BT-Drucksache 16/3360

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/2494, 16/2933, 16/3311- Entwurf eines Gesetzes über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz)

Vom 8. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3360
16. Wahlperiode 08. 11. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Peter Hettlich, Bärbel Höhn, Cornelia Behm,
Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, Ulrike Höfken, Dr. Anton Hofreiter, Undine
Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske, Renate Künast, Fritz Kuhn und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/2494, 16/2933, 16/3311 –

Entwurf eines Gesetzes über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegen-
heiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG
(Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das von Deutschland unterzeichnete Übereinkommen über den Zugang zu
Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und
den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention, am
30. Oktober 2001 in Kraft getreten) und die Richtlinie 2003/35/EG des Euro-
päischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 (Öffentlichkeitsbetei-
ligungsrichtlinie) schaffen einheitliche Europäische Grundlagen für eine inten-
sive und konstruktive Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planungsentscheidungen.
Die Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit sollen bestätigt und gestärkt werden.
Deutschland hat sich als Mitglied der Europäischen Union und als Unterzeich-
ner der Aarhus-Konvention verpflichtet, diese weit reichenden Beteiligungs-
rechte für die Öffentlichkeit im nationalen Recht einzuräumen.

Gestärkt wird die Öffentlichkeitsbeteiligung auch durch die Richtlinie 2001/42/
EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die
Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUP-RL)
und die Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglich-
keitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL), die
1997 durch die UVP-Änderungsrichtlinie 97/11/EG erweitert wurde.
Die Umweltinformationsrichtlinie 2003/4/EG setzt die völkerrechtlichen Vor-
gaben der Aarhus-Konvention betreffend den Zugang zu Umweltinformationen
und den diesbezüglichen Rechtsschutz auf Gemeinschaftsebene um. Es werden
der Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungs-
verfahren und der Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten geregelt.

Drucksache 16/3360 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Kernbestandteil der europäischen Vorgaben für die Öffentlichkeitsbeteiligung
sind:

● Die Bürgerinnen und Bürger in sachgerechter, rechtzeitiger und effektiver
Weise frühzeitig zu informieren,

● ausreichend Zeit zur effektiven Vorbereitung und Beteiligung einzuräumen,

● eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Zeitpunkt zu initiieren,
zu dem alle Optionen noch offen sind und eine effektive Öffentlichkeitsbe-
teiligung stattfinden kann,

● seitens der Behörden künftige Antragsteller zu ermutigen, die betroffene Öf-
fentlichkeit zu ermitteln, Gespräche aufzunehmen und über den Zweck ihres
Antrags zu informieren, bevor der Antrag auf Genehmigung gestellt wird,

● Zugang zu allen Informationen zu ermöglichen, die für die entsprechenden
Entscheidungsverfahren relevant sind und zum Zeitpunkt des Verfahrens zur
Öffentlichkeitsbeteiligung zur Verfügung stehen.

Bedauerlicherweise wird Öffentlichkeitsbeteiligung in Deutschland von zustän-
digen Behörden oft als Planungserschwernis betrachtet. Die Beteiligung wird als
zusätzlicher Aufwand gesehen und möglichst knapp abgehandelt. Die konstruk-
tiven Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung werden nicht ausreichend
genutzt. Wissenschaftliche Studien belegen jedoch, dass die Qualität von Pla-
nungen durch die Beteiligung von Betroffenen deutlich erhöht werden kann.
Darüber hinaus gilt, dass eine ausreichende, konstruktive Öffentlichkeitsbetei-
ligung die Akzeptanz von Planungen deutlich erhöhen kann. Öffentlichkeits-
beteiligung verfolgt das Ziel, die Entscheidungsgrundlage für Planungsabwä-
gungen zu verbreitern. Relevante Aspekte, die in der Planung berücksichtigt
werden müssen und von Antragsteller oder zuständiger Behörde nicht beachtet
wurden, können bei Beteiligungsverfahren vorgebracht werden.

Die in der Bundesrepublik Deutschland derzeit üblichen Beteiligungsverfahren
nutzen nur wenig die von der Wissenschaft empfohlenen partizipativen und
kommunikativen Beteiligungsverfahren („Runder Tisch“, „Planwerkstatt“ o. Ä.).
Die angewendeten Verfahren halten in der Regel an konsultativen Verfahren
fest, bei denen nur selten konstruktive und kommunikative Prozesse stattfinden.
Effektive Beteiligung gemäß Aarhus-Konvention und Transparenz von Planun-
gen kommt nur zustande, wenn die Öffentlichkeit mit Planungsbehörden und
Antragsteller mittels kommunikativer Prozesse einen Dialog führen kann. Ein-
seitige Kommunikation, wie z. B. die Beteiligung durch Stellungnahmen ohne
Erörterung und Auseinandersetzung (wie in der Beteiligung zu Bebauungsplä-
nen üblich) ist für eine effektive Beteiligung nicht ausreichend.

Die Beteiligungsverfahren wie sie in deutschen Gesetzen (insb. Verwaltungs-
verfahrensgesetz, Bundesimmissionsschutzgesetz u. a.) enthalten und in den zur
Entscheidung stehenden Gesetzentwürfen zur Aarhus-Konvention vorgesehen
sind, erfüllen die europäischen Ansprüche an die Öffentlichkeitsbeteiligung
nicht ausreichend. Der europäischen Maßgabe einer weit reichenden Betei-
ligung wird nicht Rechnung getragen, da u. a. an engen Präklusionsfristen (also
Beteiligungszeiträumen) festgehalten wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung dazu auf,

in geeigneter Weise dafür Sorge zu tragen, dass die in der Aarhus-Konvention
und der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie vorgesehenen Standards der Öf-
fentlichkeitsbeteiligung stärker als bisher im nationalen Recht berücksichtigt
werden. Die Bundesregierung soll die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen,
● die Öffentlichkeit in sachgerechter und effektiver Weise frühzeitig über ein
Planungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung zu informieren,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3360

● ausreichend Zeit für die Beteiligung einzuräumen,

● die Beteiligung frühzeitig stattfinden zu lassen; zu einem Zeitpunkt, an dem
noch alle Optionen offen sind,

● die Beteiligung zu effektivieren,

● die Verantwortlichkeit und Transparenz bei Entscheidungsverfahren zu för-
dern und die öffentliche Unterstützung für Entscheidungen über die Umwelt
zu stärken,

● das Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung angemessen in den Planungspro-
zessen zu berücksichtigen,

● die zur Entscheidung stehenden Gesetzentwürfe an die Anforderungen der
Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie anzupassen und auf einschränkende
Regelungen der Beteiligung zu verzichten,

● darauf hinzuwirken, dass Umsetzungsdefizite in der Öffentlichkeitsbetei-
ligung verringert werden und Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungsver-
fahren konstruktiver und unter Einsatz von modernen, kommunikativen
Beteiligungsmethoden gestaltet wird. Hierzu könnte die Festlegung von bun-
desweiten Standards in Leitfäden zur Öffentlichkeitsbeteiligung in den ver-
schiedenen Planungsverfahren hilfreich sein,

● die Öffentlichkeitsbeteiligung – entsprechend ihrer Funktion – als Bereiche-
rung für den Planungsprozess und als geeignetes Mittel zur Konfliktminimie-
rung zwischen Planern und Betroffenen und zur Förderung der Akzeptanz
von Planungsentscheidungen zu würdigen und zu stärken.

Berlin, den 8. November 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.