BT-Drucksache 16/345

Gefahr des Abbaus von Grundrechten im Antiterrorkampf

Vom 4. Januar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/345
16. Wahlperiode 04. 01. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion DIE LINKE.

Gefahr des Abbaus von Grundrechten im Antiterrorkampf

Die Bundesregierung beabsichtigt nach den Festlegungen des Koalitionsvertra-
ges Gesetzesänderungen im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus. Der
Koalitionsvertrag sieht zwar nicht explizit die Verabschiedung eines neuen Anti-
terrorpaketes vor, nennt aber eine Reihe von Prüfaufträgen und Vorhaben, die
zum Großteil nicht ausführlich dargelegt werden.

Unter anderem beabsichtigt die Bundesregierung dem Koalitionsvertrag zufolge
die rasche Einführung der schon lange diskutierten Antiterrordatei, die gemein-
sam von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden gespeist und genutzt werden
kann. Gegen diese Datei, die zunächst als „Islamistendatei“ bezeichnet wurde,
hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, bereits im Juni
2004 datenschutzrechtliche Bedenken angemeldet. Seiner Ansicht nach stellt
„die unterschiedslose Zusammenlegung sämtlicher Informationsbestände“ eine
Gefährdung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung dar (Erklä-
rung vom 4. Juni 2004, http://www.datenschutz.de/news/alle/detail/?nid=1271).
Vor überzogener Überwachung warnte der Chef der Deutschen Vereinigung für
Datenschutz und stellvertretende Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Hol-
stein, der insbesondere die Aufnahme von „Extremisten“ in die Datei ablehnt,
weil es sich dabei um einen Wischiwaschi-Begriff handele (http://www.n24.de/
politik/inland/index.php/a2004070911341716916).

Bedenken über die Wahrung des Trennungsgebotes zwischen Polizei und
Geheimdiensten werden nicht nur hinsichtlich der Antiterrordatei geäußert,
sondern auch hinsichtlich des im vergangenen Jahr in Berlin-Treptow ein-
gerichteten Gemeinsamen Terrorabwehr-Zentrums (GATZ), das die Tätigkeiten
von Polizeibehörden, Zollkriminalamt und Geheimdiensten koordinieren soll
(http://www.datenschutz.de/news/alle/detail/?nid=1610). Diese Bedenken ver-
stärken sich durch die Planung eines Neubaus auf diesem Gelände, durch den
nach Äußerungen des früheren Bundesinnenministers die Kommunikation zwi-
schen den verschiedenen Diensten optimiert werden soll (DIE WELT, 16. Juli
2005).

Der Koalitionsvertrag sieht weiter vor, die Einschränkung des Datenschutzes zu
prüfen, soweit die bestehenden Regelungen einer „effektiven Bekämpfung des
Terrorismus“ entgegenstünden. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz,

Peter Schaar, hat die darin enthaltene Unterstellung, der Datenschutz behindere
die Terrorabwehr, zurückgewiesen (http://www.datenschutz.de/news/alle/detail/
?nid=1271).

Weiterhin sollen die Regelungen zur Verletzung des Telekommunikations-
geheimnisses überarbeitet werden und dem BKA nicht näher bezeichnete
Präventivbefugnisse erteilt werden.

Drucksache 16/345 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wird die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag den Gesetzentwurf
über die Schaffung einer Antiterrordatei vorlegen, und wenn ja, bis wann?

2. a) Auf welche Vorarbeiten will sich die Bundesregierung dabei stützen?

b) Will sich die Bundesregierung dabei auf Dateien stützen, die von der
Koordinierungsgruppe internationaler Terrorismus angelegt wurden?

3. Soll die so genannte Antiterrordatei Volltexteinträge enthalten oder als
Indexdatei betrieben werden?

4. Wie sollen die Auskunftsrechte gestaltet werden und welche Speicherfristen
sind vorgesehen?

5. Welche finanziellen Mehrkosten wird die Einführung der so genannten
Antiterrordatei mit sich bringen?

6. Was soll Gegenstand dieser Datei sein?

a) Welche Behörden sollen berechtigt sein, Daten in die Datei einzugeben?

b) Welche Behörden sollen abrufberechtigt sein?

c) Welche Daten über natürliche und juristische Personen sollen gespei-
chert werden?

d) Sollen in die Datei nur Daten über Personen aufgenommen werden, ge-
gen die ein rechtskräftiges Urteil in Zusammenhang mit terroristischen
Aktivitäten oder Mitgliedschaften in terroristischen Vereinigungen
(§§ 129a, 129b Strafgesetzbuch (StGB)) ergangen ist, oder sollen auch
unbescholtene Bürger betroffen sein?

7. a) Trifft es zu, dass in der so genannten Antiterrordatei nicht nur Straftäter
erfasst werden sollen, sondern auch so genannte Extremisten?

b) Wie definiert die Bundesregierung den Begriff „Extremist/Extremistin“
und wie will sie sicherstellen, dass diese Definition von allen einspei-
sungs- und abrufberechtigten Behörden geteilt wird?

8. Warum will die Bundesregierung künftig auf die Befristung des Terroris-
musbekämpfungsgesetzes und auf die damit verbundene Notwendigkeit,
die darin enthaltenen Regelungen einer Evaluation zu unterziehen, verzich-
ten?

9. Wie glaubt die Bundesregierung sicherstellen zu können, dass der gemein-
same Zugriff von Bundes- und Landeskriminalämtern sowie Geheimdiens-
ten dem föderalen Prinzip der Polizei entspricht?

10. Wie glaubt die Bundesregierung sicherstellen zu können, dass der gemein-
same Zugriff von Polizei und Geheimdiensten auf die gleiche Datei dem
Trennungsgebot entspricht?

11. Welche Behörden sind derzeit mit wie vielen Mitarbeitern und welchen
Kompetenzen am GTAZ in Berlin-Treptow vertreten?

12. a) Welche ausländischen Behörden sind am GTAZ ständig oder zeitweise
vertreten bzw. seit Einrichtung des Zentrums vertreten gewesen und in-
wiefern werden diese in den Informationsaustausch mit einbezogen?

b) Werden ausländische Behörden im Nachhinein von Besprechungen, die
am GTAZ stattfinden, informiert?

c) In welcher Form fließen Informationen ausländischer Behörden in die
Arbeit des GTAZ ein?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/345

13. Inwiefern ist nach Ansicht der Bundesregierung das Trennungsgebot ge-
währleistet, wenn nach Errichtung des Neubaus auf dem Gelände des BKA
in Berlin-Treptow die verschiedenen Dienste unter einem Dach versammelt
sein werden, und wann ist der Bezug dieses Neubaus geplant?

14. a) Wie viele Ermittlungsverfahren wegen terroristischer Aktivitäten konn-
ten bisher mit Hilfe des GTAZ zur Anklage gebracht werden und wie
viele rechtskräftige Verurteilungen resultierten aus diesen Anklagen?

b) Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die bisherige
Arbeit des GTAZ?

15. Welche Präventivbefugnisse soll das Bundeskriminalamt zukünftig erhalten
und warum?

16. a) Beabsichtigt die Bundesregierung, eine Sicherungshaft für so genannte
terrorverdächtige Ausländer zu ermöglichen, und wenn ja, wie soll diese
gestaltet sein?

b) Welche rechtlichen Grundlagen müssten nach Ansicht der Bundesregie-
rung für eine solche Sicherungshaft geschaffen werden?

17. Ist die Bundesregierung der Ansicht, die bestehenden Regelungen zum
Datenschutz müssten eingeschränkt werden, und wenn ja, welche Regelun-
gen sind gemeint, inwiefern sollen sie eingeschränkt werden und warum?

18. Welche Änderungen der Telekommunikationsüberwachung will die Bun-
desregierung vornehmen, um zu den im Koalitionsvertrag genannten „har-
monischen Gesamtregelungen der strafprozessualen heimlichen Ermitt-
lungsmaßnahmen“ zu kommen?

19. a) Ist nach Ansicht der Bundesregierung der bisherige Straftatenkatalog,
der zur Verletzung des Telekommunikationsgeheimnisses berechtigt, zu
eng gefasst, und wenn ja, warum?

b) Welche weiteren Straftaten sollen zu Eingriffen in das Telekommunika-
tionsgeheimnis berechtigen?

20. a) Beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen der im Koalitionsvertrag
angekündigten Stärkung der Bundeskompetenzen bei der Bewältigung
von Großkatastrophen auch den Ausbau der Kompetenzen der Bundes-
wehr und der Bundespolizei?

b) Welche weiteren Kompetenzerweiterungen des Bundes sind nach An-
sicht der Bundesregierung notwendig bzw. zu prüfen?

c) Wie definiert die Bundesregierung die Begriffe „Großkatastrophen“ und
„Unglücksfälle“ und meint sie damit auch militärische oder terroristische
Angriffe und deren Folgen?

Berlin, den 4. Januar 2006

Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Kleine Anfrage
Gefahr des Abbaus von Grundrechten im Antiterrorkampf

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