BT-Drucksache 16/3453

Evaluierungsbericht zum Zuwanderungsgesetz und die Berücksichtigung von Forderungen der Kirchen, von Verbänden und anderer Nichtregierungsorganisationen

Vom 17. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3453
16. Wahlperiode 17. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Petra Pau, Ulla Jelpke, Jan Korte und der
Fraktion DIE LINKE.

Evaluierungsbericht zum Zuwanderungsgesetz und die Berücksichtigung
von Forderungen der Kirchen, von Verbänden und anderer
Nichtregierungsorganisationen

Auf die schriftliche Frage der Abgeordneten Sevim Dagdelen vom 28. Juli
2006, ob die Bundesregierung Verbesserungen der Rechtslage für Betroffene,
wie sie von zahlreichen Verbänden, Kirchen usw. in ausführlichen Stellungnah-
men gefordert worden waren, konkret benennen könne, die Eingang in die
Empfehlungen für einen gesetzgeberischen oder sonstigen Handlungsbedarf des
Evaluierungsberichts des Bundesministeriums des Innern zum Zuwanderungs-
gesetz (Kapitel B, S. 11 bis 16) gefunden hätten, antwortete der Staatssekretär
im Bundesministerium des Innern Dr. Hans-Bernhard Beus am 7. August 2006
(vgl. Bundestagsdrucksache 16/2390, Frage 21, S. 17 f.): Dass das Bundes-
ministerium solche Forderungen „aufgegriffen“ habe, ergebe sich „beispielhaft
aus der gemeinsamen Pressemitteilung der Evangelischen Kirche in Deutsch-
land und des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz vom 24. Juli 2006“.

In dieser Presseerklärung der Kirchen (http://www.ekd.de/presse/pm154_2006_
evaluierungsbericht_reimers.html) wird jedoch lediglich „begrüßt“, dass der
Bericht die Notwendigkeit betone, „Integrationsangebote verstärkt auch schon
länger in Deutschland ansässigen Migranten zugänglich zu machen“. Im Übri-
gen enthält die Pressemitteilung aber die Feststellung: „Unserer ersten Ein-
schätzung nach sind die Forderungen der Kirchen in einigen zentralen Bereichen
weitgehend unberücksichtigt geblieben.“ Der Evaluationsbericht sei „leider an
vielen Stellen von Misstrauen und der Forderung nach Sanktionen geprägt“. Die
Vorschläge des Referentenentwurfs zum Ehegattennachzug werden durch die
Kirchen als „unverhältnismäßig“ abgelehnt. „Kritisch“ wird auch das geplante
behördliche Anfechtungsrecht bei Vaterschaftsanerkennungen beurteilt. „Be-
sorgt“ ist im Zusammenhang mit dem Familiennachzug von einem nicht begrün-
deten „Misstrauen gegenüber den betroffenen Menschen“ die Rede. „Besonders
zu kritisieren“ sei es, dass der Bericht zum Problem der Kettenduldungen keine
Verbesserungen enthalte. „Nicht nachvollziehbar“ und „in hohem Maße kritik-
würdig“ sei schließlich das „Vorhaben, die bislang übliche Ankündigung einer
bevorstehenden Abschiebung zu unterlassen“.
Die oben zitierte Deutung dieser Presseerklärung der Kirchen durch Staats-
sekretär Dr. Hans-Bernhard Beus, wonach sie als Beleg für die Berücksichti-
gung von Forderungen der Kirchen usw. im Evaluierungsbericht dienen könne,
ist deshalb nicht nachvollziehbar.

Am 26. Oktober 2006 fand eine Veranstaltung „Erfahrungsaustausch von Prak-
tikern von Caritas und Diakonie zur Novellierung des Zuwanderungsgesetzes“

Drucksache 16/3453 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

statt, an der unter anderem mehrere Mitglieder des Innenausschusses des Deut-
schen Bundestages teilnahmen. Gretel Wildt vom Diakonischen Werk der EKD
verwies dort darauf, dass es eine Diskrepanz zwischen öffentlichen Äußerungen
der Regierung zum Thema Integration und dem Evaluationsbericht des Bundes-
ministeriums des Innern gebe: Während z. B. Bundesinnenminister Dr. Wolf-
gang Schäuble davon gesprochen habe, dass Integration eines „offenen gesell-
schaftlichen Klimas“ bedürfe und als Chance begriffen werden müsse, sei der
Evaluationsbericht stark ordnungsrechtlich geprägt und entwickle Vorschläge
zur Abschreckung, Verhinderung und sogar zur Rückgängigmachung von Zu-
wanderung (siehe Unterlagen der Tagung „Miteinander Leben in Deutschland“,
Deutscher Caritasverband, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in
Deutschland, 26. Oktober 2006, Stellungnahme Gretel Wildt).

Dr. Elke Tießler-Marenda vom Referat Migration und Integration des Deutschen
Caritasverbandes betonte auf der benannten Veranstaltung bzw. in ihrem schrift-
lichen Statement, dass „schon bei einem ersten Blick auf den Evaluationsbericht
und die dort festgestellten Handlungsbedarfe (…) eine deutliche Diskrepanz
zwischen den Erfahrungen des Deutschen Caritasverbandes und der Bewertung
des Zuwanderungsgesetzes durch das BMI deutlich“ werde. Der Bericht sei ins-
gesamt „in seiner Tendenz geprägt von Misstrauen und Ausgrenzung. Entspre-
chend werden Handlungsbedarfe fast ausschließlich im Kontext von Sanktionen
und einer Verschärfung von Zuzugs- und Aufenthaltsbedingungen gesehen“.
Und weiter: „Vorschläge seitens der Verbände oder auch von Anwälten, die zu
einer Verbesserung des humanitären Schutzes führen könnten, werden durch-
weg als unnötig abgelehnt“ (siehe Tagungsunterlagen vom 26. Oktober 2006,
Stellungnahme Dr. Elke Tießler-Marenda, Referat Migration und Integration des
Deutschen Caritasverbandes).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält die Bundesregierung in Anbetracht der Vorbemerkung an ihrer Behaup-
tung fest, der Evaluierungsbericht zum Zuwanderungsgesetz habe Forderun-
gen von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Flüchtlingsorganisationen usw. auf-
gegriffen (bitte begründen)?

2. Wenn die Frage 1 bejaht wird, welche konkreten Vorschläge zur Verbesse-
rung der Rechtslage im Sinne der Betroffenen sind in Kapitel B des Eva-
luierungsberichts des Bundesministeriums des Innern zum Zuwanderungsge-
setz („Empfehlungen für einen gesetzgeberischen oder sonstigen Handlungs-
bedarf“, S. 11 bis 16) enthalten?

3. Wenn die Frage 1 bejaht wird, kann die Bundesregierung Pressemitteilungen,
Stellungnahmen oder Bewertungen von Wohlfahrtsvereinen, Kirchen usw.
benennen, die ihre Auffassung stützen, und wenn ja, welche?

4. Wenn die Frage 1 bejaht wird, sind der Bundesregierung die nachfolgend be-
nannten Stellungnahmen/Pressemitteilungen bekannt, und wie sind diese mit
ihrer Einschätzung zu vereinbaren?

a) Pressemitteilung des Interkulturellen Rates und von Pro Asyl vom 24. Juli
2006, in der es heißt, dass die Änderungsvorschläge des Evaluierungs-
berichts einen „Katalog der asyl- und migrationspolitischen Grausamkei-
ten“ darstellten, dass der Evaluierungsbericht eine „Farce“ sei und „zen-
trale Ergebnisse der Evaluierung“ nicht berücksichtige.

b) Bewertung des Evaluationsberichts durch Amnesty International (vgl.
z. B. epd vom 25. Juli 2006), wonach die Bundesregierung die Evaluie-
rung der gesetzlichen Regelungen genutzt habe, um restriktive Auslegun-
gen zu verfestigen, wonach Migrantinnen und Migranten und Schutzsu-

chende unter den Generalverdacht des Missbrauchs gestellt würden und
wonach das Gesetz drohe, „zur Ruine seiner selbst zu werden“.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3453

c) Bewertung des Evaluationsberichts durch den sozialpolitischen Vorstand
des Diakonischen Werkes, Bernd Schlüter, (vgl. z. B. epd vom 25. Juli
2006), wonach der Bericht vor allem Verschärfungen vorsehe, Verbesse-
rungsvorschläge von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden jedoch nicht auf-
nehme.

5. Wenn die Frage 1 verneint wird, wie ist dann die Antwort von Staatssekretär
Dr. Hans-Bernhard Beus vom 7. August 2006 (vgl. Bundestagsdrucksache
16/2390, zu Frage 21, S. 17 f.) zu bewerten, und wie wird die Bundesregie-
rung in Zukunft sicherstellen, dass Anfragen der Opposition ernst genommen
und ehrlich, gewissenhaft und wahrheitsgemäß beantwortet werden?

6. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung der Beteiligung und Anhörung
der Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsorganisationen, dem UNHCR
usw. bei der Evaluation des Zuwanderungsgesetzes bei?

a) Weshalb wurden deren Forderungen, die in qualifizierten Stellungnahmen
vorgetragen wurden, bei den Handlungsempfehlungen im Evaluierungs-
bericht ganz überwiegend nicht berücksichtigt?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die in der Vorbemerkung und in Fra-
ge 4 beispielhaft zitierten enttäuschten Reaktionen und die massive Kritik
der Kirchen, Verbände usw. am Evaluierungsbericht (bitte begründen)?

7. Könnte der Umstand, dass Forderungen der Kirchen, der Wohlfahrtsver-
bände, von Flüchtlingsorganisationen, des UNHCR usw. im Wesentlichen
nicht im Evaluierungsbericht aufgegriffen wurden, auch damit zusammen-
hängen, dass bei dem vom Bundesministerium des Innern organisierten so ge-
nannten Praktiker-Erfahrungsaustausch die „Praktiker“ aus den Kirchen,
Flüchtlingsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden usw. gemessen am Anteil
der „Praktiker“ aus den Bereichen der staatlichen Verwaltung usw. eher unter-
repräsentiert waren, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregie-
rung hieraus für zukünftige Evaluierungsverfahren?

8. Beabsichtigt die Bundesregierung, zumindest einzelne Forderungen von Kir-
chen, Wohlfahrtsverbänden, Flüchtlingsorganisationen, dem UNHCR usw.
nach Verbesserungen der Rechtslage im Sinne der Betroffenen noch in ihre
Gesetzesänderungsvorhaben zum Zuwanderungsgesetz mit aufzunehmen,
und wenn ja, welche?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die in der Vorbemerkung zitierte Ein-
schätzung u. a. der Kirchen, wonach die konkreten Änderungsvorschläge und
die insgesamt misstrauische und abwehrende Tendenz des Evaluations-
berichts im Gegensatz stünden zu offiziellen Verlautbarungen, mit denen ein
offenes gesellschaftliches Klima als Voraussetzung für eine Integration be-
zeichnet wird?

Berlin, den 17. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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