BT-Drucksache 16/2624

Erhaltung des Trennungsgebots - keine Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder

Vom 20. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2624
16. Wahlperiode 20. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, Kersten Naumann
und der Fraktion DIE LINKE.

Erhaltung des Trennungsgebots – keine Errichtung gemeinsamer Dateien
von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die auf Ausschussdrucksache 16(4)102 von der Ständigen Konferenz der
Innenminister und -senatoren der Länder vorgelegten Beschlüsse zu einer
Anti-Terror-Datei würde bei gesetzlicher Umsetzung zu einer verfassungs-
widrigen Kooperation der Sicherheitsbehörden, speziell der Polizei und
Nachrichtendienste im Bereich des Datenaustauschs führen. Das Trennungs-
gebot lässt keinen nahtlosen Informationsaustausch zu, der gleichzeitig die
unterschiedlichen Befugnisse der Organe der Inneren Sicherheit zur Daten-
erhebung und die gesetzlich vorgeschriebene Kontrolle einebnet. Damit
wird die organisatorische Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten
aufgehoben und dieselben zu bloßen Abteilungen derselben Behörde ge-
macht.

Die Errichtung einer gemeinsamen Anti-Terror-Datei von Polizei und Nach-
richtendiensten ist abzulehnen.

2. Die Aufnahme von Kriterien wie Familienstand, Religionszugehörigkeit
und Reisebewegungen und bekannte Aufenthalte an Orten mit terroristi-
schem Hintergrund in eine Anti-Terror-Datei bedeutet massive Eingriffe in
das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, die Grundrechte der
Religions- und Meinungsfreiheit und des Rechts auf Freizügigkeit und
würde bei ihrer Umsetzung geradewegs zu neuen Diffamierungen, Denunzi-
ation, Ausgrenzung und Vermeidungsverhalten führen, je nachdem, welche
Bevölkerungsgruppen und Örtlichkeiten gerade ins Zentrum antiterroristi-
scher Kampagnen gerückt werden.

3. Die Beschlüsse der Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder
(IMK) zur Einigung über eine Anti-Terror-Datei (Ausschussdrucksache
16(4)102) und der bisher vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
belegen die Absicht derselben, die beim BKA geführte Anti-Terror-Datei
auf nachrichtendienstlichen Grund zu setzen und entsprechend auszurichten.

Bürgerinnen und Bürger werden in dieser Datei verdachtsunabhängig
erfasst, ausgeleuchtet und durchrastert werden, wobei sich die besondere Er-
heblichkeit dieser Grundrechtseingriffe insbesondere aus der Verknüpfung
von Daten unterschiedlicher Stellen ergibt (vgl. Beschluss des BVerfG vom
4. April 2006 – 1 BvR 518/02). Werden die in die Datei eingebundenen Poli-
zeien der Länder und des Bundes auf dieser Basis tätig, geschieht dies ohne
die gesetzliche Voraussetzung eines konkreten Tatverdachtes oder einer kon-

Drucksache 16/2624 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

kreten Gefahr. Es entsteht eine auf Dauer angelegte operative Zusammen-
arbeit im nachrichtendienstlichen, im polizeilichen wie im strafrechtlichen
Sinne, die die weitere „Vernachrichtendienstlichung der Polizei“ verfestigt.

4. Die Tätigkeit der Sicherheitsorgane auf dieser Basis entzieht sich wirksamer
richterlicher, datenschutzrechtlicher und parlamentarischer Kontrolle auf
Grund jeweils unterschiedlicher Zuständigkeiten, Verfahrensvorschriften
und Eingriffsvoraussetzungen für Bundeskriminalamt (BKA), Landeskrimi-
nalämter (LKAs), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Landesämter für
Verfassungsschutz (LfVs), Militärischen Abschirmdienst (MAD), Bundes-
nachrichtendienst (BND) und Zollkriminalamt (ZKA).

Berlin, den 19. September 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Seit Jahren, verstärkt seit dem Anschlag des 11. September 2001 arbeiten die
Bundesregierungen daran, die informationelle Zusammenarbeit der Behörden
der Inneren Sicherheit möglichst ungehindert durch verfassungsmäßige Be-
schränkungen in ihrem Sinne zu optimieren.

So formulierte die Bundesregierung schon in ihrem Bericht vom 30. Juli
2001(!) an den Innenausschuss unter dem Titel „… verstärkte Zusammenarbeit
zwischen Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für
Verfassungsschutz im Rahmen des Informationboards“ als Einrichtungsgrund
die Suche nach neuen Wegen, „um die anlassunabhängige und anlassbezogene
Zusammenarbeit deutscher Sicherheitsbehörden bei der Informationsbeschaf-
fung und -bewertung auf der Grundlage der den Behörden gesetzlich ein-
geräumten Aufgaben und Befugnisse zu verbessern“.

Als Ziel wurde angegeben:

„Durch die verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen des Informationboards soll
die nationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Deutschland ver-
bessert werden, indem die taktischen und technischen Möglichkeiten der teil-
nehmenden Behörden zur Informationsgewinnung und -verabeitung sinnvoll
miteinander verknüpft werden. Durch die auf diesem Wege nutzbaren Syner-
gieeffekte soll Doppelarbeit vermieden werden und es soll eine effektivere Auf-
gabenerfüllung in strategischer, taktischer und personeller Hinsicht durch eine
Verbesserung der kriminalpolitischen Entscheidungsgrundlagen erzielt wer-
den.“

In den Terrorismusbekämpfungsgesetzen nach dem 11. September 2001, den
sog. Otto-Paketen wird versucht, dieser Form der Kooperation zwischen den
Sicherheitsbehörden eine gesetzliche Grundlage zu geben und sie gleichzeitig
auszuweiten.

Mit unterschiedlichen Kooperationsformen vom Gemeinsamen Terrorabwehr-
zentrum (GTAZ) bis hin zu Sonderformen wie dem anlässlich der WM zusam-
mengestellten Nationalen Information and Communication Centre (NICC) mit
seiner nicht zählbaren Besetzung und dem Zugriff auf unzählbare Dateien
springt die Bundesregierung immer lockerer über Verfassungshürden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2624

Ohne Evaluation dieser Einrichtungen und Gesetze in grundrechtlicher und
kriminalpolitischer Hinsicht werden jetzt Eckpunkte einer Anti-Terror-Datei
vorgelegt, die Grunddaten zur Identifizierung einer Person und zahlreiche wei-
tere Daten wie Kommunikations-, Bank- und Reisedaten sowie Angaben zu
Familie und Religion enthalten soll und die reine Verdachtsdaten aus Informa-
tionen, die auf vollkommen unterschiedlichen Rechtsgrundlagen erlangt wor-
den sind, genauso enthalten soll wie Daten von Kontakt- und Aufenthaltsdaten.

Die so genannte Trennung in Index und Volltextdatei ist, wenn nicht bloße
Augenwischerei dann nicht mehr als der Versuch, einen ungeheuren Datenwust
zu „rationalisieren“. Die Möglichkeiten, die angeblichen Sperren zu überwinden,
sind eingebaut und werden in der Praxis schnell von der Ausnahme zur Regel
und dann zur Gewohnheit führen. Die Aufnahme der Religionszugehörigkeit,
des Familienstandes und der terrorverdächtigen Orte öffnet der gesell-
schaftlichen Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen und bestimmter
Verhaltensweisen Tür und Tor. Bereits jetzt sehen sich Bürgerinnen und Bürger
muslimischen Glaubens einem Generalverdacht ausgesetzt. Ausgerechnet diese
Kriterien mit einem Terrorverdacht zu belegen heißt, datengestützt jederzeit die
Lunte von Ausgrenzung und Diffamierung zünden zu können. Das ist das ge-
naue Gegenteil einer sinnvollen Integrationspolitik und zum Zweck der Terror-
bekämpfung vollkommen ungeeignet.

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