BT-Drucksache 16/320

Verdacht der Nutzung deutscher Flughäfen für Menschenverschleppungen

Vom 21. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/320
16. Wahlperiode 21. 12. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Wolfgang Gehrcke,
Michael Leutert, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Verdacht der Nutzung deutscher Flughäfen für Menschenverschleppungen

Aufgrund von Presseberichten und parlamentarischen Initiativen, darunter auch
einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion, hat die Bundesregierung die deutsche
Flugsicherung damit beauftragt, die Starts einer Reihe von Flugzeugen zu
ermitteln, die im Verdacht stehen, in CIA-Besitz zu sein. Laut Spiegel online
vom 3. Dezember 2005 handelt es sich um 437 Starts, eine Zahl, die allerdings
in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage (Bundestagsdruck-
sache 16/167) nicht auftaucht. Nach zahlreichen Presseberichten wurden dabei
auch Gefangene transportiert. Da die USA manchen Gefangenen, welche sie im
so genannten Krieg gegen den Terrorismus festnehmen, weder Rechte als
Kriegsgefangene noch als Untersuchungshäftlinge einräumen, drängt sich der
Verdacht auf, dass völkerrechtswidrige Menschenverschleppungen über deut-
sche Flughäfen abgewickelt werden. In mindestens zwei Fällen besteht der
konkrete Verdacht, dass deutsche Staatsbürger Opfer solcher Rechtsverstöße
wurden und unter Mitwirkung des CIA ins Ausland verschleppt worden sind.
Ende 2001 wurde M. H. Z. aus Marokko, Ende 2003 K. al-M. aus Mazedonien
entführt und nach Syrien bzw. Afghanistan verbracht. Während K. al-M. einige
Monate später entlassen wurde, befindet sich M. H. Z. weiterhin in syrischer
Haft (DER SPIEGEL vom 21. November 2005 und SPIEGEL online vom
24. November 2005).

Anlässlich des Berlin-Besuchs der amerikanischen Außenministerin, Condo-
leeza Rice, wurden die Hoffnungen der Öffentlichkeit auf umfangreiche Auf-
klärung enttäuscht. „Die Außenministerin hat konkrete und eindeutige Ant-
worten zu den zentralen Fragen peinlich vermieden“, erklärte beispielsweise
die Generalsekretärin der deutschen Sektion der Menschenrechtsorganisation
amnesty international (Berliner Zeitung, 7. Dezember 2005). Die Bundeskanz-
lerin, Dr. Angela Merkel, wiederum hat nach eigener Darstellung nur einen ein-
zigen konkreten Fall angesprochen und erklärte: „Über andere Fälle haben wir
nicht gesprochen“ (Berliner Zeitung, 7. Dezember 2005). Die Erklärung der
Bundeskanzlerin, die US-Außenministerin habe die Entführung des deutschen
Staatsbürgers K. al-M. als „Fehler“ bezeichnet, wurde von amerikanischen
Stellen umgehend mit den Worten „Wir sind uns nicht ganz darüber im klaren,
was sich in ihrem [Frau Merkels] Kopf da abgespielt hat“, dementiert

(SPIEGEL online, 7. Dezember 2005).

Die US-Außenministerin trat Forderungen nach umfassender Aufklärung mit
der Erklärung entgegen, die europäischen Regierungen müssten sich entschei-
den, „ob sie mit uns zusammenarbeiten wollen, um terroristische Anschläge ge-
gen ihr eigenes Land oder andere Länder zu verhindern“ oder ob sie „sensible
Informationen öffentlich machen wollen“ (Süddeutsche Zeitung, 6. Dezember

Drucksache 16/320 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2005). Damit wird nach Ansicht der Fragesteller ein Gegensatz zwischen de-
mokratischen Prinzipien und effizientem Schutz vor Terrorismus konstruiert,
der letztlich der Legitimierung rechtswidrigen Verhaltens dient. „Was die Ame-
rikaner tun, ist nichts anderes als Entführung und Freiheitsberaubung“, erklärte
dazu ein an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrender Völkerrechtsprofes-
sor im ZDF (http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/29/0,1872,2264253,00.html). Da
diese Taten auch auf deutschem Hoheitsgebiet bzw., wie im Falle der beiden
entführten Deutschen, mit Kenntnis deutscher Behörden erfolgten, drängt sich
auch nach Meinung des Deutschen Anwaltvereins der Verdacht auf, „dass eine
deutsche Behörde – und sei es durch Dulden – an rechtsstaatsverhöhnenden
Taten beteiligt“ gewesen sein könne. Dafür sprechen auch Äußerungen der
US-Außenministerin, die erklärte, die USA führten in Kooperation mit ver-
bündeten Staaten schon seit Jahrzehnten „Überführungen“ Gefangener durch,
(Reuters-Meldung vom 5. Dezember 2005, 15.50), ebenso wie die Erklärung
des ehemaligen US-Außenministers, Colin Powell, diese Art von Gefangenen-
transporten sei den europäischen Regierungen nicht unbekannt (BBC world
17. Dezember 2005, http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/americas/4538788.stm).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Seit wann ist die Bundesregierung bzw. seit wann waren frühere Bundes-
regierungen davon unterrichtet, dass Flugzeuge der CIA deutsche Flughäfen
nutzen?

2. a) Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass auch weitere
US-amerikanische Geheimdienste über eigene Flugunternehmen ver-
fügen und in der Vergangenheit deutsche Flughäfen genutzt haben, und
wenn ja, um welche Geheimdienste handelt es sich, wie lauten die Na-
men der Flugunternehmen, welche Registrierungsnummern haben die
Flugzeuge und wann, wo und wie oft wurden deutsche Flughäfen in der
Zeit seit 2002 genutzt?

b) Welche konkreten Bedenken sprechen nach Auffassung der Bundesregie-
rung dafür, die Aufschlüsselung einzelner Flüge nach Registrierungs-
nummern als „eingestufte Information“ zu handhaben (vgl. Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., Bun-
destagsdrucksache 16/167 zu Frage 7)?

c) Welche Stellung nimmt die Bundesregierung zu Presseberichten, denen
zufolge in den vergangenen Jahren mindestens 437mal Flugzeuge des
CIA in Deutschland gelandet sind (vgl. SPIEGEL online vom 3. Dezem-
ber 2005)?

d) Welche weiteren Erkenntnisse zur Nutzung deutscher Flughäfen durch
US-Militär und US-Geheimdienste während der letzten vier Jahre liegen
der Bundesregierung vor?

3. a) Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, zu wel-
chem Zweck Flugzeuge der CIA auf deutschen Flughäfen zwischen-
landen, insbesondere wenn es sich beim Zielort um einen polnischen
Flughafen handelt?

b) Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, zu wel-
chem Zweck im Februar 2003 der O. M. H. N., der von Mailand nach
Ägypten verbracht wurde, zunächst nach Ramstein gebracht wurde
(Berliner Zeitung, 18. November 2005)?

4. a) Welche Regelungen bestehen hinsichtlich der Nutzung in Deutschland
gelegener Flughäfen durch Flugzeuge, die sich im Besitz von US-Ge-

heimdiensten befinden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/320

b) Sehen diese Regelungen auch eine Information über die Fracht vor, und
wenn ja, in welcher Form erfolgen diese Informationen, wenn nein, wa-
rum werden solche Informationen nicht eingeholt bzw. nicht erteilt und
sieht die Bundesregierung Veranlassung, künftig derartige Informationen
einzuholen?

c) Enthalten diese Regelungen Bestimmungen, welche die Nutzung des
deutschen Luftraums bzw. deutscher Flughäfen für die Begehung von
Straftaten verbieten, und wenn ja, wie werden diese Bestimmungen um-
gesetzt?

d) Haben die Bundesregierung, die Deutsche Flugsicherung oder eine andere
der Bundesregierung unterstehende Kontrollbehörde Möglichkeiten, die
in den Flugplänen enthaltenen Angaben der US-Streitkräfte betreffend
Streckenführung und Anzahl der an Bord befindlichen Passagiere zu über-
prüfen, wenn ja, in welchem Umfang macht die Bundesregierung davon
Gebrauch, wenn nein, sieht die Bundesregierung nach den Berichten über
den Missbrauch deutscher Flughäfen für Gefangenenverschleppungen
Anlass, in diesem Bereich verstärkt Kontrollmöglichkeiten einzuführen?

e) Hält die Bundesregierung an ihrer Aussage fest, dass „sonstige Staats-
flüge oder zivile Flugzeuge fremder Nationen“ keiner Genehmigung be-
dürfen, wie es die Bundesregierung in der Antwort zu Frage 4 in der vor-
genannten Kleinen Anfrage der Linksfraktion darlegte?

5. a) Treffen die Aussage der amerikanischen Außenministerin und des ehe-
maligen amerikanischen Außenministers, es fänden seit Jahrzehnten
Überführungen Gefangener in Kooperation mit verbündeten Staaten statt
(reuters, vom 5. Dezember 2005), zu, und wenn ja, wie viele derartige
Überführungen über deutsches Hoheitsgebiet hat es seit 1990 gegeben?

b) Welche Informationen hinsichtlich Identität eines Gefangenen, der ihm
vorgeworfenen Straftaten, Herkunfts- und Zielort des Transportes werden
von der Bundesregierung prinzipiell verlangt, wenn ein anderer Staat um
die Bewilligung zur Durchlieferung bzw. Durchbeförderung eines Gefan-
genen ersucht?

6. a) Welche politischen und rechtlichen Konsequenzen sind nach Ansicht der
Bundesregierung zu ergreifen, wenn ein Staat ohne entsprechende Billi-
gung Gefangene durch das deutsche Hoheitsgebiet durchliefert bzw.
durchbefördert?

b) Gegen welche nationalen sowie internationalen Rechtsnormen wird nach
Ansicht der Bundesregierung verstoßen, wenn Personen, gegen die kein
Haftbefehl vorliegt und die auch nicht als Kriegsgefangene behandelt
werden, gegen ihren Willen an Bord ausländischer Flugzeuge durch den
deutschen Luftraum transportiert werden und wenn diese Flugzeuge in
Deutschland zwischenlanden?

7. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass künftig nur solche Passa-
giere durch Deutschland befördert werden, die freiwillig reisen oder gegen
die ein rechtsstaatlich zustande gekommener Haftbefehl vorliegt?

8. Wie geht die Bundesregierung für gewöhnlich vor, wenn sie Kenntnis davon
erhält, dass kriminelle Vereinigungen Menschenraub planen bzw. durchfüh-
ren, und werden ähnliche Maßnahmen auch dann ergriffen, wenn die Straf-
taten von staatlichen Einrichtungen bzw. in deren Auftrag begangen werden?

9. Wann wurde die Bundesregierung bzw. die frühere Bundesregierung, ins-
besondere der bisherige Bundesinnenminister, zuerst darüber informiert,
dass in CIA-Flugzeugen auf deutschem Hoheitsgebiet Passagiere gegen
ihren Willen und ohne Vorliegen eines rechtsstaatlich zustande gekommenen

Haftbefehls transportiert wurden, und welche Maßnahmen hat sie ergriffen,
um diesen Personen zu Hilfe zu kommen?

Drucksache 16/320 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

10. Warum hat die frühere Bundesregierung ihr Wissen über die Entführung
des K. al-M. nicht umgehend der in dieser Angelegenheit ermittelnden
Staatsanwaltschaft München zur Verfügung gestellt (Süddeutsche Zeitung,
5. Dezember 2005)?

11. a) Trifft es zu, dass die Bundeskanzlerin mit der US-Außenministerin
außer über den entführten Deutschen K. al-M. nicht über weitere kon-
krete Fälle gesprochen hat, und wenn ja, warum?

b) Warum hat die Bundeskanzlerin nicht über den Fall des entführten
Deutschen M. H. Z., der sich seit dem Jahr 2002 in syrischer Haft befin-
det, gesprochen?

12. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die Äußerung der Bundes-
kanzlerin, die US-Außenministerin habe die Entführung des Deutschen
K. al-M. als Fehler bezeichnet, von US-Stellen umgehend dementiert
wurde, und bleibt die Bundeskanzlerin bei ihrer Darstellung?

13. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Entschädigungsklage des K. al-M.,
die dieser in den USA eingereicht hat, zu unterstützen?

Wenn ja, in welcher Form, wenn nein, warum nicht?

14. a) Welche Folgerungen will die Bundesregierung aus dem bisher bekannt
gewordenen Umfang der CIA-Landungen und dem Umstand, dass die
USA im so genannten Krieg gegen den Terror durch das Gefangenen-
lager in Guantánamo, Entführungen und andere Maßnahmen gegen das
Völkerrecht verstoßen, ziehen?

b) Sieht die Bundesregierung in dem Vorgeschilderten Anlass, künftig ver-
stärkt darauf zu achten, dass CIA-Flugzeuge nicht Gefangene durch den
deutschen Luftraum transportieren?

15. Bestehen nach Ansicht der Bundesregierung zwischen den USA und der
Bundesrepublik Deutschland Unterschiede in der Definition des Begriffs
„Folter“, und wie begründet die Bundesregierung ihre Ansicht?

16. a) Wie will die Bundesregierung in Anbetracht der Tatsache, dass die Ent-
führung des deutschen Staatsbürgers K. al-M. durch die CIA von der
US-Außenministerin eingeräumt worden ist, künftig ihre Beziehungen
zu den USA gestalten?

b) Wie verhält sich die Bundesregierung zu Forderungen der Fragesteller,
die militärische und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit den
USA einzustellen, solange die vorgenannten Vorwürfe hinsichtlich
völkerrechtswidrigen Verhaltens der USA nicht geklärt bzw. das Ver-
halten nicht geändert werden, und wie begründet die Bundesregierung
ihre Haltung?

c) Wird die Bundesregierung von den Vereinten Nationen untersuchen las-
sen, inwieweit seitens der USA international verbindliche Rechtsstan-
dards unterlaufen werden?

17. a) Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass nicht weiterhin Deut-
sche Opfer derartiger Entführungsaktionen werden?

b) Wird die Bundesregierung den BND und den MAD mit der Beobach-
tung von CIA-Flugzeugen und deren Passagieren beauftragen, um die
Begehung von Straftaten auf deutschem Hoheitsgebiet zu verhindern
und den Schutz deutscher Staatsbürger vor Entführung sicherzustellen,
und wenn nein, wie will die Bundesregierung dann sicherstellen, dass
solche Straftaten nicht geschehen und deutsche Staatsbürger geschützt

werden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/320

18. Erwägt die Bundesregierung, Flugzeuge des CIA bzw. solche Flugzeuge,
bei denen der Verdacht vorliegt, sie seien im Auftrag des CIA unterwegs,
künftig einer stärkeren Kontrolle zu unterziehen, einschließlich polizei-
licher Durchsuchungen; wenn ja, welche Maßnahmen sind im Einzelnen
geplant; wenn nein, wie will die Bundesregierung dann ausschließen, dass
solche Flugzeuge für den illegalen Transport von Gefangenen genutzt wer-
den?

19. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass als Tatmittel für Men-
schenraub benutzte Flugzeuge durch die Staatsanwaltschaft sichergestellt
werden müssten, um den Tatverdacht belegen und die Begehung weiterer
Straftaten verhindern zu können?

20. Verfügt die Bundesregierung über Informationen, die auf die Unterhaltung
von CIA-Geheimgefängnissen in Osteuropa, namentlich Polen und Rumä-
nien, hindeuten?

21. Ist nach Ansicht der Bundesregierung die Unterhaltung geheimer CIA-
oder anderer Gefängnisse mit den Aufnahmekriterien der EU vereinbar,
und wenn nein, welche Konsequenzen wären nach Ansicht der Bundes-
regierung zu ziehen, sollte sich der Verdacht auf die Existenz solcher Ge-
fängnisse in Polen und Rumänien bestätigen?

22. Teilt die Bundesregierung die Meinung, dass das Interesse an der Auf-
klärung der Berichte über die Menschenverschleppungen schon deswegen
höher zu bewerten ist als das Interesse der beteiligten Geheimdienste an
der Geheimhaltung der Affäre, weil es sich bei ebendiesen Geheimdiensten
um die mutmaßlichen Täter bzw. Mitwisser handelt, und wenn nein,
warum nicht?

Berlin, den 21. Dezember 2005

Ulla Jelpke
Sevim Dagdelen
Wolfgang Gehrcke
Michael Leutert
Petra Pau
Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Kleine Anfrage
Verdacht der Nutzung deutscher Flughäfen für Menschenverschleppungen

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