BT-Drucksache 16/3419

Immobilienkäufe der rechtsextremen Szene

Vom 10. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3419
16. Wahlperiode 10. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte und der Fraktion DIE LINKE.

Immobilienkäufe der rechtsextremen Szene

Seit einigen Jahren lassen sich vermehrte Versuche der extremen Rechten beob-
achten, in den Besitz größerer Immobilien zu gelangen, die dann als Treff-
punkte, Veranstaltungsorte und Schulungszentren der Szene genutzt werden
sollen. Die jüngste Auseinandersetzung um den geplanten Kauf eines Hotels in
Delmenhorst durch den bundesweit bekannten Rechtsextremisten Jürgen
Rieger ist nur das aktuellste Beispiel einer ganzen Kette solcher und ähnlicher
Vorgänge, die in den betroffenen Regionen für einige Aufregungen gesorgt
haben.

Das mit der verstärkten Immobiliensuche verbundene Ziel der extremen Rech-
ten ist es, sich von öffentlichen Protesten und der damit verbundenen erschwer-
ten Durchführung großer Saalveranstaltungen möglichst unabhängig zu
machen. Konnten bisher zahlreiche Schulungs- und Konzertveranstaltungen
der extremen Rechten durch bürgerschaftlichen Protest von engagierten Anti-
faschisten und Antifaschistinnen verhindert werden, so würde dieser Protest
und auch der öffentliche Druck auf die Vermieter großer Veranstaltungsräumlich-
keiten ins Leere laufen, wenn die extreme Rechte auf eine relevante Zahl eigener
Veranstaltungsorte in der Bundesrepublik Deutschland zurückgreifen könnte.

Neben der ungestörten Durchführung eigener Veranstaltungen geht es der
extremen Rechten mit der Immobilienfrage auch um die sichtbare Präsenz in
bestimmten Orten und damit um wichtige Schritte auf dem Weg zu einer ange-
strebten kulturelle Hegemonie in einzelnen Regionen. So ist es kein Zufall,
dass viele solcher Immobilien in ländlichen Regionen und Kleinstädten zu fin-
den sind und als Anlaufpunkt für die gesamte Szene der extremen Rechten in
der jeweiligen Region dienen.

Die von Jürgen Rieger erworbenen Häuser im niedersächsischen Dörverden
und im thüringischen Pößneck sind Beispiele für eine solche Strategie. Nur
dem Einsatz engagierter Initiativen in den jeweiligen Orten ist es zu verdanken,
dass diese Orte ihre angestrebte Funktion bis heute noch nicht erfüllen können.
Dennoch diente etwa die Immobilie in Pößneck der Durchführung des bis heute
größten Konzertes der extremen Rechten in Thüringen, das 2005 mit mehr als
1 500 Neonazis im Anschluss an einen Landesparteitag der NPD stattfand.

Darüber hinaus lässt sich gegenwärtig eine weitere Tendenz beobachten: Mit
der vor allem durch lokale Initiativen hervorgerufenen verstärkten Aufmerk-

samkeit für Immobilienkäufe aus der extremen Rechten gibt es vermehrt Ver-
suche von Seiten der betroffenen Kommunen, einen solchen Kauf zu verhin-
dern. Andere Interessenten werden gesucht oder die Kommune versucht selbst,
die entsprechende Immobilie zu kaufen. Das führt nicht selten zu einer Erhö-
hung des Kaufpreises durch den Besitzer, weiß dieser doch um den öffentlichen
Druck der auf den Kommunen lastet, wenn eine Kaufabsicht von Seiten der
extremen Rechten vorliegt. Dieses Mittel der „Wertsteigerung“ wird von eini-

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gen Besitzern offenbar schamlos genutzt: „Hausbesitzer und Neonazis arbeiten
dabei oft Hand in Hand“ (DER TAGESSPIEGEL, 20. August 2006). Auch von
Seiten der extremen Rechten wird dieser Mechanismus bewusst bedient. So bot
die NPD in Jena einen „Service“ für Immobilienbesitzer an, bei dem gegen
Zahlung einer Parteispende von Seiten der NPD das Interesse an bestimmten
Objekten öffentlich kundgetan werde.

Zahlreiche Kommunen insbesondere in Ostdeutschland sind mit verstärkten
Aktivitäten regionaler Kameradschaften und auch der NPD konfrontiert. Ge-
rade beim Thema Immobilienkauf durch Angehörige der extremen Rechten
fühlen sich viele dieser Kommunen alleingelassen, wird die Identität und politi-
sche Orientierung eines potenziellen Käufers oft doch erst nach erfolgtem Kauf
für die Kommune erkennbar. Erwartet wird deshalb von kommunaler Seite eine
stärkere Unterstützung durch staatliche Stellen, die möglicherweise frühzeitig
auf den politischen Hintergrund potenzieller Käufer hinweisen könnten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Von wie vielen Immobilien im Besitz von Angehörigen der rechtsextremen
Szene hat die Bundesregierung Kenntnis, die als Veranstaltungs-, Schu-
lungs- oder Konzerträume genutzt werden bzw. genutzt werden können?

2. Wer sind die Besitzer und welche Rolle (Amts-, Mandatsträger, Parteifunkti-
onäre, Kameradschaftsführer usw.) spielen diese innerhalb der rechtsextre-
men Szene?

3. Wo liegen diese Immobilien, und wie stellt sich die räumliche Verteilung in-
nerhalb der Bundesrepublik Deutschland dar?

4. Wie werden diese sich im Besitz von Angehörigen der extremen Rechten
befindlichen Immobilien genutzt (bitte nach Art der Veranstaltung – Kon-
zert, Parteiveranstaltung, Schulung – und nach einzelnen Immobilien auf-
schlüsseln)?

a) Wie viele kommunale, landesweite oder Bundesparteitage der NPD fanden
seit 2000 in solchen Immobilen statt (bitte nach Orten aufschlüsseln)?

b) Welche dieser Immobilien werden von Kameradschaften genutzt, und
wie sieht diese Nutzung aus?

c) Wie viele Konzerte der extrem rechten Musikszene fanden seit 2000 in
solchen Immobilien statt, und von wie vielen Menschen wurden diese
Konzerte besucht (bitte nach Orten aufschlüsseln)?

5. Von welchen Immobilien, für die gegenwärtig eine Kaufabsicht von Ange-
hörigen der extremen Rechten besteht, hat die Bundesregierung Kenntnis,
und wo befinden sich diese Immobilien?

6. Haben staatliche Behörden in den letzten Jahren Kommunen vor geplanten
Immobilienkäufen von Angehörigen der extremen Rechten gewarnt, und
wenn ja, mit welchem Ergebnis bezüglich des angestrebten Kaufs?

7. Wie viele und welche Immobilien aus kommunalen Landes- oder Bundes-
besitz sind an Interessenten aus der extremen Rechten verkauft worden?

8. Sind der Bundesregierung fingierte Kaufangebote für Immobilien durch An-
gehörige der rechtsextremen Szene bekannt, die mit dem Zweck getätigt
wurden, den Kaufpreis in die Höhe zu treiben, und wenn ja, wo und wann?

Berlin, den 9. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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