auf. Vor allem die Verwick-
lung deutscher Stellen wie BKA, BND, BfV, Auswärtiges Amt (AA) und Bun-
deskanzleramt werfen Fragen auf, die bislang unbeantwortet bleiben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Aufgrund welcher Sachlage wurde das Ermittlungsverfahren (Aktenzeichen
2 BJs 81/01-5) gegen Z. eingeleitet?

2. Mit welchen in- und ausländischen Behörden hat das BKA bei den Ermittlun-

gen gegen Z. zusammengearbeitet?
a) In welcher Form fand diese Zusammenarbeit statt?
b) Wurden Zielfahnder auf Z. angesetzt, und wenn ja, wie viele waren daran

beteiligt und aus welchen Staaten kamen diese?
c) Welche Ergebnisse ergab die Zielfahndung?
d) Standen die Ermittlungen gegen Z. im Zusammenhang mit der Arbeit der

vom BKA eingerichteten „Besonderen Aufbauorganisation USA“?

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3. Waren die Einsetzung und die Arbeit der „Besonderen Aufbauorganisation
USA“ Gegenstand der nachrichtendienstlichen Lage im Bundeskanzleramt,
und wenn ja, in welchen Sitzungen?

4. Wurden im September 2001 im Einsatzabschnitt Hamburg gemeinsam und
operativ von deutschen und amerikanischen Stellen die Ermittlungen gegen
den islamistischen Terrorismus im Allgemeinen und gegen Z. im Besonde-
ren abgesprochen und koordiniert, und wenn ja, in welchem Zeitraum, mit
Beteiligung welcher Stellen und mit wie vielen Beamten (DER SPIEGEL
47/2005 „Der vergessene Gefangene“)?

5. Mit welcher Intensität wurden Daten über das bisherige Leben von Z. aus-
geforscht, z. B. Arbeitssituation in Hamburg, persönliches Umfeld, Be-
kanntschaften?

6. Welche technischen Mittel wurden eingesetzt, um an Daten über Z. zu kom-
men? Bitte nach Art und Einsatzdauer auflisten.

7. Hat es einen Datenaustausch mit in- und ausländischen Sicherheitsbehörden
gegeben, und wenn ja, mit wem und wann genau?

8. Trifft es zu, dass amerikanische Sicherheitsbehörden bereits seit Ende der
90er Jahre Informationen/Daten von bundesdeutschen Behörden über Z. er-
halten hatten (DER SPIEGEL 47/2005 „Der vergessene Gefangene“)?

Wenn ja, an wen wurden diese übermittelt und in welchem Umfang?

9. Trifft es zu, dass US-Behörden Z. auf einer „Wanted-Liste“ haben oder hat-
ten? (DER SPIEGEL 47/2005 „Der vergessene Gefangene“)

10. Haben deutsche Ermittlungsbehörden Kenntnisse erlangt, dass Z. einen Rei-
sepass im Herbst 2001 beim Bezirksamt Hamburg Nord beantragt hat und
dass Z. einen Flug am 27. Oktober 2001 über Amsterdam nach Casablanca
gebucht hatte?

a) Wenn ja, wurde amerikanischen Stellen mitgeteilt, dass Z. einen Reise-
pass beantragt hat oder konnten das amerikanische Stellen unmittelbar
aus den gemeinsamen Ermittlungen erfahren?

b) Wurden amerikanischen Behörden die Buchung und die Daten des Flu-
ges von Z. nach Casablanca mitgeteilt?

11. Weshalb konnte Z. vor dem Hintergrund, dass gegen ihn ein Ermittlungsver-
fahren wegen Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung
lief, am 27. Oktober 2001 von Hamburg über Amsterdam nach Casablanca
fliegen?

12. Wurde die Zielfahndung durch deutsche und/oder amerikanische Stellen in
Marokko fortgesetzt?

Wenn ja,

a) wie viele Beamte welcher deutschen und/oder amerikanischen Behörden
und

b) welche technischen Mittel wurden bei dieser Zielfahndung eingesetzt?

13. Wurden marokkanische oder andere ausländische Sicherheitsbehörden über
diese Operation informiert, und wenn ja, welche und wann?

a) Welche Formen der Zusammenarbeit und Kooperation wurden vereinbart?

b) Wann, wo und durch wen wurde nach Kenntnis der Bundesregierung Z.
in Marokko verhaftet?

c) Gab es vorab einen Plan zur Verhaftung Zs., und wenn ja, wer war daran
beteiligt?
14. In welchem Gefängnis wurde Z. nach Kenntnis der Bundesregierung inhaf-
tiert und was war der Haftgrund?

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15. Haben bundesdeutsche Behörden Vernehmungsergebnisse aus Marokko er-
halten, und wenn ja, durch wen haben welche Behörden diese erhalten?

16. Wann und durch wen wurde Z. nach Kenntnis der Bundesregierung nach
Syrien gebracht und wem wurde er in Syrien übergeben?

17. Trifft es zu, dass, wie DER SPIEGEL 47/2005 schreibt, es ein hochrangiges
Treffen im Bundeskanzleramt zwischen einer syrischen Abordnung und
bundesdeutschen Stellen gegeben hat?

Wenn ja,

a) wer war der Initiant des Treffens und welche Stellen der Bundesregie-
rung waren dabei federführend beteiligt?

b) Wer hat an diesem Treffen teilgenommen?

c) Wann hat das Treffen stattgefunden und was war der Zweck des Treffens?

d) Welches Ergebnis hatte das Treffen und wurde ein weiteres vereinbart?

e) Waren die Einberufung dieses Treffens, der Verlauf und die Ergebnisse
Gegenstand der nachrichtendienstlichen Lage im Bundeskanzleramt,
und wenn ja, wann und wie oft wurde in der nachrichtendienstlichen
Lage über das Treffen mit der syrischen Delegation gesprochen?

f) Wer hat an dieser nachrichtendienstlichen Lage im Bundeskanzleramt
teilgenommen?

18. Trifft es zu, dass es ein Ergebnis des Treffens war, dass bundesdeutschen
Sicherheitsbehörden der Zugang zu Z. im syrischen Gefängnis ermöglicht
wurde?

19. Trifft es zu, dass im Sommer 2002 Ulrich Kersten (BKA) und Dr. August
Hanning (damals Chef des BND) nach Damaskus gereist sind, und was war
der genaue Zweck dieses Besuchs (Neues Deutschland, 16. Dezember 2005
„Was dealten BKA- und BND-Chefs mit Syrien“)?

Wenn ja,

a) wann genau fand die Reise statt und mit wem wurden in Syrien Gespräche
geführt?

b) Wer hat den Auftrag für diese Dienstreise erteilt und mit welchen Minis-
terien war die Reise abgestimmt?

c) Was war das Ergebnis der Reise von Dr. Hanning und Kersten und trifft
es zu, dass der Besuch der Vorbereitung des Besuchs bei Z. in Damaskus
durch Vertreter des BKA, BND und BfV diente?

20. Wodurch und seit wann wussten bundesdeutsche Stellen von dem Verbleib
Zs. in einem syrischen Gefängnis?

21. Trifft es zu, dass bundesdeutschen Behörden eine Zusammenfassung der
Verhöre Zs. durch syrische Behörden übermittelt worden ist?

Wenn ja, an wen ist diese Zusammenfassung übermittelt worden, und wie
wurde diese bewertet?

22. Trifft es zu, dass sich eine Delegation aus je zwei Mitarbeitern des BND,
BKA und BfV am 20. November 2002 zum Zwecke eines Gesprächs mit Z.
nach Syrien begeben hat (DER SPIEGEL 47/2005)?

Wenn ja,

a) wer hat diese Dienstreise angeordnet bzw. mit welchen Ministerien war
die Reise abgestimmt, und was war der Grund und wie lange hat sich die
Delegation in Syrien aufgehalten?
b) Wer führte das Gespräch in welchen Zeiträumen und wo fand das Ge-
spräch statt?

Drucksache 16/348 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
c) Wurde Z. über seine Rechte belehrt (war ein Anwalt anwesend, konnte
er einen hinzuziehen, wurde ihm das Recht der Aussageverweigerung
eingeräumt)?

d) In welcher Sprache fand das Gespräch statt und wurden ggf. Passagen des
Gesprächs ins Syrische übersetzt?

e) Wer hat an dem Gespräch teilgenommen und was war das Ergebnis des
Gesprächs?

Wie und durch wen wurden die Ergebnisse ausgewertet?

f) Wie haben die Beamten den physischen und psychischen Zustand Zs. be-
urteilt?

g) Wurde Z. gefragt, ob er in Marokko und Syrien gefoltert worden ist, und
wenn ja, haben die beteiligten Beamten nach ihrer Rückkehr nach
Deutschland Informationen zu der Frage weitergeleitet?

h) An wen und wann wurden diese Informationen weitergegeben?

23. Welche bundesdeutschen Stellen wurden über die Ergebnisse des Gesprächs
mit Z. informiert?

24. Trifft es zu, dass die Ergebnisse des Gesprächs bis heute unter Verschluss
gehalten werden?

a) Wenn ja, warum werden die Ergebnisse unter Verschluss gehalten?

b) Welche gerichtsverwertbaren Erkenntnisse konnten gewonnen werden?

c) Wurden weitere Gespräche vereinbart, und wenn ja, zu welchem Zeit-
punkt fanden diese statt?

25. Wurde dem Generalbundesanwalt von den BKA-Beamten ein Vermerk über
das Gespräch mit Z. für die Ermittlungsakte übergeben?

26. Wurde der Vermerk über das Gespräch mit Z. vom BKA oder anderen Stel-
len an US-Behörden weitergeleitet?

27. Welche Maßnahmen hat die deutsche Botschaft eingeleitet, um die Interes-
sen des deutschen Staatsbürgers Z. gegen die syrischen Sicherheitsbehörden
durchzusetzen?

28. Trifft es zu, dass der deutsche Botschafter seit Juni 2002 zahlreiche Noten
in dieser Angelegenheit verfasst hat, und wenn ja, was war deren Ergebnis
(DER SPIEGEL 47/2005 „Der vergessene Gefangene“)?

29. Welche Schritte hat das AA von sich aus oder aufgrund eines Anschreibens
der Anwältin von Z. unternommen, um den Verbleib Zs. aufzuklären und
seine Interessen zu vertreten?

30. War der damalige Bundesaußenminister Joseph Fischer über den Fall Z. und
das Vorgehen der Delegation informiert, und wenn ja, seit wann genau?

31. Wurde zu diesem Fall das Parlamentarische Kontrollgremium unterrichtet
und wenn ja, wann und wie oft?

32. Wo befindet sich Z. derzeit und was ist der Grund dafür?

Berlin, den 21. Dezember 2005

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion
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