BT-Drucksache 16/3192

Die Zukunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe der Juniorprofessur stärken

Vom 26. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3192
16. Wahlperiode 26. 10. 2006

Antrag
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saarbrücken)
und der Fraktion DIE LINKE.

Die Zukunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe
der Juniorprofessur stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das deutsche Hochschulsystem wird nach Berechnungen des Wissenschafts-
rates in den nächsten zehn bis 15 Jahren einen erfreulichen Zuwachs der Stu-
dierendenzahl erfahren. Um die Hochschulen auf diesen Andrang von Studie-
renden vorzubereiten, wird im Bundesministerium für Bildung und Forschung,
in den Ländern sowie in den Gremien der Selbstverwaltung der Hochschulen
über eine weitere Reformierung der Personalstrukturen an den Hochschulen
nachgedacht, um angemessen auf den erhöhten Lehrbedarf zu reagieren.

Ein Handlungsbedarf ergibt sich jedoch auch aus der sowohl von der Bundes-
regierung als auch in breiten öffentlichen Debatten gestellten Forderung, den
Anteil von gut ausgebildeten Akademikerinnen und Akademikern in unserer
Gesellschaft zu erhöhen. Es setzt sich die Einsicht durch, dass vielfältige Um-
wälzungen in unserem Land, im europäischen Zusammenschluss wie auch in
den internationalen Verhältnissen einer zunehmend komplexeren Reflexion,
Bearbeitung in der Wissenschaft und der Kompetenz von gut ausgebildeten
Menschen bedürfen. Schließlich geht man davon aus, dass auch die Wertschöp-
fung der Industrieländer zunehmend wissensbasiert erfolgt.

Infolgedessen wird sowohl eine deutliche Erweiterung von Lehrkapazitäten als
auch der Forschung an deutschen Hochschulen als notwendig angesehen. Ge-
rade dort, wo nachwachsende Generationen umfassend gebildet werden sollen,
muss auch die Aufrechterhaltung von hochqualitativer Forschung im Sinne der
Einheit von Forschung und Lehre gesichert bleiben. Attraktive Qualifizierungs-
wege für wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen, verbindet sich mit dem
Erfordernis, die Lehr- und Forschungskapazitäten der Hochschulen personell
zu verbreiten.

Auf diese Herausforderung hat die Vorgängerregierung im Jahre 2001 mit einer
neuen Personalkategorie – der Juniorprofessur – als einem geeigneten Lösungs-
ansatz reagiert. Die Bundesförderung der Ersteinrichtung von Juniorprofes-

suren läuft allerdings in diesem Jahr aus. Zudem hatte die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 2004, wonach die rahmenrechtlichen
Vorgaben zur Juniorprofessur für nichtig erklärt worden sind, für große Rechts-
unsicherheit gesorgt. Im Zuge dessen hat die Anzahl der ausgeschriebenen
Stellen nach anfänglich guter Annahme des Personalkonzeptes zum Ende der
Förderphase stark abgenommen, so dass die Anzahl der Erstberufungen unter
den Erwartungen blieb. Hier ist auch in Rechnung zu stellen, dass sich einige

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Bundesländer aufgrund der zunächst anvisierten Ersetzung der Habilitation
durch die Juniorprofessur vor dem genannten Urteil überhaupt nicht an dem
Programm beteiligt hatten. Auch die im Rahmen der Föderalismusreform ge-
planten Änderungen der gesetzgeberischen Befugnisse von Bund und Ländern,
insbesondere der geplante Wegfall der Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung
und die unklare Mittelkompensation durch den Bund, sorgten für Unsicherheit
insbesondere bei der mittelfristigen Finanzplanung der Länderhaushalte. Nach
Abschluss der Föderalismusreform ist nunmehr eine neue Ausgangslage gege-
ben. Die Bund-Länder-Verhandlungen zum Hochschulpakt 2020 sind ein guter
Zeitpunkt, die dauerhaft erfolgreiche Institutionalisierung der Juniorprofessur
zwischen Bund und Ländern zu vereinbaren.

Einerseits ist die Juniorprofessur mit ihrer Lehrverpflichtung und ihrer finan-
ziell angemessen abgesicherten Forschungskapazität ein attraktives Instrument
für Hochschulen, um den erhöhten Bedarf an Nachwuchskräften für spätere
Festanstellungen auszubilden. Sie ist andererseits aber auch ein sehr gut evalu-
ierter Qualifizierungsweg für die Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nach-
wuchswissenschaftler selbst. Befragungen von deutschen wie ausländischen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zeigen regelmäßig, dass ein zentra-
les Problem des deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystems die Abhän-
gigkeit des Nachwuchses von den Lehrstuhlinhaberinnen und -inhabern ist.
Demgegenüber bietet die Juniorprofessur ein selbstständigeres Beschäftigungs-
verhältnis bzw. frühere Eigenverantwortung.

Nach einer Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) schätzen die
meisten Stelleninhaberinnen und -inhaber einer Juniorprofessur ihre Unabhän-
gigkeit auch tatsächlich deutlich höher als die von wissenschaftlichen Assisten-
tinnen und Assistenten ein. Somit ermöglicht die Juniorprofessur unabhängiges
Lehren und Forschen bereits in einem vergleichsweise jungen Alter. Zudem
haben die Studie des CHE wie auch die Evaluation des Bundesministeriums für
Forschung und Bildung eine überwiegend positive Resonanz der Stelleninhabe-
rinnen und -inhaber in Bezug auf ihre gesamte berufliche Situation gezeigt.

Insgesamt ist die Juniorprofessur ein Qualifizierungsweg, der die deutsche wis-
senschaftliche Nachwuchsförderung international interessant macht. Zugleich
macht diese Personalkategorie die Hochschulen zukunftsfähiger. Damit dieses
Modell bundesweit eine Chance auf Kontinuität erhält, sollten die Juniorprofes-
sur als alternativer Zugang zur Dauerprofessur gestärkt werden und die Erst-
ausstattung finanziell gefördert werden. Dies sollte verbindlich im Hochschul-
pakt 2020 vereinbart werden.

Die Erfahrungen mit der Juniorprofessur haben zugleich gezeigt, dass hoch-
schulübergreifend stärker angeglichene Einstellungsvoraussetzungen für Junior-
professorinnen und Juniorprofessoren einen geregelten Übergang von erfolg-
reich evaluierten Juniorprofessuren zu einer Dauerprofessur (tenure-track)
erleichtern würden. Mehr Transparenz in Berufungsverfahren steht dabei auch
eine bessere Vorausschau für die persönliche Lebensplanung der Nachwuchs-
wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zur Seite. Eine einvernehmliche
Regelung der Bundesregierung mit den Ländern erleichtert auch die Kontinuität
der Forschungsplanung auf der Ebene der Fachbereiche der Hochschulen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im Rahmen der Verhandlungen mit den Ländern zum Hochschulpakt 2020
für die Kontinuität der Förderung von Juniorprofessuren zu werben, damit
diese die Juniorprofessur als Qualifizierungsweg für wissenschaftlichen
Nachwuchs nicht nur erhalten, sondern diese ausgebaut wird;

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2. zugleich die Etablierung dieser Personalkategorie voranzutreiben, indem
ein neues Förderprogramm zur Ausstattung von Juniorprofessuren ver-
einbart wird;

3. bei der Mittelvergabe an bisherige Programmregelungen anzuknüpfen, ins-
besondere von jeweils 60 000 Euro Erstausstattung auszugehen;

4. im Haushalt 2007 den Titel „Förderprogramm zur Ausstattung von Junior-
professuren“ nicht auslaufen zu lassen und diesen stattdessen mit 15 Mio.
Euro insgesamt auszustatten;

5. die Länder auf Basis bisheriger Evaluationen von Juniorprofessuren bei der
Auflage von Regelungen zu unterstützen, welche Mitnahmeeffekte bei ein-
gesetzten Mitteln verhindern;

6. die Juniorprofessur als eine attraktive Alternative zu Habilitation und Lei-
tung von Nachwuchsgruppen zu stärken. Hierdurch wird die Dynamik zur
Reformierung von Qualifikationsmodellen im deutschen Wissenschafts-
system unterstützt. Für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die
sich beispielsweise außerhalb einer Vollzeitbeschäftigung an einer Uni-
versität qualifizieren wollen, bleiben zugleich individuelle Entscheidungs-
spielräume offen;

Nicht zuletzt können viele Akademikerinnen und Akademiker mit Kinder-
wunsch selbst freier über adäquate Wege zur Vereinbarung von Beruf und
Familie entscheiden;

7. sich gegenüber den Ländern dafür einzusetzen, hochschulgesetzliche Re-
gelungen zur Einführung der Juniorprofessur möglichst anzugleichen, um
Mobilität zwischen Hochschulen und Ländern sowie mehr Sicherheit in
Qualifizierungsperspektiven auf Basis nachvollziehbarer Erfolgskriterien
für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler zu er-
möglichen;

8. sich den Ländern gegenüber dafür einzusetzen, dass der tenure-track als ein
international bewährtes Mittel der Nachwuchsförderung in den Hoch-
schulen als eine Möglichkeit verankert wird. Die Öffnung für Hausberufun-
gen ist noch nicht in allen Ländern und teilweise nur unter besonderen Be-
dingungen möglich. Darüber hinaus sollte für die Option des tenure-track
ein Verfahren vereinbart werden, das die Stellenplanung der Hochschulen
erleichtert;

9. mit den Ländern konkrete Anreize zur Berufung von Frauen in Junior-
professuren, insbesondere in den Naturwissenschaften, zu vereinbaren;

10. mit den Ländern Vereinbarungen vorzubereiten, die dem wissenschaft-
lichen Nachwuchs nach Abschluss der verschiedenen Qualifizierungswege
– Juniorprofessur, Habilitation, Leitung von Nachwuchsgruppen – bis zur
Berufung auf eine ordentliche Professur angemessene Beschäftigungs-
perspektiven und adäquate Stellenkategorien auch befristet bieten.

Berlin, den 25. Oktober 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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