BT-Drucksache 16/2613

Geplante Anti-Terror-Datei von Bund und Ländern

Vom 18. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2613
16. Wahlperiode 18. 09. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Kersten Naumann, Jan Korte,
Sevim Dagdelen und der Fraktion DIE LINKE.

Geplante Anti-Terror-Datei von Bund und Ländern

Seit 2001 wird zwischen den Innenministern von Bund und Ländern die Ein-
richtung einer „Anti-Terror-Datei“ diskutiert. Strittig waren zwischen den
Innen- und Justizpolitikerinnen und Justizpolitikern dabei vor allem der Inhalt
der Datei, ihre Struktur und die Zugriffsrechte für Eingabe und Abruf von Daten.
Verschiedentlich wurden die Innenminister von Bund und Ländern auch auf die
datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen einer solchen Datei hingewiesen.
So blieb es bis zum Schluss umstritten, ob auch die Religionszugehörigkeit Auf-
nahme in die Datei finden solle. Der Referentenentwurf des Bundesministe-
riums des Inneren (BMI) vom 14. Juni 2006 verzichtete auf die Erfassung der
Religionszugehörigkeit, wollte dafür aber eine „Volkszugehörigkeit“ in die per-
sonenbezogenen Datensätze aufnehmen.

Beide, der Referentenentwurf und der Rahmenbeschluss der Innenministerkon-
ferenz, sehen einen Teil der Datei in einem offenen und in einem verdeckten Be-
reich („Grunddaten“ und „erweiterte Grunddaten“) vor. Dies soll den Geheim-
diensten die Möglichkeit geben, sensible Erkenntnisse und Quellen zu schützen
(„verdeckte Speicherung“). Der Rahmenbeschluss der IMK geht allerdings bei
den Zugriffsrechten über den Gesetzentwurf aus dem BMI hinaus. In beiden
Papieren sollen die beteiligten Behörden verpflichtet werden, ihre bisher gesam-
melten Erkenntnisse zu Personen und Organisationen in die Datei einzugeben.

Der Entwurf des BMI sieht darüber hinaus die Einrichtung von „projektbezoge-
nen gemeinsamen Dateien“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, den
Bundesnachrichtendienst und das Bundeskriminalamt unter Beteiligung weite-
rer Sicherheitsbehörden vor. Hier wird kaum noch auch nur der Versuch unter-
nommen, die vorgesehene operative Zusammenarbeit von Polizei und Geheim-
dienst sprachlich zu kaschieren. Der sächsische Datenschutzbeauftragte stellte
fest, dass sein Land sich nicht an der Datei beteiligen könne, da nach der Recht-
sprechung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs Polizei und Geheimdienste
so weit wie möglich voneinander abzugrenzen seien. Dazu gehöre die „grund-
sätzliche informationelle Trennung beider Organe“ (dpa-Meldung vom
5. September 2006).
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Datenbestände (Daten aus bereits vorhandenen Dateien) welcher
beteiligten Behörden sollen in der „Anti-Terror-Datei“ gespeichert werden
(bitte auflisten)?

Drucksache 16/2613 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Ist geplant, die Datenbestände, die als Quellen für die „Anti-Terror-Datei“
verwandten Dateien dienen, zu löschen, wenn nein, warum nicht (die Frage
gilt auch für Dateien, die aus Datenbeständen übertragen werden, die nicht
vollständig übertragen werden müssen)?

3. Wie wird die Datei mit den internationalen Dateien mit Bezug zu Terroris-
musabwehr, insbesondere Interpol, Europol und dem Schengener Informa-
tionssystem (der zweiten Generation) verknüpft sein?

4. Ist geplant, auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an
der Datei zu beteiligen, und wenn ja, mit welcher Begründung?

5. Ist geplant, auch das Bundesamt für Katastrophenschutz an der Datei zu
beteiligen, und wenn ja, mit welcher Begründung?

6. Wie ist der Begriff „Kontaktperson“, wie er in der Beschlussniederschrift
über die 181. Sitzung der IMK verwandt wird, inhaltlich genau zu ver-
stehen?

7. Wie erläutert die Bundesregierung die Formulierung „Personen, die mit den
(…) genannten Personen in Verbindung stehen“ (§ 2 Abs. 1 Satz 2 des
Referentenentwurfs) inhaltlich, und reicht das In-Verbindung-Stehen für
eine Erfassung in der „Anti-Terror-Datei“ bereits aus?

8. Was ist unter den Begriffen der „Unterstützung“, „Befürwortung“ und des
„durch Tätigkeiten vorsätzlichen Hervorrufens“ rechtswidriger Gewalt-
anwendung zur Durchsetzung religiöser oder politischer Belange inhaltlich
genau zu verstehen?

9. Wie wird sichergestellt sein, dass es nicht zur extensiven Aufnahme von
Personen durch einzelne Behörden kommt, die die oben genannten Krite-
rien unschärfer auslegen als andere und damit auch die Zuverlässigkeit der
Datei gefährden?

10. Wird die offene Solidarisierung oder Unterstützung für bewaffnete Gruppen
in anderen Staaten, die dort gegen völkerrechtswidrige Besatzung oder
undemokratische Regime auch unter Einsatz (nach positivem Recht) rechts-
widriger Gewalt Widerstand leisten, zum Eintrag in eine solche Datei
führen?

11. Werden in der Datei auch Personen erfasst, die Regierungen angehören, die
„rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerich-
teter politischer Belange“ (§ 2 Abs. 2 Satz 1 des Referentenentwurfs) an-
wenden, sowie Personen, die mit ihnen „in Verbindung stehen“?

12. Welche Auswirkungen wird ein Eintrag in der „Anti-Terror-Datei“ für Per-
sonen haben, die sich einer „Sicherheitsüberprüfung“ unterziehen müssen,
insbesondere

a) bei Personen, die mit (mutmaßlichen) Mitgliedern terroristischer Ver-
einigungen „in Verbindung stehen“,

b) bei Personen, die mit Personen in Verbindung stehen, die rechtwidrig
Gewalt durch Durchsetzung politischer oder religiöser Belange anwen-
den, unterstützen, befürworten oder vorsätzlich hervorrufen,

c) bei Personen, die Mitglieder oder Beschäftigte von Vereinigungen, Stif-
tungen oder Unternehmen waren oder sind, die mit den unter Buchstabe a
und b genannten Personen „in Zusammenhang stehen“?

13. Wie viele Personen werden nach Einschätzung der Bundesregierung insge-
samt in die Datei aufgenommen werden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2613

14. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, dass in die „Anti-Terror-Datei“
das gesamte persönliche Umfeld von lediglich verdächtigen Personen sys-
tematisch aufgenommen wird?

15. Wird auch bei „Kontaktpersonen“ bzw. den Personen, die „in Verbindung
stehen“ das persönliche Profil (Kontakte, Lebensgewohnheiten, besondere
Merkmale) erfasst?

16. Wird angesichts der Tatsache, dass die Geheimdienste in der Lage sind, viel
weitergehender als die Polizei Angaben zu persönlichem Umfeld und
Lebensgewohnheiten erfassen zu können, die Eingabe solcher Informatio-
nen bei „Kontaktpersonen“ begrenzt, wenn ja, wie und durch wen, wenn
nein, warum nicht?

17. Plant die Bundesregierung eine Regelung bezüglich der Weitergabe von in
der „Anti-Terror-Datei“ gespeicherten Daten an ausländische Nachrichten-
dienste, Polizeien oder mit anderen Staaten gemeinsam betriebene Dateien
und Datenverbünde, wenn ja, welchen Inhalt soll diese Regelung haben,
wenn nein, warum nicht?

18. Welche Regelung ist für die Bundesländer vorgesehen, in denen die Tren-
nung von Polizei und Geheimdiensten Verfassungsrang besitzt? Inwiefern
wird es für diese Länder gesonderte Regelungen für die Einspeicherung von
Daten und den Abruf dieser Daten durch andere Behörden geben?

19. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass durch den
wechselseitigen Zugriff der Polizeien und der Geheimdienste auf Daten, die
jeweils auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage und für unterschiedliche
Zwecke gewonnen wurden, zu einer faktischen Aufhebung der Trennung
von Polizei und Geheimdiensten kommt (auch bei fortbestehender Tren-
nung de jure), und wie begründet sie ihre Einschätzung?

20. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass es insbe-
sondere über die „projektbezogenen Dateien“ und die jeweiligen „Projekte“
selbst zu einer derart engen Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiens-
ten kommt, dass faktisch eine Trennung beider Seiten nicht mehr besteht
(auch bei fortbestehender Trennung de jure), und wie begründet sie ihre Ein-
schätzung?

Berlin, den 18. September 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.