BT-Drucksache 16/3237

Gleichstellungspolitische Maßnahmen und Förderprogramme für Frauen an Hochschulen und in der Forschung

Vom 2. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3237
16. Wahlperiode 02. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken),
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Gleichstellungspolitische Maßnahmen und Förderprogramme für Frauen
an Hochschulen und in der Forschung

Frauen erhielten erst sehr spät den Zugang zu den Hochschulen. Ihr Fehlen über
viele Jahre prägt nach wie vor die Form und die Inhalte von Wissenschaft. So
legen Forschungsergebnisse bis heute häufig Prämissen über das Verhalten und
das Wesen von Menschen zu Grunde, die sich in erster Linie an der Lebens-
realität von Männern beziehungsweise „vermännlichten“ Eigenschaften orien-
tieren.

Nach wie vor sind Frauen in höheren Qualifikationsphasen an den Hochschulen
zahlenmäßig unterrepräsentiert. In den letzten Jahren stieg der Anteil der
Frauen unter den Studierenden zwar auf mehr als die Hälfte an. Nach wie vor
stellen sie aber weniger als 10 Prozent der C4-Professuren. Für die Bundes-
regierung ist diese Ungleichheit kein Anlass, gleichstellungspolitische Bemü-
hungen fortzusetzen oder Erhöhungen bei finanziell untersetzen Programmen
vorzunehmen. Im Haushaltsentwurf 2007 ist stattdessen beispielsweise vor-
gesehen, das Fachprogramm „Chancengleichheit von Frauen in Forschung und
Lehre“ im Rahmen des so genannten Wissenschafts- und Hochschulprogramms
(HWP) komplett zu streichen.

Angesichts aktueller hochschulpolitischer Entwicklungen drohen weitere Rück-
schläge bei den gleichstellungspolitischen Bemühungen: Vor dem Hintergrund
geringer werdender Verdienstaussichten und zunehmend wechselhafteren Er-
werbsbiographien sind die Auswirkungen der bereits in vielen Bundesländern
eingeführten allgemeinen Studiengebühren auf das Studierverhalten junger
Frauen und mit Blick auf ihre Rückzahlungsmöglichkeiten ungeklärt.

Ebenso gilt es, die von der Bundesregierung auch in diesem Jahr nicht vor-
genommene Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge beim BAföG und die
Einführung der neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master auf ihre ge-
schlechtsspezifischen Auswirkungen zu überprüfen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. a) Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass im Rahmen der
19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks Fragen zu möglichen
geschlechtsspezifischen Benachteilungen mit Blick auf

– die Gestaltung von Tatbeständen im Rahmen von allgemein erhobenen
Studiengebühren, Zweit- und Langzeitstudiengebühren sowie

Drucksache 16/3237 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

– Modalitäten bei der Gewährung und Rückzahlung von Studienkredi-
ten, Bildungskrediten und des BAföG

gestellt werden?

Falls ja, welche konkreten Vorschläge und Fragestellungen wird sie unter-
breiten?

Falls nein, warum nicht?

b) Auf welche Zahlen und Untersuchungen stützt sich die Bundesregierung
in ihrer Behauptung, dass „durch besonders sozial ausgestaltete[n] Rück-
zahlungsregelungen des BAföG (…) sichergestellt [ist], dass weder
Frauen noch Männer in der Rückzahlungsphase benachteiligt werden“
(siehe Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Ab-
geordneten Cornelia Hirsch u. a. und der Fraktion DIE LINKE. auf
Bundestagsdrucksache 16/2435)?

2. a) Gibt es bei der bisherigen Inanspruchnahme der Studien- und Bildungs-
kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau nach Kenntnis der Bundes-
regierung geschlechtsspezifische Unterschiede?

b) In welcher Form findet eine kontinuierliche geschlechtspezifische Eva-
luation der Inanspruchnahme der Studien- und Bildungskredite und des
BAföG statt, bzw. ist eine solche geplant?

3. a) Wie schätzt die Bundesregierung die geschlechtsspezifischen Auswir-
kungen von Studiengebühren auf das Studierverhalten ein (bitte nach Art
der Gebühren differenzieren)?

b) Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass es keine geschlechts-
spezifischen Auswirkungen durch die Einführung von Studiengebühren
gibt (z. B. durch Evaluationsverfahren)?

4. Was sind die zentralen gleichstellungspolitischen Forderungen und Vor-
schläge der Bundesregierung in den Verhandlungen mit den Ländern zum
Hochschulpakt 2020?

5. a) Welche geschlechtsspezifischen Auswirkungen wird die von Bundes-
bildungsministerin Dr. Annette Schavan im Rahmen der Verhandlungen
zum Hochschulpakt vorgeschlagen Personalkategorie „Lecturer“ aus
Sicht der Bundesregierung haben?

b) Erwartet die Bundesregierung, falls solche „Lecturer-Stellen“ eingerich-
tet werden sollten, eine geschlechtsspezifisch ausgewogene Besetzung
(bitte mit Begründung)?

c) Werden im Rahmen der Verhandlungen zum Hochschulpakt 2020 diese
und mögliche weitere neue Stellenkategorien auch in Hinblick auf
geschlechterpolitische Fragestellungen diskutiert?

Falls ja, um welche Personalkategorien geht es und wie ist der genaue
Verhandlungsstand?

Falls nein, warum nicht?

6. a) In welcher Form und mit welcher Finanzausstattung werden nach Kennt-
nis der Bundesregierung die Maßnahmen des bisherigen HWP-Pro-
gramms zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen in Forschung
und Lehre ab dem kommendem Jahr durch die Länder fortgesetzt?

b) In welchen Bundesländern geschieht dies gegebenenfalls in leicht ab-
gewandelter Form?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3237

7. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Erhöhung des Frauen-
anteils in Bachelor- und Masterstudiengängen (insbesondere im mathema-
tisch-naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Bereich)
und im Verlauf der weiteren wissenschaftlichen Laufbahn an Hochschulen
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen (bitte nach Qualifikations-
phasen aufgliedern)?

8. a) Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um auf eine geschlech-
terausgewogene Studienfachwahl hinzuwirken?

b) Fördert die Bundesregierung Programme, die die öffentliche Wert-
schätzung bisher traditioneller Frauenstudiengänge erhöhen sowie die
zu einer erhöhten Attraktivität dieser Fächer und einer Verbesserung der
Arbeitsmarktperspektiven für beide Geschlechter führen?

Falls ja, wie gestalten sich diese Programme?

Falls nein, warum nicht?

9. a) Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um Väter zur Kin-
dererziehung während des Studiums zu ermutigen und sie darin zu un-
terstützen?

b) In welcher Form unterstützt die Bundesregierung Studierende mit Kin-
dern und insbesondere allein erziehende Mütter während ihres Studiums,
und welche weiteren Maßnahmen sind in diesem Bereich geplant?

c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der These
der 17. Sozialerhebung: „Studierende aus niedrigeren sozialen Schich-
ten haben aufgrund eines höheren Studieneintrittsalters und aufgrund
einer längeren Verweildauer an den Hochschulen ein höheres Durch-
schnittsalter, das sich auf die Wahrscheinlichkeit eigene Kinder zu
haben, auswirkt.“?

10. a) Welche geschlechtsspezifischen Auswirkungen hat das Angebot von
Teilzeitstudiengängen aus Sicht der Bundesregierung, und wie bewertet
die Regierung diese?

b) Wie viel Prozent der Studiengänge in Deutschland können derzeit regu-
lär auch in Teilzeit studiert werden?

c) Plant die Bundesregierung Maßnahmen, um die Zahl der Teilzeit-
studiengänge in der Bundesrepublik Deutschland zu erhöhen?

11. Hält die Bundesregierung die bisherige Berücksichtigung geschlechts-
spezifischer Diskriminierung bei ihrer Bildungsberichterstattung und Bil-
dungsforschung für ausreichend?

Falls ja, warum?

Falls nein, in welchen Bereichen ist eine Ausweitung geplant?

12. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Vereinbarkeit
von Kindererziehung und Beruf, insbesondere bei Alleinerziehenden, auch
in höheren Qualifikationsphasen zu gewährleisten?

13. a) Inwiefern fördert die Bundesregierung Forschung, die einer Erweite-
rung des inhaltlichen Spektrums um die Kategorie Geschlecht dient, um
tradierte Forschungstheorien zu komplettieren?

b) Wie bewertet die Bundesregierung den zukünftigen Unterstützungs-
bedarf dieser Art von Forschung?

c) Welche zentralen Erkenntnisse konnte die Bundesregierung aus For-
schungsergebnissen gewinnen, die im Rahmen solcher Forschungsvor-

haben erlangt wurden?

Drucksache 16/3237 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
d) Wie erfolgreich ist die bisherige Implementierung von Forschungs-
ergebnissen aus den vom Bundesministerium für Bildung und For-
schung geförderten Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung in
Forschungsprozesse und Lehre gelungen?

e) Hat die Bundesregierung hierzu Evaluationsverfahren etabliert?

Falls ja, welche?

Falls nein, warum nicht?

f) Fragt die Bundesregierung bei der Bewilligung von Forschungsvor-
haben ab, ob bei allen Forschungsvorhaben die Kategorie Geschlecht
berücksichtigt wird?

Falls ja, nach welchen Kriterien?

Falls nein, warum nicht?

14. a) Wie viel Prozent der im Bundesministerium für Bildung und Forschung
aufgewandten Mittel für Projekte, Forschungsvorhaben, Veranstaltun-
gen etc. stehen für Maßnahmen zur Verfügung, die Diskriminierungen
durch traditionelle Arbeitsteilung einerseits und feminisierte Berufe an-
dererseits entgegenwirken?

b) Welche Forschungsvorhaben gibt es im Bundesministerium für Bildung
und Forschung mit dem Schwerpunkt „Frauen in Führungspositionen“,
und welche weiteren sind in den nächsten Monaten geplant?

15. a) Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um den Anteil von
Frauen in Forschungseinrichtungen zu erhöhen?

b) Inwiefern wirkt die Bundesregierung auf Forschungsorganisationen ein,
um dort den Anteil von Frauen in allen Qualifikationsebenen zu erhöhen?

c) Führen nach Kenntnis der Bundesregierung Forschungsorganisationen
Programme oder Konzepte zur Frauenförderung durch?

Falls ja, welche und wie hoch sind die jährlichen Aufwendungen?

Falls nein, warum nicht?

Berlin, den 1. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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