BT-Drucksache 16/3452

60. Jahrestag der Urteile von Nürnberg

Vom 17. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3452
16. Wahlperiode 17. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Petra Pau, Ulla Jelpke, Kersten Naumann
und der Fraktion DIE LINKE.

60. Jahrestag der Urteile von Nürnberg

Im Oktober 2006 war der sechzigste Jahrestag der Verkündung der Urteile im
Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg. Weltweit wurde und wird dieser
Prozess als wegweisend angesehen, gelang es in Nürnberg doch erstmals, staat-
liche Verbrechen mit den Mitteln des Rechts zu bewerten und zu sühnen. Die
Nürnberger Prozesse haben somit für die Rechtsgeschichte aber auch für das
Wissen um die Verbrechen des deutschen Faschismus einen entscheidenden
Beitrag geleistet.

Demgegenüber fällt die Bewertung dieser Prozesse in der Bundesrepublik
Deutschland sehr viel zwiespältiger aus. Von Politik und Öffentlichkeit wurden
sie in den fünfziger Jahren vor allem als „Siegerjustiz“ diffamiert, es fand eine
weitgehende Solidarisierung mit den verurteilten Tätern statt und die frühe Ge-
setzgebung der Bundesrepublik Deutschland zielte insbesondere auf eine
Amnestierung der verurteilten Täter bzw. ein Ende der juristischen Aufarbeitung
(vgl. Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und
die NS-Vergangenheit). So wurde, um nur ein Beispiel zu nennen, das Urteil
gegen Alfred Jodl 1953 von einem deutschen Gericht aufgehoben. Begründet
wurde dies mit dem „Rückwirkungsverbot“, nachdem Taten nicht verurteilt
werden dürfen, die zum Zeitpunkt ihrer Begehung noch nicht strafbar sind. In
„DER SPIEGEL“ (43/2006, S. 170) heißt es: „Mit dem Ex-post-facto-Argument
weigert sich die Bundesregierung bis heute, die Nürnberger Urteile als Recht
anzuerkennen.“

Dies widerspricht einer Entwicklung, die in dem in Nürnberg etablierten Recht
den Weg zu einem neuen Völkerstrafrecht vorgezeichnet sieht, das mit der Ein-
richtung des internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag 1993 auf den Weg
gebracht wurde. Die Bundesregierung unterstützt diese Entwicklung, womit
nach der Auffassung der Fragestellerin eine eindeutig positive Bewertung auch
des Prozesses von Nürnberg erfolgen müsste.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung heute das Hauptkriegsverbrecherverfah-

ren von Nürnberg?

2. Erkennt die Bundesregierung die Urteile von Nürnberg im historischen und
im rechtlichen Sinne an?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung das für die Prozesse wichtige Kontrollrats-
gesetz Nr. 10?

Drucksache 16/3452 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
4. Sieht es die Bundesregierung im Nachhinein als Fehler an, dass das Kontroll-
ratsgesetz Nr. 10 nicht in bundesdeutsches Strafrecht überführt wurde, und
wie begründet sie ihre Auffassung?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung heute das Agieren früherer Bundesregie-
rungen in den fünfziger Jahren bezüglich der rechtlichen Verfolgung von
NS-Tätern und stimmt sie der Ansicht der Fragestellerin zu, dass in dieser
Zeit der Wille zu einer tiefer gehenden juristischen Aufarbeitung der faschis-
tischen Verbrechen fehlte?

Wenn nein, wie begründet sie ihre Auffassung?

6. Sieht die Bundesregierung für die politische Seite ähnliche Versäumnisse in
der Aufarbeitung der NS-Verbrechen wie sie der Bundesgerichtshof am
16. November 1995 für seine Zuständigkeit konstatierte, als er für die unge-
sühnten Unrechtsurteile des NS-Volksgerichtshofs zu einem „wesentlichen
Anteil“ seine eigene frühere Rechtsprechung verantwortlich machte (vgl.
Juristische Wochenschrift 1996, S. 857, 863), und wenn nein, wie begründet
die Bundesregierung ihre Auffassung?

Berlin, den 15. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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